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Eine Untat, für die es keine Rechtfertigung gab, war die Schändung der armen Geisteskranken. Mit dem ersten Morgenschimmer klopfte denn auch das Gewissen an die Tür, kroch durch einen Türspalt ins Gemach herein, rang die Hände, beschuldigte, biß wie ein Vampir mit scharfen Zähnen und wich Tag und Nacht nicht mehr von Cosmos Seite. Vergebens suchte er den quälenden Dämon durch die Ausrede zu beschwichtigen, daß ja die Verführte glückselig sei und es gut bei ihm haben werde, überreich beschenkt von ihm und verhätschelt. Sein Gewissen wischte dies Truggespinst weg, als wäre es ein Spinnweb, und enthüllte immer wieder die dahinter lauernde Selbstverurteilung: daß Cammillas Blödheit ein Heiligtum war, dessen Entweihung zum Himmel schrie ...
Zwei Wochen quälerischen Glückes voll vergingen so, da erhielt Cosmo den Besuch Donna Faustinas, die einstmals sein lebendes Gewissen gewesen war. Sie kam mit dem Vorsatz zu ihm, hartnäckig – wie sein eigner Dämon es schon getan – ihm zuzusetzen und sein Schamgefühl aufzupeitschen.
Daß ihr Anblick ihn zutiefst erschütterte, verlieh ihr von vorherein ein Übergewicht über ihn. Nicht nur, daß sie abgemagert und verhärmt aussah; – eine große rote Narbe klaffte auf ihrer Stirn: ihr Gatte Don Pietro hatte – mit einem Schemel auf sie einschlagend – ihr die Stirnwunde beigebracht aus Wut darüber, daß die Eselhochzeit durch ihr Dazwischentreten gestört worden war. Doch nicht deshalb, nicht um über die Gewalttätigkeit ihres Mannes Klage zu führen, hatte sie sich nach Poggio a Caiano begeben, sondern weil Martelli schutzsuchend zu ihr, der Beschützerin seines Kindes, gekommen war, nahezu irr vor Kummer, und sie beschworen hatte, von Cosmo Cammilla zurückzufordern. Selbst es zu tun, war dem unglücklichen Vater verwehrt, da alle seine Bemühungen, Zutritt zu Cosmo zu erlangen, fruchtlos geblieben waren: der Dämon Gewissen, dessen lästige Gegenwart der alte Granduca sonst nie lange duldete, hatte sich diesmal als unverkennbar erwiesen und erlaubte ihm nicht, dem Kleinen Walfisch in die Augen zu sehn.
Feuriger, als Messer Martelli hätte wagen dürfen, brachte Donna Faustina ihre Anklagen vor, sie trafen wie gutgezielte Brandgeschosse in Cosmos Herz. Was sie ihm sagte, hatte er ja sündenblaß sich selbst gesagt. Sein Reueschmerz wurde um so brennender, als die Wunde auf Faustinas Stirn ihn daran mahnte, daß er auch ihr Verführer und Verderber gewesen und noch dazu der Unheilstifter ihres unsäglichen Eheelends ... Nach wenigen Sätzen schon ward sie gewahr, daß sie ihre einstige Macht über ihn zurückgewann; und nun steigerte sie ihre Forderungen: sich von Cammilla zu trennen – wie er sich von ihr und Semiramide und vielen andern getrennt hatte – sei für ihn eine zu geringe Buße; nichts würde gebessert sein, wenn er Cammilla ihrem Vater zurückgäbe; ausmerzen seine Schuld könne er nur, wenn er die Schwachsinnige zu seiner ehelichen Gemahlin mache ...
Ein Herzkrampf und schwerer Asthmaanfall unterbrach das Gespräch. Und nach Luft ringend, ward Cosmo inne, daß der Todesengel ihn mit seinem Flügel gestreift hatte und daß das eine Warnung war. Nachdem er die Atemnot überwunden, versprach er Faustina, er werde Cammilla heiraten, – doch solle die Eheschließung geheim sein und bleiben.
