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Bassermann

Aufsatz in den »Deutschen Stimmen«. 10. 8. 1917

Was Bassermann innerhalb des Rahmens seiner politischen Betätigung der deutschen Politik und dem deutschen Volke gewesen ist, das haben in Hunderten von Nachrufen Freunde und Gegner gewürdigt. Ich will an dieser Stelle von dem sprechen, was Bassermann der Partei war und ein anderes Mal von dem Menschen Bassermann, den die Außenwelt mit ganz anderen Augen ansah, als diejenigen, die das Glück hatten, ihm in jahrelanger Freundschaft nähertreten zu können.

Es lag nahe, Bassermann mit Bennigsen zu vergleichen, und oft ist es – zu seinem Nachteil – geschehen. Gewöhnte man sich doch daran, die ganze Nationalliberale Partei so anzusehen, als wäre sie nichts anderes als ein politisches Epigonengeschlecht, schlechter Sachwalter eines großen Erbes aus stolzer Vergangenheit. Man wies darauf hin, daß die Partei der Reichsgründung einst die stärkste Partei im Reichstag und im Preußischen Landtag gewesen sei, verglich die Zahl ihrer Mandate aus der damaligen Zeit mit der Zahl der heute erreichten und wollte daraus auf einen Niedergang schließen, von dem es leicht war, auch zu einer schiefen Beurteilung von Personen und Führern zu gelangen. Dabei übersah man, daß der Niederbruch der Partei, ihr Zerfall nach drei Seiten, nicht in der Zeit des Epigonentums, sondern in der Zeit Rudolf von Bennigsens geschehen war. Wie oft hat Bassermann im Kreise der Parteifreunde mahnend an diejenige Zeit erinnert, wo auf der einen Seite die Rechtsstehenden – Völck-Schauß –, auf der anderen Seite die Sezessionisten wie Stauffenberg, Lasker, Forckenbeck, Rickert, sich von uns loslösten. Man lese einmal bei Oncken nach, in welcher Sorge damals die nationalliberalen Freunde im Lande nach der Führerschaft riefen, um den Weg in dem zollpolitischen Wirrwarr zu finden und wie sehr der damalige politische Quietismus Bennigsens damals zum Verhängnis der nationalliberalen Sache geworden ist, die niemals auf diesen Tiefstand gekommen wäre, wenn ihre Führer so lebendig für ihre Politik der zollpolitischen Mittellinie gekämpft hätten, wie es die Sezessionisten ihrerseits, wie es in späteren Zeiten Bassermann getan hat. Der Zusammenbruch der nationalliberalen Sache infolge der völligen Hilflosigkeit, sich in den großen Fragen der Wirtschaftspolitik zurechtzufinden, der war längst da, ehe Bassermann in die politische Ära als Führer eintrat.

Will man Bassermanns Wirken innerhalb der Partei zeitlich umgrenzen und die Größenmaße der Partei bei seinem Eintritt und seinem Ausscheiden vergleichen, dann müßte man die Mandatszahl des Jahres 1893 mit derjenigen des Jahres 1912 und ebenso die Stimmenzahl von 1893 mit derjenigen von 1912 vergleichen. Tut man das, so ergibt sich zunächst das eine, daß die Fraktion in den Mandatsziffern den Stand behauptet hat, den sie nach der Spaltung der Partei im Deutschen Reichstag einnahm, daß sie an Anhängerzahl im Lande aber nicht nur absolut, sondern auch relativ seit jener Zeit bedeutend gewachsen ist, daß sie an dritter Stelle innerhalb der deutschen Parteien nach Sozialdemokraten und Zentrum steht und daß sie auch an dritter Stelle der Mandatenziffer stehen würde, wenn die Mandate im Reiche nach einem vernünftigen Verhältniswahlsystem verteilt würden.

So darf man also zunächst nicht die Höchstentfaltung nationalliberaler Entwicklung mit der heutigen Lage vergleichen. Bassermann hat in schweren Zeiten der Partei den Einfluß, den er vorfand, erhalten und ihre Höhe bewahrt, das ist das erste, was anzuerkennen wir ihm dankbar schulden. Diese Anerkennung ist eine große. Selbst wenn wir die heutige Zahl nationalliberaler Reichstagsmandate mit derjenigen aus den 70er Jahren verglichen, dann müßten wir uns sagen, daß es aller Ehren wert ist, die Partei durch alle Stürme der politischen Entwicklung so hindurchgerettet zu haben. Wahrlich, in einer Zeit, in der die wirtschaftspolitischen Kämpfe noch nicht zur Zerrissenheit zwischen Landwirtschaft und Stadt auf der einen Seite, noch nicht zur sozialen Verhetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter auf der anderen Seite geführt hatten, in der der Zusammenschluß unserer katholischen Mitbürger zu einer politischen Zentralisierung nicht erfolgt war, in der die wirtschaftlichen und sozialen Sorgen des Alltags weit zurücktraten hinter der Erinnerung an die gewaltige Zeit der Reichsgründung, die alles überstrahlte, da war es leichter für die Nationalliberale Partei, 176 Mandate zu erringen, als heute im Kampfe gegen die damals kaum vorhandenen politischen Mächte der Sozialdemokratie, des Zentrums und der Agrardemagogie auch nur den schwachen dritten Teil davon zu bewahren!

