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8.

Das Wetter war sehr warm für die Jahreszeit, Ende Mai. Ein neues Gewitter schien emporzukommen, ein heißer dunkler Wind strich über die Wiesen, die in der ersten Blüte standen. Wir kamen an dem großen Rondell vorbei. Zufällig trat ich in das nasse Gras. Ich hatte sie am Arm, sie mußte zu mir kommen, trotz einem zarten, leicht zu besiegenden Widerstand, sie zog mich nicht auf den mit Sand bestreuten Weg zurück. Ihre Röcke streiften in der Nässe hinter ihr her. Mein Entzücken an ihr war von einer unbestimmten Gier erfüllt, es war etwas Haschendes, Jagendes darin, etwas das ich nicht gekannt hatte. Er nahm mir die Luft, und die Natur, in der ich sonst aufgehen konnte, wurde zu nichts neben ihr.

Die Wiese war zu Ende, sie blieb tief atmend stehen und ließ meinen Arm los, um die Röcke etwas zu heben, die an ihren feinen Knöcheln klebten. In der noch nicht gemähten Wiese schien eine Spur von unsern Schritten zurückgeblieben zu sein, ein Pfad, nicht ganz gerade, eher ein weiter Bogen. Die Sonne brach noch einmal aus den schweren Wolken. Das Mädchen spannte einen alten Sonnenschirm auf, die Strahlen drangen lebendig durch die von Motten gefressenen Löcher der dünnen, resedafarbenen, verblaßten Seide auf ihr sonst etwas starres Gesicht, von der niedrigen Stirn bis zum etwas vollen Kinn, den buschigen, auffallend reichen Augenbrauen zu den blühenden Lippen, sie verirrten sich wie spielende Schmetterlinge bis zu den Winkeln über dem Ohr, die von den schwarzen, wild gelockten Haarflechten nur halb bedeckt waren. Eine Bank war in der Nähe, sie zog mich hin und breitete ihre Röcke wie einen Fächer rings um sich aus. Ein bittersüßer Duft, – (waren es die zerstreuten Blüten, war es der Geruch ihres Körpers, war es ein Parfüm, das ich nicht kannte?) wogte rings um sie, einmal durchdringend, dann wieder verschwebend. Sie hielt ruhig die etwas großen, aber schönen Hände im Schoße.

Von dem unruhigen Gewitterwinde abgeschüttelt, lösten sich Blütenblätter von den Zweigen und schwebten ihr auf die Krempe des Hutes, auf die Schultern, bis in den Schoß, wo sie in den tiefen Falten des Rockes geordnet liegen blieben, matt schimmernd in der Dämmerung. Die Sonne war fast untergegangen, sie stand sehr tief, jenseits der Kronen der Bäume.

Ich nahm diese Blüten, die so nahe bei ihr gewesen waren, zwischen meine Lippen, aber sie hatten keinen Duft mehr und waren wie Wasser. Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es kühl, die Vögel verstummten, und ich war dafür, zu gehen.

Sie tat, als stünde sie auf, ließ sich aber wieder zurücksinken, ihre Hände umfaßten mich im Nacken, wohin sich auch bei mir einige der herabfallenden Blüten verirrt hatten. Als jetzt aber eine Menge Kinder im Gänsemarsch lachend vorbeilief, wandte ich meinen Kopf so schnell und unerwartet ab, daß ihre Hände auseinander weichen mußten. Ans Fortgehen dachten wir aber beide nicht mehr. Ich erwartete etwas von ihr und sie etwas von mir, aber vielleicht war es nicht das gleiche. Ich rückte etwas von ihr ab, obwohl die Wärme, die ihre dünnen Kleider durchbrach, in mir etwas schauerlich Süßes hervorrief. Beinahe ließ sie mich alles vergessen. Wollte ich aber vergessen? Ich wich zurück bis an den Rand der Bank, wo sich eine eiserne starke Armlehne befand. Sie drückte sich noch gewaltsamer an mich, ja sie faßte über mich hinweg an diese Armlehne, und ergriff diese mit der rechten Hand, um mich so von zwei Seiten zu umfangen. Sie war stark und strengte ihre ganze Kraft an, sie keuchte, den Mund öffnend, um den Atem leiser zu machen, ihre schönen scharfen Zähne schimmerten bläulich weiß, mit der Zunge befeuchtete sie blitzschnell die Winkel der Lippen, als quäle sie Durst. Ich sah, daß sie sich quälte. Ich rührte mich nicht. Sie hörte nicht auf, mich zu pressen, als wolle sie mich erdrücken. Durch das schwellende Fleisch ihrer Hüfte fühlte ich die harten Knochen. Sie hätte mir wehe tun müssen, aber seltsamerweise empfand ich keinerlei Schmerz. Ja, jetzt wogte aus einer noch unbekannten Gegend meines Wesens etwas mit einer schweren, dumpfen, überwältigenden Gewalt auf, eine bange starke Gier nach mehr , nach noch, nach anders, nach ganz!

