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Der Aufstand Kapps

Rede im Geschäftsführenden Ausschuß der Deutschen Volkspartei. 28. 3. 1920

Lassen Sie mich, ehe wir in unsere eigentlichen Verhandlungen eintreten, auf einen Lichtblick in diesen dunklen Tagen hinweisen. Es ist die tapfere Haltung unserer Volksgenossen in Schleswig-Holstein in der zweiten Zone. Sie haben sich in einer der schlimmsten Zeiten der Unsicherheit und des Schwankens aller Verhältnisse trotzdem in alter Treue und Liebe zum Deutschtum bekannt. Dafür gebührt ihnen unser herzlicher Dank. Wir begrüßen auch von hier aus unsere Parteigenossen in Schleswig-Holstein und bitten sie, dort bekanntzugeben, wie erfreut wir über das glänzende Ergebnis der Abstimmung sind.

Nun zur Sache selbst, zu den Ereignissen, die sich seit dem 13. März abgespielt haben. Die klaren Tatsachen, die hier vorliegen, werden entstellt, um Material für den Wahlkampf zu gewinnen. Weder Unabhängige noch die Mehrheitssozialisten benehmen sich dabei so skrupellos wie die Demokraten. Vergleichen Sie, um das zu erkennen, die »Freiheit« und den »Vorwärts« mit dem »Berliner Tageblatt« und der »Frankfurter Zeitung«. Man ist so weit gegangen, in der »Frankfurter Zeitung« in einem Artikel über die »Vorbereitung des Hochverrats« davon zu sprechen, daß der Vorsitzende der Reichstagsfraktion, Abgeordneter Dr. Heinze, und der Vorsitzende der Partei, d. h. ich, an diesen Vorbereitungen mittelbar oder unmittelbar beteiligt gewesen seien. Und man spricht davon, daß die Helfershelfer auf derselben Linie ständen oder sogar noch schlechter einzuschätzen seien als die Täter selbst. Welches sind die Tatsachen, die dem zugrunde liegen? Es hat zwischen General von Lüttwitz und Dr. Heinze sowie Dr. Hergt in den Tagen, den 3. und 4. März, eine Unterredung stattgefunden. Die Darstellung, die Dr. Heinze uns davon gegeben hat, deckt sich im wesentlichen mit derjenigen, die heute in den Zeitungen veröffentlicht worden ist. Danach hat General von Lüttwitz erklärt, daß unbedingt Neuwahlen stattfinden müßten, und daß das Heer auf der Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk bestehe. Er hat im Anschluß daran gefragt, was die Rechtsparteien zu tun gedächten, um diesen Forderungen zur Verwirklichung zu verhelfen. Er ist dann darauf hingewiesen worden, daß die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationale Volkspartei eine Interpellation einzubringen gedächten, und daß sie hofften, dadurch ihr Ziel zu erreichen. General von Lüttwitz, der nach meinem persönlichen Eindruck der Politik vollkommen fernsteht und jeden Blick für politische Wirklichkeit vermissen läßt, hat dann erwidert, daß unbedingt etwas geschehen müsse, weil seine Leute sonst nicht mehr zu halten seien. Es hat daraufhin eine neue Besprechung stattgefunden, an der Graf Posadowsky, Dr. Hergt und Herr v. d. Osten und von unserer Seite Dr. Heinze, Abg. Dr. Becker und ich teilgenommen haben. In dieser Sitzung haben wir die Interpellation wegen der Vornahme von Neuwahlen beschlossen. Es herrschte Einmütigkeit darüber, daß diese Frage lediglich durch parlamentarische Mittel entschieden werden könne und daß jeder Putschversuch verbrecherischer Wahnsinn sein würde. Infolgedessen wurde beschlossen, obgleich man diese Drohungen gar nicht ernst nehmen konnte, den militärischen Herren folgendes sagen zu lassen: Die Deutsche Volkspartei wird alles tun, um auf gesetzmäßigem Wege zu Neuwahlen zu gelangen; sie hält aber jeden Weg, der von dem gesetzmäßigen abweicht, für verbrecherischen Wahnsinn. Mit diesen selben Worten ist der Beschluß den Herren vom Militär mitgeteilt worden. General von Lüttwitz sagte daraufhin, er werde nun zum Reichspräsidenten selbst gehen. Weiter versicherte er, daß er entschlossen sei, die Verfassung zu achten. Daß nun jetzt gegen den Abg. Dr. Heinze der Vorwurf erhoben wird, er habe mittelbar bei den Vorbereitungen des Hochverrats mitgewirkt, das ist derartig unsinnig, daß es kaum verdient, ernsthaft zurückgewiesen zu werden. Abg. Dr. Heinze wird aber noch auf diese Dinge in seiner Rede in der Nationalversammlung ausführlich eingehen und die Verdächtigungen der Demokraten an den Pranger stellen.

