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15

Des Kochs Rede wurde hier unterbrochen durch Guerzolo, das junge, viel zu junge Dienerchen der Kurtisane. Der in Samt und Seide prangende Bengel, schlaff und verlebt um die hängenden Mundwinkel und die Augen herum, kam jetzt von der Porta San Gallo her keuchend und schweißtriefend dahergerannt. Seine Herrin fuhr ihn an wie einen entlaufenen Hund.

»Wo hast du dich wieder herumgetrieben? Warum kommst du so spät? Wo warst du?«

»Am Palazzo Pitti, Euer Gnaden!«

»Wozu? Um dich warmzulaufen, Nichtsnutz! Dir rinnen ja die Schweißtropfen übers Gesicht bei der Kälte!«

»Das sind heiße Tränentropfen, Euer Gnaden!«

»Ich lache nicht, kleiner Halunke!«

»Ich aber beweine eine Hoffnung, die mir entschlüpft ist, Madonna!«

»Am Palazzo Pitti? Hat eine Medici dir's angetan? Was hattest du dort zu schaffen?«

»Euer Gnaden werden mir mit einem Kuß die Tränen wegtrinken, wenn ich's erzähle.«

»Nun also, – verdiene dir den Kuß!«

»Euer Gnaden werden mir einen zweiten Kuß geben, wenn ich es nicht hier erzähle!«

»Weder den ersten noch den zweiten, – wenn du mich noch einen Augenblick länger warten läßt!«

»Doch, doch, Signorina, – für das Erwartete werden Euer Gnaden mir zwei und für das Unerwartete drei Küsse geben!«

»Oder Prügel! ... Welches Unerwartete denn? ... Wo rennst du hin?«

La Delfina konnte der Neugier nicht widerstehn. Ohne sich vom cyprischen Koch zu verabschieden, ging sie dem voraneilenden kleinen Kuppler nach. An der nächsten Straßenecke blieb Guerzolo stehn:

»Vor dem Kirchendieb konnte ich es unmöglich sagen, Euer Gnaden.«

»Was soll die Geheimniskrämerei! Bin ich eine Heilige?«

»Darauf leiste ich jeden Eid, daß Ihr keine Heilige seid, Madonna! ... Aber was ich weiß, braucht die haarlose Altarratte nicht zu wissen ... Ein Maskierter fragte nach Euch.«

»Wer?«

»Er nennt sich: Nemo.«

»Also Niemand? Und Niemand fragte nach mir?«

»Ja, genau so war's! Niemand sagte, er sei Bote von Jemand, dem die Vestalin beim Tanz auf den Fuß trat ... Als Niemand wegging, bin ich Niemand nachgeschlichen bis Pitti, bis Niemand durch eine Seitenpforte in den Boboligarten ging ... Hat Euer Knappe nicht einen Kuß verdient, Signorina?«

»Hundert Küsse, Guerzolo! ... Niemand fragt also nach mir? Und weiter nichts? Gar nichts weiter?«

»Niemand sagte: Jemand, dessen Bote er sei, werde morgen mittag, wenn der Stierkampf beginnt, Euer Gnaden besuchen kommen ... Ach, Madonna, ich bin ein Siebenmonatskind!«

»Bist du ein Unglückskind, mein Eselchen? Was du dir einbildest!«

»Ich bilde mir ein, daß Euer Gnaden strahlen – während ich am Weinen bin.«

»Warum denn? ... Ach so! – du spitztest wohl darauf, den Stierkampf zu sehn?«

»Ein Kaninchen läßt sich leichter wiedereinfangen als eine entschlüpfte Hoffnung, Euer Gnaden.«

»Gut, gut. Sieh dir morgen den Stierkampf an – ich gebe dir Urlaub!«

16

Während Guerzolo dankerfüllt La Delfinas Rocksaum an die Lippen drückte, kam ein überaus dicker Mensch auf sie zugesteuert, – was wegen der Enge der Gasse gefährlich aussah: denn rund wie eine Tonne rollte er heran, mit beiden Ärmeln die Häuser streifend. Er war mittelgroß, biederäugig, prall, durchaus nicht schwammig; durchaus nicht gesetzt, obgleich ein Fünfziger, – zu geckenhaft und bunt in seiner Kleidung für ein so würdiges Alter. Sein gelbhäutiger, schwarzbebarteter Kugelkopf quoll aus einer gestärkten Spitzenkrause wie eine bemalte Schweinsblase hervor. Des geschmolzenen Schnees wegen steckten seine hellgelben Schaftstiefel in dunklen Ledergaloschen.

