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Reichstagsrede. 26.10.1916
Meine Herren, die Anträge, die der Budgetkommission vorlagen, und die Anträge, über die wir hier zu befinden haben, zeigen zunächst das eine: daß der bisherige Zustand von allen Seiten als unbefriedigend empfunden worden ist. Daran ändert es auch nichts, daß der Herr Staatssekretär des Innern als Stellvertreter des Reichskanzlers auf die Konferenzen Bezug genommen hat, die zeitweilig zwischen dem Herrn Reichskanzler und den Parteiführern stattgefunden haben, als wären sie ein Schritt auf dem Wege, der hier erstrebt werden soll. Ich verstehe gar nicht, wie man von diesen Konferenzen überhaupt irgendwelches Aufheben machen kann. Denn es ist doch ganz selbstverständlich, daß der leitende Staatsmann im Frieden wie im Kriege das Bedürfnis hat, vor großen Entscheidungen sich mit den Führern der Parteien im Reichstage zusammenzusetzen und in Gedankenaustausch zu treten.
Es wäre überhaupt irrig, die vorliegenden Anträge Der Wortlaut des Kommissionsantrages lautete: Der Reichstag wolle beschließen: Der Reichstag ermächtigt den Ausschuß für den Reichshaushalt, zur Beratung von Angelegenheiten der auswärtigen Politik und des Krieges während der Vertagung zusammenzutreten. Neben diesem Antrag war der Antrag der Konservativen, an Stelle des Antrags des Ausschusses folgende Resolution anzunehmen: Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dafür einzutreten, daß während der Dauer des Krieges bei Vertagungen des Reichstages, die durch Kaiserliche Verordnung erfolgen, die Einberufung des Haushaltsausschusses zur Besprechung auswärtiger Fragen auf dem verfassungsmäßigen Wege vorbehalten wird. lediglich so aufzufassen, als beträfen sie eine Änderung der Geschäftsordnung des Reichstags. Für meine politischen Freunde liegen die Dinge jedenfalls nicht so; für uns liegt bei den Anträgen, die wir gestellt haben, der Hauptnachdruck auf der Stärkung der Rechte der Volksvertretung; für uns sind diese Anträge allerdings der erste Schritt auf dem Wege, die Rechte der Volksvertretung zu stärken und einen weit engeren Konnex zwischen Regierung und Volksvertretung herzustellen, als es heute der Fall ist.
Ich will zunächst auf die formale Frage eingehen, ob es für den vorliegenden Zweck besser erscheint, die Budgetkommission oder, wie meine Freunde es vorschlugen, einen besonderen Ausschuß mit der Aufgabe zu betrauen, die Fragen der auswärtigen Politik zu erörtern. Ich verkenne nicht, was der Herr Kollege Gröber zugunsten der Budgetkommission angeführt hat. Er nannte sie das politische Zentrum des Reichstags, wobei hoffentlich über den Begriff des Wortes »Zentrum« nicht irgendwelche Meinungsverschiedenheiten obwalten. Er meinte damit, die Budgetkommission sei der Kristallisationspunkt der Arbeiten des Reichstags, sei die Hauptkommission, die, weil in ihr die führenden Persönlichkeiten der Parteien wirken, auch in erster Linie geeignet wäre, diese Aufgaben zu lösen; er wies ferner auf die Gefahr hin, daß man für den anderen Ausschuß nicht genügend Persönlichkeiten fände, oder daß auch, wie der Herr Staatssekretär des Innern ausführte, die Regierung in Schwierigkeiten käme, wenn sie hier und dort vertreten sein sollte. Demgegenüber möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Budgetkommission doch schon selbst ihre eigene Überlastung durch die Bildung des Ausschusses für Handel und Gewerbe anerkannt hat. Was in bezug auf die Überlastung der Herren Staatssekretäre angeführt wird, hätte ebenso gegen diese neue Ausschußbildung sprechen können. Ich halte es aber auch für unrichtig, diesen Gedanken hier so in den Vordergrund zu stellen, wie es aus den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs herausgelesen werden konnte. Vielleicht ist es überhaupt gut, bei der steigenden Bedeutung, die unsere Parlamentsaufgaben und -arbeiten nicht nur auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, sondern bei der Neuordnung der Dinge in Deutschland überhaupt haben werden, wenn die Regierung sich mit dem Gedanken vertraut macht, in ihren einzelnen Ressorts gewissermaßen auch für Parlamentsunterstaatssekretäre zu sorgen, die den Zusammenhang zwischen den einzelnen Ressorts und dem Reichstage festhalten. Es kann sonst leicht die Wichtigkeit der sachlichen Erörterungen einer Frage an dem physischen Unvermögen scheitern, wenn verlangt wird, daß der Staatssekretär des einen Amtes in allen den Kommissionen persönlich tätig ist, in denen Angelegenheiten seines Ressorts erörtert werden. Immerhin kommt doch diese Frage aber nicht entscheidend in Betracht.
