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Rede in der Stadthalle zu Osnabrück 19. 12. 1918
Wir sind gegenwärtig ein Volk in Not. Wir stehen vor einem schweren Niederbruch all unserer Hoffnungen und Erwartungen. Ich darf sagen, aller unserer Hoffnungen und Erwartungen, denn selbst diejenigen, die dem Kriegsausgang skeptisch gegenüberstanden, haben niemals erwartet, daß ein derartiger Waffenstillstand, daß derartige Friedensbedingungen, wie sie uns voraussichtlich auferlegt werden dürften, uns jemals beschieden sein könnten. Aber wir dürfen über dem, was uns bedrückt, nicht vergessen, den Blick in die Zukunft zu richten und am Wiederaufbau unseres Vaterlandes mitzuarbeiten. Zwei Wege zeigen sich zu solchem Aufbau.
Die einen stellen sich auf den Standpunkt: Was vergangen ist, kehrt nicht wieder, das sog. alte System war vollkommen morsch und faul und ist zusammengebrochen an seinen eigenen Sünden. Wir wollen ein neues Deutschland aufbauen nach ganz neuen Grundsätzen, wir brauchen keine Fundamente der Vergangenheit dazu, sondern, wenn es wohnlich sein soll für das deutsche Volk, dann muß das neue Deutschland von neuen Baumeistern gebaut werden auf neuem Grund, mit neuem Material. Die andern sagen: Die Lehren der Vergangenheit sind dazu da, damit man aus ihnen lernen soll, um aus der Erkenntnis dessen, was die Geschichte uns lehrt, Lehren zu gewinnen für die Zukunft. Niemals hat sich der Übergang eines Volkes von einer Regierungsform in die andere so vollzogen, daß zwischen Vergangenheit und Gegenwart keine Brücke mehr bestand. Laßt uns hinwegtun, was sich nicht bewährt hat, aber laßt uns hinübernehmen in die Zukunft, was bestehen geblieben ist in seiner Wertung für unser Volksleben, für unsere Wirtschaft.
Um Ihnen über meine Stellungnahme keinen Zweifel zu lassen, bekenne ich zunächst, daß ich durchaus zu den Anhängern dieser zweiten Anschauung gehöre, daß ich der Meinung bin, daß wir uns nun nicht bei all dem rasenden Tempo der Entwicklung der Verhältnisse, das wir durchmachen, von den Sensationen der Gegenwart dahin treiben lassen dürfen, alles, was in der Vergangenheit dagewesen ist, restlos als nicht mehr bestehend anzusehen und nicht anzuerkennen, daß neben manchem, das nicht mehr des Bestehens wert war, auch manches Bewährte und Gute hinweggeschwemmt worden ist von der Flut der Revolution.
Lassen Sie uns deshalb von diesem Standpunkt aus, ehe wir Gegenwart und Zukunft erörtern, einen Blick auf die Vergangenheit werfen. Ich ergreife dazu um so lieber die Gelegenheit, weil doch eine Legendenbildung bei uns eingesetzt hat, die manches in einem falschen Lichte zeigt, und weil diejenigen, die in den Parteien führend diese letzte Zeit erlebt haben, manches mit anderen Augen anschauen, als der Betrachter im Lande.
Die Zeiten, die wir durchleben, haben manche seltsame Charaktererscheinungen gezeitigt. Manche Leute, die vordem stolz waren auf ihre Hoflieferantenwappen, waren die ersten, die es mit rotem Tuch umhüllten; manche, die Byzantiner waren in der Zeit des Kaisertums, sind sehr schnell zu Byzantinern des republikanischen Gedankens geworden, als er das Kaisertum verdrängt hatte; manche, die zu denen aufsahen, die Führer unseres Volkes waren, als es noch auf der Höhe der Macht stand, werfen nun Steine auf sie, nachdem sie ihre frühere Macht nicht mehr besitzen. Es ist für mich kein erfreuliches Zeichen, daß jetzt so viele Denkschriften von Staatsmännern erscheinen, die alle zu beweisen versuchen, daß sie es nicht gewesen seien, die irgend schuld seien an dem Zusammenbruch, und ihre Anklagen gegen einen Mann richten, der bisher darauf verzichtet hat, zu antworten. Ich darf mich gegenüber der Einseitigkeit, mit der hier Vorwürfe auf einen Mann, der das Hirn unserer Heerführung gewesen ist, geschleudert werden, auf ein objektives Urteil beziehen, das in einer sozialdemokratischen Zeitung, in der »Glocke«, gestanden hat. Ein Sozialdemokrat hat an dieser Stelle vor wenigen Wochen gesagt: »Ob wirklich die Welt und die Geschichtsschreibung einstmals Ludendorff verdammen oder ob sie ihm den ewig grünen Lorbeerzweig eines der hervorragendsten Feldherren der Weltgeschichte um die Stirn winden wird, das wollen wir heute nicht entscheiden, sondern das wollen wir der Geschichtsschreibung der Zukunft überlassen.« Denn eines wird so vielfach jetzt ganz falsch dargestellt, es wird so dargestellt, als habe dieser Feldherr kein Augenmaß gehabt für das Erreichbare, als sei er in blindem Siegesvertrauen immer vorwärtsgegangen, bis er plötzlich vor dem Abgrund gestanden habe. Die das sagen, wissen vielleicht das Eine nicht, daß es Ludendorff war, der vor der Frühjahrs-Offensive der Regierung nach der Reichshauptstadt schrieb, er brauche mehr Truppen, er müsse dringend ersuchen, die Altersgrenze hinaufzusetzen, er müsse dringend ersuchen, mit dem Reklamiertenwesen in der Heimat aufzuräumen, er lehne die Verantwortung ab, wenn diese Forderungen nicht erfüllt würden.
Trotz dieser seiner Mahnung hat man nicht gewagt, diese Schritte zu tun. Als die Frühjahrs-Offensive trotzdem mit dem glänzenden Siege unserer Truppen endete, als wir vor Compiegne standen, als unsere Kanonen Paris bedrohten, da hat derselbe Ludendorff Parteiführern sagen lassen: Wir haben glänzend gesiegt, aber ob wir noch einmal siegen werden, wenn es sich erneut um die Entscheidung des Weltkriegs handelt, das vermag ich nicht zu garantieren. Jetzt sind wir auf der Höhe unserer militärischen Erfolge. Schließt Frieden, wenn Ihr könnt.
Damals habe ich, dem man vorwirft, daß ich unerreichbare Kriegsziele aufgestellt hätte, in einer Rede am 26. Juni 1918, als wir auf der Höhe unserer militärischen Erfolge standen, im Namen der Nationalliberalen Reichstagsfraktion in scharfer Abgrenzung gegenüber dem Grafen Westarp erklärt: Meine politischen Freunde halten den Krieg nicht für verloren, wenn dieses oder jenes Kriegsziel nicht erreicht wird, sondern wir sind bereit, die Verantwortung für den Frieden auf uns zu nehmen, wenn er geschlossen werden kann, und wir werden die Oberste Heeresleitung und die Regierung unterstützen in dem Bestreben, zum Frieden zu kommen.