In derselben Nummer der »Frankfurter Zeitung« ist gesagt, es würde interessant sein zu erfahren, wie oft Dr. Stresemann in diesen Putschtagen bei General von Lüttwitz, bei Ludendorff, bei Oberst Bauer und bei Herrn Kapp gewesen sei. Das kann ich mit ein paar Sätzen beantworten. Am Dienstagabend, d. h. am Tage vor seinem Sturz, bin ich vom General von Lüttwitz um eine Zusammenkunft gebeten worden, um die politische Lage zu besprechen. Ich habe dieser Einladung Folge geleistet, weil ich der Meinung war, daß unsere Aufgabe in erster Linie darin bestand, einen Bürgerkrieg zu verhüten. Am nächsten Tage habe ich des Morgens um 8 Uhr eine neue Einladung erhalten, in das Reichskanzlerpalais zu kommen, und ich habe dort außer den Deutschnationalen auch Herren vom Zentrum angetroffen, die der Einladung ebenfalls Folge geleistet hatten. Das sind die beiden Male gewesen, in denen ich Herrn von Lüttwitz und Herrn Kapp gesehen habe. Hieraus sieht man klar, daß die Demokraten die Tendenz verfolgen, koste es was es wolle, die Deutsche Volkspartei in diese Dinge hineinzuziehen, und man greift dabei zu Verdächtigungen und Verleumdungen. Demgegenüber muß es unsere Aufgabe sein, das reine Tatsachenmaterial der Öffentlichkeit zu unterbreiten.