Uns hat bei dem Gedanken des eigenen Ausschusses der Grundgedanke geleitet, daß das Organ, welches wir schaffen wollen, dieser Parlamentsausschuß für auswärtige Angelegenheiten, gewissermaßen organisch mit seinen eigenen Aufgaben wachsen sollte, so, wie wir bei dem Ausschuß für Handel und Gewerbe in der kurzen Zeit seines Bestehens bereits gesehen haben, wie er in die Aufgabe hineingewachsen ist und in ganz anderer Weise heute schon eine Stellung innerhalb des Gesamtreichstags einnimmt, als sie ihm zunächst in der Form einer Petitionskommission zugewiesen war. Wir haben geglaubt, daß bei der ausschließlichen Erörterung der auswärtigen Politik in einem solchen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten durch Persönlichkeiten, die ständig in ihm wirkten, auch ein engerer Konnex mit der Materie, eine Spezialisierung der Arbeiten, die Stellung von Berichterstattern für einzelne Fragen möglich wäre, daß einem solchen Ausschuß auch in ganz anderer Weise, zum Beispiel durch Vorlegung von Material, das uns heute vorenthalten wird, durch Vorlegung von Botschafterberichten und anderen, die Möglichkeit einer intensiveren Anteilnahme an diesen Arbeiten gewährleistet werden könnte, als sie uns heute bei der oft hervortretenden Überlastung der Budgetkommission sichergestellt erscheint.
Bei der Antwort des Herrn Staatssekretärs ist es mir einigermaßen zweifelhaft geblieben, und, wie ich festgestellt habe, auch einigen meiner Freunde, ob die Zusagen des Herrn Staatssekretärs so zu verstehen sind, daß danach auch über den Krieg hinaus dasjenige, was der Kommissionsantrag wünscht, sichergestellt sei. Wir hegen jedenfalls die bestimmte Erwartung, daß nach dieser Richtung hin die verbündeten Regierungen nicht versagen mögen.
Wir lehnen den konservativen Antrag ab, weil er sich auf die Zeit des Krieges beschränkt, und weil er deshalb von dem Grundgedanken abweicht, der uns bei der ganzen Frage geleitet hat. Den früheren Zustand wünschen wir unter keinen Umständen wiederherzustellen. Und ich glaube, daß es auch nicht richtig ist, wenn der Herr Staatssekretär davon sprach, daß doch schließlich der normale Fall die Vertagung wäre, so daß die ganze Sache schon auf das Gleis des ganz Außergewöhnlichen geschoben wird, das erst eintreten muß, wenn dieser Normalfall unterbrochen sein soll. Nein, meine Herren, nach dieser Richtung hin hat, glaube ich, auch Herr Abgeordneter Dr. Gradnauer mit vollem Recht davon gesprochen, daß in kritischen Situationen, die das ganze Volk bewegen, gerade das Fehlen einer parlamentarischen Arbeit zu Erschütterungen des Innenlebens des Volkes führen könne, und daß nach dieser Richtung hin für alle Zeiten, nicht nur, wenn anormale Fälle eintreten, die Möglichkeit der Tätigkeit eines solchen Ausschusses gegeben werden soll. Wir begnügen uns heute mit dem Kommissionsantrag, nachdem wir selbst nicht vermocht haben, für unseren weitergehenden Antrag eine Mehrheit in der Budgetkommission zu erzielen. Wir möchten aber darauf hinweisen, daß, wenn irgendwelche Versuche gemacht würden, hier diesen Antrag so aufzufassen, als wenn er nur für die Dauer des Krieges Geltung haben sollte, wir sofort nach Beendigung des Krieges an die heutigen Anträge anknüpfen würden, um aufs neue das sicherzustellen, was wir erstreben. Ich möchte nicht verfehlen, darauf aufmerksam zu machen, daß hier meines Erachtens dann ein Konfliktsstoff vorläge, den die Regierung doch besser vermiede. Man kann doch nicht immer von Neuorientierung, von großem weltgeschichtlichen Erleben sprechen und, wenn der erste zaghafte Schritt auf diesem Gebiete gemacht werden soll, dann sich die Gewährung dieses ersten Schrittes gewissermaßen abringen lassen, statt freudig und gern selber die Initiative zu ergreifen und dadurch zu zeigen, daß man auf dem Gebiete Führer sein will, indem man als Garant einer großen Politik der liberalen Neuorientierung erscheint.