Damals hat die »Frankfurter Zeitung«, die mich jetzt so heftig angreift, gesagt, es sei doch bedeutsam, daß der Führer der Nationalliberalen angesichts dieser militärischen Kriegslage auf Kriegsziele verzichte und zum Frieden mahne. Die Zeitung hat hinzugefügt: »Bei den Beziehungen Dr. Stresemanns zur Obersten Heeresleitung dürfen wir wohl annehmen, daß er diese Rede nicht gehalten hätte, wenn er sich nicht in Übereinstimmung mit der Obersten Heeresleitung befände.« Ich möchte das deshalb anführen, weil man, glaube ich, in der Öffentlichkeit zweierlei miteinander verwechselt, nämlich einmal Reden, in denen der Siegesgedanke hervorleuchtet, und Reden, in denen Kriegsziele aufgestellt werden. Von Kriegszielen hinsichtlich des Westens, die wir uns gewünscht hätten, wenn sie möglich gewesen wären, sind wir abgerückt in einem Augenblick, in dem wir militärisch so glänzend standen wie nie, in dem Rußland niedergeworfen war und Paris vor Deutschland zitterte, weil wir das, was erreicht worden war, nicht aufs Spiel setzen wollten, gegenüber dem, was verlorengehen könnte. Aber, etwas anderes ist es, ob man den Siegesgedanken als solchen nach außen hin zum Ausdruck bringt. In derselben Rede, in der ich die Regierung zum Frieden gemahnt habe, in unmißverständlichen Worten, habe ich der festen Überzeugung vom deutschen Siege Ausdruck gegeben gegenüber dem Staatssekretär von Kühlmann, der diesen Sieg bezweifelte. Denn ich halte es für unmöglich, einem Heere vor der entscheidenden Schlacht zu sagen, daß es nicht siegen könne. Es war eine vollkommene Unmöglichkeit, ein Heer zu führen und es zum Siege zu bringen, wenn ihm vorher gesagt wurde, daß der Sieg unmöglich sei. Das hat noch niemals irgend ein Feldherr getan, das hätte ja den vollkommenen Niederbruch der Stimmung bedeuten müssen, ehe überhaupt die Entscheidung gefallen war. Wie denken sie sich denn die Stimmung eines Heeres, dem man vor der entscheidenden Schlacht sagt, ihr werdet bluten, ihr werdet sterben, aber siegen könnt ihr nicht! Damals war es ja gerade die Oberste Heeresleitung, die uns auch im Hauptausschuß sagen ließ, daß der Zweifel an der Siegesmöglichkeit zu einem furchtbaren Stimmungs-Niederbruch im deutschen Heere führe und daß sie die größten Bedenken hinsichtlich der Wirkungen habe, die von Reden ausgingen, in denen der Zweifel an der Siegesmöglichkeit ausgesprochen werde. Vergleichen Sie doch hier einmal die Taktik unserer Gegner mit unserer eigenen.
Damals stand es um Frankreich außerordentlich schlecht, und trotzdem ging Clemenceau in die Kammer und sagte den Abgeordneten: Es steht glänzend! Derselbe Clemenceau, der das richtige Wort gesprochen hat: In diesem Weltkriege, in dem ganze Völker miteinander ringen, nicht nur die Heere, da wird dasjenige Volk den Sieg davontragen, das eine Viertelstunde länger als das andere an seinen Sieg glaubt!
Wir haben inzwischen aber über die Möglichkeiten, unter denen wir zum Frieden gelangen konnten, ein klassisches Zeugnis erhalten in den Darlegungen, die der frühere österreichische Ministerpräsident, Graf Czernin, kürzlich gemacht hat, und die leider von der deutschen Presse nur stückweise wiedergegeben worden sind. Graf Czernin, der am Siege verzweifelte, der aber trotzdem niemals öffentlich seinen Zweifel zum Ausdruck gebracht hat, erklärte dem Sinne nach in einer Rede, die in der »Neuen Freien Presse« im Wortlaut jedem zugänglich ist: »Ich habe mich bemüht, den Frieden zu erreichen und wollte ihn erreichen auf der Grundlage des vorkriegerischen Besitzstandes Deutschlands, das heißt ich wollte den Verständigungsfrieden erreichen ohne Gebietsabtretung. Das ist mir nicht gelungen. Man war zwar bereit, Österreich-Ungarn einen Sonderfrieden zu gewähren. Aber man erklärte in der Entente, daß es gegenüber Deutschland nur das eine gäbe: Deutschlands Vernichtung.«
Gegenüber einem solchen Vernichtungswillen aber gibt es nur eins, zu kämpfen bis zum letzten, um diese Vernichtung abzuwehren. Und wenn ich fortfahren darf, in bezug auf das, was dann zu dem Waffenstillstands-Angebot geführt hat, auf das, was man hingestellt hat als den seelischen Zusammenbruch Ludendorffs, der plötzlich an allem verzweifelt sei, so darf ich darauf hinweisen, daß Ludendorff im August 1918 erneut zum Frieden geraten hat, daß am 23. August die Parteiführer bei Herrn von Hintze waren, der uns damals erklärte, er würde alle Fäden anknüpfen, um zum Frieden zu gelangen, daß aber alle Bemühungen, zum Frieden zu kommen, vergeblich gewesen sind, wie vorher. Dann kam der Oktober, als die Oberste Heeresleitung den Wunsch nach Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen aussprach. Sie hat das nicht damit begründet, wie in der Öffentlichkeit vielfach gesagt wird, daß die Front keine Stunde mehr hielte. Dieser Ausspruch ist später von einem politischen Minister getan worden. In dem uns vorgelegten Exposé der Obersten Heeresleitung war gesagt, unsere Verluste seien so groß, daß die Oberste Heeresleitung angesichts der Unmöglichkeit, anders, als sich rückwärts konzentrierend zu kämpfen, die Verantwortung für diese Verluste nicht mehr übernehmen wolle und aus diesem Grunde den Waffenstillstand empfehle. Dabei brachte sie aber gleichzeitig zum Ausdruck, sie könne an sich den Kampf weiterführen bis ins nächste Frühjahr und kämpfend langsam an den Rhein zurückgehen, und sie hoffte, daß, wenn uns unerträgliche Waffenstillstandsbedingungen gestellt würden, das deutsche Volk dann aufflammen und den letzten Kampf mit alter Begeisterung aufnehmen würde.
Wir haben dann gesehen, daß diese letzte Hoffnung trog, zu tief war bei uns bereits der Niederbruch der Stimmung gegangen. Daraus entsprang die Annahme von Waffenstillstandsbedingungen, an die die Oberste Heeresleitung damals nicht gedacht hat. Es kam allerdings hinzu die mangelnde diplomatische Vorbereitung des Schrittes des Waffenstillstandes und daß sofort das Wort von der Front, die nur noch Stunden hielte, durch die Lande ging, daß daraufhin unsere Bundesgenossen restlos zusammenbrachen, da auch zu ihnen die Darstellung übergriff, daß Deutschland militärisch nicht mehr weiter könne, das Deutschland, das doch der Kern des ganzen Bundes der Mittelmächte war, und das sie alle als den Hort ihrer Rettung, ihrer nationalen Sache ansahen, an den sie sich anklammerten. Der Weg, den wir von da ab gegangen sind, dieser Weg des Schmerzes und der Demütigung ist ja noch gar nicht ausgeschöpft bis zu Ende.