Wie haben sich die Vorgänge selbst abgespielt? Am 13. März lasen wir des Morgens in den Zeitungen, daß ein Putsch bevorstehe, daß General von Lüttwitz bei der Regierung gewesen sei und ihr ein Ultimatum gestellt habe. Diese Mitteilung wurde alsbald durch die Nachricht überholt, die Regierung sei abgesetzt worden und eine neue habe sich gebildet. Wir haben daraufhin des Vormittags unsere Parteifreunde, die in Berlin weilten, versammelt, um zu dieser Lage Stellung zu nehmen. Wie stellten sich uns die Dinge dar? Draußen im Lande hat man vielfach gemeint, es habe sich bei dem Putsch um eine örtliche Berliner Angelegenheit gehandelt. Für uns sah sich die Sache aber doch wesentlich anders an und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Reichsregierung geflohen war. Uns stand als Tatsache vor Augen, daß ganz Preußen vom Osten bis zur Reichshauptstadt nach den ausgegebenen Mitteilungen hinter den neuen Machthabern stand. Auch das Militär, so wurde uns gesagt, stehe hinter Lüttwitz, und eine Reichsregierung war eben nicht mehr vorhanden, denn sie hatte die Flucht ergriffen. Das war die Situation, vor die wir gestellt waren, und die uns durch die weitere Mitteilung erhärtet wurde, der Oberpräsident von Ostpreußen, der Sozialdemokrat Winnig, habe sich hinter die neue Regierung gestellt. Uns schien aus dieser ganzen Lage die Notwendigkeit vorzuliegen, zu verhüten, daß entweder im Auftrag einer deutschen Regierung, wenn sich eine solche neu in Süddeutschland bilden sollte, deutsche Truppen gegen Berlin zögen, oder aber, daß sich ohne Bürgerkrieg Deutschland in zwei Regierungslager spalte, ein Vorgang, durch den das Reich hätte in Trümmer fallen müssen. Dazu kamen andere Erwägungen, die sich durch den weiteren Verlauf der Dinge bewahrheitet haben. Wir waren der Meinung, daß sich Herr Kapp und seine Anhänger nicht würden halten können. Aber wir sagten uns eins: Wenn diese Angelegenheit, die gegen unseren Willen und Wissen und gegen unsere stärksten Warnungen nun doch gekommen ist, in Schimpf und Schande zum Scheitern kommt, so darf sie nicht so zusammenbrechen, daß mit ihr auch unsere ganze Reichswehr zusammenbricht. Wenn eine Verständigung nicht gelingt, dann ist die Reichswehr unmöglich geworden, und wir bekommen den Übergang zum Bolschewismus. Denn es stand uns auch noch ein weiteres vor Augen, nämlich, daß jetzt ein Gegenstoß von links einsetzen würde, daß also der Kampf nicht mehr zwischen parlamentarischer und angemaßter Regierung gehe, sondern zwischen unseren alten Kultur- und Wirtschaftsformen und dem Bolschewismus. Wir haben festgestellt, daß Offiziere der russischen Roten Armee hier in Berlin geweilt haben, und daß Volksredner von Lenin nach Deutschland entsandt worden sind. Es sollte also die Entscheidungsschlacht des Bolschewismus geschlagen werden, und dazu wäre es in absehbarer Zeit auch ohne den Putsch des Herrn Kapp gekommen.

Von solchen Erwägungen gingen wir am ersten Tage aus, und wir einigten uns im Laufe unserer Besprechungen dahin: Sobald feststeht, ob die alte Regierung noch existiert, oder ob sich eine neue Regierung gebildet hat, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß in möglichst kürzester Frist der verfassungsmäßige Zustand wieder hergestellt wird, daß dann ein neues Ministerium gebildet wird als Koalitionskabinett auf breitester Grundlage, und daß innerhalb von sechzig Tagen Neuwahlen ausgeschrieben werden. Unser Standpunkt ist doch dadurch klar festgelegt worden, daß wir unseren Parteimitgliedern bei Strafe des Ausschlusses aus der Partei verboten, ein Amt von Herrn Kapp entgegenzunehmen. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist denn auch unsere Erklärung vom 13. März formuliert worden. Wenn behauptet wird, sie spreche eine Anerkennung der neuen Regierung aus, so ist dem entgegenzuhalten, daß sich die Angelegenheit von Süddeutschland aus wohl etwas anders ansah, als von Berlin aus. Die alte Regierung war nicht mehr vorhanden. Eine Regierung war da, die sich de facto auf die Macht stützte. Im November 1918 hat die Nationalliberale Partei ja auch mit der Regierung Ebert-Scheidemann verhandelt, weil diese eine de facto-Regierung war und keine andere Macht ihr gegenüberstand. Das war genau dieselbe Situation wie am 13. März. Im übrigen ist in unserer Erklärung ausdrücklich gefordert, daß die provisorische Regierung in eine verfassungsmäßige umgewandelt werden sollte, und es ist das Bekenntnis abgelegt zur organischen Entwicklung, die durchbrochen worden sei.

