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Zwei vergilbte Wandteppiche des Säulensaales stellen Vorgänge aus dem Leben des Magiers Cyprianus von Antiochien dar: wie er vergeblich die Jungfrau Justina zu verführen unternahm, und wie er, bekehrt von ihr, das Martyrium erlitt gemeinsam mit ihr. Ein Lächeln zuckt in Giulianos Mundwinkeln, als er die Gobelins anschaut: so wie dem Zauberer da könnte es am Ende der Frau des Schlosses ergehn, –: wer allzueifrig verführen will, läuft Gefahr, bekehrt zu werden, – das zeigt diese Legende ...
Ein länglicher, von einer alabasternen Hängeampel erhellter Raum ist der Säulensaal. An der hinteren Schmalseite führen etliche Stufen zu einem Säulengang empor. Grotesken winden sich im Rankenwerk der Kapitelle. Unmittelbar hinter den Säulen wogt, von einem Luftzug leise bewegt, ein schwarzer Sammetvorhang.
Außer durch die beiden Gobelins werden die Wände durch hohe Bücherschränke verdeckt. Die Reihe der Schränke unterbricht an den zwei Langseiten je ein offenstehendes Fenster.
Im Flur draußen wachen vor der Tür zwei der Neger. Der dritte, Achmed, hat den vermeintlichen Prinzen bis in die Mitte des Saales begleitet und rückt ihm voll unterwürfiger Dienstbeflissenheit einen Lehnsessel an den mit Büchern bedeckten Tisch heran.
»Falls Eure Hoheit Wünsche hat ...«
»Ich habe nur den Wunsch, allein zu sein.«
Achmed verbeugt sich und geht zur Tür.
»Halt!« ruft ihm Giuliano nach. »Hier zieht es eisig. Schließe die Fenster!«
»Das darf ich nicht, Hoheit. Meine erlauchte Gebieterin liebt den nächtlichen Westwind, weil mit ihm die Musik, vom Meere her, hereintönt.«
Bei diesen Worten deutet Achmed mit einer Kopfbewegung auf das linke Fenster hin. Jetzt erst bemerkt Giuliano, daß von außen her überaus zarte, kaum vernehmbare Harfenklänge an sein Ohr dringen.
»Wer bewegt dort den schwarzen Vorhang?« fragt er.
»Der Wind, Hoheit.«
»Was befindet sich dahinter?«
»Der Vorhang verbirgt, was meine Herrin verborgen haben will.«
»Und das ist?«
»Keinem ist erlaubt, hinter den Vorhang zu blicken ... Ich glaube, dort sind nekromantische Gerätschaften.«
Glasglänzend blinken die Augäpfel des Negers und seine prachtvollen Zähne; darum wirkt die Antwort eher spöttisch als mysteriös.
»Und was sind das für Gerätschaften?«
»Unsereins darf es ja nicht wissen, Hoheit. Aber gemunkelt; wird: ein Kessel sei dort; – wenn man den mit Kräuterwasser füllt und sieden läßt, so entsteigen seinem Dampf Gespenster.«
»Deine Herrin treibt also die schwarze Kunst?«
»Sie ist eine große Magierin, Hoheit.«
Da Giuliano keine weiteren Fragen stellt, verbeugt sich Achmed nochmals, äußert den Wunsch, Seine Hoheit möge tausend Jahre leben, und begibt sich zu den beiden andern Wachtposten auf den Flur hinaus. Die Tür läßt er halbgeöffnet.
Am Tisch sitzend lauscht Giuliano einige Zeit lang der geheimnisvollen wunderschönen Musik. Die Harfentöne ersterben zuweilen, verlöschen wie ein von einem Lufthauch ausgeblasenes Licht. Dann wiederum heben sie von neuem zu klagen an, erzählen – beklommen schreitend und flüsternd – von großem Herzeleid, werden lauter und lauter, jauchzen überselig, erschauern im Augenblick höchster Lust zu Tode getroffen, verkrampfen sich wild und verstummen so plötzlich, als hätten die Aufschreie ihrer Schmerzakkorde die Saiten der Harfe zerrissen. Und leiser als das Raunen von Schilfblättern oder windgeschaukelten Grashalmen setzt nach einer Weile das Tönen wieder ein ...