Der Herr Kollege Dr. Gradnauer ist auf Ausführungen zurückgekommen, die ich in der Budgetkommission über die Frage des parlamentarischen Systems gemacht habe, und hat darauf hingewiesen, daß ihm einerseits eine andere Auffassung des parlamentarischen Systems von seiten meiner Freunde erfreulich erscheine, daß er anderseits gerade in dem Widerspruch gegen den Gedanken des parlamentarischen Systems den Grundgedanken der konservativen Opposition gegen die vorliegenden Anträge erblicke. Ich bekenne mich zu den Ausführungen, die der Herr Kollege Dr. Gradnauer wiedergegeben hat. Man hat uns in der Öffentlichkeit, in großen führenden Zeitungen Vorwürfe darüber gemacht, daß wir nach der ganzen Art der Begründung unseres Antrags gesonnen schienen, dem parlamentarischen System Konzessionen zu machen. Demgegenüber habe ich ausgeführt, auch wenn dieser Antrag, was er in der jetzigen Fassung nicht einmal ist, ein weitergehender Schritt zur Stärkung der Parlamentsrechte wäre, dann würden die Bedenken, die uns früher von einem solchen Schritt zurückgehalten hätten, heute nach dem, was wir während dieses Weltkrieges erlebt haben, nicht mehr in gleichem Maße zu bestehen vermögen. Der Herr Kollege Dr. Gradnauer führte meine Ausführungen an in bezug auf Frankreich. Er hätte ebensogut auf England hinweisen können. Blicken wir doch einmal dieses England uns an mit den Augen, mit denen wir in Deutschland auf unsere Verhältnisse blicken. Wir sehen dort, daß Fragen, an die wir gar nicht zu rühren wagen, Fragen von der Art, wie weit man Rumänien im Stich gelassen habe oder anderes, alle diese vitalsten Fragen der auswärtigen Politik, in voller Öffentlichkeit vor der Welt verhandelt werden, ohne daß Englands Stärke und Englands Widerstandskraft dadurch im allergeringsten beeinträchtigt wird. Nein, meine Herren, wenn dieses englische Parlament auch in seiner leidenschaftlichen Kritik gegen seine Führenden manchmal diejenige Grenze überschritt, die wir uns selbst geben, – so sehr man im ersten Augenblick den Gedanken der Schadenfreude empfinden konnte, so ist doch im letzten Augenblick oft die Empfindung die gewesen, daß auch diese Offenheit aus einem Gefühl der Stärke des englischen Volkes und seiner Volksvertretung hervorgeht.
Meine Herren, was wir erstreben, worum wir kämpfen in dem Gedanken des Burgfriedens, das ist doch eine enge Verbindung der Volksvertretung mit der Regierung, das ist ein inniger Konnex der Regierung mit dem Volke. Wir sehen in Deutschland eine Erscheinung, die man in Ländern parlamentarischen Systems gar nicht kennt, das ist die Opposition gegen den Staat als solchen. Diese Empfindung von dem »Racker« Staat, dieses »Sichwehren« des einzelnen gegen den Staat ist etwas spezifisch Deutsches. In anderen Ländern hat man Opposition gegen die jeweilige Regierung, will sie vielleicht stürzen und durch eine andere ersetzen. Aber dieses gewissermaßen sich mit einem Stacheldraht der Abneigung Versehen des Deutschen gegen den Staat ist nur verständlich aus der ganzen Entwicklung unserer parlamentarischen Verhältnisse, aus der Machtlosigkeit der Volksvertretung auf der einen Seite und aus der Omnipotenz des Staates, in der natürlich die Gefahr einer Überschreitung der Gewalt liegt, auf der anderen Seite. Ich glaube, daß, je größer der Einfluß der Volksvertretung wird, je mehr dieser Einfluß steigt, desto mehr der Begriff der Staatsidee in das Volk übergeht und sich dann dieser Konnex zwischen Volk und Staat ganz anders herstellt.