Aber nun frage ich doch: Sollen wir denn in ungerechter Weise objektiv sein? Ich empfinde es als eine Anmaßung, wenn Herr Scheidemann sich hinstellt und über Verfassungsbruch klagt. Diese Revolution, die in ihren Folgen ein unendliches Unglück für Deutschland sein kann, ist doch nur eine Frucht des Zusammenbruchs aller Autorität, der seit dem November 1918 eintrat. Niemals hätte die Mißstimmung gegen die Regierung so zersetzend wirken können, wenn nicht das alte deutsche Heer durch ein Söldnerheer ersetzt worden wäre, und wenn nicht alle Autorität gerade durch diejenigen umgestürzt worden wäre, die sich heute als die Hüter der Verfassung preisen. Es ist wohl eine geschichtliche Notwendigkeit, daß die November-Revolution eine Gegenrevolution von rechts zur Folge hatte, deren Unmöglichkeit ja nun klar erwiesen ist, wie es wohl auch eine geschichtliche Notwendigkeit ist, daß wir den Schlag von links aushalten müssen, der jetzt geführt wird.

In diesem Kampf gegen links stehen wir heute. Am 14. März setzte bereits der Generalstreik ein. Unzweifelhaft ist es, daß alle Angehörigen der Parteien, auf die sich die alte Regierung stützte, zu diesem Generalstreik geblasen haben, und zwar haben auch hier wieder die Demokraten einen großen Eifer gezeigt. Wir haben uns nicht nur nicht daran beteiligt, sondern den Generalstreik auf das schärfste verurteilt. Er ist das zweite Verbrechen, das in diesen Tagen am deutschen Volke begangen wurde. Man weiß nie, wann und in wessen Händen der Generalstreik endet. Wir haben deshalb unsere Aufgabe darin gesehen, durch Verhandlungen den Frieden herbeizuführen. Wir hatten mittlerweile aus Dresden die Mitteilung erhalten, daß die alte Regierung dort Schutz gefunden hatte, und zwar durch die Intervention des Abg. Dr. Heinze, eine Tatsache, die allein genügen dürfte, um den Unsinn der gegen uns gerichteten Vorwürfe zu beweisen. In vermittelndem Sinne haben auch andere unserer Freunde in dieser Zeit gearbeitet. Abg. Dr. Vogler hat damals eine Einigung des gesamten Industriereviers gegen Herrn Kapp zustandegebracht. Ich erwähne das auch aus dem Grunde, weil die Demokraten schon »feststellen« wollen, daß die Deutsche Volkspartei Gelder für den Putsch hergegeben habe. Da man dabei immer die Schwerindustrie zu beschuldigen pflegt, so darf man vielleicht darauf hinweisen, daß sie in der Bekämpfung des Herrn Kapp bis zur Kohlensperre gegangen ist. Und auch der Reichsverband der deutschen Industrie und die Arbeitsgemeinschaft haben in diesen Tagen ein neues Bekenntnis zur Arbeitsgemeinschaft abgelehnt und sich sofort auf den verfassungsmäßigen Boden gestellt.

Für uns in der Reichshauptstadt war die Situation am schwersten. Gewiß wäre es das einfachste gewesen, einen Protest zu erlassen und dann abzuwarten, wie die Dinge weiterlaufen würden. Aber das wäre nicht die Haltung verantwortungsbewußter Politiker gewesen. Wir haben uns deshalb vom Sonntag, den 14. März, ab an die Arbeit gemacht und nicht geruht bis zu der Stunde, in der die Situation so weit geklärt war, daß wir wieder verfassungsmäßige Zustände in Berlin hatten. Wir haben schon am Sonntag mit dem Zentrum verhandelt und wir haben auch der Sozialdemokratie vor Augen geführt, daß es sich nicht um einen Kampf zwischen der alten Regierung und Kapp handele, sondern um einen Kampf gegen den Bolschewismus. Leider hatten wir damit wenig Erfolg. Wir sind auch wegen dieser Tätigkeit vom »Berliner Tageblatt« in wahrheitswidriger Weise angegriffen worden. Es wurde behauptet, Herr Schiffer habe es abgelehnt, mit den Rebellen zu verhandeln, dagegen sei der Vorsitzende der Fraktion der Deutschen Volkspartei zu den aufrührerischen Generalen gegangen. Tatsächlich aber hat Herr Schiffer als Vertreter der alten Regierung hinter diesen Verhandlungen gestanden. Er hat damals erkannt, daß eine Einigung in Berlin erfolgen mußte, und er bediente sich unserer Vermittlung, die wir Beziehungen zu beiden Seiten hatten, um Verhandlungen herbeizuführen. Es ist also ganz falsch, wenn das »Berliner Tageblatt« jetzt behauptet, Herr Schiffer habe es abgelehnt, zu verhandeln. Ich bedaure es außerordentlich, daß Herr Schiffer in dieser Weise als Minister ausgeschieden ist. Er hat sich um die Beilegung des Konflikts Verdienste erworben, aber er hat nicht den Mut gefunden, sich zu diesen Verdiensten zu bekennen. Er hätte stolz darauf sein müssen, daß er bei diesen Vereinbarungen mitgewirkt hat. Wir haben keinen Grund, diese Verhandlungen abzuleugnen. Wir sind stolz darauf, an ihnen mitgewirkt und dazu beigetragen zu haben, sie zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Das demokratische führende Organ Badens, die »Neue Badische Landeszeitung« schreibt in diesem Sinne, das entschlossene Auftreten der Deutschen Volkspartei bei der Beilegung des Konfliktes in Berlin sei ein Verdienst, das ihr nicht geschmälert werden dürfe. Hier ist also die Auffassung wiedergegeben, die auch wir gehabt haben: Es muß zu einer Einigung kommen. Erst müssen verfassungsmäßige Zustände wieder hergestellt werden, um dann den gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus aufzunehmen.