Aber der Einfluß der Nationalliberalen Partei ist nicht lediglich zu werten nach der Zahl ihrer Mandate. Ihre große Bedeutung hat sie erlangt als Partei des intellektuellen Bürgertums, als Partei von Bildung und Besitz im guten Sinne des Wortes. Mochte sie noch so schwach zahlenmäßig sein: Kein Reichskanzler und kein Ministerium im Reiche und in Preußen fühlte sich wohl dabei, ohne die Nationalliberalen oder gegen die Nationalliberalen zu regieren. Wie hat sich Herr von Bethmann Hollweg bemüht, das Odium des schwarzblauen Blocks dadurch von sich zu weisen, daß er die Nationalliberalen einlud, das Schiff dieser Mehrheit mit zu besteigen. Wie sehr bedauert man in den Kreisen der heutigen Reichstagsmehrheit, daß die Nationalliberale Fraktion sich nicht dazu hergab, die Friedensresolution zu unterstützen! Die Mitwirkung der Nationalliberalen Partei war stets die erstrebte Deckung gegenüber der deutschen Öffentlichkeit. Letzten Endes war deshalb der Nationalliberalen Fraktion beschieden, bei allen großen Gesetzen im Reiche bestimmend mitzuwirken, sie mit zu beeinflussen. Darin lag die große Bedeutung, die ein Führer der Nationalliberalen Fraktion und Partei auszuüben in der Lage war.

Dazu war vor allen Dingen eines nötig: die Einigkeit der Partei. Hier setzt Bassermanns großes Parteiverdienst ein. Gewiß litt die Einigkeit äußerlich. Bei den Kämpfen um die Reichsfinanzreform haben wir Mitglieder aus der Fraktion ausscheiden sehen, die sich großen Ansehens in manchen Parteikreisen erfreuten, und haben anderen die Tore der Fraktion verschlossen, die die Ansichten der Ausgeschiedenen teilten. Der Kampf um Bassermanns Person hat jahrelang in der Partei hin und her gewogt. Manche, die heute erkannt haben, was er der Partei gewesen ist, erinnern sich ungern des Widerspruchs, den sie gegen seine Wahl zum Vorsitzenden der Partei einst erhoben haben. Ich bin nicht Optimist genug, um zu glauben, daß der Partei derartige Kämpfe in Zukunft erspart bleiben werden. Nein, sie werden kommen, so heftig wie einst, sobald neue Fragen an die Tore der Politik pochen und die Partei zu ihnen Stellung nehmen muß. Aber mehr und mehr wurde doch das eine klar, daß der Name Bassermann eine einigende Kraft besaß. Auch seine erbittertsten Feinde zweifelten nicht an der Lauterkeit seiner Gesinnung, zweifelten nicht an seiner selbstlosen Hingabe für die Partei. Mochten die Wellen noch so stürmisch aufbrausen, man wußte letzten Endes, daß das Parteischiff den Kurs steuern würde, den Bassermann für den richtigen hielt. Das monarchische Prinzip, von der Partei im Staatsleben betont, setzte sich gewissermaßen auch in der Partei in der Gefolgschaft gegenüber dem Führer durch. Es war der Geist, der sich den Körper baute und der durch alle Widrigkeiten hindurch uns in seinem Namen und in seiner Person die Einheit der Partei verbürgte.

Eine solche Wirkung der Persönlichkeit wäre aber nicht möglich gewesen ohne die Qualifizierung zum Parteiführer, die in Bassermann lag, und die in der richtigen Beurteilung politischer Notwendigkeiten ihren Ausdruck fand. Es würde weit den Rahmen dieser Zeilen überschreiten, hier von Bassermanns Lebenswerk innerhalb der Partei zu sprechen. Nur drei große Gesichtspunkte seines politischen Wirkens will ich hervorheben, die mir richtunggebietend auch für die Zukunft der Partei zu sein scheinen.

Das ist einmal seine Stellung zur deutschen Wirtschaftspolitik. Der Tiefstand der Nationalliberalen Fraktion war mit der Spaltung nach rechts und links leider noch gar nicht überwunden. Das kleine Häuflein, das da verblieb, das hatte, trotzdem es die Extreme rechts und links abgestoßen hatte, noch nicht einmal in sich eine einheitliche Auffassung zu den großen Wirtschaftsfragen der Nation gefunden. Sobald eine Zollfrage, ein Handelsvertrag an den Reichstag kam, dann hob sich der linke und der rechte Flügel in der Fraktion beinahe auf, und Eugen Richter spottete nicht mit Unrecht: »Wenn die Nationalliberale Fraktion bei derartigen Fragen gar nicht im Hause wäre, so würde sich an der Stellung des Reichstages auch nichts ändern.« Der Grundsatz, daß die Partei in wirtschaftlichen Fragen ihren Mitgliedern völlige Freiheit ließe, mußte ja zur Auflösung der Partei führen, je mehr diese wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund traten. Bassermanns großes Verdienst ist es, der Partei ein wirtschaftspolitisches Programm gegeben und sie einheitlich auf der Grundlage dieses Programms geführt zu haben. Die Durchführung des letzten Zolltarifs ist im wesentlichen Bassermanns Werk. Es gehörte viel Mut für den nationalliberalen Führer dazu, diesen Weg zu gehen. Hochauf loderte die Empörung über die Stellung der Partei damals auch in den Kreisen ihrer eigenen Anhänger. Bassermann selbst hat mir oft erzählt, wie peinlich es ihm gewesen wäre, wenn bei jeder Rede, die er hierzu hielt, die Gegner ihm die »National-Zeitung« vorgehalten hätten, die in ihren Leitartikeln die nationalliberale Politik aufs schärfste bekämpfte. Was die demokratische Presse an Gehässigkeit gegen die nationalliberale Politik vorzubringen hat, das haben wir auch in der Gegenwart oft bitter empfunden. Bitter vor allem deshalb, weil manche unserer Anhänger ihre politische Meinung aus diesen trüben Quellen beziehen. Damals galt es, gegenüber dem Sturm der öffentlichen Meinung durchzuhalten, sich nichts abringen zu lassen von dem einmal gefaßten Entschluß. Das hat Bassermann getan. Mit Ausnahme eines einzigen Mitgliedes stimmte die Fraktion geschlossen für den Zolltarif, der die Grundlage unserer heutigen Wirtschaftspolitik bildet. Was Fürst Bülow, der von vielen Leuten mit Unrecht als oberflächlicher Beurteiler dieser Dinge angesehen wird, damals sagte, daß für die deutsche Wirtschaftspolitik zwei Leuchttürme gegeben seien: die Erhaltung der deutschen Landwirtschaft und die Erhaltung des deutschen Welthandels, das war auch für Bassermann die gegebene Richtung seiner Politik. Es war unwahr, daß eine Stärkung der deutschen Landwirtschaft mit der Vernichtung des deutschen Welthandels identisch wäre. Die deutsche Landwirtschaft ist gekräftigt aus dieser Periode der Zollpolitik hervorgegangen, und der deutsche Handel hat eine Entwicklung genommen, die nicht zuletzt Grundlage zu dem Neid und Haß der Außenwelt gewesen ist. Wenn wir in diesem Weltkriege wirtschaftlich durchhalten, dann hat Bassermanns Führung und die dadurch bewirkte Annahme des Zolltarifs daran ihren vollen Anteil. Die Partei aber dankt ihm, daß sie in der von ihm gefundenen mittleren Linie des Zollschutzes die frühere Periode der politischen Anarchie in wirtschaftspolitischen Fragen überwunden und auch für die Zukunft feste Richtlinien für ihr wirtschaftspolitisches Bekenntnis erhalten hat.