Ich frage mich aber auch eins: Weshalb soll gerade der Liberalismus Bedenken haben, einen solchen Schritt zu tun? Die Nationalliberale Partei blickt gegenwärtig auf ein fünfzigjähriges Bestehen zurück. Das erste Programm der Partei brachte zum Ausdruck, daß die Endziele des Liberalismus bestehende, aber seine Forderungen und Wege nicht abgeschlossen seien vom Leben und sich nicht in Formen erschöpfen. Sein innerstes Wesen – so hat Rudolf von Bennigsen das Parteiprogramm umschrieben – bestehe darin, die Zeichen der Zeit zu erkennen und ihre Ansprüche zu befriedigen. »Die gegenwärtige Zeit zeigt deutlich«, – so sagte er damals – »daß in unserem Vaterlande jeder Schritt zur verfassungsmäßigen Einheit zugleich ein Fortschritt auf dem Gebiet der Freiheit ist.« Auch heute gilt das für uns.
Der Liberalismus hat die Zeichen der Zeit zu erkennen, und in Anlehnung an diesen letzten Satz unseres ersten Programms möchte ich sagen: Heute liegen die Dinge so, daß jeder Fortschritt auf dem Gebiet der Freiheit auch zugleich ein Fortschritt auf dem Gebiet der inneren Einheit des deutschen Volkes ist. Wie ist denn die Entwicklung unseres deutschen Verfassungslebens vor sich gegangen? Man muß sich diese Entwicklung vor Augen stellen, wenn man heute unsere Verhältnisse mit denen anderer Parlamente vergleicht. Wir haben das erste Versprechen zu einer Volksvertretung im Jahre 1813 in dem führenden Bundesstaat erhalten, und es ist das große historische Unrecht gegenüber dem preußischen Volke, daß dieses Versprechen nicht eingelöst worden ist. Nur dieses historische Unrecht hat dazu geführt, daß wir zu der Zeit von 1870 erst den Weg über 48 machen mußten. Diese Entwicklung, die damals vor sich gegangen ist, wird leider heute unserer Jugend in Deutschlands Schulen in einem sehr verzerrten Lichte dargestellt. Man höhnt und spottet über das Frankfurter Parlament in der Paulskirche, man höhnt und spottet über die damalige Revolution, Auch für uns gilt das Wort: Wohl dem, der seiner Ahnen gern gedenkt! Es waren die Ahnen des deutschen Liberalismus, die damals in der Frankfurter Paulskirche wirkten, und jedes Parlament könnte stolz sein, wenn es auf der geistigen Höhe stände, auf dem einst das Frankfurter Parlament gestanden hat. Auch denjenigen, die damals in revolutionärer Opposition gegen ein ihnen ungenügendes Prinzip der Freiheit standen, kann man doch schließlich nur den einen Vorwurf machen, den Friedrich II. einst Josef II. gemacht hat, indem er sagte, daß er in der Treibhaushitze seines Gemütes oft geneigt sei, den zweiten Schritt zu tun, ehe der erste gemacht sei. Auch diese Generationen haben von der Einheit des deutschen Volkes vielleicht zu früh geträumt, ehe die Verhältnisse dazu gegeben waren.
Nun ging die Entwicklung Deutschlands durch das, was man eine Politik von Blut und Eisen nannte, wobei man aber vergißt, daß diese Politik von Blut und Eisen zur Einheit des Reichs niemals geführt hätte, wenn nicht jene große Einheitsbewegung vorausgegangen wäre. Das hat im alten Reichstag einmal Rudolf von Bennigsen in einer Rede im Jahre 1882 ausgeführt, als er davon sprach, daß Bismarck seine gewaltige Popularität gerade dem Umstand verdanke, daß er nicht etwa allein mit Genialität und übermächtigem Willen und großem diplomatischen Geschick die Einheit Deutschlands durchgeführt habe, sondern daß er aus dem Geiste des deutschen Volkes heraus gewissermaßen als Erbe aller dieser Ideen in voller Übereinstimmung mit dem Volke endlich die alten Hoffnungen und Wünsche des deutschen Volkes zum Abschluß gebracht hat.
