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51

Bisher haben die menschlichen Zeugen dieses Nachtstückes – (Lodovica und Giuliano neugierig und erheitert lauschend, der noch immer überreizte Martelli und sein schwachsinniges Töchterchen vor Grausen erstarrt) – dem spukhaften Ballspiel zugeschaut, ohne einen Laut von sich zu geben. Jetzt aber ertönt aus Cammillas Mund ein Angstschrei, ein langgezogener Fistelton.

In weiße Tücher gehüllt nähert sich ein baumhohes Gespenst, das hinter Zypressen gestanden hatte, scheinbar schwebend, der Spukstätte. Die Fürstin und Giuliano erkennen trotz der Dunkelheit, daß ein in weißen Tüchern steckender Mensch auf hohen Stelzen geht, und daß über seinen Schultern ein den Rumpf verlängerndes Gestell angebracht ist; – die Arme nämlich stehn viel zu tief vom Körper ab. Der Kopf – ein riesiger höllenbreughelscher Teufelskopf mit Wildschweinrüssel, Hauern und Bockshörnern – enthält zwei brennende Kerzen, die durch die talergroßen Augenlöcher gelben Lichtschein werfen.

»Gebt mir Faustina her!« gröhlt der weiße Teufel. Allen, die ihn hören, ist die blecherne Stimme bekannt. Kein Zweifel mehr, daß Don Pietro der weiße Teufel ist.

Der alte Floh reicht ihm den einen Totenschädel. Der weiße Teufel hebt den Schädel wie eine Trophäe empor.

»Ha! Faustina, meine öffentliche Feindin! Habe ich dich endlich in der Hand? Du entkommst mir nicht! Dein pastetenbackender Ritter zittert wie Espenlaub – erwarte keine Hilfe von ihm! Morgen strafe ich dich, Faustina, unterhalb des Gürtels für die Fleischbrühe, in die du mich gesetzt hast unterhalb des Gürtels. Härteste Rache nehme ich morgen an dir; – doch schon jetzt will ich eine Vorrache genießen ...«

Ein Hieb mit einer Krücke, die Giuliano der alten Tarantel entrissen hat, trifft die Hüfte des weißen Teufels. Die Lichter im Wildschweinkopf erlöschen, das den Kopf tragende Gestell bricht, denn es besteht nur aus dünnen Latten. Der Riesenleib schwankt, knickt in der Mitte ein. Das Teufelsgespenst stürzt in sich zusammen. Ein hoher Haufe weißer Laken wälzt sich auf der Erde. Und elastisch wie ein Gummiball rollt und hüpft das Symbol Faustinas, der Totenschädel, der Fürstin Lodovica vor die Füße.

52

Eine halbe Stunde später verabschieden sich Lodovica und Giuliano auf der Piazza di San Marco vom Kleinen Walfisch und Cammilla, denen sie (mit der schwarzen, jetzt Fackeln tragenden Leibwache) das Geleit gegeben haben. Es schlägt elf Uhr. Die Principessa biegt in die Via Larga ein.

»In Lelios Räuberhöhle kannst du nicht mehr wohnen, Giuliano. Sei froh: der Perlendiebstahl streift dir die Zecke ab – leichter und endgültiger als eine Abfindung es vermocht hätte. Noch vor Sonnenaufgang wird durch Sbirren, die ich benachrichtigen werde, das Nest ausgehoben und der Familienschmuck der Medici in Sicherheit gebracht ... Doch was nun? Wir müssen ein Obdach für dich suchen. Leider geht es nicht an, daß ich dir in meinem Absteigquartier ein Bett anbiete, – nicht etwa weil ich Lästerzungen fürchte, sondern weil vielleicht diese Nacht meine letzte in Florenz sein wird. Gesattelt stehn meine Pferde bereit; und sobald eine Nachricht, auf die ich warte, eintrifft, reite ich nach Massa ... Reite mit mir, Giuliano.«

»Ich kann nicht, Principessa.«

»Warum nicht? Willst du die Königin von Cypern im Gefängnis besuchen?«

»Nein, das gewiß nicht, Principessa. Aber ich muß Don Pietro den Schlüssel zurückgeben ...«

»Bloß das?«

»Wenn ich wegritte, es sähe wie Flucht vor seiner Vergeltung aus.«

»Da hast du nicht unrecht ... Ich weiß übrigens schon, wo ich anklopfen kann, ohne Schläfer aus Träumen zu schrecken. Es ist erst elf Uhr – da werden die Floridi noch versammelt sein.«

»Wohin führt Ihr mich, Principessa?«

»Zum Palazzo Albizzi in der Via Borgo degli Albizzi. Dort tagen heute die Floridi bis in die Morgenstunden.«