Die auf dem Tisch liegenden Bücher hatten nicht sogleich Giulianos Aufmerksamkeit erregt. Erst, als eine Zeitlang die Harfe verstummt zu sein scheint, beginnt er die Bände sich anzusehn und staunend zu durchblättern. In seinem Staunen sind Abscheu, Ekel und Bedauern gemengt. Welch eine Auslese von Schlüpfrigkeiten! Wenn die Verfasser dieser Hurenschriften wenigstens Talent gehabt hätten! Wenn sie wenigstens versucht hätten, das kraß Geschlechtliche durch Grazie und Schönheit oder Geist zu adeln und in die Sphäre der Kunst zu erheben! ...
Und Giuliano sinnt über Lodovica, die Sammlerin und Besitzerin solchen Schmutzes. Hat sie nicht auch die Rocca mit schamlosen Frivolitäten ausmalen lassen? Wie ist es nur möglich, daß sie Freude daran findet, ihre weißen Finger mit derartigem Unflat zu besudeln? ... Oder sind ihre Finger nicht makellos? Klebt etwa Blut, wohl gar auch Gift an ihnen? ... Kann er sich so in ihr getäuscht haben, die er für keine gewöhnliche Frau und trotz allem nicht für schlecht gehalten hat; – für hochmütig doch auch hochgemut, für überspannt und doch klug; für zielbewußt – doch freilich auch wahllos in den Mitteln, deren sie sich zur Erlangung eines Zieles bedient ...
Was aber ist ihr Ziel? Weshalb versteift sie sich darauf, ihn zum Sohn Lorenzinos zu machen? Ist ihr ernstlich daran gelegen, einen Rächer heranzuziehn und Cosmo durch ihn ermorden zu lassen? Daß die aus Florenz Vertriebenen Cosmos Tod wünschen, ist ja verständlich und selbstverständlich. Welchen Grund aber kann sie haben? – außer etwa, daß ihre Mutter, Donna Ricciarda Malaspina, eine grimme Feindin des Duca gewesen? – Doch das ist ja fast schon sagenhaft lange her. Was Albizzis Novellen erdichtende Tochter Semiramide ihm von des Duca unerwiderter Liebe zu Lodovica mitgeteilt hatte, mochte wohl ausgeschmückt und entstellt gewesen sein wie alle Berichte der kleinen Lügnerin. Und selbst wenn Lodovica tatsächlich Cosmos Anträge abgewiesen hatte, so wäre ihr Mordwille doch keineswegs damit erklärt ...
Nein, – eine andere Erklärung drängt sich Giuliano auf (und das ist das Ergebnis seines Nachdenkens): eine Sphinx haßt nicht – sondern zerfleischt aus Spielsucht, zum bloßen Zeitvertreib (denn einsam sind die Sphinxe! ...) Auch Lodovicas angebliche Feindschaft gegen alle Männer, ihr Gerede von einem Frauenreich, womit sie die Welt zu bessern gedenke, – nichts anderes ist es als Launenhaftigkeit und Spielerei einer allzureichen, allzumächtigen, durch Gattentreue und Mutterpflichten nicht gehemmten Adelsfrau ...
Aber auch diese Deutung befriedigt ihn nicht ganz – vor allem gibt sie für einen so hohen Grad von Perversität keine gültige Auslegung. Daher greift Giuliano auf seinen ersten, eben noch verworfenen Erklärungsversuch zurück und verknüpft ihn mit dem zweiten: wenn auch die Launenhaftigkeit, die Spielsucht einer haßlosen Sphinx das einzige sichtbare Motiv für die Tollheiten, Frevel und Überspanntheiten der Fürstin ist, so muß doch wohl, ihr selbst unbewußt, unter der Oberfläche ihrer lachenden, souveränen Unsittlichkeit ein kranker Haß wie ein Bohrwurm an ihr fressen; – ein Haß und eine schmerzvolle Enttäuschung, die es nie verwand, daß Cosmo in ihr seine Tochter Isabella geliebt hatte. Weil ihr Stolz an diesem Erlebnis Schiffbruch gelitten, war sie männerfeindlich und pervers geworden, von Grund aus verderbt und Verderben stiftend, unstet wie ein tückischer See, dessen Windstille todesschwanger ist. Unbeständig sogar gegen ihre Launen: denn schlecht stimmte zu ihrer Männerfeindschaft das mütterlich sorgende, oft schwesterliche Wohlwollen, mit dem sie ihn zuweilen anblickte. So daß im Verlauf der letzten beiden Tage schon mehr als einmal der Verdacht in ihm aufgestiegen war: ob es nicht etwa weniger der Haß gegen Cosmo als vielmehr eine verstohlene Verliebtheit in ihn (Giuliano) sei, was Lodovica zu seiner Betreuerin machte? ...
