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Peter Altenberg
geb. 9. März 1859 in Wien
gest. 8.Januar 1919 in Wien.
Was kann ich für dich tun?!?
Ich kann auf dem Spaziergang deinen Mantel tragen –
Ich kann dich, wie du gestern schliefest, fragen. –
Ich kann, wenn man dir widerspricht, mit meinem Blicke sagen:
»Du hast recht, nur du!«
Ich kann, wenn du nicht da bist, bedrückt und kränklich sein –
Ich kann vor Glück erbeben, trittst du ein. –
Ich kann mein Opernglas dir leihen im Theater
Und Komplimente über seine Tochter machen deinem Vater.
Ich kann dir süße Mandarinen bringen,
Und manche kleine Aufmerksamkeit wird mir gelingen.
Mein Herz jedoch wird unerbittlich fragen, ohne zu ruhn:
»Was kann ich für sie tun?!?«
Ich bin erstaunt über die ruhigen Stunden – – –
Und dennoch kommen sie!
Wie eine Krankheit, die man überwunden. – – –
Man nennt den süßen wunderbaren Namen dann so sanft und klar:
»Ljuba – – –«
Und weiß nicht mehr, daß er vor einer Stunde noch schwer und bitter war,
Ein Schicksal in sich tragend,
Kränkend, nagend!
Ich bin erstaunt über die ruhigen Stunden,
Da bei Kaffee, Zigarette und der Presse
Man wieder nimmt am Alltag Interesse.
»Wo wird sie sein und wie, was wird sie tun und lassen?!?
Trägt sie die blaue Seidenbluse, schläft sie gut?!?
Fühlt sie sich glücklich, fühlt sie sich verlassen?!?«
Bedrückende Gespensterfragen, sie verblassen
Im Tageslicht des Alltags!
Und die Seele ruht. – – –
Ich bin erstaunt über die ruhigen Stunden,
Da bei Kaffee, Zigarette und der Presse
Man wieder nimmt am Alltag Interesse.
Doch wie ein Fieber, das sich mählich kündet, heranschleicht aus den tiefsten Gründen kranker Herzen,
Man war noch eben aufgelegt zu scherzen,
Kommt nun die Unruhe, drückt dich nieder,
Macht zur
Moment-Tragödie den Alltag wieder!
»Wo wird sie sein und wie, was wird sie tun und lassen?!?
Trägt sie die blaue Seidenbluse, schläft sie gut?!?
Fühlt sie sich glücklich, fühlt sie sich verlassen?!?«
Und schmerzen wieder hundert Sehnsuchtswunden,
Ist man erstaunt über die ruhigen Stunden.
Lieb' ich dich?!? Lieb' ich dich nicht?!?
Ich sehne mich nach dir!
Beisammensein ist stumpfes, totes Glück,
Lebendiges Glück jedoch ist nur mein Sehnen!
Wenn Du nicht da bist, schleicht das süße Gift der Sehnsucht in mein Herz;
Indem ich fühl', ich könnt' ihm nicht entrinnen,
Fühl' ich erst meiner Liebe holde Kraft!
Denn Liebe ist das
Unentrinnbare.
So mancher mag in deiner süßen Nähe begeistert sein – – –
Mich aber macht erst liebeskrank die Ferne!
Und mißt der andere seine Leidenschaft
an hellem Glück des Naheseins bei dir,
Mess' ich sie an der dunklen Sehnsucht nach der Fernen!
Wer trinkt,
genießt,
Wer dürstet,
liebt den Trunk!
Lieb' ich dich?!? Lieb' ich dich nicht?!?
Ich sehne mich nach dir!
Beisammensein ist stumpfes, totes Glück,
Lebendiges Glück jedoch ist nur mein Sehnen!
Die da nicht kommen an deinen Tisch,
Die sind
klüger als ich!
Die schützen sich!
Ich aber, gleich der Motte im Lichte,
Mache meinen Selbsterhaltungstrieb zunichte!
Ich will lieber in Licht und Hitze sterben,
Als gesichert um Anna oder Grete werben!
Die da nicht kommen an deinen Tisch,
Die sind
dümmer als ich!
Sie schützen sich!
»Kommen Sie morgen mich anschaun in meinem neuen Kleid – – –!«
Ich aber war nicht dazu bereit,
Ich kam nicht, dich anzuschaun in deinem neuen Kleid.
Und es tat mir gar nicht leid.