Ich komme auf diese Ausführungen deshalb, weil die deutschen parlamentarischen Verhältnisse nur dadurch erklärlich sind, daß in der Persönlichkeit Bismarcks ein natürlicher großer Hemmschuh der deutschen parlamentarischen Entwicklung gelegen hat.
Wir hatten die Verfassung des Reichs und die Tradition des Reichstags auf die Persönlichkeit des gewaltigen ersten Kanzlers zugeschnitten. Wenn er mit Hohn und Spott sich gegen ein Weißbuch wandte, dann schwieg der Reichstag und konnte schweigen, weil er zu der überragenden Persönlichkeit, die uns nach drei siegreichen Kriegen ein einiges Reich schuf, unbegrenztes Vertrauen haben und aus diesem Grunde auf die Geltendmachung mancher Rechte verzichten konnte, auf die er sonst nicht verzichtet hätte. Bennigsen kennzeichnete diese Situation einmal, indem er ausführte: »Wenn der Deutsche Reichstag niemals zu der imponierenden Autorität gekommen ist, welche andere Parlamente einnehmen, so liegt das an der übermächtigen Gestalt und der Wirksamkeit des ersten Kanzlers.« Meine Herren, man könnte sagen: Wenn wir jetzt einen Bismarck hätten, brauchten wir diese Anträge nicht einzubringen. Ich kann das nur in dem Sinne anerkennen, daß eben dieses Schwergewicht der einzelnen Persönlichkeit dieses Parlament niederhielt und nicht zu der Entwicklung kommen ließ, zu der es sonst entsprechend der Entwicklung in anderen Ländern gekommen wäre, daß das auf die historische Entwicklung unserer Parlamentsrechte von entscheidendem Einfluß gewesen ist.
Dafür darf ich einen klassischen Zeugen anführen: das ist Bismarck selbst, der Bismarck, der nicht mehr Kanzler war, der nach seiner Kanzlerschaft empfunden hat, daß er selber diesen Deutschen Reichstag in eine Ohnmacht versetzt hat, die ihm als nicht erwünscht für unsere deutschen Verhältnisse erschien. Ich erinnere Sie an den Bismarck in Jena, der damals auf dem Marktplatz in Jena die Worte aussprach, die mir als wesentlich für unsere künftige Stellungnahme zu den Fragen der Parlamentsrechte erscheinen: »Ohne einen Reichstag, der vermöge einer konstanten Majorität, die er in seinem Schoße birgt, imstande ist, die Pflicht einer Volksvertretung dahin zu erfüllen, daß er die Regierung kritisiert, kontrolliert, warnt, unter Umständen führt, der imstande ist, dasjenige Gleichgewicht zu verwirklichen, das unsere Verfassung zwischen Regierung und Volksvertretung hat schaffen wollen, – ohne einen solchen Reichstag bin ich in Sorge für die Dauer und Solidität unserer nationalen Institutionen.« Meine Herren, man kann diese Worte Bismarcks nicht anders verstehen als in dem Zusammenhange, daß er sich sagte: Ich habe euch in dieser Ohnmacht erhalten, ich sehe heute, daß das ein Zustand ist, der mir nicht als erwünscht erscheint, denn es können Zeiten eintreten, wo das Gleichgewicht fehlt, das ich damals durch meine Persönlichkeit hergestellt habe. Er nannte den Reichstag den Brennpunkt des nationalen Lebens und sagte: »Verliert der Reichstag seine Autorität, dann werden die Bande, die uns zusammenhalten, geschwächt.« Man kann auch daraus den Schluß ziehen: Gewinnt der Reichstag an Autorität, so werden die Bande, die uns zusammenhalten, gestärkt werden.