Die Saaltür wird aufgerissen. Lodovica steht Giuliano gegenüber. Sie sind allein: die Neger haben, sobald die Fürstin hereintrat, die Tür von außen geschlossen.
Vor ihm auf und ab gehend, überschüttet sie ihn mit dem Schwall ihres siedenden Zorns:
»Ha! Du Wolkensohn! Du Halbmann! Das hast du prächtig gemacht! Hätte nicht der Himmel sich deiner erbarmt und dir meine Neger rechtzeitig zu Hilfe geschickt, du lägst jetzt dort, von zwanzig Degen durchbohrt, – und sage selbst, ob du es nicht verdient hättest! Hat es je einen Narren gegeben wie dich? –: man müht sich ab, das Dunkel deiner Herkunft aufzuhellen; man beweist dir, daß du ein Prinz bist; man erbietet sich, dir zu deinem Erb und Eigen zu verhelfen, man will dich auf den Schild heben, dir Krone und Thron erkämpfen; – und wie dankst du's? Starrköpfig weigerst du dich zu sein, der du bist, feigherzig erschrickst du vor deinem übergroßen Glück, schüchtern ziehst du deine Schneckenhörner ein! ... Sowie aber einer deiner Getreuen dir deine Ängstlichkeit wie in einem Spiegel vorhält, schlägst du unsinnig mit geballten Fäusten ins Spiegelglas hinein, bis die Scherben umherfliegen und du dir selber die Hände blutig schneidest ...«
»Nein, Signora Principessa«, unterbricht Giuliano. »Meine Hände sind unversehrt. Aber Euer Arm hat gestern stark geblutet ... Ich verband ihn. Erlaubt Eurem Arzt zu sagen, daß Eure Armwunde besser heilen wird, wenn Ihr Aufregungen vermeidet und Euch Herzklopfen erspart!«
»Wer hat Schuld an meiner Erregung? War es etwa leicht für eine Frau, einen drohenden Männerhaufen in Schach zu halten, wie ich es soeben im Versammlungssaal getan (nachdem man dich hinausgeführt hatte)? War es etwa leicht, das Wutgekreisch deiner Freunde zu beschwichtigen und sie auf deine Bekehrung zu vertrösten, die – das weiß ich bestimmt – in kurzer Zeit mir gelingen wird ... Denn das laß dir sagen: du magst noch so sehr deinem eigenen Kopf folgen wollen und dein Glück in Trümmer schlagen, – es wird mich nicht abhalten, dir den Weg zu bahnen, der für dich der beste ist. Seit einem halben Jahr gehört bei Tag und bei Nacht all mein Sinnen und Denken deinem Wohlergehn; und erst recht wird es so künftighin sein –: denn ich bin nicht undankbar wie du; und ich habe – mag es dir recht sein oder nicht –Dank dir abzutragen dafür, daß du meine Nase vor dem Biß der Dogge bewahrt hast ... Sie ist eine energische Malaspina-Nase – es wäre schade um sie gewesen; findest du nicht auch?«
Lachend setzt sie sich an den Tisch, ihm gegenüber. Ihre Finger blättern in einem Schweinslederband, während ihre Augen durchs westliche Fenster zum nachtverhüllten Meer hinausschweifen. Der Wind trägt einige schwermutsvolle Arpeggien in den Säulensaal herein.
