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24

Aus ihrer Kindheit entsann sie sich, zuweilen verlegene Seitenblicke Sforzas auf ihre knabenhafte, bernsteinhäutige Messalinenanmut erhascht zu haben; des Abstandes jederzeit sich bewußt, betete er sie wie einen unerreichbaren Himmelsstern an und hätte niemals sich erkühnt, geradeaus sie anzuäugeln.

Eine verwegene Amazone, pflegte Donna Isabella täglich ohne Begleitung in die Umgebung von Florenz zu reiten. Sie war eine Reitkünstlerin, eine wahre Venus Equestris: kein Hindernis war ihr zu hoch, kein Reiterkunststück zu schwierig.

Sie brachte es fertig, bei stockfinsterer Nacht ihr Pferd auf der Landstraße vor dem Gartentor der Villa Poggio a Caiano zu Fall zu bringen. Ausgerechnet vor diesem unzugänglichen Tor. Ihr Pferd brach sich ein Bein beim Sturz, und sie selbst holte sich eine Quetschung am Knie. Es war gegen zwei Uhr nachts, und auf der Landstraße ließ sich weit und breit kein Mensch blicken, der hätte Beistand leisten können. Da sie laut um Hilfe schrie, kam der verschlafene Torwächter, eine Laterne tragend, auf die Straße zu ihr heraus und befreite sie von der Kruppe des auf ihr liegenden Pferdes. In größte Verwirrung geriet der Mann, als er ihr ins Gesicht leuchtete und die Tochter Cosmos, die Herzogin von Bracciano erkannte ... Undenkbar, daß sie – des Pferdes beraubt – zu Fuß den weiten Weg nach Florenz gehe; – sie konnte ja überhaupt kaum gehn, sie hinkte. Sie in die Villa hereinzulassen, war ihm aufs strengste verboten; – sie auf der Straße dort liegen zu lassen ging aber auch nicht an. Schon wollte er sich entfernen, um Cosmo ihren Unfall zu melden. Doch Isabella hielt ihn zurück: sie wünsche nicht, daß ihr Vater geweckt und erschreckt werde. Statt dessen solle er den Haushofmeister Signore Sforza Almeni zu ihr herausrufen, zuerst aber eine Kanne mit Wasser und einen Schwamm (zum Kühlen ihrer Kniewunde) bringen. Der Torwächter brachte ihr das Gewünschte und ging, den Haushofmeister zu benachrichtigen. Als Sforza gekommen war und mit bewegten Worten der Herzogin seine Teilnahme ausgedrückt hatte, wiederholte sie ihre Bitte, die Nachtruhe ihres Vaters nicht zu stören. Sforza stimmte ihr bei und ordnete an, daß eine Karosse angespannt werde. Er selbst blieb auf der Landstraße bei Donna Isabella, die mit dem Schwamm sich das Knie kühlte, bis die Karosse vorfuhr; und er war der Hinkenden behilflich, in den Wagen zu steigen, reichte ihr auch die Kanne hinein, die er schnell noch einmal mit frischem Wasser hatte füllen lassen. Die Herzogin aber weigerte sich, im geschlossenen Wagen allein zu sitzen, sie bestand darauf, daß Sforza neben ihr Platz nehme – um ihr während der nachtfinstern Fahrt ein Beschützer zu sein, vielleicht auch ein Tröster und Arzt, im Falle daß die Schmerzen in ihrem gequetschten Knie unerträglich würden ... Er ließ sich überreden und begleitete sie bis nach Florenz.

Vor dem alten Medici-Palaste in der Via Larga – (den hatte Cosmo seiner Tochter zur Verfügung gestellt, als sie Castel Bracciano für immer verließ) – langte endlich bei Morgengrauen der Wagen an. Elfenhaft leicht sprang die Herzogin vom Trittbrett der Karosse herab, sie hinkte durchaus nicht mehr. Ihr willenloser Sklave geworden war Sforza Almeni, zu jedem Verbrechen bereit, das sie ihm anbefahl.

Was aber Luigi degli Albizzi, als er von Don Pietro ausgeholt wurde, trotz seiner Bezechtheit wohlweislich für sich behalten hatte, wußte jetzt Donna Isabella: ihr Vater traf bereits Anstalten, Semiramide zu seiner ehelichen Gemahlin zu machen! ... Oh! und wohl noch mehr wurde ihr in dieser tollen Nacht offenbart: nicht am Sumpffieber waren ihre Mutter und ihre beiden Brüder gestorben, – nein: Mordblut war vergossen worden, Bruderblut und Kindesblut! ...

25

Wenige Tage vergingen, und die Kinder Cosmos waren im Besitz der entwendeten Malatesta-Novelle. Sie lasen sie sich gegenseitig vor, ballten die Fäuste, fauchten. Welch eine Verlästerung ihrer blütenjung verstorbenen, wie eine Heilige verehrten Schwester Maria! Francesco mußte die Handschrift aus Isabellas Händen retten, da sie, tobsüchtig, drauf und dran war, sie zu zerfetzen.

