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1918.
Reichstagsrede. 22. 2. 1918
Meine Herren, der Abgeordnete Fehrenbach hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir einen geschichtlichen Moment vor uns haben in dem Augenblick, in dem wir zu dem ersten Friedensschluß in diesem Weltkriege unsere Zustimmung zu geben haben. Es ist damit der Ring durchbrochen, der uns und unsere Verbündeten einengen, der das deutsche Volk zum Niederbruch bringen sollte. Und es fällt dieser erste Friedensschluß zusammen mit dem erneuten russischen Friedensangebot. Er fällt zusammen mit den eingeleiteten Verhandlungen mit Rumänien und eröffnet auch über die Verhandlungen über den Friedensschluß mit der Ukraine hinaus die Aussicht auf eine Beendigung der Kriegführung in einem weiten Gebiet derjenigen Völker und Staaten, mit denen wir uns bisher im Kampfe befunden haben.
Was seitens der Herren Vorredner über die Anbahnung freundlicher Beziehungen zu der Ukraine gesagt worden ist, dem stimmen wir im vollen Umfange zu. Wir sehen in den Ukrainern ein junges aufstrebendes Volk von starkem nationalen Empfinden, mit dem wir in Frieden und Freundschaft, mit dem wir in guten wirtschaftlichen Beziehungen, mit dem wir aber auch – und das möchte ich gegenüber der Art, wie diese wirtschaftlichen Beziehungen zu sehr vorgedrängt worden sind, betonen – in guten kulturellen Beziehungen vor allen Dingen leben wollen. Gerade diesen jungen Völkern, in denen der Einigkeits- und Selbständigkeitsgedanke zunächst getragen wird von einer kleinen intellektuellen Oberschicht, ist ein großes Bildungsstreben eigen. Wenn die künftigen Generationen der Ukraine nach Deutschland kommen wollen, um hier am Born des Wissens sich mit deutscher Geisteswissenschaft zu versehen, werden ihnen unsere Tore geöffnet sein. Wir werden uns freuen, wenn die heute bereits bestehende kulturelle Oberschicht das Band mit uns noch enger befestigt.
Die Genugtuung, die wir über diesen Friedensschluß empfinden, ist stark getrübt worden durch die Reden, die wir heute hier haben hören müssen. Wenn ich daran denke, in welcher vornehmen, vorbildlichen Weise der Senior der polnischen Fraktion hier zu sprechen pflegt, dann bedauere ich um so mehr, daß ein Priester des Hasses heute hier gesprochen hat, der in keiner Weise polnische Interessen vertreten hat, daß man sagen muß: Einen schlechteren Anwalt konnten sich die Polen nicht wählen.
Herr Stychel hat davon gesprochen, daß die »Teilungsmächte« hier die Polen um ihre Hoffnung betrogen hätten. Die Teilungsmächte, Herr Stychel! Kein Wort hatten Sie dafür, daß, wenn überhaupt etwas von polnischer Selbständigkeit gesprochen werden kann, Sie das lediglich denjenigen Mächten verdanken, die Sie die Teilungsmächte zu nennen belieben. Die ganze Politik des 5. November 1916 ist an Ihnen spurlos vorübergegangen. Sie sprechen genau wie der Polenklub in Wien; denn Sie verlangen, daß das Unrecht der Teilung Polens wieder gutgemacht werden soll. Wenn Sie glauben, damit aussprechen zu können und zu dürfen, daß etwa zum Deutschen Reiche gehörige Provinzen dem von Ihnen erträumten einheitlichen alten Polen wieder zugeschlagen werden sollten, dann bewundere ich nur die Geduld des Hauses, die derartige Reden von dieser Tribüne zuläßt. Ich glaube nicht, daß irgendwie ein in Polen bestehender Reichstag einen Redner angehört hätte, der davon spricht, daß Gebietsteile dieses Polens abgerissen werden sollten. Sie haben sich selbst Ihre Deduktion leicht zu machen gesucht, indem Sie davon sprachen, daß man den Polen vorgeworfen hätte, sie hätten in diesem Weltkriege nicht mitgewirkt. Dieser Vorwurf ist von keiner Seite erhoben worden. Mit vollem Recht hat der Herr Kollege Fehrenbach darauf hingewiesen, daß wir für das, was die deutschen Soldaten polnischer Sprache geleistet haben, stets volles Verständnis, stets volle Anerkennung gehabt haben. Wenn jemals von der Tribüne dieses Hauses oder von unseren Präsidenten der Dank für die deutschen Kämpfer an der Front ausgesprochen worden ist, dann galt dieser Dank auch den Soldaten polnischer Sprache, die an unserer Seite draußen mitgekämpft haben. Aber etwas ganz anderes ist es, daß Sie in dem Augenblick, wo es sich darum handelt, diejenige Selbständigkeit, die wir Ihnen durch das Manifest vom 5. November 1916 verbürgt haben, nun auch gegen die noch weiter vorhandenen Anstürme des Feindes zu verteidigen, nicht irgendwie eine Freiwilligkeit der Mitverteidigung uns gegenüber zum Ausdruck gebracht haben. Sie sagen: Die Verachtung der ganzen Welt hätte auf den Polen gelegen, wenn sie das getan hätten. Ich habe noch niemals gehört, daß sich ein Volk die Verachtung der ganzen Welt zugezogen hätte, wenn es für seine Freiheit auch mit seinem Blute kämpft. Im Gegenteil: Es hätte seine eigene Ehre geboten, daß es nicht als Geschenk die Freiheit entgegennahm, sondern sie sich selbst als Volk verdient hätte, wie der einzelne seine Freiheit im Kampfe zu verdienen hat.