Bassermann war aber gleichzeitig ein Führer der deutschen Sozialpolitik. Sein erstes Auftreten in der Partei ist gekennzeichnet durch den Einspruch gegen den Ruf nach einem Ausnahmegesetz gegenüber den gewerkschaftlichen Organisationen. Eine große Reihe von Anträgen, die inzwischen verwirklicht worden sind, für Arbeiter, namentlich für Angestellte, gehen auf seine Initiative zurück. Niemals hat er sich von diesem Wege abbringen lassen. Als ich ihn einmal fragte, welches für ihn wohl der erhebendste Moment in seinem politischen Wirken gewesen sei, da sagte er mir, das wäre die Stunde gewesen, in der bei seiner Aufstellung in Saarbrücken ein Vertreter der Arbeiter nach dem anderen die Zustimmung zu seiner Kandidatur damit begründet hätte, daß man in der Arbeiterschaft zu ihm Vertrauen habe. Er gehörte einer großen Reihe industrieller Unternehmungen an und wirkte in ihnen mit, saß neben Emil Kirdorf und Großindustriellen seiner Richtung in Aufsichtsräten. Aber er hat sich stets den Blick offengehalten, um sich von ungerechtfertigten scharfmacherischen Ideen nicht beeinflussen zu lassen. Dasselbe soziale Empfinden bewahrte er in den Fragen der Steuerpolitik: Deshalb der Bruch bei den Kämpfen um die Reichsfinanzreform; deshalb die freudige Zustimmung zu dem ersten Milliardenwehrbeitrag anläßlich der Militärvorlage. Will irgend jemand heute bezweifeln, daß die Partei hiermit den richtigen Weg gegangen ist? Hätten wir wohl das Bekenntnis der Arbeiterschaft zum Staate so restlos erhalten, wenn wir den Weg der Ausnahmegesetzgebung gegenüber den Arbeiterorganisationen gegangen wären? War etwa Herr von Heydebrand bei den Kämpfen der Reichsfinanzreform ein Staatsmann, wenn er wegen einer Erbschaftssteuer im Gesamtbetrage von 56 Millionen Mark damals die Bülowsche Blockpolitik preisgab? Für jeden berechtigten Schutz der deutschen Landwirtschaft und Industrie einzutreten, aber dabei gleichzeitig die modernen Anforderungen fortschreitender Sozialpolitik zu erfüllen, modernen Problemen, auch bezüglich den Anforderungen der Frauenbewegung, sich nicht zu verschließen – dieser Grundsatz Bassermannscher Politik hat sich bewährt, hat seine Bewährung erfahren durch diesen Weltkrieg. Er wird und muß auch unser Leitstern bleiben für unsere Zukunft.

Das Letzte und Größte: Bassermanns unbeirrbares Eintreten für die großen Daseinsfragen des Vaterlandes. Hier steht vor allem sein Eintreten für die letzte Militärvorlage im Vordergrund. Nicht das Eintreten für die Vorlage, nachdem sie eingebracht war, sondern der Kampf darum, daß sie eingebracht wurde. Kommandierende Generäle und Parteiführer haben einem zaudernden Kriegsminister diese Vorlage abgerungen. Wieder sehe ich deutlich jene Mitternachtsstunde vor mir, in der Bassermann, auf dem großen Platze vor dem Kaiserhof, mit mir auf- und abgehend, seine tiefsten Sorgen aussprach über die künftige Gestaltung unserer Wehrmacht, wenn nicht etwas Durchgreifendes für unser Landheer geschähe. Gegenüber dem Gedanken »Weltpolitik und kein Krieg« lachte er ingrimmig über diejenigen Illusionisten, die da meinten, daß man an der Themse ruhig zusehen werde, wie Deutschland größer und stärker würde, ohne eine Koalition zu schmieden, die dieses Deutschland zu gegebener Stunde zu zerschmettern gedächte; sprach er davon, daß die Gefahr einer allmählichen Überlegenheit der französischen Artillerie über die deutsche gegeben sei, daß unverantwortlich gehandelt würde, wenn nicht alles geschähe, um unbeschadet neuer Steuern und Lasten die deutsche Militärmacht auf das Höchstmaß der Vollendung zu bringen. Von Ort zu Ort ist er damals in Deutschland gezogen, hat überall gepredigt, daß wir eines größeren Heeres bedürften, bis die Voraussetzungen mit gegeben waren für die größte Militärvorlage Deutschlands, die dann glatt über die politische Bühne ging, finanziell sichergestellt wurde und diejenigen Lügen strafte, die ihre eigene politische Schwäche in entscheidenden Momenten damit zu verbergen suchten, daß sie das deutsche Volk der Schwachheit ziehen, die nur in ihren eigenen entschlußlosen Seelen zu finden war.