Ich darf darauf hinweisen, daß, wenn man uns vorwirft, daß wir einen Schritt auf dem Wege zum parlamentarischen System gingen, doch selbst diesem ersten Kanzler mit seinen ganz konservativen Grundanschauungen die Länder parlamentarischer Institutionen als Vorbild erschienen. Bismarck hat wiederholt keinen Zweifel daran gelassen, in wie hohem Maße er die Einheit der politischen Aktion in England für höher gesichert hielt als in Rußland, in dem Lande der Autokratie, in jenem England, »wo der leitende Minister und die Berichte, die er empfängt, der öffentlichen Kritik unterliegen«. Er hat darauf hingewiesen, daß in England auch in Kriegsfällen, selbst wenn die Gefahr Englands Boden noch nicht bedroht, jede Parteipolitik schweigt, und man sich der einheitlichen Führung auch eines gegnerischen Ministeriums unterzuordnen versteht. Ich weiß, daß er demgegenüber auch zum Ausdruck gebracht hat: »Geben Sie uns ein Englisches Unterhaus und dann fordern Sie englische Institutionen«, daß er hingewiesen hat auf die englische Gentry, die dem Parlament eine große Zahl unabhängiger Männer schenkte. Aber, meine Herren, heute liegen die Verhältnisse auch in England schon anders als damals. Das ist nicht nur englische Gentry, was heute im Unterhause ist, diese Leute wie Lloyd George sind nicht hervorgegangen aus der englischen Gentry, diese Arbeiterführer und diese Führer, alles, was in dieser demokratischen Entwicklung in England vorwärts gekommen ist, das ist nicht mehr an die Voraussetzungen gebunden, die Bismarck damals für gegeben erachtete. Trotzdem sehen wir, daß doch das, was er rühmte, das parlamentarische System Englands, sich auch aufrechterhalten hat während dieses Krieges. Die Offenheit der parlamentarischen Kritik, die in England zuhause ist, sie hat, wie ich vorhin ausführte, wirklich England nicht geschadet, vielmehr hat uns geschadet die Auffassung, die vielfach bei uns in Fragen der auswärtigen Politik Geltung hat, als könne man einen Weltkrieg gewissermaßen streng vertraulich unter Ausschluß der Öffentlichkeit führen.
Meine Herren, wie steht es denn nun heute bei uns selbst? Unsere Stellung nach außen und die Stellung des Reichstages in Deutschland? Liegt denn in der Stärkung der Reichstagsrechte eine Gefahr? Mir hat ein hervorragender deutscher Diplomat vor kurzem einmal gesagt: Das, was die Vertretung Deutschlands im Auslande so schwer macht, das ist die geringe Einschätzung der öffentlichen Meinung Deutschlands in anderen Staaten, das ist die parlamentarische Ohnmacht, die man uns im höheren Maße noch im Ausland unterschiebt, als sie tatsächlich vorhanden ist. Er hat mir aus seinem Leben angeführt, daß er einmal versucht hätte, den englischen Botschafter darauf hinzuweisen, daß sich die deutsche öffentliche Meinung dies oder jenes nicht bieten lassen könne und daß er zur Vermeidung von Konflikten darauf aufmerksam machen müsse, daß das nicht ginge, wenn die öffentliche Meinung Deutschlands nicht in Erregung kommen solle, und er habe von ihm die Antwort erhalten: Das schreibe ich regelmäßig in meinen Berichten, in London glaubt man aber, es gäbe keine öffentliche Meinung Deutschlands, auf die man Rücksicht zu nehmen brauchte. Ich frage mich, sollte uns das weltgeschichtliche Erleben dieses Krieges nicht auch nach dieser Richtung etwas weiter geführt haben? Der Herr Kollege Doktor Naumann hat neulich von dieser Stelle aus gesprochen, in welcher Weise die Frauen in dieser Zeit des Krieges in alle diese großen Probleme des Weltkrieges hineingeführt worden seien. Vor allen Dingen gilt das wohl für die Männer, gilt der Satz, daß eine Politisierung des deutschen Volkes durch diesen Weltkrieg erreicht wird, die Jahrzehnte überspringt, die sonst