Leicht ist es, den Stein auf diejenigen zu werfen, die den Glauben an den deutschen Sieg gehabt haben. Aber wenn man das will, dann soll man doch auch so ehrlich sein, zuzugestehen, daß dieser Glaube an den deutschen Sieg Gemeingut der übergroßen Mehrheit des deutschen Volkes war, und daß, wenn dieser Glaube an den Sieg ein Verbrechen gewesen ist, Millionen der Besten des deutschen Volkes dieses Verbrechens sich schuldig gemacht haben. Und wenn diejenigen Illusionisten gescholten werden, die auch der festen Überzeugung waren, daß, wenn der letzte Kampf noch einmal gewagt worden wäre, der Sieg sich an unsere Fahnen geheftet hätte, dann sind Illusionisten doch auch diejenigen samt und sonders gewesen, die uns gesagt haben, wir brauchten nur die Hand auszustrecken zur Verständigung, um sofort als gleichberechtigtes Glied in den großen Völkerbund aufgenommen zu werden. Es sei der Wille unserer Feinde, einen Frieden des Rechts und der Gerechtigkeit mit uns zu schließen. Wo ist dieser Friede des Rechts und der Gerechtigkeit? Wir stehen vor dem furchtbarsten Gewaltfrieden, dem jemals ein Volk unterworfen worden ist. Und auch der Präsident der Vereinigten Staaten, auf den so viele ihre ganze Hoffnung gesetzt haben, hat ja erst vor kurzem erklärt, Deutschland müsse erst jahrelang Buße tun, ehe es verlangen könne, als gleichberechtigtes Volk neben anderen angesehen zu werden.
Wenn es möglich war, daß eine derartige Stimmung in der Welt uns gegenübersteht, so sind wir allerdings daran selbst nicht unschuldig. Denn wir erleben ja bis in die Gegenwart, daß wir fortgesetzt und mit Vorliebe den Dolch gegen die eigene Brust richten, daß wir uns in Selbstanklagen gegen das deutsche Volk erschöpfen und unseren Gegnern das Material liefern, mit dem sie unsere Schuld vor der Welt konstruieren.
Was soll das bedeuten, wenn der jetzige bayrische Ministerpräsident kürzlich Aktenstücke veröffentlichte, mit denen er den Nachweis führen will, daß Deutschland diesen Weltkrieg vorbereitet habe, daß es Österreich in den Kampf gegen Serbien hineingestoßen habe. Es ist doch eine etwas allzu naive Auffassung, anzunehmen, daß dieser Weltkrieg entstanden sei in der Zeit vom 1. Juli bis 30. Juli 1914. Man darf doch den äußeren Anlaß niemals mit der inneren Ursache verwechseln. Die innere Ursache dieses Weltkriegs war doch der Weltbund gegen Deutschland, der sich gegen Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg richtete, das war das Verhalten Englands, das Erstarken der alten haßerfüllten Revancheideen Frankreichs, das war der russische Drang nach Konstantinopel, der in dem Bündnis Rußlands mit Frankreich, in dem Bündnis der russischen Revolution mit der zaristischen Autokratie zum Ausdruck kam. Warum sprechen wir nicht davon, daß sibirische Truppen schon auf dem Wege nach Deutschland waren, ehe noch die Kriegserklärung an Deutschland ergangen war. Weshalb sprechen wir nicht davon, daß Frankreich Rußland eine Anleihe von Hunderten Millionen gegeben hat zu dem Zweck, strategische Bahnen nach Ostpreußen zu bauen, und daß andererseits Frankreich die Gegenleistung übernommen hatte, die dreijährige Dienstzeit wieder einzuführen. Wenn wir den Krieg gewollt hätten, dann würden wir, das Volk der Organisation, ihn wohl besser organisiert haben. Dann würden wir nicht im Juli 1914 noch Hunderttausende von Doppelzentnern Getreide ins Ausland geschickt haben, dann würden unsere Vorräte an Chilesalpeter nicht so klein gewesen sein, daß wir ohne die inzwischen gemachten großen Entdeckungen der Chemie in unserer Munition zusammengebrochen wären, Dann hätten wir wohl nicht so viele unserer größten und schönsten Schiffe im Hafen von New York liegengehabt.
Nach meiner Meinung hätten die Regierung und alle diejenigen, die es gut meinen mit Deutschland, jetzt die eine Pflicht, für ihr Vaterland einzutreten gegen die Beschuldigungen der Entente, anstatt unseren Feinden selber das Material zu liefern, mit dem sie uns als schuldig am Weltkrieg hinstellen können. Denn wenn die furchtbaren Friedensbedingungen, die man uns bieten wird, damit begründet werden, daß wir schuldig am Weltkriege wären, dann schaffen wir uns doch selber diese Bedingungen, wenn unsere Ministerpräsidenten jetzt derartiges Material veröffentlichen, wie es der Herr Kurt Eisner in München tat. Wir zerfleischen uns selbst vor der Welt in dem, was wir deutsche Objektivität nennen. Wir sind nach wie vor diejenigen, die, niederkniend vor dem Ausland, nur dessen Größe sehen, des eigenen Volkes nicht achten und damit unser Schicksal selber erschweren. Deshalb müssen wir bei dem Wiederaufbau unseres Volkes und unseres Reiches uns davor schützen, nun lediglich unsere Hoffnung auf den Geist kosmopolitischer Auffassungen zu setzen, der heute in Deutschland umgeht, und der ja dann berechtigt wäre, wenn er ein Echo bei den anderen fände.
Ich darf mit einem Wort zurückkommen auf das, was gegen die frühere Nationalliberale Partei und ihre Führung in bezug auf die Kriegsziele gesagt wird. Wenn man darauf hinweist, daß man sich in dem Erreichbaren geirrt habe, so ist das richtig, aber dann möge man doch einmal sagen, welche Partei in diesem weltgeschichtlichen Erleben sich nicht geirrt hätte. Ich habe doch die Erklärung mitgemacht, die der Abgeordnete Spahn für sämtliche Parteien und auch für die Fortschrittliche Volkspartei abgegeben hat, in der erklärt wurde, Belgien müsse militärisch, wirtschaftlich und politisch fest in unserer Hand bleiben. Herr Erzberger sagte: Belgien geben wir nicht wieder heraus, denn das ist unser festes Bollwerk gegenüber England, Der Friede von Brest-Litowsk, der als Gewaltfriede hingestellt wird, der uns die alten deutschen Ostseeprovinzen bringen sollte, hat ja die Zustimmung aller bürgerlichen Parteien gefunden. Wie kommen denn die Herren Demokraten dazu, jetzt auf diejenigen zu schelten, die für Annexionen im Osten gewesen seien. Das Vorstandsmitglied der Demokratischen Partei, der frühere Vizekanzler v. Payer, hat noch vierzehn Tage vor dem militärischen Zusammenbruch im Hauptausschuß gesagt, er halte in bezug auf den Frieden von Brest-Litowsk an dem alten, guten deutschen Sprichwort fest: Halte, was du hast. Er denke gar nicht daran, unsere Eroberungen im Osten wieder herzugeben. Ja, wenn wir uns geirrt haben über das militärisch Erreichbare, dann sei man doch so ehrlich, zuzugestehen, in wie weitgehendem Maße wir uns alle geirrt haben. Man beruft sich darauf, man habe schon im Juli 1917 eingesehen, daß die Dinge so keinen guten Ausgang nähmen. Aber Herr Müller-Meiningen, der ja auch zur Demokratischen Partei gehört, hat noch im Jahre 1918 eine Broschüre herausgegeben, in der er beweisen will, daß die Erklärung vom 19. Juli Annexionen und Kriegsentschädigungen gar nicht ausschließe. Er hat seine Freunde dagegen verwahrt, daß sie darauf verzichten wollten. Es ist doch auch noch nicht allzu lange geschichtlich her, daß Herr Scheidemann zu mir kam im Reichstag und sagte: »Herr Stresemann, wenn Sie noch einmal behaupten, ich hätte den Satz ausgesprochen »jeder trage seine eigene Last«, dann werde ich handgreiflich. Diesen Unsinn habe ich niemals gesagt.« Also auch Herr Scheidemann nahm damals den Standpunkt ein, den unter den damaligen Verhältnissen der gesunde Menschenverstand forderte, vertrat auch den Gedanken, daß ein Sieg von uns genutzt werden müsse für Ausdehnung des deutschen Einflusses, der deutschen Macht und Größe, so wie noch jedes Volk in der Weltgeschichte nach einem Siege, der mit solchen Opfern erkauft werden mußte, seinen Vorteil ausgenutzt hat, und wie es heute unsere Feinde tun in einem Maße, das uns nie in den Sinn gekommen wäre. In diesem Gedanken sind auch einig gewesen alle unsere wirtschaftlichen Organisationen. Man stellt es jetzt vielfach gern so hin, als sei es besonders sündhaft gewesen, den Gedanken an eine Ausdehnung des deutschen wirtschaftlichen Einflusses nach außen hin zu vertreten. Aber unsere wirtschaftlichen Verbände hatten sich doch selbst darüber verständigt, was erreicht werden sollte, und zu diesen Verbänden gehörte auch der Deutsche Bauernbund mit Dr. Böhme und Wachhorst de Wente, der alle diese Forderungen nach Ausdehnung der wirtschaftlichen Macht Deutschlands genau so vertreten hat, wie der Zentralverband Deutscher Industrieller. Angriffe gegen uns, die wir uns geirrt haben sollen, können also nur berechtigt sein von denjenigen, die einen anderen Standpunkt stets eingenommen haben, nicht aber sind zu Vorwürfen berechtigt diejenigen, die unseren Standpunkt bis zum letzten Augenblick mit uns zusammen vertreten haben.
