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1916.
Reichstagsrede. 18.1.1916
Gestatten Sie mir, daß ich zunächst auf den Antrag eingehe, den Ihnen der Haushaltsausschuß vorlegt, und der sich auf die Erlasse bezieht, die Herr Minister v. Loebell verantwortlich zeichnet. Es ist von dem Vertreter des Herrn preußischen Ministers zum Ausdruck gebracht worden, daß er zwar bereit sei, dem Haushaltsausschuß über seine Stellung zu diesem Erlaß Aufschluß zu geben, daß er aber an sich die Kompetenz des Deutschen Reichstags bestreiten müßte, sich mit dieser rein preußischen Frage zu befassen. Diese Auffassung vermag ich in keiner Weise zu teilen, und ich glaube, die Unrichtigkeit dieser Auffassung des Herrn preußischen Ministers geht allein schon dadurch hervor, daß er ausdrücklich als Zweck der von ihm gewünschten Beeinflussung der öffentlichen Meinung diese Beeinflussung zur Zeit der Wahlen hinstellt. Ja, meine Herren, hat denn der Herr v. Loebell dabei an preußische Landtagswahlen gedacht? Das preußische Landtagswahlrecht, so wie es heute besteht, ist ja »abgesehen von einigen Schönheitsfehlern so geradezu ideal«, daß es bei diesem Wahlrecht einer Beeinflussung durch das preußische Ministerium des Innern gar nicht bedarf. Man wird also wohl annehmen können, daß es sich nicht allein um die Einflußnahme auf Wahlen zum Preußischen Landtage gehandelt hat, sondern daß dabei auch die Einflußnahme auf Wahlen zum Deutschen Reichstag in Aussicht genommen ist. Das gibt uns aber das Recht, uns mit diesem Erlaß auch hier zu beschäftigen, weil er in die gegenseitigen Auseinandersetzungen der Parteien mit der Regierung hineingreift.
Nun sagte Herr Minister v. Loebell durch seinen Vertreter im Ausschuß und in seiner öffentlichen Darlegung: Wollt ihr denn der Regierung bestreiten, daß sie das Recht hat, auch frei ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen? Ihr habt eure Parteikorrespondenzen, ihr habt eure Redner im Lande; ich sehe eine gewisse Einseitigkeit der Beeinflussung der Provinzpresse dadurch, daß sie mehr und mehr in Abhängigkeit von großen Verlagsunternehmungen in Berlin gerät; ich will dem entgegentreten und beanspruche für mich das Recht dieser Freiheit der Meinungsäußerung genau so, wie ihr es für eure Partei in Anspruch nehmt. Er hat weiter ausdrücken lassen: Wenn es zum Kampf kommt, freue er sich dieses Kampfes; er werde auch nicht, wenn es notwendig sei, davor zurückschrecken, seine Ansichten etwa in einer Wahlrede zu vertreten.
Niemand wird gegen diese Gedankengänge etwas einzuwenden haben. Im Gegenteil, ich würde mich freuen und würde es als einen Fortschritt in unserem gesamten politischen Leben bezeichnen, wenn unsere Herren Staatsminister mit ihrer ganzen Persönlichkeit auch im Wahlkampf oder in anderen Zeiten für dasjenige eintreten, was ihre Ideen sind. Wir sehen in Deutschland gerade im Frieden, daß vielfach die Stellung des Deutschen zum Staat eigentlich eine fortgesetzte innere Opposition ist, in der er sich zu diesem Begriff »Staat« befindet. Die Einheit von Staat und Bürger ist vor diesem Weltkriege dem einzelnen wenig vor die Augen getreten. Ich habe darin immer einen bedauerlichen Gegensatz zu denjenigen Ländern gefunden, in denen die parlamentarische Regierungsform vorherrschte. Dort war vielleicht die Opposition die Vertreterin einer gegensätzlichen Bewegung gegen ein Ministerium, gegen ein System. Aber es war nicht das, was an grundsätzlicher Opposition vielfach bei uns in dem Bürger gegen den Begriff »Staat« deshalb vorhanden ist, weil er die Vertreter der Regierung nicht in dem Maße in dem Kampf der Meinungen erblickt, weil er sie nicht derartig als Vertreter der von ihnen geäußerten Auffassungen im Kampfe sieht, im Streite der öffentlichen Meinungen wie in anderen Ländern. Glauben Sie mir, daß eine Regierung gegenüber einer grundsätzlichen Opposition, gegenüber einer äußersten Linken, die den Staatsgedanken zu negieren in der Lage wäre, viel eher durchkommt mit dem Begriff des Staatsgedankens, wenn sie mit uns kämpft wie in England, als wenn sie lediglich von Zeit zu Zeit durch die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« eine offiziöse Bekundung bringt. Durch nichts würde dieser Gegensatz zwischen Bureaukratie und Volk besser überbrückt werden, als durch eine stärkere Fühlungnahme der leitenden Minister mit der öffentlichen Meinung. Das deutsche Volk liebt starke Persönlichkeiten; es würde in dem Umstande, daß Minister in Volksversammlungen für ihr Programm kämpfen, nichts sehen, was es beanstandete, sondern dem zustimmen.