Wie einem Chirurgen, der rücksichtslos in Fleisch und Nerven hineinschneidet und Knochen zersägt, um, Schmerz bereitend, von Schmerzen zu befreien, war Cosmo Faustina dankbar. Als sie sich von ihm verabschiedete, schenkte er ihr das schönste Pferd aus seinem Stall: einen andalusischen Rappen. Sein liebstes Reitpferd war es, – war es bis vor kurzem gewesen. Doch das Podagra, an dem er litt, gestattete ihm nicht mehr, im Sattel zu sitzen. Und das Tier war zu schade, nur von Stallknechten ausgeführt zu werden. Wer aber, wenn nicht Faustina, war seiner wert! ...
Eine Lichterprozession stieg von der Himmelsleiter zur Erde herab und schritt durch das nächtlich verschlossene Palastportal, dessen Wachtposten nichts sahn; auch aus dem Erdinnern stiegen Irrwische mit Irrlichtern und drängten der großen Menge von Lichtwesen nach.
Festen Schlafes schlief Florenz, schliefen die Kinder Cosmos, als seine und Cammillas heimliche Trauung zu mitternächtlicher Stunde in der Hofkapelle des Pittipalastes vollzogen wurde. Trauzeugen waren – außer einigen alten Lakaien und Messer Antonio Martelli – ein unsichtbarer Haufe seufzender Engel und grinsender Teufel. Himmel und Hölle nahmen Anteil an der nachtumwobenen Hochzeit.
Geschlossen und die Fenster verhängt, fuhr ein Galawagen vor Morgenrot das jungalte Paar nach Poggio a Caiano zurück. Vier Ehrendamen empfingen dort die Neuvermählte, wuschen, parfümierten, entkleideten sie für das legitime Hochzeitsbett.
Einen gutgemeinten, aber schlechten Dienst hatte Donna Faustina Cosmo erwiesen, als sie ihm die Eheschließung als Buße auferlegte. Durch Krankheit allzusehr bereits geschwächt war der Körper des alten Mannes für sein junges Glück. Die Küsse Cammillas beschleunigten sein Ende, sogen ihm seinen versagenden Atem aus.
Schon hatten sich an seinen Fußknöcheln erste Anzeichen von Wassersucht gezeigt. Daß die Schwellung der Beine bald wieder zurückging, beruhigte seine beiden Hofärzte nicht, welche ihm – wenn sie gedurft hätten – seinen schönen Vampir weggesperrt hätten. Wie das Ausreiten, verboten sie ihm Spaziergänge. Täglich unternahm nun Cosmo Ausflüge im Wagen mit Cammilla, labte sich an ihrer Anmut, ertrug ihre Launen, lächelte über ihre holde Beschränktheit. An Wiesen mußte der Wagen halten, sie stieg aus, fing mit einem Musselinnetz Falter und Käfer, pflückte Feldblumen. Ein Rausch für seine Augen, das Laufen und Springen, Bücken und Pflücken der Zierlichen zu betrachten, – ein letzter Rausch des verblassenden Lebens, ein immerzu lockender Taumelbecher ... Doch jeder Schluck daraus enthielt Todesgift für ihn.
Die Geheimhaltung der nächtlichen Hochzeit war geglückt und seitdem nicht mehr vonnöten. Ein Brief Cosmos an seinen ältesten Sohn lüpfte den Schleier. Was, so lange Semiramide in Poggio a Caiano weilte, Francesco und seine Geschwister am meisten gefürchtet und deshalb bekämpft hatten, war nunmehr Tatsache geworden: sie hatten jetzt eine Stiefmutter und mußten gewärtig sein, über kurz oder lang ein kleines erbberechtigtes Geschwister zu haben.
Und wieder hielten sie Kriegsrat. Zu spät freilich war es, einzuschreiten. Wenn sie sich rächen wollten, so konnten sie es nur durch Nadelstiche tun. Doch selbst dies mußte – aus Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Vaters – vorsichtig geschehn.
Die drei Brüder Francesco, Pietro und der in Rom lebende Kardinal Medici schickten kühl abgefaßte, korrekte Glückwünsche (die Beileidsbezeigungen aufs Haar ähnlich sahn). Isabella Orsini aber begab sich nach Poggio a Caiano, ihre junge Stiefmutter zu besichtigen – unter dem Vorwand, ihr einen Antrittsbesuch abzustatten.