Wenn Sie glauben, alte Wunden aufreißen zu dürfen gerade im Hinweis auf die einstmalige Teilung Polens, so möchte ich auf eins hinweisen. Auch in der Geschichte der Völker und Staaten wirkt schließlich, wenn Sie die ganzen Jahrhunderte durchgehen, der Grundsatz der Gerechtigkeit. Ein so großes Volk, wie es das polnische war, geht nicht unter ohne eigene Schuld. Und wenn ich mir vor Augen führe, wie Sie es verstanden haben in dieser letzten Zeit und in diesen Tagen durch diejenigen, die die politischen Führer der Polen in Deutschland sind, sich im Deutschen Reichstag so zu isolieren, wie das heute in Erscheinung tritt, dann kann man allerdings rückblickend sagen: Wenn das der Ausfluß Ihrer Nationalität ist, dann kann man sich nicht wundern, daß Sie auch die Einheit Ihres Volkes und Reiches einst nicht aufrechtzuerhalten gewußt haben. Die ganze Geschichte zeigt, daß der Untergang Polens schließlich in letzter Linie in der eigenen sozialen Ungerechtigkeit, in der eigenen Verfassungsunmöglichkeit dieses Polen seinen letzten Grund gehabt hat.
Meine Herren, ich bedauere auch außerordentlich, daß wir die Ausführungen haben hören müssen, die eben der Herr Abgeordnete Dr. Cohn hier gemacht hat. Es ist wirklich schwer, gegenüber diesen Ausführungen mit Vorwürfen zurückzuhalten, die schließlich darin gipfeln müßten, daß, wenn ein Anwalt unserer Gegner hier gesprochen hätte, er manches von demselben vorgebracht haben würde, was von Herrn Dr. Cohn hier gesagt worden ist. Es ist doch seltsam: Die Herren Stychel und Dr. Cohn sprechen davon, daß die Welt nach Frieden lechze; aber der erste Friedensvertrag findet bei ihnen die Opposition. Der erste Schritt zum allgemeinen Frieden, der in seinem Keime schon den Frieden mit ganz Rußland, den Frieden mit Rumänien in sich birgt und deshalb schon ein weites Stück Weg zum allgemeinen Frieden ist, wird von denen maßlos bekämpft, die die Menschheit als diejenige aufrufen, die nach Frieden lechze.
Dann sprechen sie davon, daß dieser Friede ein Friede der Eroberung, der Annexionen wäre. Wo ist denn das Land, das Deutschlands Verbündete etwa gewinnen in diesem Frieden? Der ganze Kampf um das Cholmer Land ist nichts als ein Kampf von Anschauungen zweier Völker, die nicht Deutsche oder Österreicher sind, zwischen denen wir die schwierige Rolle des Vermittlers haben, dem Vorwürfe niemals erspart bleiben werden, wie auch immer sein Urteil ausfallen mag.