Nun lassen Sie mich zu dem kommen, was man den Zusammenbruch des alten Systems nennt. Das alte System in Deutschland ist praktisch zusammengebrochen durch die Revolution, aber wir müssen doch die Tatsache untersuchen, was daran mit Recht zusammengebrochen ist. Wir in der Nationalliberalen Partei waren nicht blinde Anhänger dieses alten Systems. Ich darf aus der Geschichte unserer Partei daran erinnern, daß die ersten Interpellationen über das persönliche Regiment des Kaisers von dem mir unvergeßlichen Führer und Freunde Ernst Bassermann ausgingen. Er hat damals, zur Zeit des Fürsten Bülow, schon den Finger auf die Wunde gelegt und erklärt, es ginge nicht mehr an, daß der Kaiser persönliche Politik treibe, es sei nötig, daß der Kaiser sich im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Kompetenzen hielte. Ich erinnere daran, in welcher Weise Bassermann unsere Engherzigkeit in der Auswahl unserer diplomatischen Vertreter geißelte, und ich darf daran erinnern, wie oft ich selbst demselben Gedanken von der Tribüne des Reichstags aus Ausdruck gegeben habe. Mir steht heute noch vor Augen jener Disput lange vor dem Kriege, den ich mit Herrn von Schoen hatte, als ich ihm nachwies, in welcher Weise die Verachtung des bürgerlichen Elements in unserer Diplomatie und in der Regierung Platz griffe. Ich habe nachgewiesen, daß wir daran unter einem Erbübel litten, daß wir die Fähigkeiten zu gering und die gesellschaftliche Repräsentierungsfähigkeit zu hoch einschätzten, daß wir unter allen unseren Gesandten nur drei bürgerliche hätten und daß diese drei bürgerlichen Gesandten sich auf Plätzen befänden, von denen man glauben mochte, daß es dort nichts zu repräsentieren gäbe. Der eine dieser Gesandten saß in Lima, der andere in Asuncion, der dritte in Addis Abeba. Damals habe ich neben diesen Dingen, die ins Humoristische schillern, immer wieder darauf hingewiesen, daß man in der Auswahl unserer Diplomaten nicht dem Zuge der Zeit folge, daß sie in Kreisen verkehrten, die keinen politischen Einfluß hätten, daß sie nicht wüßten, welche Macht jetzt in der öffentlichen Meinung die Presse bedeute, und daß sie sich oft fern hielten vom Verkehr mit maßgebenden Politikern und Parlamentariern, während das entgegengesetzte Verfahren unseren Feinden fortgesetzt große Erfolge brachte. Ich habe noch während des Krieges mich mit Erfolg darum bemüht, einen Botschafter von seinem Posten zu entfernen, nachdem ich im Auslande gesehen, wie er die Vertretung der deutschen Interessen auffaßte. Vor dem bulgarischen und österreichischen Zusammenbruch habe ich die Regierung beschworen, einen Wechsel in Wien eintreten zu lassen, nachdem ich das Telegramm kennengelernt hatte, in dem unser Vertreter in Wien die Höhe seiner Auffassung dokumentierte, indem er meldete: »Wir nehmen an, daß Bulgarien zur Entente gehen wird. Man lege dieser Tatsache aber keine entscheidende Bedeutung bei.« Wir hatten damals alle die Empfindung: finis germaniae. Und von dieser Stelle eine solche Auffassung!
Die Überspannung des Prinzips des Gesellschaftlichen haben wir andererseits ebenso beobachten können in unserem Heere, im Offizierkorps untereinander und im Verhältnis des Offizierkorps gegenüber den Mannschaften. Militärs, die man in Potsdam nicht mehr sehen wollte, wurden, gewissermaßen zur Strafe, nach der Ostmark oder nach der Westmark geschickt, während doch, nach der Leistung gemessen, ein Posten an der russischen oder französischen Grenze mindestens so wichtig war, als in Berlin. Wir haben für das Verhältnis zwischen Mannschaften und Offizierkorps nichts davon gelernt gehabt, was einst einer der größten Schlachtenmeister und eines der größten politischen Genies aller Zeiten, Napoleon I., der in unserer Geschichtsauffassung vielfach sehr falsch dargestellt wird, genau so, wie die englische Legende deutsche Gestalten der Gegenwart durch die Northcliffe-Brille sieht, befolgt hat. Napoleon hat seine weltgeschichtlichen Erfolge dadurch erzielt, daß er den Aufstieg der Tüchtigen ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Traditionen möglich machte. Frühzeitiger, als durch andere bürgerliche Parteien ist der Gedanke, daß dem Parlament als der Vertretung des Volkes eine größere Bedeutung gegeben werden müsse, als sie bis dahin in Deutschland üblich war, durch die Nationalliberale Partei zur Geltung gebracht worden. Ich habe im Februar 1917 eine Rede für die Einführung des parlamentarischen Systems in Deutschland gehalten und bin Gegenstand heftigster Anfeindungen wegen meiner demokratischen Gesinnung gewesen. Ich habe auch auf die Gestalt Lloyd Georges hingewiesen, der aus dem Volke emporgestiegen war als der gewaltigste Organisator des Weltkrieges, vor dem unser altes System der Munitionserzeugung scheiterte, nachdem England seine Herstellung von Munition in der Zeit versiebzehnfachte, in der die unsrige zeitweilig vermindert wurde. Das geschah in einer Zeit, als es uns bei unseren kolossalen Hilfsmitteln nach eigenem Urteil englischer Parlamentarier möglich gewesen wäre, die englischen und französischen Streitkräfte durch eine Massenverwendung von Munition niederzukartätschen. Wir taten in der Munitionserzeugung nichts, den von England gewonnenen Vorsprung einzuholen, bis Hindenburg und Ludendorff das Hilfsdienstgesetz schufen. Immer dringender forderten wir, dem Parlament eine andere Stellung zu geben, auch Parlamentarier als Minister zu berufen. In meiner Rede vom Frühjahr 1917 habe ich dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg gesagt: Bringen Sie uns das gleiche Wahlrecht in Preußen, jetzt wird es Ihnen und dem Könige noch gedankt. Lassen Sie sich nicht so lange drängen, bis Ihnen die Initiative aus der Hand genommen wird. Denn es kann auch eine Zeit kommen, in der es Ihnen niemand mehr danken wird, sondern in der es sich das Volk selber nimmt. – Ich darf wohl für mich in Anspruch nehmen, daß ich mich, während ich mich zum nationalen Gedanken bekannte und zum Glauben an den deutschen Sieg, dessen ich mich niemals schämen werde, auch jederzeit für die Erweiterung der Volksrechte eingesetzt und früher die Zeichen der Zeit erkannt habe, als andere, die mich lange Zeit nur ziemlich lau unterstützt hatten.