Dies Phänomen, dieser mit Fleisch, Behendigkeit und Gutmütigkeit zum Bersten gefüllte Ledersack hieß Messer Antonio di Domenico Martelli, stadtbekannt als Begründer des Klubs der Stravaganti, als der Phantastischeste unter den Phantasten und deren Leithammel bis vor kurzem; – denn neuerdings (auch das war stadtbekannt) wurde ihm die Führerschaft durch Cosmos mißratenen Sohn Pietro streitig gemacht ... Der Flinkheit seiner Zunge sowohl wie seines Körpers verdankte Martelli den Spitznamen: der Kleine Walfisch. Im Ozean der Sprache tummelte er sich wie ein tauchender Wal. Er war »abbondantissimo di parole«, er spie Hyperbeln, wie ein Walfisch Wasserfontänen emporspritzt. Doch den Fontänen gleich zerstoben Wortschwall und Schwulst, kaum daß sie in die Luft geblasen waren, und besaßen ebensowenig Erdenschwere wie sein federleicht tänzelnder Silenenschritt.

Martelli begrüßte die Kurtisane, indem er ehrerbietig vor ihr den Hut zog.

»Oh, La Delfina, Krone der Frauen und Konterfei jenes Griechenmädchens, das anzuschauen dem Pharao mehr Freude machte als der Morgengesang der Memnonsäulen, der Duft des Lotos und der Geschmack eines geschlachteten und im eignen unsterblichen Nierenfett geschmorten Phönix. Aber – bei Santa Lucia! – Pharaos Freude war so mager wie die Besoldung eines Stadtschreibers, sie war so schwindsüchtig wie die haarfeine Mondsichel im Vergleich zur elefantendicken Freude, welche Euer Gnaden Anblick mir bereitet.«

»Verzeiht, wenn ich gähne, Signor. Mein müder Verstand ist ein leck gewordener Napf: nichts kann er fassen.«

»Oh, Trösterin aller Endymions, liebensmüde Mondgöttin du, zerstöre die Hoffnung meiner Hand nicht, die in den lecken Napf deines Verstandes greifen möchte wie in einen Sack voll Rosinen und Pistazien, um eine kleine Antwort herauszuziehn.«

»Welche Anwort?«

»Wo wohnt der fleischgewordene David des göttlichen – des mehr als göttlichen – Michelangelo, wo der Wunderheld von Etrurien, der tuskische Rossebändiger, der Kinderretter von Florenz, der unvergleichliche Mandelbackwarenhändler von San Gallo, dem – wenn man Fama, der tausendzüngigen Heroldin, Glauben schenken darf – die unsichtbare Krone Cyperns die Stirnlocken schmückt?«

»Endlich verstehe ich! Wo Don Giuliano wohnt, der Pastetenverkäufer? Dort hinten im Bäckerladen. Seht, Signore, eben tritt er aus der Bottega ... Gleich wird er hier vorbeikommen.«

17

Es währte nicht lange, und der Kleine Walfisch konnte vor Seiner Majestät ehrerbietig den Hut ziehn. Doch der Pastetenverkäufer erwiderte zerstreut den Gruß. Mit bohrenden Blicken betrachtete er La Delfina und trat so dicht an sie heran, daß sein Atem sie streifte. Leise sagte er:

»Du bist weißer als Milch, La Delfina. Ich wollte, der Wächter der Welt gäbe mir die Macht, dich rot wie eine Anemone zu machen. Wann darf ich zu dir kommen?«

»Wozu? Um mir das seidene Hemdlein auszuziehn? Um mir eine Nonnenkutte anzuziehn?«

»Dein Lachen ist ein Frösteln, La Delfina!«

»Ich bin eine Sumpfschildkröte, – du kannst nicht eine Kreuzkröte aus mir machen, Freund Giuliano!«

Unwillig wandte sie sich ab und entfernte sich geschwind mit ihrem Pagen.


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