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Rosa Mayreder
geb. 30. Nov. 1858 in Wien
gest. 19. Januar 1938 in Wien

Sonnette

Erbrause Lebensatem, Windesreigen,
Der du auf deinen Flügeln Keime trägst,
Den winterlichen Früchtebaum erregst,
Daß innen seine Säfte quellend steigen!

Noch ruht das volle Herz, wie in den Zweigen
Die Äolsharfe hängt, von Tönen schwer,
Die in die Saiten sind gebannt, bis er,
Der Brausende, sie weckt aus ihrem Schweigen.

Bist du ein Frühlingshauch, der lieblich gleitend
Den Staub der Blüten wirbelt himmelwärts –?
Wirst du in Ungewittern donnerschreitend

Die Seele brechen, der du hier begegnest?
Erwecker, Schicksal, Liebelebensschmerz,
Was du auch bringen magst, ich weiß, du segnest.

*

Wenn deine Hände sich um meine legen,
Nimmst du zu eigen mich in solche Haft,
Daß meines ganzen Lebens Halt und Kraft
Entschläft in diesem zärtlichen Umhegen.

Von innen aber zückt ein neu Bewegen;
Erglommen heiß in der Berührung Rausch
Fühl' ich zu ungemeßnem Liebestausch
Des Blutes Welle fluten dir entgegen.

O Hände voll der Gaben, mir so teuer,
Der Lust geheimstes Wunder tut ihr kund!
Es fließt von euch zu mir ein magisch Feuer,

Verschmelzend ungekannte Elemente,
Die lebend werden erst durch ihren Bund
Und tot sind, wenn sich eins vom andern trennte.

*

Erreichbar nicht mehr Wünschen, Klagen, Bitten,
Gingst du dahin – du hast den Weg vollbracht.
Und gleich dem Wanderer, der in die Nacht
Hinaushorcht nach verhallend fernen Schritten,

Eh' sie ins ewig Stille sind entglitten,
Denk' ich dir nach in die Vergangenheit.
Blieb nichts von dir zurück aus jener Zeit,
Von Weh und Wonnen nichts, die wir erlitten?

In meinen Händen halt' ich eine Schale
Und hebe sie ans Licht, daß sie erglüht,
Ein Weihgeschenk aus farbigem Opale.

Das Blut der Schmerzen, ungesehn vergossen,
Der Tränen Glanz, in Lust und Qual versprüht,
Lebt unvergänglich in ihr eingeschlossen.

 


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