Man hat davon gesprochen, daß die Oberste Heeresleitung sich der Auflösung des Abgeordnetenhauses im Zusammenhang mit der Wahlrechtsfrage widersetzt hätte, weil sie Angst gehabt hätte, der Geist der Truppen könne unter den inneren Kämpfen leiden. Ich habe darauf am 29. April 1918 an Ludendorff geschrieben und habe ihm in dringendster Weise erklärt, daß das Vertrauen zur Obersten Heeresleitung erschüttert werden könnte, wenn Hindenburg und Ludendorff Gegner des gleichen Wahlrechts wären, und daß damit gerechnet werden müsse, daß dann auch die, die ihnen bisher treu gefolgt waren, in anderen Dingen ihnen völlig die Gefolgschaft versagen könnten.
Im übrigen ist die Wahlrechtsfeindlichkeit der Obersten Heeresleitung Legende.
An Einzelheiten des alten Systems sei Fehlerhaftes nicht beschönigt: die Überheblichkeit gewisser leitender Stellen, die Vielregiererei, die in Tausenden von Vorschriften sich breit machte, wirtschaftliches Leben unterband und überall einen bürokratisch hemmenden Einfluß zeitigte. Ein Verhängnis ist es gewesen, daß man z. B. seitens des Reichsmarineamts den U-Bootbau vorschrieb, statt es der Industrie zu überlassen, wie viele U-Boote sie bauen könnte. Als dann der neue Staatssekretär Ritter von Mann den umgekehrten Weg ging, da ergab sich die für uns erschreckende Tatsache, daß wir weit mehr U-Boote hätten herstellen können, als es geschehen ist, wenn wir der Industrie freie Betätigung gelassen hätten, die U-Boote so zu bauen, wie sie es in der Zusammenfassung ihrer Kraft von vornherein erstrebt hatte. Aus dieser Tatsache ergeben sich schwere Anklagen.
Wenn das alte System sonst tatsächlich vieles enthielt, was wir als überlebt erkannt haben, so kann ich andererseits aber doch nicht anerkennen, daß nun alles faul und morsch und niederbruchsreif in Preußen und Deutschland gewesen wäre, und ich kann das namentlich nicht anerkennen, wenn ich die gegenwärtige Lage unseres Vaterlandes mit der der Vergangenheit vergleiche. In Berlin hat ein Mitbegründer; der Demokratischen Partei gesagt: »Wir alle haben doch ein Gefühl der Befreiung gehabt, nachdem am 9. November das alte System zusammengebrochen ist.« Ich muß gestehen, daß mir ein solches Gefühl der Befreiung angesichts dessen, was inzwischen geschehen ist, niemals kam und auch nicht kommen dürfte. Ich habe die Empfindung, daß gegenüber der gegenwärtigen Lage unseres Vaterlandes das Wort allein die Verhältnisse schlagend kennzeichnet, das einst einer der Jünger Christi sagte: Herr hilf uns, wir versinken. Eins ist uns doch inzwischen wohl auch klar geworden, nämlich, daß Niederreißen leichter ist, als der Wiederaufbau. Man hat uns gesagt: Jetzt kommt das Zeitalter der Demokratie, jetzt wird das revolutionäre Volk seine Geschicke selbst in die Hand nehmen. Ja, Tatsache ist aber, daß es keine Zeit der Autokratie gegeben hat, in der das deutsche Volk so wenig Anteil an der Gestaltung seiner Geschicke und so wenig ein Mitbestimmungsrecht gehabt hat, wie gegenwärtig das deutsche Volk gegenüber der Art, in der es jetzt regiert wird. Was gegenwärtig geschieht, ist die krasseste Autokratie, die es jemals in einem Reiche gegeben hat. Wir werden die Regierung unterstützen in ihrem Bestreben, Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, aber auch nur unter der Voraussetzung, daß sie wirklich diese Sicherheit bietet. Und hier stocke ich schon. Ich gehöre ja zu den nicht beneidenswerten Leuten, die in der Reichshauptstadt wohnen. Glauben Sie, daß es nicht ein außerordentlich niederdrückendes Gefühl ist, diese Zuchtlosigkeit mit ansehen zu müssen, die jetzt die Hauptstadt unseres deutschen Vaterlandes beherrscht? Wenn sich Studenten zusammentun, um eine Studentenwehr zum Schutze der Regierung zu bilden, dann werden sie verhaftet. Aber Herr Liebknecht fährt mit Panzerautomobilen und Maschinengewehren in der Stadt umher, verhaut Wachen usw., und niemand tut etwas gegen ihn. Scheidemann sagte vor wenigen Tagen, er halte Liebknecht für einen verrückten Menschen. Wenn das der Fall ist, dann befreie man die Öffentlichkeit von diesem verrückten Menschen. Dann lasse man diesem verrückten Menschen nicht die Möglichkeit, unser ganzes deutsches Volk in den Abgrund zu führen. Ich bin ganz einverstanden mit der Kritik, die Scheidemann neulich in die Worte gekleidet, er sehe sich diese Verhältnisse nicht acht Tage lang mehr mit an, und der erklärt hat, es ginge nicht an, »Lausejungen mit Maschinengewehren in den Straßen herumlaufen und ruhige Bürger bedrohen zu lassen«. Aber ich vermisse, daß man die Folgerung dieser Kritik tatsächlich zieht. Wohin kommen wir, wenn Berlin sich anmaßt, das Reich zu sein; Berlin ist nicht Deutschland.
Und dann etwas anderes: Es geht auch nicht an, daß die Regierung der Arbeiter und Soldaten erklärt, sie sei die Vertretung des deutschen Volkes. Das deutsche Volk besteht aus allen Ständen, und Volksbeauftragter darf nur der sich nennen, der vom ganzen Volke dazu beauftragt ist. Deshalb hätte es der Regierung wohl angestanden, den Reichstag einzuberufen, der ihr keine Schwierigkeiten gemacht hätte, sondern der nur eines wollte, die Regierung zu legalisieren, einen Beschluß zu fassen: Wir deutsche Volksvertretung, die auf Grund des freiesten Wahlrechts der Welt gewählt ist, bestätigen, daß wir einverstanden sind mit der gegenwärtigen Regierung, wir schreiben die Nationalversammlung zum nächstmöglichen Termine aus und setzen die Bedingungen fest, unter denen gewählt werden soll.
