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27.

Dieses Erblassen machte mich nicht stutzig; ich hatte es erwartet. Ich hätte sofort handeln können, schon um der armen unschuldigen Marthy unnütze Seelenqualen zu ersparen, die sich in dem ›Verstricken‹ zeigten, nämlich in dem falsch Stricken, obwohl das Muster, (zwei gerade, zwei verkehrte) doch das einfachste von der Welt war, worin sich sogar meine ungeschickte Schwester Anninka früher als Meisterin gezeigt hatte.

Ich hatte zwei Wege, Marthy an unser Haus zu fesseln und so den Ausgang für mich offen zu halten. Der eine bestand darin, daß ich ihre Sympathie für meine Mutter, ihre alte Treue, ihre vielen bereits geleisteten Dienste ihr in die Erinnerung zurückrief, (wer vieles bereits gegeben hat, gibt schließlich alles!), und daß ich sie schließlich bat, sie solle meinetwegen, das heißt um meinetwillen, noch ein oder zwei Jahre ›zugeben‹. Dienstboten gab es in Hülle und Fülle, aber treue, verläßliche, anspruchslose, sparsame Wesen wie sie waren selten, und man nannte sie ohne Ironie Perlen. Ich hätte sie also als reine Perle loben können. Ich hätte diese gefühlsmäßigen Gründe noch etwas wirksamer gestalten können, indem ich etwa sagte, es sei mehr mein Wunsch als der meiner Mutter, sie zu behalten, und hier konnte ich eine Tatsache einfügen, die wahrscheinlich wirksamer gewesen wäre als alles andere: nämlich den Besuch der blutjungen und kräftigen Lily bei uns, die sich an der Schwelle schon nach ›der Gnädigen‹ erkundigt hatte. Was war einfacher, als Lily in der Rolle eines bei uns Stellung suchenden Dienstmädchens darzustellen, das dann zwar den Beifall meiner Mutter gefunden hatte, aber nicht den meinen? Ich hätte sagen können, daß ich nicht einen ruhigen Augenblick hätte, solange ich wüßte, daß ein halbwüchsiges, unerfahrenes, leichtsinniges Geschöpf wie Lilyfine meinen kleinen Bruder betreue.

Von der Zurückzahlung des Geldes durch die allzu großmütige Lily hatte meine Mutter niemandem etwas erzählt. Hier bestand also kein Hindernis. Die Portiersleute hatten natürlich Lily gesehen. Möglich war alles. Es war übrigens mein Entschluß seit der Rückkehr von der Azurküste, Lily den Betrag zurückzusenden. Ich wußte nur die Form nicht. Denn keinesfalls sollte sich Lily Hoffnungen machen, aber noch weniger wollte ich dieses Herz, das sich mir nur von der besten Seite gezeigt hatte, verletzen.

Dieser Plan war nicht übel, aber wenn ich mich an die aufwühlende Gewalt entsann, die das Gold als solches auch auf mich, einen bis dahin dem Geld nicht sklavisch unterworfenen Menschen ausgeübt hatte, entschied ich mich zu der Ausführung des zweiten Planes, und gerade für diesen zweiten Plan, der doch eben erst mit allen seinen Schachzügen in meinem Hirn aufgetaucht war, fand sich alles aufs beste vorbereitet.

Ich sah noch eine Weile den mattgrauen stählernen Stricknadeln Marthys bei ihrem langsam sich beruhigenden Arbeiten zu. Schließlich ging es wie bei einer Maschine, taktmäßig und schön. Dann beugte ich mich über Marthys Schulter. Ich bewunderte bei dieser Gelegenheit ihr starkes, wie bei einem Maulwurf dichtes blauschwarzes Haar. Jetzt nahm ich ihr zart aber entschieden den Strumpf aus den Händen, wie um ihn näher anzusehen. Sie überließ ihn mir und war nur bestrebt, die vier Stricknadeln in den Maschen zu lassen. Ich hatte Marthy früher öfters gewarnt, die Augen bei dem schlechten Licht der Küchenlampe anzustrengen, sie konnte also in meiner Geste vorerst den Wunsch sehen, sie möge ihre Arbeit sein lassen für heute.

