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Moritz Hartmann
geb. 15. Okt. 1821 in Duschnik
gest. 13. Mai 1872 in Wien
Kein Wort und keinen Hauch –
Wir wollen schweigen.
Die Trauerweiden, die sich neigen
Auf Leichensteine, schweigen auch.
Sie neigen sich und lesen,
Wie ich auf deinen Wangen:
Es ist ein Glück gewesen
Und ist vorbeigegangen.
Seit sie gestorben, ist mir eins gewiß:
Daß es ein Ewiges muß geben!
Denn über meines Herzens Riß
Fühl' ich ein ew'ges Leben schweben,
Seit sie gestorben.
Seit sie gestorben, bin ich stolz und kühn:
Ich weiß es nun, was Herzen tragen
Was sind mir fürder alle Müh'n?
Was gibt es ferner noch zu tragen,
Seit sie gestorben?
Seit sie gestorben, lebt im Herzen mir
Ein Bild der seligsten Verklärung,
Bin ich ein Baum, den für und für
Die Heil'ge schützet vor Zerstörung,
Seit sie gestorben.
Seit sie gestorben, ist ein fester Wall
Der Einsamkeit um mich gezogen;
Vergebens ist der Überfall
Der Freuden, die mich rings umwogen,
Seit sie gestorben.
Seit sie gestorben, hat die tiefste Ruh'
Sich heimisch in mein Herz gesenket,
Die Seele schließt die Augen zu
Und ahnt und träumt mehr, als sie denket,
Seit sie gestorben.
Durch die deutschen Länder schreit' ich,
Angstvoll, klagvoll, wehmutsvoll;
Dorthin meine Arme breit' ich,
Wo die Sonne kommen soll.
Und ich rufe klagend, zagend,
Ob nur ich so schlaflos bin!
Wie vom Ölberg jener fragend:
Hüter, ist die Nacht bald hin? –
Hie und da die Nebel weichen,
Hie und da verblaßt ein Stern;
Ist sein Tod ein frohes Zeichen,
Daß der Morgen nicht mehr fern?
Unsres Herzens Nachtigallen
Sind verstummt – ist's der Beginn
Von den schönen Tagen allen?
Hüter, ist die Nacht bald hin? –
Ist's die Angst in meinem Herzen,
Die die Nacht so qualvoll dehnt?
Bin ich einer, der in Schmerzen
Vorschnell frühen Tag ersehnt?
Um mich liegen sie im Kreise,
Schläfer, tot an Geist und Sinn,
Keiner seufzt im Traume leise:
Hüter, ist die Nacht bald hin?
Hüter! Gott! dir selbst muß werden
Bang in dieser langen Nacht!
Gib ein Zeichen, daß der Erden
Ist ihr junger Tag erwacht;
Daß zur frohen Lerche werde,
Jungen Tags Verkünderin,
Meine Seele auf der Erde:
Hüter, ist die Nacht bald hin?
Der ich hier lieg', umhüllt vom Leichentuche,
Ich hülle mich in das Bewußtsein wärmer,
Daß ich ans Ziel kam, wohl an Täuschung ärmer,
Doch ungedrückt von eines Edlen Fluche.
Was ich getan im Leben und im Buche,
Ich tat es nie als lobbedürft'ger Lärmer,
Und hieß ich auch in dem und jenem Schwärmer,
Doch war ich nie mit mir im Widerspruche.
Was ich gewollt, das wollt' ich ohne Lüge,
Ich hab' nach Ruhm gestrebt, und zu dem Ziele
Lenkt' ich die Schritte ohne Winkelzüge.
Ich habe Lieb' empfangen und gegeben,
Ich sang daheim und sang noch im Exile –
Und so verklingt, ein Lied, mein ganzes Leben.