Es ist doch unlogisch, daß die Regierung den Reichstag nicht aufzulösen wagt und gleichzeitig erklärt, er sei durch die Revolution erledigt. Ich finde mich in dieser Logik nicht zurecht. Vom Standpunkte der Sozialdemokratie aus würde man alles verstanden haben, wenn die vorläufige Regierung sich nur als provisorisch bestehend erklärt hätte, so, daß Ruhe und Ordnung gewährleistet werde, bis die gesetzgebende Körperschaft tagen würde. Statt dessen sehen wir nicht nur auf politischem, auch auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet eine Gesetzgebung, die in die tiefsten Grundlagen unseres ganzen wirtschaftlichen und geistigen Lebens eingreift. Ja, hat sich denn jemals der Kaiser angemaßt, in der Weise zu regieren, hat es denn jemals einen Autokraten gegeben, der es gewagt hätte, seinem Volke eine Gesetzgebung aufzuerlegen, ohne irgendeine Instanz des Volkes nur zu fragen? Was wir erleben, ist nicht Demokratie, sondern Auflösung jedes Gedankens einer Demokratie. Die Sozialdemokratie erklärt, sie wolle die Nationalversammlung, aber die Schwierigkeiten seien groß. Da fällt eine Eigenschaft Scheidemanns auf, die ich schon immer an ihm beobachtet habe: er blickt bei allem, was er tut, nach links, und fragt sich bei jedem Satz: Was wird Haase dazu sagen? Auf der einen Seite erklärt man, die Nationalversammlung müsse schnell kommen, auf der anderen sagt man, man müsse erst den Arbeiter- und Soldatenrat fragen. Seltsam, bei dem Kirchengesetz hat man niemanden gefragt, den es angehen könnte, ob er damit einverstanden sei. Die Arbeiter- und Soldatenräte sind überhaupt keine Institution, die irgend berechtigt wäre, gesetzgebende Gewalt ausüben zu können. Sie haben heute schon den Beweis erbracht, daß sie nicht zu regieren imstande sind. Was in diesen fünf Wochen geschehen ist, ist das Bitterste, was in Deutschland nur vorkommen konnte. Wir sind durch den Krieg ein armes Volk geworden. Neben unseren eigenen Kriegsschulden kommen für uns noch die Entschädigungen an unsere Feinde hinzu. Und jetzt in dieser furchtbaren Not wird Nationalvermögen verschleudert in einer Weise, die geradezu empörend ist. Millionen fließen wieder in die Hände derselben Schiebergesellen, die sich seit Anfang des Krieges am Volke bereichert haben und jetzt von neuem wie die Hyänen des Schlachtfeldes am Niederbruch des deutschen Volkes ihren Vorteil suchen. Stiefel, Pferde, ganze Proviantämter werden verschwindelt. Viele Truppen, die vier Jahre Krieg hinter sich haben, mußten zu Fuß marschieren, weil über die Eisenbahn anders disponiert worden war, weil man nicht mehr kennt, was früher unser Stolz war, die Zentralgewalt, die Unterordnung unter einen Willen. Seien wir uns doch darüber klar: Freiheit ist nicht Zügellosigkeit. Die Befehlsgewalt aufheben, ist sehr leicht, aber was damit erreicht wird, kann nur die Auflösung sein. Das sehen wir schaudernd an Beispielen ohne Zahl. Jetzt haben wir keine Zentralgewalt mehr. Wir sind soweit gekommen, daß die unabhängige Republik Neukölln bei Berlin erklärt, sie nehme von der Regierung keinerlei Befehle entgegen. Anstelle der Befehlsgewalt ist die »freiwillige Unterordnung der Soldaten« getreten, die, wenn sie wirklich erreicht werden könnte, die höchste Entwicklungsstufe der Menschheit darstellen würde. Immer aber, solange wir Menschen Menschen sind, wird das praktische Leben von dem erstrebenswerten Ideal weit entfernt bleiben.
Über wirtschaftliche Dinge maßen sich jetzt Leute zu entscheiden an, die dafür nicht das geringste Verständnis haben. Man muß doch den Mut haben, hier gegen den Strom zu schwimmen und vor allem einmal zu sagen, daß Arbeit notwendig ist zum Wiederaufbau und daß es eine Unmöglichkeit ist, in einer Zeit, in der wir keine Transportmittel haben, demokratische Streiks auszuführen. Wie weit der Geist der Zuchtlosigkeit alles Maß übersteigt, zeigt die Drohung aus Rheinland-Westfalen, die Schächte zu zerstören, falls den gestellten Forderungen nicht nachgegeben wird.
Greift dieser Geist der Auflösung weiter um sich, so wird es uns gehen, wie es Rußland gegangen ist, dessen bolschewistischer Führer, Lenin, nach einem Jahre der Herrschaft des Arbeiter- und Soldatenrates neulich sentimental gesagt hat: »Wir sind ja längst tot; es kommt nur niemand, uns zu begraben.« Das ist heute Rußland, ein lebloser Körper, in dem die Städte Hungersnot leiden, Provinzen sich loslösen, die Bauern mit Maschinengewehren ihr Getreide verteidigen. Zuchtlosigkeit statt Gesetzmäßigkeit und Ordnung, das ist das Ergebnis, wird es auch sein bei uns, wenn wir nicht verstehen, die Gesetzmäßigkeit wieder herzustellen, und deshalb erheben wir aus diesem Wirrwarr unser Recht auf die Nationalversammlung gegenüber den Instanzen, die durchaus nicht das Recht haben, dem deutschen Volke Vorschriften zu machen.
Die Frage der Trennung von Kirche und Staat hat keine parteiische Regierung das Recht, allein von ihrem Standpunkt aus zu regeln. Wir Liberalen haben uns stets dagegen gewehrt, daß irgend jemandem ein Staatsamt verweigert würde, weil er nicht zur christlichen Kirche gehört. An dieser Freiheit des einzelnen, daß die Stellung zur Religion eine höchst persönliche Angelegenheit ist, wollen wir auch ferner festhalten. Wenn ich mir aber das Bild vor Augen führe, das Adolf Hoffmann in Preußen bietet, dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Ein Mann, dem es nicht gegeben war, richtig Deutsch sprechen zu lernen, der wird an die Spitze des deutschen Bildungswesens gestellt. Ein Harnack, ein Wilamowitz-Möllendorf, unsere Hochschullehrer, unsere Kirchen und Schulen, unsere hochstehenden Volksschulen sollen ihre Direktiven von einem solchen Manne empfangen. Wir haben unsere politische Macht verloren, wir verloren unser militärisches Ansehen, unsere wirtschaftliche Kraft, aber eins müssen wir uns erhalten: Deutschland als geistige Potenz im Völkerleben. Mit Adolf Hoffmann an der Spitze des Preußischen Kultusministeriums wird auch die noch in den Dreck getreten. Wenn jetzt das Ausland kommt und uns als das verächtlichste Volk der Welt hinstellt, dann wird es uns ja selber schwer, dagegen zu protestieren. Mit Hohn erfüllt es die Welt, einen Adolf Hoffmann als Machthaber über die geistige Entwicklung des Volkes der Dichter und Denker bestimmen zu sehen. Das hätte die Sozialdemokratie verhindern müssen, daran hätte sie ihre Nachgiebigkeit gegenüber der äußersten Linken scheitern lassen müssen. Konrad Haenisch, der zweite Kultusminister, hat erst jetzt erfahren, daß man in den Schulen der Reichshauptstadt die Weihnachtsfeier verboten hat, weil Adolf Hoffmann die Weihnachtsfeier als ein christliches Fest ansieht, mit dem das gegenwärtige Deutschland nichts mehr zu tun hat. Das hat uns gerade noch gefehlt, daß auch der Tannenbaum als reaktionäres Zeichen der Gegenrevolution bezeichnet wird. Will man nun auch das deutsche Gemüt noch zerschlagen und das Beste aus der Seele der heranwachsenden Jugend, der Kinder reißen? Das geht uns denn doch zu weit, daß wir das preislos hingeben sollen, daß wir es uns gefallen lassen sollen, uns von Leuten, die selbst nicht Christen sind, vorschreiben zu lassen, in welcher Weise wir unser Christfest zu feiern haben.
