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Erstes Buch

Die Streiche des Prinzen Karneval

1

Der Mikrokosmos ist ein Abbild des Makrokosmos – das wußten bereits die Schreiber der Pyramidentexte. Eine Leibnizsche Monade ist ein Abbild des ganzen Menschen. Aber auch in jedem Menschen spiegelt sich das Schicksal seines Zeitalters und seiner Umwelt.

Wie Welten und Weltreiche, so haben auch manche Menschen ein silbernes, ein goldenes und ein kupfernes Zeitalter. Nicht immer sichtbar, schreibt die weiße Hand dem vom Glück Verhätschelten das »Mene-tekel-u-pharsin« an die Wand; und wörtlich übersetzt bedeutet das: »Silber-Minie« – »Gold-Sekel« – und – »kupferne Scheidemünze«.

Mag Hesiod das goldene Menschengeschlecht dem silbernen vorangehn lassen, mag am Euphrat und am Ganges aus einer silbernen Zeit sich die goldene läutern, – stets ist das Dritte, das von steiler Höhe Abstürzende: das kupferne Zeitalter.

Für wenige, allzuwenige Glücksjahre glitt Italiens silbernes Zeitalter – die mondbeglänzte Kunst der Primitiven – in den Secol d'oro hinüber, in die Sonnenglut der Hochrenaissance. Nicht nur Raffael vergeudete sich. Die Landsknechte, die Rom plünderten, vernichteten eine bereits sterbende Kultur.

Herrscht der Mond über ein silbernes Menschengeschlecht und die Sonne über ein goldenes, so ist der Leitstern einer kupfernen Menschheit der Planet Venus.

Unter diesem Leitstern entstand die morbide glitzernde Spätrenaissance eines Correggio und Cellini. Weder schlichte Innigkeit noch das Große und Erhabene gefiel. Venus heischte eine blutwarme nervöse Sinnlichkeit. Als zu kalt und monumental wurde sogar der Marmor empfunden. Cellini gab sein Bestes im Erzguß, »cire perdue«.

Verlorenes Wachs! – welch eine tiefgründige Bezeichnung! Man könnte an eine Mutter denken, die sterbend ihrem schönen Abbilde, ihrem Kinde, das Leben schenkt ...

Was sind die Männer und Frauen einer Epoche anderes als verlorenes Wachs, das schmelzen und schwinden muß, um Abbilder zu hinterlassen, – selten genug schöne, weit öfter fratzenhafte Abbilder der entarteten Zeit und Umwelt (deren kupferroter Himmel den einstigen Weltbrand bereits ankündigt! ...)

2

Tolles zu erleben, bizarre sowohl wie blendende Phantasmagorien vorüberrauschen zu sehn, waren die schaulustigen Florentiner in der Faschingszeit gewohnt. Eselrennen wurden in der Arena – der Piazza Santa Maria Novella – veranstaltet; und ganze Stadtviertel stifteten ihrem siegreichen Grautier einen silbernen Lorbeerkranz, als wäre es ein Dichterfürst. Da sah man Rennkämpfe öffentlicher Mädchen: das Laster, sonst nur einzeln und verstohlen in nachtdunklen Gassen schleichend, hier durfte es bei Tageslicht sich zur Schau stellen, in Scharen, umjubelt, Lob, Ehrenkronen zu gewinnen bestrebt. Fangbälle, umfangreicher als der gewaltigste Globus, rollten über das Backsteinpflaster der Gassen und über flüchtende, stürzende, lachend aufkreischende Fußgänger hinweg. Kindjunge Karnevalsfischerinnen warfen ihre Angeln aus (an denen Makronen und Zuckergebäck als Köder hingen), um Männerherzen zu fischen, – und wenn nicht das, so doch wenigstens einen vom Angelhaken angebohrten Männerhut oder gar eine Perücke. Der Triumph der Liebe trabte gemächlich durch die Gassen, – der wildmähnige göttliche Knabe spannte den Flitzbogen und zielte, umgeben von musizierenden Damen (seinen Opfern) auf einer mit glitzerndem Brokat behängten Quadriga. Und ebenfalls vierspännig und goldbedeckt zogen die anderen Triumphe Petrarcas einher, sogar der der Keuschheit, il Trionfo de la castità (man traute seinen Augen kaum! ...)

Priestergesänge, wie in den Zeiten der Republik, den düstern Zeiten Fra Girolamos, übertönten die Freudenschreie des Prinzen Karneval längst nicht mehr. Der Prinz war Vasall des Tyrannen von Florenz; und da sein Lehnsherr, der Duca Cosmo de' Medici, blasse Brutusgesichter nicht liebte, war Ausgelassenheit Vorschrift.

Gehorsam belachte und bestaunte Florenz alle Fastnachtsnarreteien. Diese jedoch waren althergebrachte, zahme, entgiftete Tollheiten und hielten den Vergleich nicht aus mit einem mehr als tollen Anblick, der im klaren Sonnenlichte eines frühlingshaften Februarnachmittags sich der festlich flutenden Volksmenge darbot.


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