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Noch immer steht Giuliano unweit von der Tür und schaut sinnend nach der Estrade hin, auf der der Drogenhändler Biagio della Campana und der Hauptmann Francesco da Mantova dem leichenbleichen Märtyrer aus Volterra, dem Sohn des von Cosmo geköpften Bartolomeo Valori die Hände küssen und Rache versprechen. Aus Gedanken, welche die Namen der beiden Giftmörder in ihm ausgelöst haben, fährt Giuliano plötzlich wie erwachend auf, da er viele Blicke auf sich gerichtet sieht. Unbemerkt war er in den Saal eingetreten und hatte gehofft, unbemerkt zu bleiben, – trägt er doch die gleiche Tracht wie alle. Seine außerordentliche Schönheit war aber dennoch aufgefallen und wird jetzt Ursache einer eigentümlichen Verwechslung. »Ein Medici? Doch welcher? ...« hatten die Umstehenden sich gefragt. Wie ein Lauffeuer hatte sich die geraunte Nachricht verbreitet, eine große Erregung bemächtigte sich der Versammelten; – denn vor einer Stunde erst war von der Fürstin Lodovica den Verschwörern eröffnet worden, sie würden heute einen »Capo«, ein Oberhaupt, einen Anführer, erhalten ... Leise geäußerte Mutmaßungen verdichteten sich zur Frage: »Sollte das etwa Giulio, der von den Algeriern Entführte, sein? ...« Die auf Giuliano gerichteten neugierigen Blicke verwandeln sich in ehrfurchtsvolle. Die Umstehenden weichen scheu zurück vor ihm; – er aber ist noch scheuer als sie und vermag sich's nicht zu erklären, warum zwischen ihnen und ihm ein leerer Raum entsteht ...
In diesem Moment geschieht es, daß er Guerzolos ansichtig wird, den bis dahin seine Augen vergebens im Saal gesucht hatten. Die Fähigkeit, sein Gesicht ausdruckslos zu machen, besitzt Giuliano nicht; stets ist sein Blick der Spiegel seiner Seele. Früher, als er den Mordbuben, hatte dieser den einstigen Pastetenbäcker und Nachbarn von der Porta San Gallo erkannt und war furchtlos genaht, im Glauben, er selbst sei unkenntlich. Jetzt aber liest er Unheilvolles in Giulianos Zügen, die Ahnung steigt in ihm auf, dies könnte ein Spürer auf der Blutspur sein, und geschwind stellt er sich, Schutz suchend, hinter andere Gäste, verschwindet in der Menge, – während gleichzeitig der Neger Achmed den Saal betritt und vor Giuliano sich verneigend meldet: »Die Illustrissima Signora Principessa läßt Eure erlauchte Gnaden ersuchen, zu ihr ins Lilienzimmer zu kommen!«
Mit Goldbrokat sind die Wände des Zimmers bespannt, wo jetzt die Schloßherrin und Giuliano beim Lichtgeflimmer eines kristallenen Kandelabers einander gegenübersitzen. Mythologische Fresken schimmern auf sie von den Kassetten der Decke herab, köstliche Orientteppiche breiten sich auf dem Fußboden dickwollig aus, mit blitzenden Silberfäden sind Lilien in die goldene Wandbekleidung eingewebt.
Nicht – (wie zur Zeit des Florentiner Karnevals) – ein französischer Edelmann, sondern eine verführerisch geschmückte Frau erscheint Lodovica heute, ganz Fürstin und zugleich ganz schmiegsame Katze. (»Zum Katzengeschlecht«, denkt Giuliano, »gehören ja auch Löwinnen und Sphinxe mit den grausamen Krallen« ...). Die häßliche spanische Damenmode verschmähend, hat sie ein ihre glattleibige Hagerkeit hervorhebendes karmoisinrotes Samtgewand – alla lombarda – angezogen. Perlen und Rubine funkeln in ihrem blauschwarzen Haar.
Nach der Begrüßung sagt sie:
»Verschlungene Wege sind die Sterne am Himmel gewandert, seit wir uns trennten, totes Kind! Don Pietro erhielt seinen Lohn!«
»Er ist unschuldig verurteilt worden, Signora Principessa.«
»Unschuldig? Vergaßt du, was er mir antat? Und dir, totes Kind?«
»Doch der Kurtisane hat er kein Haar gekrümmt, Principessa! Ein Fehlurteil sprach das Gericht! Der Mörder ist hier im Schloß!«
»Wer?«
»Guerzolo, der Page der Dichterin.«
»Woher weißt du das?«
Der Worte Cellinis eingedenk, der den Rat erteilt hatte, seinen unliebsamen Namen unerwähnt zu lassen, bringt Giuliano – (etwas ungeschickt) – eine Lüge vor.
