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19.

Ich diktierte ihm einen Artikel folgenden Inhalts: Das Blatt habe absichtlich gestern nichts unmittelbar nach der Verhaftung gebracht, weil es genaue Informationen einholen wollte, und jetzt sei es in der glücklichen Lage, solche dem geschätzten Leserkreis aus einer absolut sicheren Quelle zu bringen. 1. Meine Mutter sei die Witwe eines großzügigen Grundstücksspekulanten, dem die Kommune der Stadt die Parzellierung des umfangreichen Geländes auf dem aufgelassenen Friedhof zu St. Georg verdanke. 2. Meine Mutter sei eine frühere Lehrerin, die durch ihre Schönheit aufgefallen sei, mehr aber noch durch ihre philanthropische Veranlagung. Aber sie habe immer gepredigt, eine brave Frau gehöre ins Haus, an den Herd. Sie sei, obgleich nach dem Tode des heißgeliebten Gatten in völlig geordneten Verhältnissen zurückgelassen, Hortnerin geworden, habe die Hütten der unverdient ins Elend Gekommenen aufgesucht, die Tränen der Witwen und Waisen getrocknet. Es sei ein Zeichen, daß man an unserer viel verleumdeten Zeit nicht verzweifeln dürfe, wenn eine Millionärin ihr Leben einsetzt für die Ärmsten der Armen. So sei sie, am Dienstagabend nach einer formvollendeten Rede verhaftet, in den Hungerstreik getreten, hätte ein Märtyrerlos auf sich genommen, wissend, daß nicht irdische Ehren und politische Erfolge, sondern das beruhigte soziale Gewissen und die Belohnung im Jenseits ihr frei gewähltes Schicksal sein werden. 3. Ihre Tochter, die von ihr Schönheit und Herzensgüte übernommen, sei in einem geistlichen Stifte in Vorarlberg katholisch erzogen. Der Sohn sei vor kurzem zum Doktor der Philosophie an der Wiener Universität promoviert worden, er sei mit Leib und Seele an den menschenfreundlichen Bestrebungen seiner Mutter beteiligt und wolle sein ungeheures Privatvermögen opfern. Er sei ein bekannter Sportsmann, ein in Fachkreisen berühmter Bergsteiger, der in aufopferndem Heroismus, der würdige Sohn seiner großherzigen Mutter, einen seiner Freunde bei einer schwierigen Bergbesteigung gerettet habe und dessen Bild vor einigen Jahren in allen illustrierten Blättern gestanden habe. 4. Man könne zu der Frage der öffentlichen Betätigung einer politisch ungeschulten und von Demagogen mißbrauchten edlen Frauenseele stehen wie immer, man müsse aber jene bösen, gottlosen, teuflischen Stimmen aufs heftigste verurteilen, die bei einer derartigen selbstlosen Idealistin aus dem gehobenen Bürgerstande von Provokation zu reden wagen. Gewiß sei die Dame gegen das allgemeine Wahlrecht, besonders gegen das Frauenwahlrecht. Gewiß habe sie in ihrer heißblütigen, von Tränen der Menschenliebe getränkten Rede sowohl den auf dem Felde der Arbeit gefallenen Lohnarbeiter wie den unglückseligerweise durch tragisches Geschick zugrunde gegangenen Streikbrecher, beide rhetorisch geehrt und ihnen beiden die Versöhnung im Schöße des gütigen Himmels, zu Füßen des Heilands in so poetischer Weise versprochen. Sie sei eben nicht für den Klassenkampf, die Menschlichkeit stehe ihr über den Parteien. Aber dafür setze sie sich voll und ganz ein! Sei sie nicht selbst bereit, als das dritte Opfer der durch bloße Mißverständnisse zwischen gutwilligen Arbeitgebern und gutwilligen Arbeitnehmern entstandenen Konflikte zu sterben? Schon plane man, wie zu einer Heiligen zu ihr zu wallfahren, vor ihrem Gefängnis patrouillierten von morgens bis abends zehn bis zwölf Arbeiter, Tränen in den Augen, und weil sie fühlten, daß ihretwegen eine Mutter leide und sterbe. Alle Kreise der Gesellschaft nähmen Anteil an ihrer Aufopferung. In den Salons spräche man von nichts anderem. Und brächte nicht eben manch armes Weib aus der Hefe des Volkes trotz ihrer Not kleine Geschenke, Hühner, Wein und einen warmen Mantel ...

Ich hatte mir mit dem Stil Mühe gegeben und hoffte, der Ton würde nicht auffallen, im Gegenteil! Der Hofrat sah mich treuherzig an. »So loben wir sie in aller Gemütlichkeit zu Tode, das ist fein!« sagte er, »ich bin dafür! Morgen erscheint es, und ich lasse Ihre Mutter provisorisch frei, wenn der Minister nicht expreß dagegen ist. Ob und wie Anklage erhoben wird, hängt nicht von uns beiden ab! Und damit, junger Herr und alter Jesuit, Gott befohlen«, schloß er mit der falschen Jovialität alter Beamter.

Den Journalisten, die noch gerne mehr Details gehabt hätten, entrann ich nicht. »Es geht besser«, sagte ich ihnen, »und man hofft, daß es bald ganz gut gehen wird.« Die Journalisten verstanden mich nicht ganz.


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