Aufs engste verbunden mit diesem Eintreten für die deutsche Macht zur Verteidigung von Heimat und Herd stand dann Bassermanns unbeirrbares Eintreten für das Ziel eines größeren Deutschlands nach diesem Kriege. Selbstverständlich war auch für ihn die Voraussetzung für die Erlangung dieses Zieles die militärische Lage, die Möglichkeit der Durchsetzung. Törichte Demagogie stellt es so dar, als wenn eine Handvoll von Utopisten es sich vorgenommen hätte, Welten zu erobern, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, ob die Voraussetzungen dafür in der Kriegslage gegeben seien. Nicht darum geht der große Gegensatz der Meinungen. Aber zwischen denen, die, wie Gothein, selbst in den ersten Augustwochen nach dem wundervollen Siegeslaufe durch Frankreich schon ängstlich in die Welt hinausschrien, daß Deutschland auch im Falle des größten Sieges niemals ein Stück Boden fordern würde, und zwischen denen, die, wie Bassermann, in der Stärke und Macht Deutschlands die beste Friedenssicherung für die Zukunft sahen, da gähnte allerdings eine tiefe Kluft der Anschauungen und Empfindungen, die nicht zu überbrücken war.

Als der Weltkrieg ausbrach und die Bewährung der Bassermannschen Politik sich in diesen großen Grundfragen zeigte, als man erkannte, wie seine Wirtschaftspolitik, seine Sozialpolitik, sein Eintreten für die Rüstung Deutschlands von der Geschichte bestätigt wurden, da empfand auch die Partei erst, was sie an Bassermann besaß. Da wurde jener Parteitag möglich, den die Rheinprovinz mit Westfalen gemeinsam abhielt und der für Bassermann eine der tiefsten Genugtuungen war, auch einer der schönsten Augenblicke in der Partei, wo Rechts und Links sich vereinigten unter dem großen Gesichtspunkt der nationalen Fragen.

Die Gegensätze haben auch während des Krieges nicht geschwiegen. Nicht alle machten sich seine Forderung nach dem unabhängigen U-Boot-Krieg in der Fraktion und in der Partei zu eigen. Nicht alle sahen mit ihm in dem Kampf gegen Bethmann den Kampf um die Sicherung deutscher Zukunft, und andere wieder wichen von ihm ab in der Frage, ob man nach dreijährigem Weltkriege mit diesem unerhörten Kampf auch hinter der Front mit der Inangriffnahme politischer Reformen warten müsse bis nach dem Kriege oder einer schrankenlosen Demagogie vorbeuge, wenn man diese Fragen jetzt in Angriff nähme. Sie alle aber bangten, als sie hörten, daß Bassermanns Körper des Kampfes müde werde. Es liegt eine tiefe Tragik in dem Telegramm Bassermanns zum fünfzigjährigen Bestehen der Partei, in dem er ausspricht, daß sein Herz, das fünfzig Jahre hindurch für die Partei geschlagen habe, ihm nun den Dienst versage, wo es sich darum handele, mit den Freunden zusammen zu sein, um diesen Tag zu begehen. Wenn Kriegsjahre doppelt zählen, dann ist er sehr alt geworden, denn auch die Jahre im Parlament sind Kriegsjahre für einen politischen Führer. Bis in die letzten Tage hinein galt sein Interesse dem Vaterlande und der Partei. Als Erzbergers Vorstoß zu dem Wirrwarr der öffentlichen Meinung führte, erhielt ich von ihm wenige Tage vor seinem Tode noch sein letztes Telegramm, worin er um Mitteilung darüber bat, was im Reichstage vorginge. Den Rücktritt Bethmanns, den er nicht aus persönlicher Antipathie, sondern aus rein sachlichen Erwägungen heraus für notwendig hielt, konnte ich ihm noch mitteilen. Dann kamen die letzten Tage, wo sein Interesse an den Außendingen mehr und mehr erlosch, bis er hinüberschlummerte in das Land, aus dessen Bezirken noch kein Wanderer zurückgekehrt ist. Viele haben um ihn getrauert. Viele haben ihm den letzten Gruß über das Grab hinaus zugerufen; keiner aber hat mehr verloren als die Partei, der er Führer war in fünfundzwanzigjährigem Kampfe, und von der er in dem Augenblicke geht, in dem wuchtige neue Probleme an das Tor pochen, Stellung erheischend, alte Gegensätze auferstehen und in der uns ein Mann fehlt, der, wie er, durch eine so langjährige Tätigkeit und durch so große Erfolge ausgezeichnet, die Einheit der Partei verbürgte. So aber, wie eine schöne Sage von dem Feldherrn spricht, der noch nach dem Tode sein Heer zum Siege führt, so wollen wir hoffen, daß das Gedächtnis an Bassermann und der Aufblick zu ihm uns Leitstern sei für die Fragen der Zukunft und uns das große Erbe erhalte, das er treu sorgend und mit dem ihm anvertrauten Pfunde wuchernd uns überliefert hat und das zu bewahren unsere heilige Pflicht ist.

