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12

In diesem Augenblick reitet eine Kavalkade auf den Ponte Vecchio, an der Spitze der Duca, weithin erkennbar am herrlichen Brustharnisch, dem Greifen auf dem Bronzehelm und der schweren Goldkette des Goldenen Vlieses: bei jedem tänzelnden Schritt seines Berberschimmels hüpft das kleine, gekrümmt herabhängende goldne Lamm. (Schwer ist die in Madrid geschmiedete Kette, ein Sinnbild vielleicht das Lamm. War nicht auch in Mykene des unseligen Atridengeschlechts Symbol und Verderb ein Widder mit goldnem Vlies gewesen? ...)

Auf der Mitte der Brücke kommt dem Duca ein langer Zug schlohweißgekleideter Mädchen entgegen, geführt von der Maikönigin, welche sie sich für den Maigang erwählt haben. Die mit Primeln und Rosmarin übersäte Maikönigin dieses Jahres ist Donna Faustina. Sie eilt auf Cosmo zu und zeigt auf den Fluß hinab, wo ein Ertrinkender mit dem Tode ringt.

»Rette ihn, Cosmo! Nur du kannst es! ...«

Jetzt erst wird ihm die Erregung des Volkes verständlich. Jetzt gewahrt er auch den Ärmsten, den die Fluten näher und näher der alten Brücke zutragen. Ohne zu zögern schwingt sich Cosmo aus dem Sattel, läßt sich den Harnisch abschnallen. War er gekommen, seinen Kopfsprung bewundern zu lassen, so hat er jetzt eine bessere Aufgabe: eine Heldentat erwartet sein Volk von ihm. Oh, es soll nicht enttäuscht werden!

Er hat sich der Kleider entledigt. Nackt steigt er auf die Brüstung. Aber ist es nicht schon zu spät? Atmet noch, der dort herangewirbelt wird, ein Spielball der rasenden Wellen? ... Keine Zeit zu verlieren, Cosmo macht den Kopfsprung. In großem Bogen gleitet sein Körper möwengleich durch die Luft.

Die Wogen schlagen über ihm zusammen, er schnellt empor. Und jetzt ist der Ertrinkende nicht mehr fern von ihm ... Doch wie? Ist das ein Ertrinkender? Der versteht ja zu schwimmen wie eine Forelle! Kunstvoll teilt er mit den Armen das Wasser, vermag gegen die Strömung sich zu behaupten. Und wie er an Cosmo herangekommen ist, zieht er ein Messer aus dem Gurt und stößt nach Cosmos Hals. Das Angstgekreisch Faustinas übergellt den Aufschrei der tausendköpfigen Menge.

Doch Cosmo fängt den Arm des Meuchlers auf, entwindet ihm das Stilett, will es ihm in die Brust bohren ... Da stoßen die im Wasser Ringenden an den einen Brückenpfeiler; Fischreusen, die sich dort verfangen haben, mildern den Zusammenprall. Eine Sekunde lang wird es schwarz vor Cosmos Augen. Als die Betäubung von ihm weicht, sieht er die Brust nicht mehr, in die das Stilett sich hatte bohren wollen. Entkommen ist der Attentäter, fortgeschnellt vom brausenden, sausenden Fluß.

13

Die halbwüchsige Novellenschreiberin Semiramide degli Albizzi arbeitet fieberhaft in ihrem gabinetto. Zwei zerschriebene Gänsekiele und Stöße Papier liegen vor ihr, zwischen Sandstreubüchse, Tintenfaß und welkenden Levkojen, auf dem Schreibtisch. Ihr schwarzes Lamm schlummert vor dem offenen Fenster. Am Fensterkreuz ist seit gestern ein blühender Akazienzweig – un majo – befestigt. Kaum spürbar, eine süße Ahnung nur, vermengt sich das Akazienblütenarom mit einem Hauch von Rosenölparfüm, welches den dunklen Locken der Fanciuletta entströmt, mit dem Duft der sterbenden Levkojen und mit der eindringenden morgenfrischen Mailuft. Und nicht bloß Frühlingsatem und Sonnenlicht dringen ein – auch der Lärm der Straße wird in die Kammer geweht: hallende Schritte und Huftritte auf dem Ziegelpflaster, Stimmchen lachender Kinder, Brähen eines Esels, Weibergekeife, Hammerschläge, Gefluche von Maultiertreibern, Karrengerassel. Das alles surrt chaotisch an Semiramides Ohr, gelangt jedoch nicht bis in ihr Bewußtsein. Zu sehr gefesselt und entzückt ist sie von ihrer Arbeit.