»Ihr werft mir Undank vor, Signora Principessa. Mit Unrecht. Gleich werde ich Euch zeigen, daß ich es Euch nicht vergessen habe, was Ihr mir Gutes in Florenz getan. Eurem herrischen Herzen – (ich achte, ja ich bewundere es!) – wird es vielleicht ein Dornenstich sein, daß meine Dankbarkeit mich zwingt, Eure Vorwürfe mit ernsten Vorwürfen zu erwidern ... Ihr seid eine Feudalherrin und niemand verantwortlich außer Gott und Euch selbst. Sagt –: wie könnt Ihr Euer Tun und Lassen vor dem Richterstuhl Eurer Seele verantworten? Ich mag nicht Euren Spott hervorrufen – sonst würde ich fragen: Seid Ihr Euch nicht zu schade, sind Eure Augen und Euer reines Herz nicht zu schade für den Unrat dieser Schandbücher? Ekelt Euch nicht vor den unanständigen Bildern der Rocca? ... Ach, – da sehe ich es schon, das mitleidige Lächeln auf Euren Lippen! ... Das reine Herz hätte ich nicht erwähnen dürfen ...«
»Du darfst es, Rex Seraphicus! ... Wer reinen Herzens ist, darf denken wie die Engel. Nur erwarte nicht, daß ich eine Engelin werde ... Schilt mich weiter aus. Ich höre zu.«
»Erlaubt Ihr, daß ich alles sage?«
»Alles. Engelsbotschaft höre ich gern.«
»Wozu habt Ihr die acht Mädchen – lauter Töchter cyprischer Adelsfamilien – aus türkischer Sklaverei befreit, wenn Ihr selbst sie als Sklavenmädchen haltet? Warum zwingt Ihr sie, splitternackend bei Tisch zu bedienen, fasernackt durch Säle und Hallen und den Lustgarten zu wandeln, als wäre die Rocca ein liederliches Haus oder ein Tempel der Libitina?«
»Ich zwinge keine, mein weiser Freund! Freiwillig tun sie es, weil sie an meine Lehre vom kommenden Amazonenreich glauben.«
»Und wie habt Ihr sie bekehrt zu Eurer Lehre, Principessa? Indem Ihr den unschuldigen Kindern diese zotigen Bücher zu lesen gabt! Indem Ihr ihre unbefleckten Augen an die phallischen Roheiten auf den Wandgemälden der Rocca gewöhnt habt! Indem Ihr Jünglinge einludet, mit den Unbekleideten Plato zu lesen, Diskussionen zu führen mit den schönen Philosophinnen, – ohne Euch die Frage vorzulegen, ob nicht die Prüfung, die Ihr den Männern auferlegtet, den Mädchen die Seele verletze und sie zugrunde richte an Seele und Leib! Denn Ihr selbst habt mir erzählt, daß noch kein Mann die Probe bestand; – mit andern Worten: Ungeziemendes geschah in der Rocca; und Ihr, Ihr, Lodovica Malaspina, wart die Kupplerin, habt jugendliche Herzen der Sünde ausgeliefert und verdorben! Eine große Schuld habt Ihr auf Euch geladen, Principessa; – und wäre ich Ihr, so würde ich alles daransetzen, wiedergutzumachen, was ich getan!«
»Wie das, Giuliano? Soll ich aus der Rocca ein Kloster machen?«
»Nein. Doch Ihr seht bereits den Weg, den Gott Euch führen wird.«
»Oder du? ...!«
»Was lacht Ihr so, Signorina! ... Wäre ich die Principessa Lodovica, so würde ich allerdings ein Nonnenkloster für gefallene Mädchen gründen. Zerstören, herunterkratzen lassen würde ich die Bilder der Rocca; in Fetzen reißen würde ich diese Bücher, sie zu einem Scheiterhaufen schichten und verbrennen.«
»Das wußte ich nicht, daß du ein Bilderstürmer bist und ein Henker der Inquisition! Ich dachte, du seist ein Teufelsanbeter.«
»Warum dachtet Ihr das, Signora Principessa?«
»Weil du dem König Pfauhahn von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hast ... Was lehren die Teufelsanbeter?«
»Daß König Pfauhahn die Materie sei, Gott aber sei der Geist: der Allgeist, die Urvernunft. Ein ursprünglich edler, doch gefallener Engel sei König Pfauhahn; und seit seinem Abfall sei scheinbar die Welt in Materie und Geist geschieden. Jedoch nur scheinbar, – denn nach zehntausend Jahren werde König Pfauhahn zu Gott zurückkehren und wieder eins sein mit ihm.«
»In der Rocca habe ich acht gefallene Engel; und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß du, Giuliano, der neunte gefallene Engel sein wirst! ... Bisher fingen deine Augen nicht Feuer an meinen Schönen.«