Die Vereinbarungen, die zum Teil nach dem Diktat des Herrn Schiffer in Worte gefaßt worden sind, waren leider nach einigen Stunden von der Regierungsseite durchbrochen. Es begann ein anderer Wind zu wehen. Es begannen die Verhandlungen mit den Gewerkschaften und es folgte eine vollkommene Orientierung nach links, in der wir noch stehen und von der wir nicht wissen, wie weit sie führen wird. Augenblicklich stehen jedenfalls wir auf dem Boden der Verteidigung der Verfassung, wenn wir uns dagegen wenden, daß die Abmachung mit den Gewerkschaften die Grundlage unserer zukünftigen Regierungsform werden dürfte. Die Verhältnisse in Deutschland entwickeln sich mit photographischer Treue wie die in Rußland. Genau wie man bei uns Truppen entwaffnet und Arbeiterbataillone schaffen will, genau so hat es Kerenski gemacht, und Lenin war sein Nachfolger. Wenn es so weitergeht, dann ist der Bolschewismus das Meer, in dem wir schließlich ertrinken. Daß die Unabhängigen diesen Weg gehen, und daß die Sozialdemokratie nach ihrem jahrzehntelangen Kampf gegen den Militarismus Mißtrauen hegt, das ist mir schließlich verständlich. Daß diesen beiden aber die Demokratische Partei zur Seite steht, und daß sie das alles mitmacht, das ist eine Verleugnung der Interessen des Bürgertums. Der demokratische Parteivorsitzende Petersen hält jetzt die Stunde für gekommen, um in Berlin in einer öffentlichen Rede zu sagen, daß er sich der meineidigen Offiziere schäme. Kann man das Heer wirksamer zersetzen als durch solche Angriffe? Kann man sich da wundern, wenn Offiziere im Kampf gegen den Bolschewismus wankend werden sollten?

Die Entwicklung der Gewerkschaften rückt stark nach links. Der Abg. Legien hat den stärksten Radikalismus gepredigt. Der Einfluß der Gewerkschaften bedeutet also eine verstärkte Gefahr. Das um so mehr, wenn das Heer weiter so zersetzt und zermürbt wird, wie es bisher geschehen ist. Deshalb müssen wir dafür eintreten, das Heer zu stärken und auch seelisch zu unterstützen. Unsere zweite Aufgabe aber ist, dafür zu sorgen, daß wieder ein autoritativer verfassungsmäßiger Körper gewählt wird. Das kann nur ein neugewählter Reichstag sein. Wenn wir nicht dafür sorgen, daß in kürzester Frist ein Reichstag vorhanden ist, dann fehlt uns ein Kristallisationspunkt, und dann fürchte ich, daß die Reichseinheit auf das schwerste bedroht ist. Darum müssen wir darauf dringen, daß bis zum Juni Neuwahlen stattfinden.