Sie beschreibt das gestrige Attentat auf den Duca. Augenzeugin ist sie gewesen, hat an der Seite ihres Vaters inmitten der Volksmenge am Ufer gestanden. Jede Einzelheit, deren sie sich entsinnen kann, zeichnet sie auf ( – wohl in der Absicht, die Niederschrift später einmal novellistisch zu verwerten). Während der Nacht fielen ihr elegante Redewendungen und Vergleiche ein, die ihr entfallen könnten, wenn sie sie nicht bald zu Papier bringt, – darum nahm sie sich, als sie erwacht war und sich gewaschen hatte, die Zeit nicht, sich auch noch zu kleiden und zu kämmen: in einem roten Kattunschlafrock und die bloßen silberweißen Füße in violetten Samtpantoffeln, sitzt sie über den Tisch gebeugt, mit gelöstem Haar wie eine kleine Meerfrau.

Eine Karosse rattert durch die Via Borgo degli Albizzi und hält vor dem Palazzo. Wenige Augenblicke danach tritt unangemeldet und ohne anzuklopfen der Fürst von Florenz in die Kammer des vierzehnjährigen Mädchens. Sie läßt sich nicht stören, schreibt eifrig weiter, im Glauben, ihr Vater stehe hinter ihr. Blicke indes, die ihren Rücken treffen, durchdringen sie, als wären es Wellen einer magnetischen Kraft. Beunruhigt wendet sie sich um und erkennt jählings ihn, – dem der gehässige Spott der Florentiner den Namen »Minotaurus« gegeben hat ... Fliehn will sie und begreift doch, daß Flucht ihr abgeschnitten und daß in die Erde versinken zu wollen ein törichter Wunsch ist. Zitternd und schlotternd erhebt sie sich und starrt mit todblassem Gesicht den gefürchteten Tyrannen, den Todfeind aller Guelfen an.

Und auch er starrt staunend ihre kindliche Schönheit an, ist eine Sekunde lang im Banne einer Schicksalsahnung ... Dann, geärgert über sich selbst, weil der Zauberreiz der Kleinen Eindruck auf ihn gemacht hat, nimmt er sich vor, überaus streng und unwirsch seine Fragen an sie zu richten.

14

Drei Ereignisse des gestrigen Tages – das Attentat im Fluß, die Rückkunft Sforza Almenis aus Fontainebleau und eine Aussprache mit Donna Faustina – hatten bewirkt, daß Cosmo endlich aus seiner zur Schau getragenen Teilnahmslosigkeit heraustrat und, wenn auch nicht dem geheimen Tribunal entgegenarbeitend, so doch auf eigene Faust es unternahm, Licht in das Dunkel des Prinzenprozesses zu bringen. Mehr als seine stoische Gefaßtheit vor den unzähligen im Verlaufe des Nachmittags sich herandrängenden Gratulanten zugestehen wollte, hatte der mißglückte Mordversuch sein Blut in Wallung gebracht. Schlimm, daß der Meuchler dank der geschwinden Strömung entkommen war, – sonst hätte sich's bei seiner Folterung aufdecken lassen, ob er ein Emigrant, ein Guelfe, ein Republikaner sei, oder ein bezahlter Bravo ... Oder – auch das lag im Bereich der Möglichkeit –, die Tat konnte ein versuchter Racheakt sein, begangen von einem der unauffindbaren Freunde des gefangenen Prinzen ... – wenn nicht gar von einem Freunde seines cyprischen Schicksalsgenossen ...

