Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Sturm ließ schließlich nach, die Wellen glätteten sich. Doch wenig Trost gab uns das, da wir Land nicht sahn, während von Stunde zu Stunde mehr Wasser den Schiffsraum füllte. Wir alle hatten seit der Nacht an den Pumpen gearbeitet. Unsere Kräfte erlahmten. Schon begann das Schiff zu sinken.
Als Ballast ließ Norfolk seine wertvollen Kisten ins Meer werfen. Es genügte nicht; – das Meer wollte ein schwereres Opfer haben. Da stellten der Kapitän und die Matrosen an den Lord das Verlangen, er solle, um das versinkende Schiff zu heben, auch seine Pferde opfern.
Obgleich er die Notwendigkeit einsah, konnte er es doch nicht über sich bringen, den wundervollen Tieren das Todesurteil zu sprechen. Er zauderte, suchte nach Ausflüchten. Nicht nur die Seeleute, auch seine eignen Reisegefährten und Diener überredeten, baten, drängten, drohten. Ich allein hielt mich abseits, – begriff ich doch, was in seiner Seele vorging ... Er tat mir leid, die Pferde taten mir leid, und ich konnte doch am Unabwendbaren nichts ändern. Ich schlich mich weg zum Vordersteven, um Ausschau zu halten, was seit Beginn des Wortwechsels keiner mehr getan hatte. Als ich auf dem hohen Vordersteven stand, gewahrte ich einen nebelfernen Küstenstreifen, ein Kap tauchte aus dem Meer, unser steuerloses Schiff steuerte auf das Kap zu. Glückstrahlend lief ich hinab zu den noch immer Hadernden.
Allzuhellen Jubel löste die frohe Botschaft aus, die ich überbrachte. Der Lord umarmte mich. Zunächst glaubten wir die Pferde, glaubten wir uns alle dem Tode entronnen. Doch allzulaut war das Frohlocken, um nicht bald zu verstummen. Schon nach einer halben Stunde stellten wir fest, daß, wie schnell auch das lecke Schiff dem Kap sich näherte, das Verhängnis sich uns noch schneller näherte. Und wieder trat der Kapitän an Norfolk heran.
»Ihr tötet ja die Pferde nicht, Mylord, wenn Ihr sie so nah von der Küste ins Meer werfen laßt. Die Tiere schwimmen besser als wir und werden früher als wir den rettenden Strand erreichen!«
Auf diese Lüge – denn der Strand war noch meilenweit entfernt – fand Norfolk nichts mehr zu erwidern. Stumm stieg er auf das Heck des Achterschiffes, wandte sich ab und ließ geschehn, daß ein Pferd nach dem andern auf den Oberbord geführt und ins Meer hinabgestoßen wurde.
Nachgelassen hatte der Sturm, – nicht aber der starke Westwind. Der Kiel durchschnitt so geschwind die Wellen, daß es den geopferten Hengsten nicht möglich war, neben uns her zu schwimmen, wie es die Delfine tun. Die als die ersten in, die Fluten gestürzt waren, blieben ermattend allmählich zurück, größer und größer wurde der Abstand zwischen ihnen und uns. Doch immer wieder stürzten andere hinab und machten mit noch unverbrauchter Kraft verzweifelte Anstrengungen, die Schiffstreppe emporzusteigen, – bis auch sie erlahmten und mit blutenden Blicken hinter dem Bug her schwammen und den Abstand wachsen sahn ...
Ich ertrug ihre Blicke nicht. Ich holte ein persisches Dolchmesser.
»Wozu?« fragte mich Norfolk.
»Ich will König Pfauhahn das ersparen ... damit er uns nicht anblickt wie die dort!«
»Ich selbst will es tun! Gib her!«
Er nahm mir das Messer aus der Hand. Dann stiegen wir vom Heck auf das Oberbord hinab, wo Diener und Matrosen die letzten Pferde hinunterstießen.
Das letzte war König Pfauhahn.
Er saß auf den Hinterbeinen und stemmte die Vorderbeine auf die schaumbedeckten Planken. Vom Wind zerzaust starrte seine Mähne empor und flatterte ihm wie Mädchenhaar um Nüstern und Augen. Mich durchzuckte der Gedanke: hätte einstmals am dritten Schöpfungstage der Böse Geist sich inkarnieren wollen, er hätte gar wohl in dieses Hengstes Gestalt über die leere Erde dahinschnauben können, furchtbar und herrlich halb Gott und halb Tier ...
Opfer, die zum Altar geführt werden, wissen, was ihnen bevorsteht. König Pfauhahn wußte, daß sein gütiger Herr sein Mörder werden sollte. Er sah die Klinge in Norfolks Hand. Da erhob er sich und plötzlich biß er den Lord in den Oberarm dicht an der Schulter. Wütende Pferde vermögen einen Menschenarm zu durchbeißen, so daß er vom Körper fällt. Das tat König Pfauhahn nicht. Er hielt mit den Zähnen Norfolk wie mit einer eisernen Zange.
»Wir, die wir es mitansahen, erstarrten vor Schreck. Doch Norfolk behielt seine Ruhe. Er blickte dem Pferde in die Augen und sagte:
»Beiße zu!«
Da ließ König Pfauhahn den Arm fahren. Noch ehe das geschehn war, hatte ich das Messer aus des Lords Hand gerissen und stieß es jetzt dem Pferd ins Herz. Aufschreiend taumelte es hinab ins Meer.
Nicht lange danach lief die Galeone auf eine unterseeische Felsklippe, zerschellte, wurde von einem wirbelnden Wassertrichter eingeschlürft, wurde zu den Polypen und Haien und toten Pferden hinabgegurgelt.
An ein Brett geklammert, entging ich dem saugenden Strudel. Ich sah andere Schiffbrüchige gleich mir mit den Wellen kämpfen, ich sah sie allmählich erlahmen und für immer in die Tiefe hinabschwinden wie vordem die armen Pferde. Auch ich fiel schließlich vor Ermüdung und Hunger in eine tiefe Ohnmacht und hätte zu jenen hinabgemußt, wären nicht meine Arme und Finger ans Brett, das sie umschlangen, so festgekrallt und verkrampft gewesen, daß sie selbst im Schlaf sich nicht lösten ...
Einen Schlummernden spülte mich das Meer an die Westküste der Insel Cypern.