Ich weiß nicht, hatte sich mein Gesicht dem ihren oder ihr Gesicht dem meinen genähert, schon spürte ich den Flaum ihrer Wangen an meinen, und ihre Haare streiften meinen Hals in der Öffnung des Kragens, schon sah ich ihre Lippen sich schließen und sich zart vorwölben, wie um mich zu küssen, als ich mich wieder gewann. Ohne zu überlegen, ohne den Versuch zu machen, auf gewaltsame Weise ihr zu entrinnen, wandte ich eine kleine Waffe an, die ich zum erstenmal gebrauchte. Ich kühlte unsere Glut ab, indem ich sie nach etwas Gleichgültigem fragte, nach dem, was mir eben in den Sinn kam, – nach der Gelbsucht des alten Buchhalters Peters. Sie fuhr zurück, als hätte ich sie gestochen, ihre Hand ließ die Armlehne los, ihre Lippen erschlafften mit einem Male, ihre Schultern hoben sich zu einer ratlosen Frage, die sie verschwieg. Auch ich schwieg nun, und sie war es, die mir jetzt Platz machte auf der jetzt schon ganz im Dunkel liegenden Bank. Es ist ein gutes Gefühl, sich zu beherrschen und über dem anderen zu stehen, den nichts als seine Leidenschaft beherrscht.

Sie antwortete mir nicht, ihr Mund blieb geschlossen, und ihr stoßweises schnelles Atmen kam jetzt so laut aus ihr, als liefe sie einen sehr steilen Berg empor oder flüchte vor einer Feuersbrunst, endlich faßte sie sich und sagte mit einer unnatürlichen Stimme, Peters sei doch nicht alt, mein Vater hätte ihn als jungen Buchhalter in sein Geschäft genommen. Sie wartete auf Antwort, vielleicht glaubte sie, ich würde von ihm sprechen.

Natürlich dachte ich nicht daran. Aber ich sprach sehr freundlich mit ihr, und sie war zufrieden ...

Das Gewitter war näher gekommen, es dauerte aber noch lange, nämlich bis zum Morgen, bis es losbrach. Ich erwachte vom Rollen des Donners und von Schmerzen in den Hüften, besonders der rechten. Es war, als hätte ich auf der bloßen Erde, auf Steinen geschlafen. Ich machte Licht und sah an meinen Flanken blau unterlaufene Striemen, den Abdruck der eisernen Armlehne im Park.

Ich schlief nicht wieder ein. Ich wollte nicht an ihn denken und nicht an sie. Ich nahm meine Schulbücher vor. Es war unnötig. Denn ich wußte und kannte noch fast alles, nichts Wichtiges war vergessen. Ich hatte eher noch festere Kenntnisse, denn ich hatte sie als Lehrender bei meinem Schüler Karl erneuert und vertieft. Ich entschloß mich, die Prüfung noch einmal zu wagen. Einen Entschluß zu fassen, kam mir jetzt recht leicht vor, seitdem mich Lily liebte, und ich sie beherrschte, genau wie mich.

Mit Lily traf ich mich jetzt viel seltener, ich schützte die Prüfung vor, manchmal kam ich in die Versuchung, sie warten zu lassen und sie dabei zu beobachten, aber ich vermochte dies nie über mich zu bringen. Sie sang seit kurzem wieder im Chore. Ich betrat das Theater allerdings nie. Anfang Juli bestand ich die Prüfung. Mein Schüler, den ich sorgfältig vorbereitet hatte und der vielleicht mehr wußte als ich, versagte unbegreiflicherweise in drei Fächern. Aber dies schien ihn eher mit Freude zu erfüllen. Sein Vater kam ganz zerknirscht, die Zigarre erloschen in dem Pfeifchen aus Meerschaum, zu uns, um mich zu bitten, die Stunden bald wieder aufzunehmen. Ich zögerte. Manchmal schien es mir, als suche das Genie Karl nur einen Vorwand, um mich bei sich zu sehen. Gutes war weder ihm noch dem Krawattenhändler zuzutrauen, sie liebten mich nicht und ich liebte sie noch weniger.


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