»Was sind das für Leute?«

»Hirten; – eine ungefährliche Menschensorte.«

»Gibt es heutzutage Hirten, deren Herde nicht aus Wölfen besteht?«

»Wohl wahr. Jeder ist jedem ein Wolf. Und jede Herde hält sich für eine bedrängte Lämmerherde ... Feigheit ist der Hintergrund jeder Tapferkeit ... Wer kann Wolf und Lamm noch unterscheiden? ... Und wenn Cosmo das Lamm – das Goldene Vlies – als Symbol seiner Unschuld trägt, so trägt mancher vielleicht verstohlen als Halsgehänge das Amulett eines Wolfes, des Wappentieres der Stadt Siena, der von Cosmo auf so grauenhafte Weise verwüsteten Stadt Siena ... Doch Wolfsanbeter sind die Floridi nicht. Sie bilden eine Blumengesellschaft (der Name besagt es ja), einen Orden von Hirten, denen eine Panspfeife mehr Freude bereitet als eine Kirchenorgel, eine Blumenzwiebel mehr als eine päpstliche Bulle und ein Schäfergedicht mehr als ein politischer Diskurs. Jeden Mittwoch abend kommen die Schwärmer zusammen und lauschen mit zärtlichen Ohren sei es Hirtengesängen sei es Aufführungen neuartiger weltlicher Musik, welche sie aus diesem Zeitalter der Spanischen Stiefel, der Stierkämpfe und der Inquisition in ein heiteres heidnisches Arkadien entführt!«

»Wer ist der Hausherr?«

»Messer Luigi di Maso degli Albizzi. Wie alle Hirten des Ordens ein verarmter Adliger. Zudem ein Prahlhans, der seine stutzerhafte Schäbigkeit dermaßen mit Parfüm begießt, daß man, durch die Wand seines verfallenen Palastes hindurch, auf der Straße den Moschus riechen kann. Weil sein Oheim vor bald drei Jahrzehnten mit Filippo Strozzi und Bartolomeo Valori gegen Cosmo kämpfte, bildet er sich ein, Cosmo zittere vor ihm und hasse ihn. Deshalb auch verehrt er mich (und wird mir zuliebe dich, Giuliano, wie einen Sohn aufnehmen. Seine Tochter wird es sich selber zuliebe tun.«

»Er hat eine Tochter?«

»Ja, – sie ist die Herrin in diesem Musenlande. Semiramide degli Albizzi heißt sie. Ausschaun tut sie wie eine Zwölfjährige, mag aber ein Jahr oder zwei älter sein. Einen Preis erhielt sie bereits für ein bukolisches Gedicht – allerdings bloß von der Akademie der Floridi. Für anderes noch verdient sie preisgekrönt zu werden, denn sie versteht ganz entzückend zu lügen, Kind und Weibchen zugleich – eine gefährliche Mischung ...; ihre rote Zungenspitze ist giftig wie die Klinge Don Pietros.«

53

Auf der Straße vor dem Palazzo Albizzi ist das Parfüm zwar noch nicht zu riechen, – dafür strömen durch die Quadern der Frontwand duftige, rosenzarte Geigentöne so selig, daß Lodovica einen Augenblick wartet, ehe sie den Klangzauber durch den Lärm des Türklopfers zerstört.

Ein etwas verhungert aussehender Lakai öffnet. Die Fackelträger bleiben draußen, Lodovica und Giuliano treten in eine Vorhalle. Was da gespielt werde? fragt die Fürstin und erhält zur Antwort: soeben habe der zweite Akt des dramma per musica »Mascherate piacevoli« begonnen. – Ob die Oper geprobt werde? – Nein, nur das Orchester spiele ...

Die Ruine eines Haushofmeisters kommt, verbeugt sich; und längere Zeit spricht Lodovica leise mit dem Greis. Dann entfernt sich dieser, und Lodovica wendet sich an Giuliano:

»Um keine Störung zu verursachen, habe ich Albizzi gar nicht herausrufen lassen und nur gebeten, seine Tochter zu benachrichtigen. Sie wird, bis die Aufführung zu Ende ist, dir Gesellschaft leisten ... Schade, daß meine Pferde gesattelt stehn und ich dir eine Mahnung als Testament hinterlassen muß: vergiß nicht, was ich dir vom roten Zünglein Semiramides und von der Klinge Don Pietros gesagt habe –: vermeide Zweikämpfe. Mir gilt dein Leben vielleicht mehr als dir: zu viele Rätsel harren noch der Lösung ... Selbst für den Fall, daß ich morgen nicht mehr in Florenz bin, will ich nicht Abschied von dir nehmen; – unsere Trennung darf nicht lang sein. Binnen einer Woche bist du mein Gast im ›Schloß der hundert Kammern‹. (Nein, ich dulde nicht Widerspruch, Giuliano!) Die Einladung der Fürstin von Carrara wirst du nicht ausschlagen ...«


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