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Das unersättliche Verhängnis hatte sich an unsern Tränen noch immer nicht satt getrunken. Eine halbe Stunde nach Gracias Tod erteilte Cosmo Sforza Almeni und mir den Auftrag, alle Spuren der Tragödie zu verwischen. Da der Tod der beiden Prinzen sich nicht verheimlichen ließ, sollte der Welt vorgetäuscht werden, das berüchtigte Sumpffieber der sienesischen Maremma habe sie hinweggerafft.
Im Zimmer des jungen Kardinals wurden die Prinzenleichen nebeneinander gebettet. Kaum war das geschehn, drang die Duchessa Eleonora di Toledo in die Totenkammer ein. Sie konnte sich nur mühsam aufrecht halten. Auf die Schultern zweier ihrer Kammermädchen, zweier Negerinnen, hatte sie ihre dürren Arme gelegt. Kein Tropfen Bluts war in ihren Wangen und Lippen. Ihr noch immer schönes Gesicht blinkte alabastern durchsichtig, totenblumenhaft aus einem schwarzen Zobelpelz hervor.
Als sie bereits auf der Schwelle stand, warf sich Cosmo ihr entgegen, sie wegzuführen, zu verhindern, daß sie ihre toten Söhne erblicke. Doch sie ließ sich den Eintritt nicht verwehren. Heller Irrsinn sprach aus ihr:
›Laß mich, Cosmo, – ich weiß es ja doch ... Zwei Knabenleichen in eines Herzogs Schloß ... Das Tier Martichore, das eines Menschen Antlitz hat, zeigte es mir im Traum ... Ach, meine Lieblinge, jetzt habe ich euch zum zweitenmal geboren! Eine grausame Hebamme hat euch aus meinem Fleisch und meiner Seele herausgerissen, herausgeschnitten. Daran wird sich eure Mutter zu Tode bluten ... Eure Seelen, meine Kinder, sind jetzt Schmetterlinge und flogen zu Gott ... Gott ist der König der Schmetterlinge, – er speist die kleinen Falter ...‹
Plötzlich sank sie tot zu Boden ...
Den folgenden Tag hatte ich ein letztes Gespräch mit Donna Faustina. Während schon die weißen Maultiere vor die drei Leichenwagen gespannt wurden, rief sie mich in den Garten hinaus: ich solle ihr behilflich sein, Blumen für die Särge zu schneiden. Von Rosenhecken verdeckt, konnten wir unbelauscht reden.
Sie kam mir ganz verändert vor. Es war nicht nur die spanische Hoftrauertracht, was sie hoheitsvoll, stolz und eisig machte. Schon allein durch den Klang ihrer Stimme gab sie sich als unnahbare Prinzessin und errichtete damit eine unsichtbare Mauer zwischen uns, um sich zu beschirmen und auch mich ... Mit gespielter Gleichgültigkeit, wenn auch mit todblassem Gesicht, sagte sie, während ihre Schere Rosen und Lilien köpfte:
›Ich wünsche nicht, daß du mit nach Florenz kommst. Wir müssen Abschied nehmen – für immer.‹
›Muß es sein, Faustina?‹
›Ja. Sonst zwingt dich Cosmo zur Ehe mit mir.‹
›Und wenn ich mich zwingen lasse? ... Seit voriger Nacht denke ich anders über unser Verlöbnis.‹
Ein nervöses Lachen scholl glockenhaft aus ihren hochmütig gerümpften und doch so bleichen Lippen:
›Ei, du liebst mich wohl gar?‹
›Gutmachen möchte ich, Faustina, was die Sterne Übles an dir taten.‹
›Du bemitleidest mich wohl gar? Ärger kannst du mich nicht kränken! Ich brauche dein Mitleid nicht!‹
›Wie könnte ich dich kränken wollen, Faustlina! Vergib mir, falls ich es ahnungslos tat. Warum jagst du mich von dir?‹
›Weil ich eine Medici bin und du – der Sohn eines Schusters. Nun weißt du's! ... Seit voriger Nacht sind auch mir die Augen aufgegangen –: ich kann nur Cosmo lieben!‹
Mit diesen Worten verletzte sie mich tief; und ihr Trotz weckte meinen Trotz. Daß ich mich verletzt fühlte, bewies eigentlich, daß sie mir nicht so gleichgültig war, wie ich geglaubt hatte ... Und dagegen wehrte ich mich, obgleich mein Mitleid beinahe schon an wahre Liebe grenzte, – ja vielleicht schon Liebe war ..., und obgleich ich sehr wohl begriff, was sie mit ihrer Kälte bezweckte. Es rührte und verstimmte mich zugleich. Daher wurde ich grausam und begegnete ihrem Trotz mit ebenso hartem Trotz.