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In seiner Gedächtnisrede am Grabe Bassermanns wies Stadtpfarrer Dr. Hoff auf den tiefen Eindruck hin, den Bassermanns erste politische Rede in Mannheim ausgelöst hatte. Es war ein Protest gegen die Verweigerung des angeforderten neuen Hilfsarbeiters für Bismarcks Reichskanzlei. Die Bewegung, die damals durch die nationalen Kreise Deutschlands ging, entstammte dem stürmischen Widerspruch gegen die philisterhafte Kleinlichkeit der Auffassung, die sich selbst in dem großen Deutschland nach 1870 so vielfach geltend gemacht hat. Der Feind dieser philisterhaften Auffassung ist Bassermann Zeit seines Lebens gewesen. Niemals hatte er Verständnis für diejenige politische Opposition, die sich einen Ruhmeskranz daraus glaubte winden zu können, bei einer großen Militärvorlage einige Regimenter abzustreichen, die Schiffsbauten zu verlangsamen, den Kolonien einen dürftigen Brocken für ihre Entwicklung hinzuwerfen oder dem alten Reichskanzler als Ehrenbürger von Berlin den Huldigungsgruß zum achtzigsten Geburtstag zu verwehren. Er war ein temperamentvoller Feind jener Art von Deutschtum, die vor nichts so sehr Angst hatte als vor Deutschlands eigener Größe. Wenn man sich einmal überlegt, daß der Gründer des Reiches, der Staatsmann mit dem Riesenmaß der Weltgeltung, Bismarck, als er für den Reichstag aufgestellt wurde, sich erst in der Stichwahl sein Mandat mühsam erkämpfen mußte, dann hat man die Kleinlichkeit dieser Auffassung in ihrer ganzen Herbheit. Wo es gegen diese Philister anzurennen ging, da stand Bassermann in vorderster Reihe. Deshalb war ihm auch nie wohler als im Kampfe für diese Fragen, deshalb sein starkes Bekenntnis zur Blockpolitik des Fürsten Bülow, hervorgegangen aus dem Kampfe um die ersten Ansätze einer großzügigen Kolonialpolitik, deshalb sein Bekenntnis zu Tirpitz, dem Schöpfer der deutschen Flotte, deshalb sein Kampf für starke Kriegsziele gegenüber denjenigen, die es ruhig ertragen, daß an jeder meerbeherrschenden Stelle ein englisches Gibraltar steht, die aber vor Aufregung zittern, wenn sie hören, daß irgend jemand den Gedanken hegt, daß sich auch Deutschland einmal ein Gibraltar an eroberter Küste gegenüber seinem stärksten Feinde errichten könnte.

Der Goethesche Satz, daß das Kind der Vater des Mannes ist, gilt insbesondere für die Politiker. Der damals den ersten Gang auf die politische Walstatt wagte, als das Herz ihn trieb, Einspruch zu erheben gegen deutsche Kleinlichkeit, ist diesem Gedanken treu geblieben bis an das Ende seines Lebens.

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Die politischen Konstellationen haben sich während der Tätigkeit Bassermanns oft gewandelt. Wie er der Nationalliberalen Fraktion trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche im Reichstag den Einfluß zu wahren verstand, habe ich an der Hand von großen Richtlinien seiner Politik oben darzulegen versucht. Als Führer der Fraktion hatte Bassermann die Beziehungen zu den anderen Fraktionen des Reichstages zu pflegen. Diejenigen, die ihn nicht näher kannten, hielten ihn infolge seines Auftretens für stolz, unnahbar, vielfach schroff. Wie wenig er das war, zeigte das Verhältnis zu denjenigen Abgeordneten auch anderer Parteien, mit denen ihn die jahrelange Gemeinschaft der parlamentarischen Arbeit verband. Er hat mir einst erzählt, daß er Zeit seines Lebens sehr gut mit Eugen Richter gestanden hätte. Dem Führer der Fortschrittspartei war er nahegetreten, als es sich um ein Flottengesetz handelte, hatte ihn um eine Unterredung unter vier Augen gebeten und in dieser mehrstündigen Unterredung versucht, Eugen Richter dafür zu gewinnen, die Gegnerschaft gegen die Verstärkung der Flotte aufzugeben. Er hatte ihm all die sachlichen Gründe für die Flottenrüstung vorgeführt, ihn daran erinnert, daß es einst gerade der deutsche Liberalismus und die deutsche Fortschrittspartei gewesen wären, die die deutsche Flottenwehr gefordert hätten, und hatte ihn im Interesse des gesamten Liberalismus gebeten, doch in dieser Frage seine Gegnerschaft aufzugeben. Seine Gründe sind anscheinend auch auf Eugen Richter nicht ohne Eindruck geblieben. Aber in seiner grundsätzlichen Abneigung versteift, trennte er sich von dem jüngeren Kollegen schließlich mit den Worten: »Es mag sein, daß Sie in der Beurteilung der Sache Recht haben, aber ich bin zu alt, um noch umzulernen.« Aber er verabschiedete sich von dem Jüngeren, der ihn aufgesucht hatte, mit herzlichem Händedruck, und die beiden blieben trotz ihrer Gegnerschaft gute persönliche Freunde. Dasselbe darf man wohl von seinem Verhältnis zu August Bebel sagen, mit dem er sich oft und gern unterhielt. Interessant ist, daß Bebel ihm 1912 auf die Frage, was er (Bebel) gemacht hätte, wenn er von der Mehrheit des Reichstags zum Präsidenten gewählt worden wäre, erwiderte: »Selbstverständlich hätte ich angenommen«, und auf die weitere Frage: »Wären Sie dann auch zum Kaiser gegangen, um ihm die Bildung des Präsidiums anzuzeigen?« ebenfalls erwiderte: »Ich hätte mich keinen Augenblick besonnen, zum Kaiser zu gehen.« Mit Führern der Zentrumspartei verbanden ihn ebenfalls gute persönliche Beziehungen, wie er denn überhaupt in einem Zusammenwirken der Nationalliberalen und der Zentrumspartei gerade für die Zukunft nach dem Frieden eine Aufgabe der Nationalliberalen im Reiche sah. Als den größten Fehler der Nationalliberalen Partei hat er mir gegenüber stets den Kulturkampf bezeichnet, und einem bekannten Manne des katholischen Hochadels, der ihm in der Kriegszeit einmal sagte, daß er seinem König auf dessen Frage, welcher politischen Gesinnung er angehöre, geantwortet hätte, er sei nationalliberal, was seinen katholischen König sehr wunderte, erwiderte Bassermann damals: »Was hätten wir uns für Kämpfe in Deutschland erspart und welche Bedeutung hätte sich die Nationalliberale Partei bewahrt, wenn sie sich nicht auf das kulturkämpferische Gleis hätte leiten lassen. Wäre ich damals in der Nationalliberalen Partei gewesen«, fügte er hinzu, »des bin ich gewiß, daß ich diese Sachen niemals mitgemacht haben würde.« Weniger Beziehungen hatte er zu den Männern der Konservativen Partei, obwohl er ihnen sachlich gerade in nationalen Fragen nahestand und obwohl er mir noch in der letzten Unterredung, die ich vor seinem Tode mit ihm hatte, ans Herz legte, dafür zu sorgen, daß in nationalen Fragen die Konservativen nicht isoliert würden. Vielleicht brachte er gerade ihren selbstbewußten Führern gegenüber ein berechtigtes Selbstbewußtsein sehr prononciert zum Ausdruck, wie er überhaupt in bezug auf die Stellung des Bürgertums von einem Selbstgefühl war, das man bei vielen Vertretern dieses Bürgertums leider sehr selten findet. Zu den gegenwärtigen Führern der Fortschrittlichen Volkspartei fehlte ihm teilweise der persönliche Konnex. In vielen Fragen, die die Stellung des Parlaments gegenüber der Reichsregierung betreffen, war er, wenn der Ausdruck erlaubt ist, der weit mehr demokratisch Empfindende. Gegen den Gouvernementalismus, der zeitweise die Fortschrittliche Volkspartei in der Bethmann-Ära erfaßte, hatte er starke Bedenken. Als einer der fortschrittlichen Führer einmal im Seniorenkonvent sich überhaupt gegen eine baldige Wiedereinberufung des Reichstags wandte, sprach er ziemlich erregt von den fortschrittlichen Sturmgesellen, die am liebsten den Reichstag ganz nach Hause schickten, nur damit ihr Liebling Bethmann allein in Deutschland regiert.