Und wie seltsam ist es, wenn Herr Dr. Cohn gegenüber den Verhandlungen des Hauptausschusses hier noch einmal glaubt davon sprechen zu können, daß die Hilferufe aus Estland und Livland in Berlin gemacht worden wären! Er beruft sich darauf, ihm sei keine Antwort im Hauptausschuß zuteil geworden. Er hatte damals geglaubt, diese Insinuation damit stützen zu können, daß er erklärte: Wo kommen denn die Hilferufe her? Wenn die Leute unterdrückt wären, wären sie doch nicht in der Lage, ihre Hilferufe nach Deutschland gelangen zu lassen. Ich habe ihm damals darauf erwidert, daß bei meinem letzten Aufenthalt in Riga kein Tag vergangen sei, in denen nicht Flüchtlinge über die russischen Linien hinweggekommen sind, alles aufs Spiel setzend, um sich zu retten, daß Tausende über das Eis gegangen sind nach den von den Deutschen besetzten Inseln, um so ihr nacktes Leben vor den Räubern und Mordbrennern zu retten, die dort in Estland und Livland hausen. Und wenn es irgendeines schlagenderen Argumentes gegenüber dieser Herabsetzung von Herrn Dr. Cohn bedurft hätte, so lesen Sie den heutigen Heeresbericht, der davon meldet, daß sich die estnischen Regimenter mit den Deutschen in der Verteidigung ihres Vaterlandes gegen diese Mordbrenner verbunden haben. Das zeigt das eine: Daß diejenigen estnischen Regimenter, die für Ruhe und Ordnung, für die Verteidigung des ihnen teuren Landes Sinn haben, auf unserer Seite fechten und nicht auf der Seite der heutigen Gewalthaber in Petersburg, die das, was der Herr Abgeordnete Dr. Cohn Politik der gepanzerten Faust nennt, unter der Vorspiegelung demokratischer Ideen mit einer Brutalität zum Ausdruck bringen, wie es nie ein Militärstaat, nie eine Militärkaste in der Welt ihrerseits fertiggebracht hätte. Bei all diesen Ausführungen tritt nur das eine, das hämische thersiteshafte Herunterdrücken alles desjenigen, was Deutschland tut, hervor, das Bestreben, das eigene Vaterland in der Welt da draußen herabzusetzen, um bei den anderen nicht irgendwelche Wunden zu sehen! Sie sprechen davon, daß die Menschheit erschaudere vor den Mitteln, mit denen wir bei der Offensive im Westen vorgehen wollten. Wissen Sie denn nicht, wieviel Tausende und aber Tausende deutscher Soldaten getötet worden sind durch die Gasangriffe der Gegner? Lenken Sie Ihre Blicke auf Karlsruhe, wo das Kindergrab ist, wo spielende deutsche Kinder durch Bomben, die auf eine offene deutsche Stadt geworfen worden sind, zu Tode kamen! Davon hören wir nichts. Aber wenn wir uns im schwersten Existenzkampfe zur letzten Kraftanstrengung zusammenraffen, um den Frieden zu erringen, den wir wahrlich oft genug angeboten, dann kommen Sie und machen sich die Argumente derjenigen zu eigen, die nun noch einmal wieder die Menschheit gegen uns aufzuhetzen versuchen! Es gehört wirklich sehr viel dazu, um zuzuhören, zuhören zu müssen in einem deutschen Parlament, wenn derartig gegen Deutschland gesprochen wird. Und wenn just von Ihrer Seite so oft Vorwürfe kommen gegenüber solchen, die etwa den Krieg verlängern, dann glaube ich, kriegverkürzend wirkt es nicht, wenn solche Reden in einem deutschen Parlament gehalten werden. Wenn Sie davon sprechen, daß wir erfrieren würden im Haß der Welt, der sich gegen uns wenden würde nach diesem Kriege, nun – Sie schüren ja den Haß der Welt durch derartige Angriffe auf Deutschland! Sie geben ja selbst der neutralen und feindlichen Welt das Material, mit dem sie sich in ihrem Haß gegen Deutschland austoben kann! Nein, ich bin der festen Überzeugung, daß dieser Haß der Welt, sehr geschickt durch eine Propaganda vorbereitet, einst sich auflösen wird in Bewunderung für das, was dieses Deutschland während dieses Krieges geleistet hat, geleistet an der Front, geleistet hinter der Front, und daß schließlich sich auch die großen ethischen Grundprinzipien herausstellen werden, auf denen wir vor diesem Kriege gestanden haben, der nicht in Deutschland entstanden ist – diese unerhörte Entstellung der Wahrheit soll hier auch zurückgewiesen werden –, sondern der von denen herbeigeführt worden ist, die die große Koalition gegen uns schmiedeten.
Wir stehen jetzt vor dem ersten Frieden. Wir hoffen, daß ihm die nächsten folgen werden. Im Westen hat unsere Friedenshand ins Leere gegriffen. Die Verantwortung für die ungeheuren Blutopfer, die dort etwa noch nötig sind, fällt auf unsere Feinde. Wenn da weitergekämpft werden muß, dann werden die Herzen des Volkes da sein, wo die Fahnen des Landes wehen, und werden hoffen und beten für einen deutschen Sieg, der uns den Frieden bringt, den man uns verweigert hat.