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Cosmo unterbrach sich und starrte gebannt durch das geschlossene Fenster in den Boboligarten hinab. Handgroße, in Blei gefaßte rechteckige Scheiben aus grünlichem Glas bildeten aneinandergereiht das Fenster; zwar etwas trübe, waren sie doch durchsichtig genug, um erkennen zu lassen, was drunten vor sich ging. Auf schneebedeckter Rasenfläche – (denn der Schnee der vorigen Nacht war im Garten nicht zerronnen wie auf den Straßen) – wälzten sich, miteinander ringend, seine beiden Söhne, der junge Kardinal Don Giovanni und der fünfzehnjährige Don Gracia und mit ihnen ein in blauen Pelz gekleidetes Mädchen, das sich vergeblich abmühte, die beiden Kämpfenden zu trennen, während eine andere Damigella in grüner Pelzjacke, Pelzhandschuhen und Pelzstiefeln daneben stand, ratlos die behandschuhten Fäuste an die Wangen pressend, nicht imstande, dem Spiel (das keine unschuldige Schneeballschlacht war) ein Ende zu machen. Zehn Schritt von dieser Gruppe entfernt grinste Dino Barbini, der burleske Zwerg, bog und wand sich vor Lachen, durchaus nicht gewillt, den gefährdeten Kirchenfürsten den Krallen des hübschen wilden Angreifers zu entreißen. Cosmo erkannte in den beiden Damigellen Faustinas Freundinnen Nannina Sansedoni und Tolla Fiordespini. Sie hatten der bettlägerigen Faustina einen Krankenbesuch gemacht und waren, um einen kohlenäugigen Schneemann zu bewundern, in den Garten hinabgestiegen, von Kardinal Giovanni dahin gerufen. Allzu frei hatte die mädchenhafte Eminenz mit den Mädchen gescherzt und hatte Schneeballen werfend den anemonenroten Mund Donna Tollas getroffen. Da plötzlich stand, gleichsam aus dem Boden emporgetaucht, Don Gracia neben ihnen, leichenblaß vor Haß und Rachsucht. Im Nu hatte er seinen Bruder gepackt, ihn im Ringkampf niedergerissen, sich über ihn geworfen; – wie eine große Blutlache leuchtete das scharlachrote Kardinalshabit im glitzernden Schnee. Mit der einen Hand hielt Gracia den Hals Giovannis, mit der anderen stopfte er ihm Schnee in den Mund, so ungestüm, daß dem armen Kardinal der Atem verging und sein Gesicht sich blau zu färben begann.
Hastig riß Cosmo das Fenster auf und schrie hinunter:
»Gracia! – bist du des Teufels?«
»Kann ein Teufel des Teufels sein?« lachte der boshafte Zwerg Dino Barbini.
Der Knabe ließ sein Opfer fahren, sprang empor, schüttelte sich den Schnee ab und rief zum Fenster hinauf – keck wie ein Kind, dem stets verziehen wird –:
»Das war ja nur Scherz, Vater! ... Ich habe Giovanni gewarnt.«
»Wovor gewarnt?«
»Vor mir, Vater. Aber er hat's nicht glauben wollen, daß ich toll werde, wenn Schneebälle fliegen ...«
Geärgert schloß Cosmo das Fenster. Fühlte er sich widerlegt durch die Worte des Knaben? Er wollte es sich selbst und dem Diener nicht eingestehn. Längere Zeit wanderten seine Gedanken weit weg ins Land der Gespenster, die Vergangenheit. Wie erwachend wandte er sich plötzlich Traiano wieder zu:
»Wovon sprachen wir? ... Ja, von Brutus. Meine Mutter war hellsichtig, als sie mir einst sagte: wenn die Etrusker ein Gebäude errichten, so vermauerten sie ein Kind in das Fundament ... Der Brutus, an den meine Mutter dachte, starb als Kind. Zwei andere Brutusse hätten gefährlich werden können, aber auch die starben jung. Das Gebäude, das ich errichtet, hat allen Stürmen standgehalten. Es lebt kein Brutus mehr! ... Da, schau!«
An die dem Fenster gegenüber befindliche Wandtäfelung trat Cosmo heran und schob einen Vorhang zur Seite. Fünfundzwanzig symmetrisch verteilte, in die eichene Täfelung eingeschlagene Nägel wurden sichtbar.
»Seitdem ich Alessandros Thron erbte, habe ich an jedem Neujahrstag einen neuen Nagel hier eingeschlagen und habe so zum Nagel gesprochen: ›Wie ich jetzt deinen Kopf mit dem Hammer treffe, so werde ich ihm – falls er kommt – den Kopf zerschmettern!‹ ... Doch er kam nicht und er wird nicht kommen.«
Das Mittagessen im Bankettsaal des Pittipalastes war an diesem Tage ein kleines Festmahl, wie es alljährlich am 15. Februar stattfand zur Erinnerung an die Aufnahme Cosmos in den heiligen Orden des Goldenen Vlieses.
Eine halbe Stunde bevor Tischmusik das Zeichen für den Beginn des Mahles gab, war Lodovica Malaspina vom Duca zu einem Gespräch unter vier Augen empfangen worden. In seinem Gabinetto, wo die Judith-Bilder Botticellis hingen, saßen sie sich gegenüber; und da niemand sonst zugegen war, duzten sie sich, – überhöflich und haßerfüllt wie in alten Zeiten.
»Heute früh«, begann Cosmo, »sah ich, wie Gracia und Giovanni sich prügelten. Sunt pueri pueri ... Ich habe Gracia zur Rede gestellt. Es war nichts aus dem Jungen herauszubringen. Als ich ihn aber fragte, ob man auf dem Corsiniball ihn aufgestachelt habe, leugnete er es nicht.«
»Du stellst mich also zur Rede, Cosmo?«
»Warst du es denn?«
»Und wenn ich es war? ... Du willst wissen, warum?«
»Ich will es dir sagen, denn ich kenne dich, Lodovica! –: du hast schon damals gern Hahnengefechten zugeschaut, – obgleich es eine rohe Volksbelustigung ist, die armen Tiere aufeinander zu hetzen und ihnen scharfe Messerklingen an die Sporen zu binden.«
»Das kann schon stimmen ... Doch dein mädchenhafter Giovanni ist kein Kampfhahn – nicht einmal eine Kampfhenne. Und Gracia ist ein Kind.«
»Er ist mir das liebste meiner Kinder! Er ist mein Augapfel!«
»Weil er Isabella gleicht, Cosmo, – die dein anderer Augapfel ist!«
»Kannst du noch immer nicht vergessen, Lodovica? Du lächelst immerzu mich an, – und Haß ist in deinem Lächeln.«
»Ist Liebe in deinem Lächeln, Cosmo? Einst freilich war der Liebe allzuviel, mit der du mich ansahst und – durch mich hindurch – eine andere anzusehen dich sehntest.«
»Du verwehrtest mir ja: jene ersehnend dich zu finden, Lodovica.«
»Vor Sünde bewahrte ich dich und deine Tochter, als ich merkte, daß ich nur Abbild eines dir allzuteuren Urbildes war. Daß du nicht gewaltsam meinen Widerstand brachst, habe ich dir nie vergessen ... Darum darfst du aber nicht denken, daß ich Freude an Hahnenkämpfen habe.«
»Eher an Disputen mit nackten Mädchen über Platos Philosophie, – hat man mir erzählt. Du solltest mich in dein philosophisches Kastell einladen, Lodovica!«
»Du, Cosmo, würdest die Prüfung schlecht bestehn!« Und lachend begaben sie sich in den Bankettsaal.