»Mit denen zu sprechen Ihr mir verbietet!«
»Fragt Liebe nach Verboten? Weißt du nicht, daß ein unterdrücktes Feuer um so heißer schwelt? Hättest du eine (als sie bei Tisch bedienten) an den Haaren gepackt, sie wild an dich gerissen und geküßt, – es hätte mir besser gefallen als deine gesittete fischblütige Zurückhaltung.«
»Wolltet Ihr nicht, daß ich eine Prüfung bestehe?«
»Daß du sie nicht bestehst, wollte und will ich! Nicht du hast versagt, sondern meine Mädchen. Doch vielleicht wird sich ein noch schöneres finden, dem du nicht widerstehn kannst, wenn es dich liebeschauernd in ihre Arme zieht.«
»Das habe ich Euch schon gestern gesagt, Principessa, daß kein lebendes Mädchen das vermöchte.«
»Am Ende ein totes?«
»Die Toten verlassen ihre Gräber nicht! ... Auch Marchesa Isotta kehrte aus dem Jenseits nicht zurück ...«
Mit einem blitzschnellen Luchsblick streift ihn Lodovica. Sie erhebt sich und sagt:
»Findest du nicht auch, daß es hier nach Scharteken und Bücherskorpionen riecht? Vertreiben will ich den Modergeruch ... obgleich er nicht übel zu meiner Zauberformel passen würde ...«
Während Lodovica einige Räucherkerzen anzündet, fragt Giuliano:
»Zauberformel? ... Was habt Ihr vor, Principessa?«
»Du wirst eine Mysteriennacht erleben, mein Freund. Schrieb ich es dir nicht, daß hier ätherische Dämonen umgehn wie in Tausend-und-einer-Nacht? Ich bin eine Geisterbannerin, Giuliano ... Jetzt aber muß ich dich allein lassen, weil ich noch Vorbereitungen zu treffen habe – unbeschworen erscheinen Dämonengestalten ja nie –, und zum Beschwören brauche ich Schaum von tollen Hunden, die Zunge eines Frosches, Katzenhirn und anderes mehr ...«
Sie geht rätselhaft lachend auf den Flur hinaus, wo die drei Neger Wache stehn, und schließt die Tür hinter sich. Der wahre Grund, warum sie hinausging, ist: daß sie den Rauch der vergifteten Räucherkerzen nicht atmen will, die sie angezündet hat, um Giuliano zu betäuben.
Glockenhaft wie ein dumpfer Unkenruf dringt jetzt die Klage des Windes herein. Eine einzige Harfensaite ist es, welcher Menschenfinger – (oder sind es des Windes Finger?) – den leisen hohlen Ton entlocken. In immer gleichem Zeitabstand tropft tränengleich der dunkle Ton, wird gleichsam zu einem Tränensee, auf dessen beinahe regungsloser Glätte nach jedem neuen Tropfen Kräuselwellen ziehn. Dann erschrillen im höchsten Diskant zwei verzweifelte Mollakkorde durch die Nacht; und während ihr gellender Aufschrei verklingt, huscht ein Läufer aus ihrer Sopran-Höhe abwärts, – sprunghaft und im Zickzack wie eine der Augen beraubte, zwischen scharfen Messerklingen verschreckt flatternde Fledermaus. In der Tiefe angelangt, stürzt der Läufer in den glockenhaften Ton hinein, wird von ihm geschluckt, verzehrt, stirbt aufzischend, ein in salzige Fluten gestürztes Meteor. Sofort verwandelt sich der eine glockenhafte Harfenton, seine dunkle Eintönigkeit wird von greller karminroter Vieltönigkeit abgelöst: es ist, als wenn eine spiegelglatte Oberfläche zerrissen wurde; ein heißer Sprudel braust aus der Tiefe empor, ein flammender Geiser; – und seine Flammengarben sind ein zauberhaft singendes Leid ...
Wieviel Zeit verflossen ist, seit Lodovica hinausging, Giuliano weiß es nicht. Er weiß auch nicht, daß es die Räucherkerzen sind, die ihm die Sinne umschleiern und das Denken erschweren. Sie wird ja wohl zurückkommen, sobald sie die getrockneten Kräuter ihrem Schatzkästlein entnahm ... Seltsame Namen haben ihre Kräuter: »Schaum toller Hunde«, »Froschzunge«, »Katzenhirn« ... Eine Mysteriennacht soll er heute erleben? ... doch er denkt nicht darüber nach, was sie damit gemeint haben mag. Statt zu grübeln, lauscht er lieber der Musik; – sie lullt ihn ein und erregt ihn doch, sie beglückt ihn und näßt ihm die Wangen, die wilde, die unsäglich traurige Musik.