Sie sah mich fragend an, konnte aber in meinem Gesicht nichts lesen. Ich sah, wie ihre harten himbeerfarbenen Lippen lautlos ein Wort oder zwei kurze Worte formten, wahrscheinlich die gute alte Frage: Mein Geld? aber ich ließ es nicht so weit kommen. Ich gab ihr den Strumpf zurück. Ich ging schnell in mein Zimmer und holte aus dem großen neuen Koffer den kleinen, abgeschabten, in welchem sich das Papiergeld und vor allem die Goldfüchse befanden, heraus und trug ihn in die Küche, wo ich ihn auf die kalte, saubere, mit Zeitungsblättern ausgelegte Herdplatte stellte. Von meiner Uhrkette löste ich den Schlüssel los.

Marthy sah mich staunend an. Sie hatte längst zu stricken aufgehört, den freien Faden hatte sie auf den Knäuel zurückgewickelt ... Jetzt öffnete ich den Koffer, der wie eine Ziehharmonika auseinanderwich. Ich riß lachend Marthy den Hochzeitsstrumpf aus der Hand mit solcher Gewalt, daß der Knäuel auf die Erde rollte, nahm aus meinem Koffer die Goldstücke, es waren ihrer über hundert, und nun schüttete ich mit vollen Händen das Gold in den Strumpf, dessen Fußform die Dukaten ausfüllten. Ich lachte, und das Gold klirrte. In seiner kalkigen Weiße erinnerte mich dieser Märchenstrumpf an den künstlich aus Gips geformten Unterschenkel der jungen Gräfin. Aber mir blieb nicht lange Zeit zu überlegen. Was Marthy nie gewagt hatte, jetzt zerrte sie mir etwas aus der Hand. Nie hatte ich ein so entsetzensvolles Entzücken auf ihrem Gesicht gesehen, eine so wilde, zügellose Lust. Sie wühlte sich aus der Tiefe einige Goldstücke hervor, sie faßte, mit wollüstigem Zittern der Lippen, die Goldstücke einzeln zwischen die Finger wie eine Braut die hellen Locken ihres Geliebten zwischen ihren Fingern strählt, sie führte ein Zwanzigfrankenstück an den Mund, brachte die Lippen so weit auseinander, daß ich ihr festes, kirschenrotes, weit hinabreichendes Zahnfleisch sah, aber sie biß nicht in das Gold hinein. Nicht etwa, weil sie ihren Zähnen, unerschütterlichen gelben Gebilden, zu schaden fürchtete, sondern weil ihr das Gold leid tat; es war zu schade, um hineinzubeißen. Ich stellte mich, scheinbar mich bescheiden an ihrer Freude weidend, in eine dunkle Ecke. Was hatte ich getan? Einer alten treuen Magd ihr Eigentum mit einer nicht zu kleinen Zugabe wiedergegeben, nichts weiter.

Ich war sicher, es mußte in Zukunft so kommen, wie ich es wollte. Schwer hatte sich die brave, treue Magd von den schönen, glatten, neuen Banknoten getrennt. Nie aber würde sie sich von dem hellen lebendigen warmen Golde trennen. Zwischen ihre gelben Zähne nahm sie jetzt doch etwas. Aber nicht in das Gold biß sie, sondern den Faden weißer Wolle durchschnitt sie mit den Zähnen. Und wenn ich noch gezweifelt hätte an dem Sinn, so zeigte mir der nächste Augenblick, daß sie den von mir so sehr erwarteten Entschluß auf immer gefaßt hatte. Denn sie schlang einen festen Knoten oben in den Strumpf, in dem, tief unten, ihr Schatz verborgen lag. Sie würde diesen Knoten niemals öffnen, oder doch nur, um sich in aller Heimlichkeit an ihrem Schatz zu erfreuen und zu weiden, aber niemals für den Bräutigam.

Ich ging in dieser Stunde noch weiter, als ich mir vorgenommen hatte. Ich schenkte Marthy den alten Koffer, aber nur unter der Bedingung, daß meine Mutter nie davon erfahren dürfe. In unserer weiträumigen Wohnung gab es für einen so kleinen Gegenstand bei einem findigen Kopf wie dem Marthys sicher mehr als ein gutes Versteck.

Ich habe mich nur in einem Punkte getäuscht. Marthy hat den Knoten im Strumpf doch gelöst, und zwar schon eine Woche nachher, als, kurz vor meiner endgültigen Abreise nach Wien, die Taufe meines reizenden Brüderchens stattfand; Marthy war Taufpatin; ich hatte es durchgesetzt; meine Mutter konnte es mir nicht abschlagen. Marthy spendete dem Kind einen ihrer Doppeldukaten als Tauftaler, es war der einzige, der meines Wissens jemals von dem Schatze ans Licht gekommen ist.


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