Innerhalb der Reichstagsfraktion war er den meisten ein Freund und guter Kamerad. Ganz im Gegensatz zu der Art Eugen Richters, der die aufstrebenden Talente in der Fortschrittspartei niederhielt, hatte er eine herzliche Freude an jeder neuen Kraft in der Fraktion, die sich herauswagte, stellte jeden auf den Platz, auf den er gehörte, und wußte alle Kräfte, die sich innerhalb der Partei und Fraktion regten, für die Sache auszunutzen. Fand er dann noch einen Kreis Gleichgesinnter, der sich mit ihm nach des parlamentarischen Tages Mühen bei frohem Mahle vereinte, dann wußte er diese Stunden für die, die um ihn waren, zu Festesstunden zu gestalten. Was war das für ein prächtiges kameradschaftliches Verhältnis während des Blockreichstages in der Runde, die sich bei Habel versammelte, wenn die zündenden Witzworte herüber- und hinüberzuckten, wo man sich selber fröhlich ironisierte und wo man Sonntags mit Bassermann jene Ausflüge ins deutsche Land machte, auf denen man den Menschen Bassermann erst recht kennenlernte. Denn ihm war dieses deutsche Vaterland eine Heimat, die er kannte in all ihren intimen Schönheiten, in all dem, was aus ihrer Jahrtausende alten Geschichte dem, der diese Geschichte liebt, ins Herz geschrieben ist. Er reiste nie ohne seinen Bädecker. Aber er schaute nicht nach dem, was dort besternt war, allein, sondern er kannte es gar nicht anders, als in jeder Stadt, die er besuchte, sich um all das zu kümmern, was sie in sich barg, in die Winkel der Stadt, in ihre Kirchen einzudringen, auf ihren Friedhöfen die Gräber ihrer berühmten Mitbürger zu besuchen und ihre Geschichte in sich wieder auferstehen zu lassen. Unser früherer Reichstagskollege Wetzel erzählt in seinem Nachruf auf Bassermann, wie er sich in Hildesheim der ihn nach einer Rede umjubelnden Menge entzog, um noch am späten Abend die Giebel der alten Stadt zu betrachten. Wenn er am Fenster des Schnellzuges saß, dann machte er mich vorher darauf aufmerksam, wenn irgendwo auch nur ein verfallener Burgenrest grüßte. Keine schönere Erholung, als wenn er eine Burgenfahrt mitmachen konnte, keine Stadt so klein, in der er nicht den Antiquar aufsuchte, um zu sehen, ob er nicht einen alten Stich von Napoleon, Friedrich dem Großen, irgendein Deckelglas aus dem Mittelalter, den Stock eines alten Patriziers oder anderes für sein Heim mitbringen konnte. Zu meinem großen Erstaunen sagte er einst in Norderney Vorträgen in kleinen Städten des ersten ostfriesischen Wahlkreises zu. Die Zeitungen sprachen darauf von einer voraussichtlichen Kandidatur Bassermanns in diesem Kreise, sahen darin schon eine Aufkündigung des liberalen Zusammengehens, zerbrachen sich die Köpfe über den Grund dieser Aktion und konnten allerdings nicht daraufkommen, daß Bassermann mir zur Antwort gab: »Ich wollte schon lange mal dahin, ich glaube, man kann da noch alte ostfriesische Truhen bekommen, die ich schon so lange suche.«