In der Frage der Stellung der Kirche gegenüber dem Staat ist nicht das Finanzielle das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, ob die sittliche Erziehung unseres Volkes weiter aufgebaut werden soll auf den sittlichen Lehren, die in unserer Religion enthalten sind, ob diese religiöse Erziehung ein Bestandteil der Gesamterziehung des Menschen sein soll. Ich sehe auch hier nur ein Zerstören, kein Aufbauen. Wir wollen den Religionsunterricht in den Schulen. Entscheidungen, die Herr Adolf Hoffmann darüber fällt, sind, wie ich jetzt ganz allgemein bemerken möchte, genau so wie alle Gesetze der gegenwärtigen Regierung, vor dem tatsächlichen Willen des deutschen Volkes, der nur auf der Nationalversammlung zum Ausdruck kommen kann, null und nichtig, weil sie nicht auf Recht, sondern auf Gewalt beruhen.
Unverständlich ist es uns, wie man vom Standpunkte republikanischer Gesinnung die deutschen Farben verwarf. Ich habe es als eine der tiefsten Demütigungen empfunden, die dem deutschen Volke angetan werden konnte, daß man die deutschen Farben nicht mehr anerkennen wollte. Das ist ein Zeichen unserer mangelhaften politischen Erziehung. Mir sagte ein Amerikaner, daß man auch in Zeiten, in denen etwa einmal der Bolschewismus in Amerika zur Herrschaft käme, doch jeden zerreißen würde, der das Sternen- und Streifenbanner antasten sollte. Die schwarz-weiß-rote Fahne war noch niemals eine Parteifahne, sondern die Fahne unseres deutschen Vaterlandes, unter der wir gegen eine ganze Welt gekämpft haben. Daß man eine Freiheitsbewegung damit begann, die deutsche Fahne in den Staub zu ziehen, ist eine besondere Schmach, durch die wir uns im Auslande im höchsten Maße verächtlich gemacht haben. Niemals wird man ein Volk achten, das vor dem Symbol seiner Einheit selber keine Achtung hat.
Die Schwächlichkeit, die unsere Regierung zeigt, hat auch schon dazu geführt, daß wir vor der Gefahr stehen, noch mehr Land zu verlieren, als wir voraussichtlich schon verloren haben. Wir werden damit rechnen müssen, daß wir Elsaß-Lothringen verlieren, daß auf dem alten Straßburger Münster die Trikolore weht, und daß damit alles das verloren ist, was sich in unserer Seele mit dem Namen Straßburg verknüpft. Im Osten stehen wir jetzt vor der Frage, ob die Polen in Oberschlesien einmarschieren, ob die Provinz Posen, auf der unsere Ernährung zum Teil mitberuht, in die Hände Polens kommen soll. Inzwischen sehen wir im Osten Deutsche im Verzweiflungskampf, um beim Vaterlande zu bleiben, bei dem sie keine Unterstützung finden. Staatssekretär von Gerlach erklärte in Berlin, man müsse verstehen, daß die Polen jetzt glaubten, die Zeit ihrer Unabhängigkeit sei gekommen. Man müsse auch die Seele der Polen zu verstehen suchen. Ich bin der Meinung gewesen, daß wir das polnische Seelenleben und polnische Aspirationen ruhig den Polen überlassen können, daß aber deutsche Minister in erster Linie die Seele des deutschen Volkes kennen sollten.
Unsere Regierung prägte das Wort, daß sie sich nicht auf Gewalt stützen wolle. Ja, ist es denn etwas anderes als Gewalt, wenn polnische Legionäre gegen unsere Ostmark ziehen. Der ganze Weltkrieg hat doch bewiesen, daß allein die Macht es ist, die sich durchsetzt, mit der Kraft, die wir noch aufzubringen vermögen, müssen wir zu retten versuchen, was noch zu retten ist.
Wenn wir Abschied nehmen mußten von dem alten Deutschland, so stehe ich doch auf dem Standpunkt, daß wir es trotz aller seiner Fehler in liebevoller Erinnerung bewahren werden, daß wir immer dankbar anerkennen werden, was das Deutschland der Hohenzollern uns war, eine liebevolle Erinnerung in grauer Gegenwart, vor einer ungewissen Zukunft.
Wenn wir nun kommen zu den Fragen des Wiederaufbaus, der hoffentlich einsetzen wird, so fassen wir bei dem Gedanken an die Neugestaltung zunächst ein Zweifaches ins Auge, zuerst die Nationalversammlung in ihrem ersten Teil, in dem sie den Frieden zu genehmigen hat, und dann die Nationalversammlung, die später neue Gesetze schafft. Handelte es sich nur um den ersteren Teil, dann brauchten wir eigentlich überhaupt keine Parteien, denn für die Zeit der nächsten acht Wochen gibt es nur ein Programm, über das sich alle einig sind. Das Programm umfaßt vier Worte: Friede, Brot, Arbeit, Ordnung. Das ist es, was wir zunächst brauchen. Das Hemd sitzt uns näher als der Rock. Die Entente erkennt unsere Regierung nicht an. Wenn wir den Frieden haben wollen, brauchen wir bald eine neue Regierung, dann brauchen wir die Aufhebung der Blockade, die Vereinbarung über die Rohstoffe.
Für die Parteitätigkeit der Zukunft werden Sie von mir nicht erwarten können, daß ich das ganze Programm unserer Volkspartei darlege. An der Reichseinheit müssen wir festhalten. Leider machen sich unter der Lotterwirtschaft, die gegenwärtig herrscht, verstärkte Bestrebungen zur Lostrennung vom Reiche geltend. Kein Mensch sieht mehr auf die Zentralgewalt. Man sieht jetzt, wie viel Wahres daran war, daß wir im Kaisertum das Symbol der Einheit erkannten. Das Gefühl des ganzen Deutschtums, das im Kaisertum das Zeichen seiner Einheit sah, können uns Haase und Landsberg nicht ersetzen. Deshalb müssen wir jetzt wieder kämpfen um die Reichseinheit. Zwar ist Berlin nicht Deutschland, aber wir müssen uns auch hüten, uns im Streben, von Berlin loszukommen, zu zersplittern. Wir wenden uns gegen den Gedanken eines neuen Rheinbundes, etwa unter französischem Protektorat. Wir müssen die Österreicher herzlich willkommen heißen. Das Streben zu uns ist dort leider seit dem 9. November längst nicht mehr in dem Maße vorhanden wie vorher. Gelingt es uns aber, die Deutsch-Österreicher an uns zu fesseln, dann kommen wir über manches hinweg, was wir nach anderer Richtung hin verloren haben; dann haben wir den großen Block der 70 Millionen Deutschen inmitten Europas, von dem gilt, was der alte Bismarck gesagt hat: Da liegen wir denn wie ein Klotz inmitten Europas, an dem keiner vorbeigehen kann, den er beachten muß. Erreichen wir das, dann werden wieder andere Zeiten kommen, dann werden andere politische Konstellationen unsere Lage erleichtern. Der Widerstreit der Mächte wird nicht von der Welt verschwinden. Wilson will ja jetzt, daß Amerika die stärkste Flotte baue, die die Welt jemals gesehen habe.