Die Ungewißheit war quälend, das Dunkel schien durch das Attentat noch dunkler geworden. Zum erstenmal kamen Cosmo Zweifel, ob er recht daran getan, sich bislang blind und taub zu stellen. An Feinden hatte es ihm nie gefehlt, und nun hatte er die Gegnerschaft verzehnfacht. Schon vor einigen Wochen war die von ihm der Stadt geschenkte Statue der Giustizia durch unbekannte Frevler vom Sockel gestoßen worden. Mochte längst schon die Guelfenpartei totgesagt sein, – Guelfen gab es immer noch; und sie wagten sich vor, seit Cosmos Untätigkeit als Begünstigung Don Pietros ausgelegt wurde. Wie freilich sollte das Volk begreifen können, daß er Zeit vergeudete, um Zeit zu gewinnen, bis – sei es in Sizilien, sei es in Frankreich – die Fährte, die gesuchte, gefunden sein würde ...

Die Auskunft, die Sforza Almeni von der Königinmutter Catarina de'Medici in Fontainebleau erhalten und gestern heimgebracht hatte, erledigte ein für allemal die Hypothese, Giuliano sei Alessandros Sohn Giulio. Das aus dem Castello delle cento camere geraubte Kind war von den mit Frankreich verbündeten Korsaren der Schwester Alessandros, Catarina, – (die zu jener Zeit noch Dauphine war) – für ein unerhört hohes Lösegeld angeboten worden. Ein Landgut und Schmuckstücke hatte sie verkaufen, vor ihrer Rivalin Diane de Poitiers hatte sie sich erniedrigen müssen, um mühselig und nach vielem Zeitverlust die Summe zusammenzubringen. Als schließlich das Schiff mit dem Lösegeld in Oran landete, lebte der Korsarenkönig Chaireddin Barbarossa nicht mehr. Sein Nachfolger nahm das Lösegeld schmunzelnd in Empfang und schickte das Schiff nach Frankreich zurück mit der Botschaft an Catarina: sie habe zu lange gezögert, ihr kleiner Neffe habe nicht länger auf sie warten können und sei in einer Truhe unterwegs nach Florenz ...

Da also das tote Kind – das Kindergespenst der Fonderia de'Medici – keinesfalls der gefangene Pastetenbäcker sein konnte, rückte die nicht minder phantastische Annahme in den Vordergrund der erwägbaren Möglichkeiten, daß Giuliano der Sohn Bias della Tessinara, ein Bastard Cosmos, sei. Immer war es Cosmos Stolz gewesen, ein Bannerträger, ein Gonfaloniere der Gerechtigkeit zu sein; – durfte er sich so nennen, wenn der mißhandelten Jugendliebe Sohn im Gefängnis – vielleicht unschuldig – Marter litt?

Das hatte gestern abend ihm Faustina vorgehalten, als er nach den seelischen Erschütterungen des Tages bei ihr Trost und Rat suchte und zum erstenmal ihr gestattete, über den Prozeß zu reden. Sie besaß mehrere Briefe Lodovicas aus den letzten zwei Monaten, worin die Fürstin sich anheischig machte, die Unschuld Giulianos zu beweisen und die Lügen der ihn belastenden Semiramide aufzudecken. Bisher hatten diese Briefe keinen Nutzen stiften können, da Donna Faustina genau so wie alle andern Bewohner des Palazzo Pitti durch das Verbot, über den Prozeß zu sprechen, der Mund verschlossen war. Einmal allerdings, in der Fonderia, als sie, allein mit Cosmo, seine des Chlorophylls beraubten Schattenpflanzen begoß, hatte sie den Mut aufgebracht, von Lodovicas Briefen, von Giuliano und Semiramide zu reden; da war sie streng zurechtgewiesen worden – mit einer Schroffheit, aus welcher Eifersucht herausklang, Eifersucht auf den Jüngling, für dessen Enthaftung sie sich einsetzte. Nicht wieder hatte sie es gewagt, obzwar des Gestrengen Freundin und Vertraute.

Aber gestern abend hatte er selbst ihr das Siegel vom Munde genommen. Ihre Vorwürfe ließ er gelassen über sich ergehn, ihre Bitte jedoch, nicht alle Verhöre dem heimlichen Tribunal zu überlassen, lehnte er ab. Dann aber, in schlafloser Nacht, entschloß er sich plötzlich, Semiramide aufzusuchen.

(Manchmal gehören viele Zutaten zu einem Entschluß – wie zu einem Hexentrank, der aus Fledermausblut, Spinnenbeinen, Geifer toller Hunde, Weiberhaaren und weiß der Himmel welchen sonstigen Ingredienzien zusammengebraut wird ...)


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