Oft ist der Streit um seine Person in der Partei hin- und hergewogt, oft hat es auch nicht an häßlichen Angriffen auf ihn gefehlt. Niemals ist er dann Rufer im Streit für sich gewesen. Ihn verwundeten die Stiche, die aus dem Hinterhalt gegen ihn geführt wurden, aber er hätte auch nicht den kleinen Finger gerührt, um sich dagegen zu verteidigen. Das überließ er seinen Freunden, die es dann auch redlich für ihn getan haben. Aber oft verzweifelten sie daran, ihn zu einem energischen Vorgehen zu bringen, wo sie glaubten, daß dieses energische Vorgehen die Einheit schneller wieder herstellen konnte. Es war gegen seine Natur, für seine Person zu kämpfen, er zog sich dann zurück in sein Inneres, schüttete wohl manchmal einem Freunde das Herz aus in bitterer Aufwallung über all das Niederträchtige, was keinem Politiker erspart bleibt, und überließ es dann der Partei, darüber zu entscheiden, ob sie ihn als ihren Führer weiter ansehen wollte. Die aber hatte erkannt, welch ein redlicher Wille, welch ein prächtiger Charakter in diesem Menschen und Politiker steckte, und als er nach einer unsäglich schweren politischen Kampagne in der eigenen Partei, die dem Außenstehenden den Eindruck erwecken mußte, als stände alles gegen ihn, auf dem Parteitag in Kassel sich anschickte, die ersten Worte seiner Rede zu sprechen, da umbrauste ihn ein Jubel der mehr als tausend Delegierten, der ihm die Tränen in die Augen trieb, weil er ihm zeigte, wie all diese Angriffe nicht vermocht hatten, das felsenfeste Vertrauen zu ihm zu erschüttern, so daß einer seiner Gegner, der später auch in Kriegszeiten sein Herz für Bassermann entdeckte – mit Zischen empfangen –, seine Rede mit den Worten begann: »Ich will nichts gegen Herrn Bassermann sagen, schon im Interesse meiner körperlichen Gesundheit.«

Wenn er aber dann sah, einen wie tiefen Untergrund die Bestrebungen hatten, die er vertrat, dann wuchs auch seine Rede ins Große. Ein gewaltiger Redner im rhetorischen Sinne ist er eigentlich nicht gewesen. Die tiefe Wirkung seiner Reden war gegeben durch die Fülle der in ihnen enthaltenen sachlichen Gesichtspunkte, gegeben durch die Persönlichkeit des Redners. Auf den Parteitagen vermochte er, wie Friedrich Naumann es einmal aussprach, in seinen Reden noch die ganze Nationalliberale Partei, das ganze nationalliberale Bürgertum Deutschlands in seinen Grundgedanken zu umspannen. War aber dann noch der engere Kreis des Parteitages zusammen bei festlichem Mahle und sprach Bassermann den Spruch auf Kaiser und Reich, dann wurde er jung, dann stieg die Wärme der Stimmung, der Empfindung, dann riß er uns hin zu unendlich tiefer Empfindung, zu unendlich hohem Jubel. Da quoll aus seiner Rede hervor der heiße Strom des besten patriotischen Empfindens, das ihm stets eigen war, da stand vor uns der Mann, dem die Größe seines Deutschlands Anfang und Ende seines Lebens und Wirkens war, da standen wir alle unter dem Banne dessen, was Name und Person Bassermanns bedeutete.

In einem an sich sehr sympathischen Nachruf an Bassermann las ich, daß es das Ziel seines Strebens gewesen wäre, Staatssekretär zu werden. Wie wenig muß der, der jene Zeilen niederschrieb, den Menschen Bassermann gekannt haben! Zunächst einmal hätte Bassermann, wenn er hierauf Wert gelegt hätte, das zu Bülows Zeit ja gewiß haben können. Soviel ich weiß, ist auch mit ihm hierüber einmal gesprochen worden, und er hat lachend darauf erwidert: »Glauben Sie denn, daß ich eine Stellung annehmen werde, bei der ich so gebunden bin, daß ich um Urlaub nachsuchen muß, wenn ich länger als drei Tage meiner Amtsstätte fernbleibe?« Die ganze, manchmal rastlose Art seines Lebens, sein Wandertrieb, seine Freude an wechselnden Eindrücken, intensive Arbeit abwechselnd mit Sammlung und stiller Beschaulichkeit, seine Verachtung aller Formalitäten und Äußerlichkeiten hätten ihm ja das Leben eines Staatssekretärs oder Ministers zur Qual gemacht. Dabei hat er das Nichtministersein niemals als etwas ihn Herabdrückendes empfinden können, denn darin war er allerdings ein Demokrat, daß er die Stellung eines Parteiführers derjenigen eines Ministers in Preußen oder eines Staatssekretärs in Deutschland zum mindesten für gleichwertig erachtete. Er hat niemals im Vorzimmer eines Ministers antichambriert, er kam auch stets hier nur, wenn er gerufen wurde und wenn man seiner bedurfte. Er hat allerdings auch niemals für sich oder andere etwas Persönliches durchsetzen wollen und hat sich dadurch gerade die große Stellung mit erworben, die ihn als Parteiführer auszeichnete.