Deutschland braucht für die weitere Zukunft trotz allem noch nicht den Mut sinken zu lassen. Wenn es in Zukunft nicht wieder von schlechten Diplomaten beraten sein wird, dann wird es, wenn es will, auch wieder im Rate der Völker etwas bedeuten.
Vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete werden sich im neuen Deutschland die Geister scheiden. Die Einen, Sozialisten und Salon-Sozialisten, sehen das neue Deutschland aufgebaut auf einer Zusammenfassung aller großen industriellen Unternehmungen. Sie wollen, wie auch Walther Rathenau, monopolistische Staatsbetriebe oder Trusts, die über Hunderte von Millionen Kapital verfügen. Sie sagen, dann produzieren wir billiger. Die kleinen und mittleren Betriebe sollen stillgelegt werden, nur die großen, starken sollen bleiben. Etwa: Nietzsche übersetzt ins Wirtschaftliche. Der Weg vom Kapitalismus zum Überkapitalismus. Die heutige Regierung hat ja schon ohne Nationalversammlung Sozialisierungs-Kommissionen eingesetzt, die auf diesen glorreichen Weg führen sollen. Daß diese Entwicklung auf Kosten der starken, lebensfähigen Mittelschichten gehen würde, die mit eigenem freien Willen sich Bahn schaffen im Wirtschaftsleben, das ist mir ganz sicher.
Wir in der Deutschen Volkspartei wollen in offenem Gegensatz zu den sozialistischen Anschauungen die mittelständlerischen Kräfte in Stadt und Land, im kleinen Bürgertum, die ein selbständiges Gewerbe betreiben, erhalten und fördern. Wir sind der Meinung, daß noch immer das Volk am besten bestanden hat, dem die Möglichkeit des Aufstiegs des Einzelnen gegeben war. Wenn wir 1871 unsere volkswirtschaftliche Entwicklung nach den Gesichtspunkten einer Z. E. G. gestaltet hätten, dann würden wir nicht unseren großen Aufschwung genommen haben.
Inwieweit die Demokratische Partei sich nach dem einmal eingeschlagenen Wege unter dem übermächtigen Einfluß der Sozialdemokratie eine eigene Haltung bewahren wird, muß man abwarten. In einem scheiden wir uns deutlich voneinander. Wir bekennen uns offen als bürgerliche Partei und als grundsätzliche Gegner der Sozialdemokratie. Wir sind der Meinung, daß wir alle Kräfte zusammenfassen müssen, um keine sozialistische Mehrheit über Deutschlands Geschicke verfügen zu lassen. Wir halten an unseren bürgerlichen Idealen unbedingt fest, in nationaler Hinsicht sowohl wie in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Darin unterscheiden wir uns grundsätzlich von der Demokratischen Partei, deren Hauptführer, Professor Weber, es sich verbat, daß seine Demokratische Partei eine bürgerliche Partei genannt werde. Der Führer der Demokraten in Hannover sagte: Wir sind nicht der linke Flügel des Bürgertums, sondern der rechte Flügel der Sozialdemokratie bezw. des Sozialismus.
Wir sind der Meinung, das Schicksal der deutschen Zukunft hängt davon ab, ob Deutschland jetzt eine sozialistische Regierung bekommen wird oder eine solche, in der auch die alten bürgerlichen Ideale volle Geltung haben. Da die Sozialdemokratie in dem Nebeneinandergehen mit der Demokratischen Partei die bei weitem stärkere ist, so dürfte die Demokratische Partei mit der Durchsetzung eigener Gedanken nicht viel Glück haben. Der Sozialismus empfindet international, wir haben im Gegensatz dazu die Überzeugung, daß das nationale Empfinden sich durchsetzen muß, wenn das Deutschtum in der Welt Geltung behalten soll.
Es ist ja auch immer gesagt worden von maßgebender demokratischer Seite: Wir führen keinen Kampf nach links, sondern wir führen einen Kampf nach rechts. Ich glaube, daß von rechts her gar keine Gefahren drohen, stehe aber auf dem Standpunkt, daß wir von einer sozialistischen Welle bedroht werden, die aus Deutschland einen Zukunftsstaat machen will, der nach unserer Überzeugung jede persönliche Freiheit vollkommen unterdrückt. Wir stellen uns auf einen grundsätzlich gegnerischen Standpunkt und sind im Gegensatz auch zur Demokratischen Partei der Ansicht, daß es gerade jetzt Zeit ist, das Nationalbewußtsein zu pflegen.
Wir müssen unser Unglück mit Würde tragen und versuchen, aus diesem Niederbruch wenigstens das Bewußtsein unseres Deutschtums in uns zu retten. Wir wollen die Entwicklung unserer kulturellen Eigenarten, wir wollen ein eigenes, unvergängliches Geistesleben. Will das Ausland uns ausschließen vom Kulturleben der anderen Welt, dann mag es das, wir haben dabei nicht das meiste zu verlieren. Man hat uns Bedingungen auferlegt, wie Karthago, politisch machtlos, ohne Ansehen, wirtschaftlich bettelarm stehen wir da. Aber eins kann uns niemand nehmen: Wir können geistig reich sein in dem Bewußtsein eines kraftvollen Deutschtums trotz alledem. Wir wollen glauben an Deutschlands Zukunft. Grau und schwarz wird die Zukunft gewiß sein. Unser Leben wird in Zukunft nur dem Staate gehören. Wir alle werden schwer arbeiten müssen. Unser Leben wird im wesentlichen darum gehen, daß das Deutsche Reich seinen Verpflichtungen nachkommen kann. Aber der Blick in die Zukunft darf uns nicht niederdrücken. Wir müssen in einer hohen Geistigkeit einen neuen Inhalt zu gewinnen suchen. Unser Höchstes soll hinfort dem Volk und Staate gelten. In das deutsche Volk sind wir hineingeboren, in ihm liegt für uns das reichste Leben der Welt. Es ist zwar nicht auch das schönste Land der Welt, es ist nicht das Land des blauen Himmels, der über Italien lacht, es ist nicht das Land der Sonne, sondern ein Land, in dem vielfach Nebel und Dunkelheit herrscht. Aber es ist unser Land, das Land unserer Sprache und Kultur, das Land unserer Seele, das Land unserer Väter, das Land unserer Kinder. Dieses unser Volk, dieses unser Land wieder groß und mächtig zu sehen unter den Völkern der Erde, dahin zu streben sei in Zukunft das Lebensziel jedes Deutschen. Das neue Deutschland in neuer Größe werden wir vielleicht nicht mehr erleben, aber die kommenden Geschlechter werden es erleben. Sorgen wir, daß der Weg dahin führt, Deutschland einmal wieder stolz und mächtig in der Welt zu machen, wie es war. Wir müssen hinwegkommen über den Niederbruch. Wir haben jetzt zu säen für eine ferne Zukunft. Mit Goethe sagen wir: »Über Gräbern vorwärts! Hinweg in der Zukunft Reich.« Stets bewußt sein soll sich unser Volk, für eine neue Zukunft zu arbeiten. Umbraust vom Haß der Welt wollen wir festhalten an dem, was uns von den alten Idealen des vergangenen Deutschlands geblieben ist und es hinüberretten in eine neue Zeit. Wir wollen uns bekennen zum Glauben an Deutschlands neuen Aufstieg.