›Auch ich kann nur zwei Schatten lieben, Faustina ... Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was Liebe ist?‹
›Eine Feuerflocke aus der Hölle, Giuliano.‹
›Wohl wahr. Doch so schnell erlischt dies Unheil nicht ... Nein: ein Fieber ist die Liebe: eine Krankheit, eine Vergiftung der Blutbahnen des menschlichen Körpers. Die Adern leiten das Liebesgift ins Gehirn und in die Augen, – bis das Hirn umnebelt wird wie nach dem Genuß von Tollkirschen und nicht weiß, ob es dem Schrei der Lust oder der Todessehnsucht folgen soll; und der verderbliche Liebessaft im Blut umflort die Augen, bis sie schön finden, was häßlich ist, und Teufel für Engel ansehn ... Kannst du dir vorstellen, Faustina, daß ein Gottesengel liebt? Daß ein Engel küßt? Daß ein Engel ein Kind erzeugt?‹
›In der Bibel las ich von Engeln, die herabstiegen zu den Töchtern der Menschen.‹
›Jawohl, die gefallenen Söhne Gottes taten das! Das eben war ihr Fall! Sie wurden Teufel durch ihre Liebe und sie machten alle Menschentöchter zu Teufeln.‹
›Ich bin eine Menschentochter, Giuliano! ...‹
Ein leises Zittern in ihrer Stimme ergriff und erschütterte mich. Für einen Augenblick war sie aus ihrer Rolle gefallen und hatte vergessen, daß sie einen Eisespanzer um die Brust trug. Sie tat mir so grenzenlos leid, daß ich nahe daran war, vor ihr in die Knie zu sinken.
›Ach, Faustina,‹ rief ich, ›unsere Seelen – deine sowohl wie meine – sind flügellahm, sind voll Narben; und sie könnten doch aneinander genesen ... Werde meine Frau, Faustina! – Nie werde ich in Wunden greifen, nie werde ich Narben aufreißen, – glaube es nur!‹
›Es ist zu spät, Giuliano. Ich habe Cosmo gebeten, mich einem andern zur Frau zu geben.‹
›Wem?‹
›Frage nicht ... Und nun lebewohl. Die Königin der Herrlichkeit sei mit dir, Giuliano!‹
Sie schenkte mir eine Narzisse und erlaubte mir, ihre Hand zu küssen. Den großen Blumenhaufen – (wie wenn es ein Säugling wäre) – auf den Armen tragend, ging sie erhobenen Hauptes, prinzessinnenhaft lächelnd, ins Jagdschloß zurück.«
Längst waren die Nargilehs erkaltet und die Kaffeetassen leergetrunken. Gebannt durch die Erzählung, hatte Traiano Bobba keine Störung verursachen wollen und hatte daher abgewartet, daß Giuliano verstummte. Jetzt rief er den Kawedschi, bestellte Tömbeki für die Wasserbehälter und frischgemahlenen Kaffee. Er ließ auch Mastix kommen –: aus Pistazienharz destillierten Branntwein, der, mit Wasser vermengt, milchig opalisiert. Nachdem das Bestellte gebracht worden war, saßen die beiden Alten in Gedanken vertieft, stumm qualmend und vom blau schillernden Raky schlürfend da. Es währte eine geraume Zeit, ehe Traiano Bobba das Schweigen brach:
»Atridenschicksal! ... Ich könnte mir vorstellen, daß den Athenern, als sie zum erstenmal die Orestie gespielt sahn, ähnlich zu Mute war wie mir jetzt nach Eurer Erzählung, und daß sie auf dem Heimweg aus dem Theater sich in eine Kneipe gesetzt haben, mit Chioswein sich den Grabesstaub von ihren Herzen herabzuspülen ... wie wir es hier mit dem Mastix tun ... Das muß ich ja sagen: Sforza Almeni hat den Auftrag, alle Spuren der Katastrophe zu verwischen, glänzend gelöst. Jetzt bestätigt sich mir ein Verdacht, den ich immer gehegt habe: daß nämlich Sforza als Mitwisser eines streng gehüteten Geheimnisses Macht gewann über Cosmo und seine Macht mißbraucht hat. Denn ein Jahrzehnt später, als Donna Semiramide ins Kloster gesteckt wurde, starb Sforza von Cosmos Hand.«
»Semiramide degli Albizzi? – Das Hirtenmädchen? ...«
»Freilich. Die Tochter des Messer Luigi di Maso degli Albizzi.«
»Die habe ich gekannt, Cavalière. Sie dichtete Novellen ... und erlebte welche – mit Messer Carlo degli Panciátichi ... Auch ihren geckenhaften Vater kannte ich, – er parfümierte sogar den Sattel seines Pferdes und gehörte der blumigen Akademie, dem Klub der Schöngeister, an ... Was geschah mit Semiramide?«
»Ihretwegen trat Cosmo den Thron von Florenz seinem ältesten Sohn ab.«
»Solch einem Dirnlein zuliebe?! Das tat der große Cosmo?! ... Wie ist das denkbar!«
»Mag sein, daß ich ihn etwas verschwärze. Außer dem Wunsch, aller Fesseln und Pflichten ledig, sich ein Paradies mit der Geliebten zu schaffen, kann er auch andere Gründe gehabt haben. Ursprünglich gab ihm vielleicht die Familienkatastrophe den Gedanken ein, sich von der Welt zurückzuziehn, – wie es sein großes Vorbild, der Kaiser Don Carlos, getan hatte. Allerdings in einem Kloster San Yuste – wie jener – seine Tage zu beschließen, wäre nimmermehr nach Cosmos Geschmack gewesen. Ihm konnten Weltabgeschnittenheit ebensogut seine Landsitze schaffen. Es kam ja bloß darauf an, der Welt den Einblick und Eintritt zu verwehren, sie von den streng bewachten Toren zu weisen. Auch ohne Schwert mit den wechselnden Blitzen und ohne Cherubim lassen sich Gärten abschließen; und es glückte in der Tat, unerbetenen Besuch fernzuhalten, so daß mehrere Jahre lang niemand ahnen konnte, was der abgedankte Duca in der Villa Medicea di Careggi und in Poggio a Caiano geheimnisvoll trieb; es wurde sogar gemunkelt, er habe sich der schwarzen Kunst ergeben. Vom Konkubinat mit der Guelfin und Republikanerin Semiramide wußten die Freunde nicht und nicht die Feinde, nicht das Volk von Florenz und nicht einmal die eignen Kinder Cosmos ... Gelüftet wurde das Geheimnis erst, als Donna Semiramides Vater, der unter einem Vorwande an den Kaiserhof nach Wien geschickt worden war, sein gegebenes Versprechen brechend, nach Florenz zurückkehrte. Messer Luigi Maso degli Albizzi konnte sich's, trunken vor Eitelkeit, nicht versagen, mit der Schande seiner Tochter zu prahlen und mit herzöglichen Geschenken (seinem Kuppelpelz) zu prunken. Noch verächtlicher, als er ohnehin schon war, machten ihn die Prahlereien, und er beschwor damit für Cosmo einen schweren Konflikt herauf. Die spitzen Zungen von Florenz beschränkten sich zwar darauf, über das idyllische San Yuste zu spotten; die erlauchten Bewohner und Bewohnerinnen des Pittipalastes aber bekamen rote Köpfe und konspirierten gegen ihren Vater.«