»Von Marmorarbeitern hörte ich es ... In der Trunkenheit hat Guerzolo sich verraten ... Ach, Signora Principessa, – wenn auch Don Pietro es um Euch nicht verdient hat – – –«
»Du willst wohl, daß ich den Pagen an Florenz ausliefere?«
»Der Himmel wird es Euch danken, Principessa!«
»Die Hölle erst recht, falls ich nämlich Pietro dadurch rette! ... Das verlangst du von mir, Giuliano? Warum verlangst du das nicht von Donna Faustina? Wäre es zu viel von ihr verlangt?«
»Sie war bereit, die Wahrheit vor Gericht auszusagen; – er hinderte sie daran!«
»Warum ließ sie sich hindern? Sie hätte es hinausschrein müssen – ob's ihm recht war oder nicht. Und wenn sie schambefangen schwieg, so hättest du vor Gericht bekunden müssen, was Don Pietro in der fraglichen Stunde tat, – nämlich deiner Donna Faustina antat!«
»Konnte ich das, Principessa?«
»Allerdings nein, da du Donna Faustinas Ritter bist und sie liebst!«
»Ich verehre Donna Faustina, –doch ich liebe sie nicht.«
»Setztest du dein Leben nicht aufs Spiel für sie? Und hast du dir nicht von ihr eine rote Rose schenken lassen?«
Eine Weile sprachlos, starrt Giuliano Lodovica an.
»Seid Ihr ein Schmetterling, der nachts in meilenferne Gärten fliegt ...?«
»Nein, ich war hier in meiner Seeburg. Doch die Tamarisken- und Myrtensträucher des Boboligartens haben Augen ...«
»Waren es nicht Orchideen, Principessa? Alle Orchideen haben Augen und Münder ... Ja, sogar ausplaudernde Münder, wie ich merke, Signora Principessa!«
»Was ich nicht bedaure, totes Kind. Wenn es wahr ist, daß du Donna Faustina nicht liebst, – so liebst du eine andere!«
»Ihr irrt, Principessa. Auf Erden lebt keine, die ...«
»Doch, auf Erden hat eine gelebt, die Violetta hieß – Contessina Violetta da Gambara – und die du nicht vergessen kannst!«
Das Gespräch wird unterbrochen durch den Eintritt Achmeds, den ein Glockenzeichen seiner Herrin hereingerufen hat. Was sie ihm ins Ohr flüstert, vermag Giuliano nicht zu vernehmen. Nachdem der Neger sich wieder entfernt hat, sagt Lodovica:
»Ich habe eben Befehl gegeben, den Signore Guerzolo in ein Verließ zu sperren. Mein Haus ist ein Asyl für Staatsverbrecher, doch nicht für gemeine Verbrecher! Übrigens hatte ich ohnedies die Absicht, den unreifen Burschen aus meiner Burg jagen oder einkerkern zu lassen. Ohne von seiner Schandtat zu wissen, haben schon mehrere meiner Gäste sich über ihn beklagt: er sei einer der Arrabiati – oder ein Spion Cosmos, weil er so wüste Reden führt.«
»Verzeiht meine Unwissenheit, Principessa. Erklärt mir's: was unterscheidet die Arrabiati von andern Aufrührern? Wenn der Titan unter dem Ätna an seinen Ketten rüttelt, so entsteht ein Erdbeben, das Kunst und Kultur nicht schont ...«
»Doch sämtliche Erdbeben haben Kunst und Kultur nicht ausrotten können. Das können nur Menschen. Dschingis-Chan tat es.«
»Ich habe im großen Saal vorhin Reden Eurer Gäste gehört, Principessa, die klangen, als sprächen Gesinnungsgenossen der Arrabiati; und wenn das nicht, so doch sehr blutrünstige Republikaner.«
»Glaube mir, Giuliano, es sind unentschlossene Republikaner; je weniger sie unternehmen, um so mehr berauschen sie sich an großen Worten. Sie alle warten auf den Brutus, der sie vom Tyrannen befreien soll – und der sich an dessen Stelle setzen wird.«
»Um selbst ein Tyrann zu werden?«
»So ist der Lauf der Welt, totes Kind! So pflegen die Brutusse zu enden: thronend und gekrönt.«
»Seid Ihr für oder gegen Eure Freunde, Principessa?«
»Ich bin für dich, mein lieber Freund Giuliano.«