Hättest du gesagt: »Morgen dürfen Sie meine Fingerspitzen berühren – – –«
Ich hätte die Nacht schlaflos verbracht,
Hätte bei Schnee und Wind an deinem Tore gewacht,
Hätte nichts gegessen, nichts getrunken,
Wäre vor Sehnsucht umgesunken.
O Gott, wir leben doch im lebendigen Leben,
Können daher es nicht billiger geben!
Für leeren Ritterdienst bin ich zu alt,
Für echten Liebesdienst bist du zu kalt!
Dein altes Kleid und dein neues Kleid
Schaffen mir nur Herzeleid!
Ein jedes deine Schönheit barg
Wie ein Sarg.
Hättest du zu mir gesagt: »Morgen dürfen Sie meine Fingerspitzen berühren – – –«,
Ich hätte die Nacht schlaflos verbracht,
Hätte bei Schnee und Wind an deinem Tore gewacht,
Hätte nichts gegessen, nichts getrunken,
Wäre vor Sehnsucht umgesunken!
So aber warst du gnädig wie alle Frauen:
»Sie dürfen mich morgen im neuen Kleid erschauen!«
Da kam ich nicht.
Ich Wicht!
Ich dachte an deine geliebten Finger
Und von meiner Liebe nicht geringer,
Trotzdem ich nicht kam, Lieblichste der Frauen,
Dich im neuen Kleide anzuschauen!
Und endlich stirbt die Sehnsucht doch – – –
Wie Blüten sterben im Kellerloch,
Die ewig auf ein bißchen Sonne warten.
Wie Tiere sterben, die man lieblos hält,
Und alles Unbetreute in der Welt!
Man denkt nicht mehr: »Wo wird sie sein –?!?«
Ruhig erwacht man, ruhig schläft man ein.
Wie in verwehte Jugendtage blickst du zurück,
Und irgendeiner sagt dir weise: »'s ist dein Glück!«
Da denkt man, daß es vielleicht wirklich so ist,
Wundert sich still, daß man doch nicht froh ist!
Ich sah dich den Amseln zärtlich Futter streuen –
Ich sah dich deinen alten Vater sanft betreuen –
Ich sah dich in einem Buche heilige Stellen anstreichen,
Ich sah dich in Gesellschaft unadeliger Menschen erbleichen.
Ich sah dich deine idealen Füße ungeniert nackt zeigen,
Ich sah dich wie eine Fürstin dich edel – stolz verneigen.
Ich sah dich mit deinem geliebten Papagei wie mit einem Freunde sprechen,
Ich sah dich mit einem Manne wegen eines geringen Taktfehlers für ewig brechen – – –.
Ich sah dich an Himbeerduft dich berauschen,
Ich sah dich der Stille eines Sommerabends lauschen.
Ich sah dich an dem Alltag wachsen, lernen,
Ich sah dich traurig stehn vor trüben Gaslaternen.
Ich sah dich dein Leben spinnen wie die Spinne ihr mysteriöses Gewebe – – –
Ich schlich mich abseits, um dich nicht zu stören.
Ich werde dich aber lieben, so lang ich lebe!
Ort Reichenau – – –
und ich mußte Abschied nehmen von der jungen Frau,
tragischen Abschied.
Was dann mit ihr wurde, weiß ich nicht.
Aber nach zwei Jahren
kam sie in einer Equipage angefahren,
totenbleich.
»Ich komme Ihnen Adieu zu sagen – – –«,
begann sie ruhig ohne Klagen,
»ich werde morgen operiert – – – .«
Ich sagte: »Arme – – – . Daß Gott sich erbarme – – – .«
Und sie: »Meine Villa steht nun fertig am Waldessaume,
ganz nahe jener Bank, unter dem alten Baume,
wo Sie mir wortlos mit den Augen sagten: ›Edle Fraue!‹
Nun, da ich mein Leben überschaue,
war dieses Wort das beste, das mich traf!
Nun aber bin ich müd und gehe hin zu sterben –.
Sie aber sollen mein Herz beerben,
indem ich Ihnen sage: ›Heißen Dank!‹
Vielleicht kommen Sie durch Zufall zu der Bank,
wo Sie das stumme Wort zu mir gesprochen – – .
Ich wollte Sie noch sehn, den fremd Gewordenen,
ein letztes Mal – – – .«
Dann schenkte sie mir noch ein Strähnchen ihrer Haare
und Samstag lag sie auf der Totenbahre.