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»Im Palazzo Medici der Via Larga gab Donna Isabella ein Festmahl zu Ehren ihres verabscheuten Eheherrn, des in Florenz zu Besuch weilenden Herzogs von Bracciano. Nicht geschieden war ja die Orsinische Ehe, wenn auch seit Jahren die Gatten – von Tisch und Bett getrennt – sich kaum je sahn, er im Castello Bracciano oder in Rom, sie in Florenz Hof hielt. Arg verschuldet, von Gläubigern bedrängt, war Paolo Giordano unversehens in der Via Larga aufgetaucht – schwerlich aus Sehnsucht nach Isabella, die ihn, den Mörder des Troilo Orsini, ihres Buhlen, nicht an sich heranließ, – eher vielleicht in der Erwartung, sein gestörter Schwiegervater werde sich (leichter als sonst) ein Darlehn von etlichen 100 000 Scudi entlocken lassen; vielleicht auch mit dem Vorsatz – falls es mit Cosmo zu Ende ginge –, auf die Erbschaft seiner Frau die Hand zu legen. An den Fortschritten der Krankheit durfte er sich ein Verdienst zusprechen, da – (was niemand wußte) – er es gewesen war, der durch einen seiner Bravi den Hafersack mit dem Zettel auf Cosmos Lilienbeet hatte werfen lassen.
An Gepränge konnte Isabellas Gastmahl kaum überboten werden und auch nicht an lärmendem Freudenschall. Der unmenschlich dicke Paolo Giordano Orsini – ebenso saftig als Schlemmer wie als Witzbold – heimste mit seinen (nicht immer anständigen) Anekdoten das wiehernde Gelächter der meistens spanische Etikette gewohnten Festgäste ein. Plötzlich jedoch war es, als senke sich ein schwarzer Flor auf allen Glanz des Gelages. Der alte Granduca hinkte herein, gestützt auf die alabastern blinkenden Schultern seiner fürstlich geschmückten, mit einem Diamanten-Diadem gekrönten Cammilla. Er schüttelte ungnädig den Kopf, als die Herzogin von Bracciano ihm und ihrer kindlichen Stiefmutter Ehrenplätze anweisen wollte. Nicht mitzutafeln sei er gekommen, sondern seinen Kindern seinen Trotz und Haß zuzudonnern und der Welt zu zeigen, daß er sich von Cammilla nicht trennen lasse. Denn seine beiden Ärzte, bestochen (wer könnte daran zweifeln?) von seinen Kindern, hatten verboten, daß die Königin von Etrurien mit ihm schlafe, und hatten, da er sich um das Verbot nicht kümmerte, den Rat erteilt, er solle für einige Wochen sie aus seiner Nähe verbannen. Unerhört – eine Königin verbannen! ... Dafür habe er die schändlichen Ärzte aus Etrurien verbannt! Und auch die Anstifter des versuchten Frauenraubes werde er verbannen, – bald, gar bald, sobald er gefunden, was er suche!
Die Gäste schwiegen betreten, nur Orsinis meckerndes Lachen schnitt in die lastende Schwüle hinein.
Ob es wahr sei, daß Seine Majestät einen Koch oder Pastetenbäcker aus Cypern suche? fragte Orsini.
Cosmo gab keine Antwort. Ein Rasender stand er vor der Festtafel, setzte sich nicht auf den ihm angebotenen Platz und hörte nicht auf das Zureden Isabellas, die sich erhoben hatte, auf ihn zuging und, liebreich ihn unter den Arm fassend und Koseworte ihm ins Ohr flüsternd, bemüht war, aus dem Saal ihn hinauszuführen. Die mediceischen Prinzen verhielten sich still, erwiderten auf die Vorwürfe nichts, um nicht Öl ins Feuer zu gießen. Paolo Giordano aber fand ein teuflisches Vergnügen daran, das Gespräch mit dem Wahnsinnigen fortzusetzen.
Von seinem römischen Küchenpersonal könne er Seiner Majestät ein Dutzend Köche zur Auswahl schicken. Warum denn Seine Majestät durchaus einen cyprischen Koch brauche?
Da schrie der Wahnsinnige: Weil er den an Sohnes Statt annehmen wolle! Weil der Kelch voll sei! Weil er seine Kinder, das Schlangengezücht, verfluche! Weil er sie enterbe! Und alles, was er der Schlangenbrut nehmen werde, solle sein Sohn zu Erb und Eigen haben!
Francesco de'Medici hielt nicht länger an sich. Spöttisch sagte er:
›Du kannst meine Krone nicht einem Gespenst auf die Stirn setzen, Vater! Alle Welt weiß ja, daß jener Giuliano tot ist!‹
(Merkwürdig war es, daß die Wut Cosmos schwere Zunge lockerte: je hitziger er wurde, desto leichter überwand er die Sprachhemmung.)
›Alle Welt lügt!‹ raste Cosmo. ›Und sollte Giuliano wirklich tot sein, so werde ich sein Skelett auf deinen Thron setzen, du ruchloser Sohn! Und ich werde seinen Totenschädel mit deinem Liliendiadem krönen! ... Doch ich weiß, daß er lebt –: wie Saul bei der Hexe von Endor, war ich bei der Hexe Finicella; und sie hat die Seele Giulianos herbeigerufen. Seine Seele hat es mir gesagt, daß er noch lebt!‹
›Du hast geträumt, Vater!‹ entgegnete Francesco.