Bald beginnt er zu spüren, daß nicht nur das Denken, daß auch das Atmen ihm schwer wird. Sind es die süßen Harfenakkorde, die ihm die Kehle zuschnüren? Er knöpft sich sein Wams am Halse und bis zur Brust hinab auf. Ein wenig erleichtert ihm das die Arbeit der Lunge; die Herzbeklemmung läßt nach.
Hat die Atemnot ihm auch die Augen getrübt? Da ist ihm doch, als blähe sich hinter den Säulen der Vorhang ... Der Zugwind hatte schon vorhin in den Sammetfalten gespielt und sie bewegt. Jetzt aber bauscht sich der Vorhang wie ein schwarzes Segel auf; der den Fußboden berührende Saum rollt sich zusammen, scheint emporschnellen zu wollen ... Und nun, plötzlich, hat es den Anschein, als lege der Sammet sich enganschmiegend um eine menschliche Gestalt.
Alles Blut fühlt Giuliano aus seinem Gesichte weichen. Er glaubt nicht an die ätherischen Dämonen, von denen Lodovica sprach. Und dennoch deckt kalter Schweiß seine Stirn.
Da teilt sich der schwere schwarze Vorhang. Und davor tritt – oder schwebt? – eine schwanenweiß gewandete weibliche Gestalt.
Es ist ein Mädchen von unendlicher Schönheit. Und Giuliano erzittert wie ein Espenblatt ... Sie ist es, sie, die Tote! ...
Er möchte aufschreien vor Seligkeit. Seine Stimme versagt ihm; ein bloßes Stöhnen kommt aus seinem Munde und wird übertönt vom Stöhnen des Harfenspiels. Er will auf sie zueilen; sie an sich reißen, die Wiedergefundene; sie umhalsen und festhalten, um niemals mehr – auch dem Tode nicht – sie herzugeben. Doch seine Füße tragen ihn nicht. Beim ersten Schritt auf sie zu stürzt er zu Boden. So viel Bewußtsein und Körperkraft bleibt ihm noch, daß er auf den Knien liegend und die Arme ausstreckend das Gespenst anreden kann. Und er tut es, gebadet in Tränen:
»Violetta! Geliebte! Du bist es! Du! ... Das ist dein Engelsangesicht! ... O bleibe, zerrinne nicht in Luft! ... Dem Grab bist du entstiegen, um zu mir zu kommen! um mich zu trösten, meine Tränen zu trocknen! Haben sie dich erweint, meine heißen Tränen? ... O bleibe bei mir, verlaß mich nicht wieder! Küsse mich, Violetta, streichle mir das Haar wie einst! Blick mich nicht so regungslos an wie ein trauernder Vogel! ... Oder kamst du, mich zu dir hinab zu nehmen in dein stilles Haus? Sehntest du dich auch nach mir wie ich mich nach dir? ... Weil ich dich liebte, habe ich dich getötet; – erweise mir den gleichen Liebesdienst, meine Violetta: nimm mich zu dir! Furchtbarer als der Tod ist die Trennung von dir, Violetta! ...«
Die letzten Worte sind kaum noch vernehmbar. Die Kerzen haben Giuliano vollends betäubt. Über seine Augen senken sich die müden Lider. Er schlummert auf dem Teppich ein, einem Toten gleich.
Mit einem schmerzvollen Blick auf den Schlummernden tritt das Gespenst Violettas hinter den Vorhang zurück.
Bald danach kommt – vom Flur her – Lodovica in den Säulensaal und stellt sich ans westliche Fenster, von wo der nachtfrische Seewind hereinweht, so daß ihr der gefährliche Kerzenrauch nichts anhaben kann. Vergewissern will sie sich, ob Giulianos Schlummer fest ist. Da gewahrt sie an seinem Halse – (denn sein Wams ist ja aufgeknöpft) – ein goldelfenbeinernes Kleinod. Bei ihm niederkniend, löst sie die dünne Goldkette und nimmt das Geschenk Benvenuto Cellinis an sich. Darauf ruft sie den Neger Achmed herein und erteilt ihm in gedämpftem Ton einen Befehl.