Und noch ein anderes. Wir müssen eine Ablenkung der Massen versuchen gegenüber dem Bolschewismus. Ich würde es sehr bedauern, wenn die Entwicklung dahin ginge, daß auch nur vorübergehend das Parlament durch eine Räteregierung ersetzt werden würde, denn aus dieser Entwicklung würden die Arbeitgeber sehr bald herausgedrängt sein. Es ist aber doch ein großer Fehler der Regierung, daß sie alles nur auf die formale Demokratie eingestellt und den gärenden Berufsinstinkten der Masse kein Ventil geschaffen hat. Wir müssen deshalb mit Entschiedenheit fordern, daß eine Kammer der Arbeit neben dem Parlament gebildet wird.

Und dann ein weiteres: Welche Gelegenheit wäre jetzt geboten, um deutsche Außenpolitik zu treiben! Immer ist uns entgegengehalten worden, der Bolschewismus ist nur eine Erfindung, um eine Milderung des Versailler Friedens zu erreichen. Jetzt müßte gerade eine sozialistische deutsche Regierung sich auf den Standpunkt stellen: Das ist euer, der Entente, Werk, ihr habt die Pflicht, das wieder gutzumachen, was ihr in Versailles verbrochen habt, denn es geht um eure Interessen. Und dieser Versuch mußte gerade in unseren Tagen gemacht werden, denn für die Frage, ob europäischer Bolschewismus oder alte Kultur, ist die deutsche Wirtschaftslage entscheidend. Wenn wir wieder genügend Arbeit, annehmbare Entlohnung und bessere Ernährung haben, dann ist der wichtigste Hemmschuh gegen den Bolschewismus eingeschaltet.

Wenn wir nun neue Wahlen bekommen: unter welchen Gesichtspunkten sollen wir sie führen? Wie stehen wir als Partei und wie stehen die Gesamtaussichten? In unseren Tagen geht die Zeit im Sauseschritt und vielleicht schon in ein paar Tagen stehen ganz andere Dinge im Vordergrund als die Kappsche Episode. Die Demokratie steht heute schon in der Defensive. Im Lippeschen Landtag haben die Demokraten nach Mitteilungen unserer Parteifreunde eine Interpellation gegen den Generalstreik eingebracht, und noch mehr als von ihnen wird die Demokratische Partei von ihren Münchener Parteifreunden desavouiert, die in ein Kabinett eingetreten sind, das auch auf dem Wege der gewaltsamen Staatsumwälzung und unter Ausschluß der Sozialisten gebildet worden ist. Die Klarheit wird kommen, wenn dem Bürgertum erst klar ist, daß es sich um seine Existenz gegen den Bolschewismus handelt, und daß wir über das Kontrollorgan der Gewerkschaften in die Diktatur des Proletariats einzumünden drohen. Dann wird es wissen, was es von den einzelnen Parteien zu halten hat. Wir werden Zuzug von beiden Seiten bekommen, von rechts und von links. Man wird auf der rechten Seite einsehen, daß wir mit unserer Ablehnung der Verschmelzung im Rechte waren, und auf der anderen Seite deutet alles darauf hin, daß der Abmarsch aus dem demokratischen Lager sehr erheblich ist. Man erkennt immer mehr: Was wir brauchen, das ist eine Partei des freiheitlichen deutschen Volkstums, die ebenso jede Reaktion bekämpft, wie sie einen scharfen Trennungsstrich führt gegen den Sozialismus und den allerschärfsten Kampf gegen den Bolschewismus. Nach einer solchen Partei lechzt man geradezu im Bürgertum, Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß unsere Partei zu einem solchen Sammelpunkt aller aufbauenden und freiheitlichen Volkskreise wird, denn eine solche Sammlung ist das dringendste Gebot der Stunde.


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