Flehentlich flüsterte Isabella ihrem Bruder zu:
›Ich bitte dich, sei still, Francesco! Kein Wort mehr! Willst du ihn denn töten? Sieh hin –: er ist blaurot im Gesicht ...‹
Aber während Francesco verstummte, fuhr Orsini fort, Cosmo zu reizen. Wer denn das gekrönte Gespenst sei? fragte er in einem niederträchtig unschuldigen Ton.
Da brach der Wahnsinnige in ein unbändiges Lachen aus: Ja, ja, das könne er sich wohl denken, daß es viele gelüste, dahinterzukommen. Taub seien die Geschwister Giulianos gewesen und taub sein Vater: nicht genügend hingehört hätten sie auf die Stimme des Blutes ... Nicht einmal er selbst habe das Rauschen seines Blutes in den fremden Adern vernommen – bis endlich die Zeit ihm die Wahrheit offenbarte ... Ein Engländer habe ihn besucht, – seitdem sei das Rätsel gelöst. Der Graf von Norfolk hatte zwei Neffen – die waren Giuliano feindlich gesinnt ... Norfolks beide Neffen seien inzwischen gestorben, und der ältere habe auf dem Totenbette das Geständnis abgelegt: weil Giuliano ihm und seinem jüngeren Bruder verhaßt gewesen, hätten sie eine Urkunde vernichtet, aus welcher hervorging, daß Giulianos Mutter Donna Bia della Tessinara in Neapel sich ...
Unvollendet blieb der Satz. Tot, vom Schlag getroffen, stürzte Cosmo zu Boden.
In der folgenden Nacht ließ der Granduca Francesco seine Stiefmutter mitsamt ihren vier Ehrendamen, ihrem Kakadu und ihrem Chamäleon in das Kloster Santa Monaca sperren.
Und in dieser selben Nacht – während noch stundenlang vom Campanile des Palazzo Vecchio Trauergeläut herabscholl – bestieg Paolo Giordano Orsini (seit Jahren zum erstenmal wieder) das Bett seiner verweinten Gattin Isabella; und während er die sich Sträubende vergewaltigte und küßte, erdrosselte er sie mit einer Schnur.«
Traiano Bobba schwieg, und Giuliano lächelte traurig versonnen vor sich hin.
»Was nützt einem Durstigen in der Wüste der schönste Diamant? Kann er ihn trinken, wie Kleopatra ihre Perlen trank? ... Glück ist an Ort und Zeit gebunden. Ja, vor fünfundzwanzig Jahren hätte es mir zu Kopf steigen können ... Zu spät, zu spät, zu spät! Der Rahm ist von der Milch! Der Stern ist versaust! ... Selbst falls es wahr wäre, falls ich tatsächlich Cosmos Sohn wäre, – was kann ich jetzt anderes tun, als hellauf darüber lachen?«
Vorwurfsvoll schüttelte der Cavaliere den Kopf:
»Ihr lacht, weil Ihr fühlt, daß Ihr weinen könntet, Messer Giuliano. Ihr seid tatsächlich ein Medici. Nach Cosmos Tod hat der englische Gesandte alles bestätigt!«
»So, so, Cavaliere. Also bin ich das gekrönte Gespenst? Was fange ich nur mit meiner Gespensterkrone an? ... Am Ende kommt es von der Stimme des Blutes, daß ich einen so sündenbeladenen Menschen, wie Cosmo einer war, trotz alledem lieb gewann? und daß ich heute, nachdem Ihr mir sein trostloses Ende beschriebt, trotzdem voll Mitgefühl an ihn denke ... Sündenbeladen wie der König von Etrurien war auch König Oedipus, ein tobender, wildfluchender Greis, – und trotzdem gehört der Menschen Mitleid ihm und nicht seinen feindseligen Söhnen. Unsere Erde ist nun einmal das Schlachtfeld der Satane; und zwei der bösesten, einander fressenden Teufel sind: das Menschenrecht des Alters und das Menschenrecht der Jugend. Fast jeder Vater ist ein Oedipus: – fast jeder Vater legt eine Krone nieder, verzichtet auf Hoheitsrechte und erntet fragwürdigen Dank ...«
»Und doch, Messer Giuliano, – glaubt einem, dem Gott Kinder schenkte –: von den Seligkeiten des Daseins – (sie sind etliche Rosen neben vielen Dornen) –, von den Seligkeiten des Daseins ist Vaterliebe die seligste. Eure eignen Worte möchte ich Euch ins Gedächtnis rufen: harmonisch und vollkommen wie ein radschlagender weißer Pfau erhebt sich aus dem Chaos der Satane das Göttliche, – schwebt leuchtend darüber wie über schwarzen Gewitterwolken ein Regenbogen.«
»Freilich, Cavaliere; oder wie über Dantes Höllengreueln die Lichtgestalt der Beatrice schwebt ... Ihr habt mich, Cavaliere, durch ein Vierteljahrhundert geführt wie der Dichter Virgil den Dichter Dante durch das Land der Qual; Bianca Cappellos und Francescos Vergiftung, mit der Ihr Euren Bericht begannt, geschah ja erst vor kurzem. Was weiter zurückliegt – zwanzig Jahre und mehr –, bewegt mich besonders, weil es an meine Erlebnisse in Florenz anknüpft und sie fortspinnt ... Von einer, die mir nahestand, müßt Ihr mir noch einiges sagen, Cavalière.«
»Ihr meint Donna Faustina? Sie war keine Lichtgestalt, Messer Giuliano.«
»Ich weiß. Und trotzdem ging ein schillernder Schimmer von ihr aus im Höllenschloß Pitti ... Was wurde aus ihr? Ich glaube, Ihr erwähntet, sie sei nicht mehr am Leben?«