nötig gewesen wären, um sie herbeizuführen. Denken Sie an die Männer an der Front, an den weltgeschichtlichen, geographischen Unterricht, den sie dort erhalten, an alle die Probleme, denen sie nachgehen. Niemals haben Millionen von deutschen Reichstagswählern so Gelegenheit gehabt, Wochen, Monate und Jahre im Austausch der Gedanken über das Verhältnis des einzelnen zum Staat nachzugehen. Dasselbe gilt für die Leute hinter der Front, denen doch das Verhältnis zwischen Staat und Volk und einzelnen heute der Mittelpunkt der Diskussion bildet, wo innerhalb zwei Jahren 4000 Regierungsverordnungen zur Regelung der Verhältnisse über Deutschland herabgeregnet sind. Das vielleicht ist der Grund, weshalb über die Reihen des Liberalismus hinaus die Stärkung der Parlamentsrechte von den verschiedensten Seiten gefordert worden ist. Ich kann daran erinnern, daß beispielsweise der Herr Kollege Dr. Spahn bei einem Festessen zu seinem siebzigsten Geburtstag seinen Freunden von der Zentrumsfraktion erklärt hat, er hielte es für notwendig, daß die großen, führenden Fraktionen des Hauses auch durch ihre eigenen Vertrauensmänner in den Ministerien vertreten seien. Man kann diese Dinge nicht mit dem Worte des Herrn Dr. Rohrbach abmachen, daß das alldeutsche Tendenzen wären. Meine Herren, meine Fraktionskollegen Prinz zu Schönaich-Carolath, Freiherr von Richthofen und Schiffer sind alldeutscher Tendenzen nicht verdächtig und haben, glaube ich, niemals Veranlassung dazu gegeben, daß man sie nach jener Richtung hin klassifiziert. Nein, meine Herren, so kann man derartige Dinge nicht abtun. Wir glauben, daß aus diesem Erleben des Krieges auch eine ganz andere Stellung des Reichstags gegenüber der Regierung hervorgehen muß, als sie bisher bestand, und daß wir nach dem Kriege allerdings auf diesem Gebiete der Neuorientierung sehr viel Arbeit zu tun haben werden.
Nun, meine Herren, bezieht sich ja der gegenwärtige Antrag lediglich auf Fragen der auswärtigen Politik. Wir werden über Einzelheiten dieser auswärtigen Politik, über Erfolge auf der einen, Fehler und Mißgriffe auf der andern Seite, nach dem Kriege Gelegenheit haben, uns in vielen Einzelheiten auszusprechen. Wenn man es aber gewissermaßen als Unrecht ansieht, daß man durch solche Anträge überhaupt einem gewissen Mißtrauen Ausdruck gebe, so muß ich doch das eine sagen, daß einem Volke, das gegen zwei Nationen kämpfen muß, die mit ihm seit mehr als drei Jahrzehnten verbündet gewesen sind, schließlich ein unbedingtes Vertrauen in seine unfehlbare Diplomatie nicht zugemutet werden kann. Wenn irgendwo das Wort: Freie Bahn dem Tüchtigen! Geltung haben soll, dann doch auf diesem Gebiete. Deshalb haben wir auch die Anfrage gestellt, wo denn die Reformen stecken, die uns schon vor Jahren in Aussicht gestellt worden sind, und die auf diesem Gebiete auch Wandel schaffen sollten. Nicht neue Examina fordern wir, meine Herren; das Examen des Lebens befähigt manchen Menschen in viel höherem Maße, als es irgendwie andere Examina tun könnten. Und man komme uns nach all den Leistungen unseres deutschen Volkes nur nicht mit dem Einwande, daß wir nicht genug tüchtige Persönlichkeiten hätten, die in der Lage wären, gerade das zu leisten wie andere Nationen!
Große Kreise in Deutschland liegen ja heute überhaupt brach bei diesen Fragen. Denken Sie beispielsweise an unsere ganze große deutsche Marine! Alle diese Menschen, die sich da draußen den Wind der Welt haben um die Ohren pfeifen lassen, die es so wundervoll verstehen, deutsches Selbstbewußtsein zu verkörpern, aber auch sich in die Eigenart anderer Völker zu vertiefen, die überall Repräsentanten des Deutschtums im besten Sinne des Wortes sind! Greifen Sie auch hier einmal hinein!