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Zweierlei war bestimmend für sein Leben: Seine Studentenzeit als Leipziger und Heidelberger Korpsstudent und seine militärische Stellung. Man hat so viel auf die Korpserziehung gescholten. Sie ist wohl mit ein Teil jenes deutschen Wesens, das unsere Feinde gern vernichten möchten, weil sie sie nicht verstehen, weil sie urdeutsches Gewächs ist, das nur ein Deutscher zu schätzen weiß, Ausartungen im Raufen und im Saufen mag es gegeben haben in Jena, Halle und Heidelberg, solange es deutsche Studenten gibt, aber die schlechtesten Kerle sind es weiß Gott nicht gewesen, die diese Erziehung genossen haben, die sich der vollen Ungebundenheit der Jugend hingegeben haben in den nie wiederkehrenden Jahren der Freiheit, wo der Mensch aus dem Zwange der gymnasialen Erziehung heraus zuerst die Luft der Freiheit einatmet und nun der Sonne entgegenjauchzt, wenn überhaupt nur Jugend in ihm steckt, Bismarck hat einmal den Satz geprägt, daß die Welt uns den deutschen Offizier nicht nachmache. Nun, den deutschen Studenten macht sie uns auch nicht nach. Dieses Verbundensein der Alten mit den Jungen, dieses Altherrentum in den Korps und Burschenschaften, die trotzige und gleichzeitig wehmütige deutsche Poesie des Kommersbuches, die möchte ich nicht aus unserer deutschen Literatur missen. Ein Reservefonds des Glücksempfindens bleibt in jedem Menschen, der einmal solche Jahre durchgemacht hat und die Erinnerung daran sich bewahrte. Bassermann hat sie sich bewahrt. Einst fragten mich Kollegen im Reichstag, was denn vorginge, da Bassermann stundenlang auf seinem Platz eifrige Notizen niederschrieb, die sich zu immer stärkeren kleinen Bänden verdichteten. Man glaubte an irgendeine politische Denkschrift, die dort inmitten der Debatten des Reichstages entstand. Was entstand, war aber nichts anderes als ein Beitrag zu der Geschichte des Korps »Lusatia« in Leipzig, den Bassermann da niederschrieb. Kamen die Mitglieder des Korps irgendwo zusammen, feierte sein Korps ein Stiftungsfest, dann eilte er hin zu ihnen, dann war er jung mit den Jungen. In ihm lebte ein Quell von Liedern. Es paßte zu ihm, daß die Mannheimer Liedertafel an seinem Grabe sang, ebenso wie es zu seinem Wesen paßte, daß sein Korps vertreten war, daß militärisches Ehrengeleit ihn zu seiner letzten Ruhestätte begleitete. Als wir einmal in Norderney mit einem Segelschiff hinausfuhren und junge Mädchen Studentenlieder anstimmten, wie sang er da mit, wie war er da froh, wie ging da ein Leuchten über sein Gesicht, als alle die alten Lieblingsmelodien ertönten. So empfinden kann nur einer, der eine deutsche Studentenerziehung genossen hat. Denn unser Deutschland, für das wir kämpfen, das wird nicht versinnbildlicht durch ein hohes Ästhetentum in den Großstadt-Cafés – nein, in den Dörfern, wo unsere deutschen Pfarrer sitzen, auf unseren Bauern- und Gutshöfen, in der Kleinstadt selbst bei dem so oft verachteten Stammtisch, bei unserem guten mittleren deutschen Bürgertum in Stadt und Land, da wo man noch nicht so verbildet ist, um sich nicht zu freuen an deutschem Lied und deutschem Sang, deutscher Geschichte und heimatlichem Urempfinden, wo man die Ost- und Nordsee, den Harz und das Riesengebirge höher schätzt als »Monte« und St. Moritz, da liegt das Tiefinnerste unseres deutschen Wesens fester verankert, als manche noch so gelehrte kosmopolitische Publizisten sich irgendwie träumen lassen, die mit all ihren Ballen bedruckten Papiers, die diese kosmopolitischen Ideen hinaustragen, diese deutsche Eigenart nie hinaustreiben werden, so lange es noch Deutsche gibt.

Und zu dem Korpsstudenten Bassermann gehörte der Rittmeister und spätere Major Bassermann. Bis in das späte Alter hinein hat er seine Übungen mitgemacht, war er stolz darauf, den militärischen Rock zu tragen. Wenige Tage vor der Kriegserklärung schrieb er mir: »Ich kann mich jetzt um Politik nicht kümmern. Am ersten Tage, wo der Krieg beginnt, ziehe ich ins Feld.« Er hat die Franktireurkämpfe in Belgien ebenso mitgemacht wie den schleunigen Vormarsch nach Polen unter Hindenburg und den Rückzug; ist mit den Eilmärschen gejagt worden wie die anderen, hat wochenlang nichts anderes als das harte Lager der Erde mit seinen Soldaten geteilt und so als mehr als Sechzigjähriger gezeigt, wie er seine Pflicht gegenüber dem Vaterlande auffaßte. Daß er zu organisieren verstand, daß er die Psychologie der anderen Völker gut zu beurteilen wußte, zeigte seine kurze aber erfolgreiche Tätigkeit in Antwerpen. Als er in Berlin als Kriegsgerichtsrat tätig war, da hatte er, als ein großer Ingrimm über unsere politische Lage, die der militärischen so ungleich war, ihn übermannte, davon gesprochen, daß er alles liegen lassen und wieder ins Feld ziehen wolle, um, wenn es nicht anders bestimmt sei, lieber draußen zu fallen als hier zu sitzen und das nicht ändern zu können, was er als änderungsnotwendig ansah.

Hunderttausende in Deutschland haben den Politiker Bassermann gekannt, wenige den Menschen. Diejenigen, die ihn kannten, schätzten den Menschen ebenso hoch ein wie den Politiker. Eine vornehme deutsche Natur ist mit ihm zu Grabe getragen worden, der Sproß eines alten Patriziergeschlechts, deutscher Patrizier im besten Sinne des Wortes in seinem Wirken, Wesen und Leben. »Glauben Sie mir, auch im politischen Leben setzt sich auf die Dauer die Befähigung nicht durch, sondern nur der Charakter«, so sagte mir Bassermann einmal, als wir von fähigen Männern sprachen, mit denen wir im Kampfe ständen. Wenn der Charakter aller Deutschen ihm gliche in der Ehrlichkeit und Lauterkeit seines Strebens, in der Vornehmheit seines Wesens und Charakters, in der unbedingten Hingabe an das, was unser Höchstes sein soll, unser Vaterland, dann brauchten wir um Deutschlands Zukunft nicht zu sorgen.


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