Mit der Novelle unter dem Arm begab sich der junge Duca nach Poggio a Caiano und erzwang diesmal, vorgelassen zu werden. Eine halbe Stunde dauerte die Aussprache. Ewig wird es ein Geheimnis bleiben, was Vater und Sohn einander zu verweisen hatten. Mutmaßen läßt sich da manches. Hielt man Cosmo seinen Lebenswandel vor, so hatte er Anlaß genug, den Lebenswandel seiner drei feindlichen Kinder zu bemäkeln. Böse angegriffen, wurde er wahrscheinlich zum ebenso bösen Angreifer: sie sollten erst einmal vor der eignen Tür fegen, – Francesco mit seiner Bianca Cappello, Isabella mit ihrem Pagen, Pietro mit seinen Bordellfreundinnen ... Und der junge Tyrann von Florenz, wie ein Schulbube angeblasen, wird sich nicht anders haben wehren können, als indem er Cosmo den Tod seiner Mutter und Don Gracias vorwarf ... Indes, das sind Vermutungen, – gehört hat niemand außer Gott den Streit. Das sonst so hellhörige Gesinde war von Cosmo aus dem Vorzimmer gewiesen worden; wie sehr es auch die Ohren spitzte, vernahm es wohl wüstes Geschrei, vermochte jedoch keine sinngebenden Sätze zu erhaschen. Erzählt wurde später: Duca Francesco sei schon recht bleich ins Arbeitszimmer seines Vaters gegangen; als er dann wieder heraustrat, sei er leichenweiß vor Wut gewesen. Mit krebsrotem Gesicht aber habe Cosmo auf der Schwelle gestanden, in geller Tollwut Sforza Almeni rufend, und habe, als Sforza herbeikam, ihn angebrüllt: »Geh mir aus den Augen, du Verräter! Fort aus Toscana! – daß du mir nie wieder vor die Augen kommst!«

26

Statt unverzüglich Cosmos Befehl zu befolgen und binnen vierundzwanzig Stunden Toscana zu verlassen, begab sich Sforza nach Florenz und hielt sich dort verborgen auf. Dreißig Jahre lang hatte er Cosmo als Kämmerer gedient, stets war er gut mit seinem Herrn ausgekommen, allzeit allerdings auf der Hut, wie ein Löwenwärter auf der Hut ist, daß nicht eines Tages die Raubtiertatze durch die Käfigstäbe hindurchfährt ...

Sforzas Fehler war, daß er sich für zu klug hielt. Er glaubte, ein unfehlbarer Menschenkenner, ein Fürstenkenner zu sein. Und Fürstenlaunen glichen (meinte er) den Gezeiten; keine Flut, die nicht als Ebbe endete; und Cosmos Rasereien pflegten mit Entschuldigungen zu enden, ja sogar mit Geschenken ... Im Verlauf eines Menschenalters war er von Cosmo wahrhaft fürstlich beschenkt worden mit Barvermögen, der Ritterwürde, Landsitzen und Häusern. Würde er jetzt, dem Verbannungsbefehl gehorsam, Toscana verlassen, so würden alle seine Besitztümer an den Staat fallen, und er wäre ein Bettler. Zu sehr war er überzeugt davon, daß seines Herrn Wut in Bälde verraucht sein werde. Darum kehrte er schon den folgenden Tag aus Florenz nach Poggio a Caiano zurück und bat die Lakaien, vor dem alten Duca seine Anwesenheit in der Villa geheimzuhalten ... Nicht für ganz ausgeschlossen halte ich es freilich, daß Lebensüberdruß ihn zurücktrieb, nachdem ihm klar geworden war, daß Isabella während der nächtlichen Wagenfahrt ihm sein besseres Ich, seine Verschwiegenheit, seine Ehrlichkeit und seine Ehre entwunden hatte. Vollendung des Geschickes zieht an wie ein Magnetberg ...

Der Zufall fügte es – oder spannen es die Schicksalsschwestern? –, daß Cosmo in das Zimmer kam, wo Sforza sich aufhielt. Dunkle Pupurröte überzog Cosmos Gesicht, als er dem Manne gegenüberstand, der sich herausnahm, seinem Verbannungsbefehl zu trotzen. Jagdwaffen hingen an der getünchten Wand und unter diesen ein mit eisernen Widerhaken versehener Jagdspieß, wie solche zum Erlegen von Wildebern benutzt wurden. Einen Wutschrei ausstoßend, packte Cosmo den Jagdspieß und bohrte ihn Sforza in die Brust. Lautlos und leblos stürzte Sforza zu Boden. Die Spitze des Speeres hatte die Wirbelsäule durchschlagen, ragte aus dem Rücken heraus wie ein roter Korallenast ...

In der folgenden Nacht wurde die Leiche überaus heimlich nach einem entfernt gelegenen Zisterzienserkloster überführt und verscharrt.


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