Wie falsch sind überhaupt die Verhältnisse, daß über den Zugang und die Befähigung zum diplomatischen Dienst heute bei den in Betracht kommenden Persönlichkeiten in einem Alter entschieden wird, wo der einzelne überhaupt nicht mehr als eine formale Befähigung zum Ausdruck gebracht haben kann, daß man nicht Leute, auch wenn sie längst in anderem Lebensalter stehen, aus allen Kreisen herausnimmt – ich exemplifiziere da nicht allein auf die Marine: Unsere Flotte hier, die Kaufmannschaft da, hervorragende Juristen oder andere, wo immer sie sein mögen, wenn man sie nur für befähigt hält –, sie einreiht in diejenigen Kreise, die uns draußen zu vertreten haben! Ich darf darauf hinweisen, daß hier eine Überbrückung alter Vorurteile, sowohl ein Verzicht auf Geburts- wie auf Geldaristokratie, sehr wohl durchzuführen ist. Ich stehe der katholischen Kirche und ihren Einrichtungen fern, ich kenne sie nur theoretisch ganz von fern; aber ich habe immer die eine Empfindung gehabt, daß hier etwas Wunderbares geleistet ist: Die höchste Autorität, die den einzelnen hohen Kirchenbeamten umkleidet und der sich jeder willig unterwirft, weil er auch wieder weiß, daß dieses System auf höchster Demokratie beruht und niemals nach Stand und Herkommen, sondern nur nach den Leistungen derjenigen gefragt wird, die nachher an der Spitze der katholischen Kirche stehen. Daß sie der Welt neben anderem auch hervorragende Diplomaten gebracht hat, wissen wir.
Wir haben einen engeren Konnex zwischen Reichstag und Auswärtigem Amt zunächst gesucht aus Gründen unserer parlamentarischen Erfahrung. Wir hoffen dadurch aber mehr zu erreichen. Was uns vor allen Dingen bei unseren diplomatischen Aktionen fehlt, das ist das Einsetzen der öffentlichen Meinung Deutschlands für die Durchführung deutscher Forderungen. In dem Kampfe um die öffentliche Meinung anderer Völker sind wir meist unterlegen. All das große Moderne ist an uns vorübergerauscht, ohne eigentlich bei uns Wurzel zu fassen. Wir müssen damit rechnen, daß die Welt mehr und mehr demokratisiert ist, und daß damit auch die Formen und die Methoden des diplomatischen Dienstes sich ändern müssen. In all den modernen Fragen, die heute mit der Diplomatie verbunden sind, da sind vielleicht die Männer eines parlamentarischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten sachverständiger als die Herren der Regierung. In all den Fragen, in denen es darauf ankommt, hier auch Beziehungen zu schaffen mit anderen Völkern und ihren leitenden Persönlichkeiten, auch da, wo sozialistisch-radikale Ministerien die Geschicke der Völker leiten, ist es vielleicht sehr gut, auch im engsten Einvernehmen mit einem deutschen Parlamentsausschuß von Vertretern aller Fraktionen zusammenzuarbeiten und so eine fruchtbarere Arbeit zu leisten, als wenn der Reichstag nur hinter dem herredet, was geschehen ist und nicht mehr geändert werden kann. In dem Sinne wollen wir ein Kontrollorgan für die auswärtige Politik; in dem Sinne wollten wir ein ständiges Tagen dieses Ausschusses, den wir erstrebt haben.
Man komme nicht damit, daß man sagt, diese oder andere Anträge seien zu große Abweichungen von der alten Norm. Ich kann da auch wieder den Spruch von Bismarck zitieren: »Ein Staat, der um seine Existenz kämpft, kann nicht immer in den gewohnten Geleisen bleiben.« In der Situation befinden wir uns heute. Wir werden mehr noch vielleicht nach dem Kriege als jetzt die Notwendigkeit haben, daß man die öffentliche Meinung Deutschlands einsetzen muß, um auf dem Gebiete der Wiederbefestigung unserer Stellung, der Garantie des dauernden Friedens Erfolge zu erreichen.
Man hat der Leistungen des deutschen Volkes mit Worten höchster Anerkennung oft gedacht. Diesen Leistungen muß ein entsprechend erhöhter Einfluß der Volksvertretung entsprechen. Wir begrüßen diesen Weg, den wir heute beschreiten, als einen ganz bescheidenen Schritt auf diesem Wege. Wir sind uns klar, daß es eines Weiterschreitens bedarf, und wir glauben, wenn wir auf diesem Gebiete weiterschreiten, daß wir dann gerade im Sinne Bismarcks unsere Arbeit leisten, daß wir in seinem Sinne das Gleichgewicht zwischen Volksvertretung und Regierung herstellen, das auch uns als das beste Fundament für die Dauer und Solidität unserer nationalen Einrichtungen erscheint.