Aber etwas anderes ist es, was der Erlaß des Herrn v. Loebell zum Ausdruck bringt. Das ist nicht der offene Kampf von der Tribüne irgendeiner Volksversammlung, nicht der offene Kampf im Parlament, sondern es ist eine neue Art von Offiziosentum, das auf dem Zwange beruht. Das ist, wogegen wir uns gestellt haben, daß man einmal durch einen zu weitgehenden Zwang landrätlicher Art versucht hat, es dahin zu bringen, daß unter Abbestellung von anderen Korrespondenzen einmal eine amtliche Korrespondenz eingeführt wird, und dann zweitens so weit geht, den Abdruck gewisser Artikel zwangsweise zu verlangen. Wir wenden uns vor allen Dingen dagegen, daß man zur Durchführung eines solchen Gedankens, der der Preßfreiheit widerstrebt, die Zeit benutzt, in der die Presse selbst und die Parteien durch die Verhältnisse der Zensur nicht in der Lage sind, Widerspruch zu erheben, den sie unzweifelhaft erheben würden.
Ich komme damit zur Handhabung der Zensur selbst. Wenn man alle die Fälle mit anhört, die wir im Haushaltsausschuß und heute von dieser Tribüne gehört haben, da muß man sagen: Es ist wirklich schwer, keine Satire zu schreiben. Ich gebe zu, daß es andererseits auch schwer ist, sein Amt als Zensor auszuüben, ohne Anstoß zu erregen, ohne Ungeschicklichkeiten zu begehen. Aber das, was wir hier bekämpfen, sind doch nicht Ungeschicklichkeiten, sind doch nicht Entgleisungen, das ist schon ein ganzes System einer völlig irrigen Auffassung dessen, was mit dem Zweck der Zensur erreicht werden soll. Ich möchte mich vollständig dem anschließen, was der Herr Kollege Fischbeck vor mir zum Ausdruck gebracht hat: Die Zensur in den Dienst von Privatinteresse zu stellen, einer Bank den Schutz gegen eine Kritik ihrer Bilanz zu geben, ist das Tollste, was ich mir vorstellen kann in bezug auf eine völlige Verkennung des Wesens der Zensur, und nicht anders steht es mit dem Gedanken, hier die Auseinandersetzungen über die Zweckmäßigkeit einer Organisation Berlins und der Vororte zu verbieten. Unerhört aber ist die Anmaßung, die sich einige Herren erlauben, die Reichstagsverhandlungen unter Zensur nehmen zu wollen. Ich scheue mich nicht zu sagen, daß das, was der Herr Abgeordnete Dittmann ausgeführt hat, durchaus geteilt werden muß von jedem Mitgliede dieses Hauses, daß wir aufhören, ein achtenswertes Parlament zu sein, wenn diese Tribüne unter die Aufsicht eines stellvertretenden Generalkommandos gestellt werden könnte. Das müssen wir uns verbitten und müssen den Herrn Reichskanzler ersuchen, seinen Einfluß geltend zu machen, daß derartige Dinge unterbunden werden, die uns im Auslande viel mehr schaden, als es schaden würde, wenn die schärfsten Reden hier im Hause gehalten und im Auslande bekannt würden.
Wenn wir im Gegensatz zu dem Antrage der Herren von der Sozialdemokratischen Partei den Standpunkt vertreten, den auch mein Herr Vorredner zum Ausdruck gebracht hat, daß wir nicht den Belagerungszustand völlig aufheben und die Freiheit der Presse herstellen können, so müssen wir davor geschützt sein, daß nicht diese Zustände bleiben, die hier mit vollem Recht kritisiert worden sind. Teilweise sind diese Dinge ja Lächerlichkeiten, die noch mit verhältnismäßiger Ruhe betrachtet werden können, weil sie keinen Schaden anrichten. Wenn z. B. ein Zensor Goethe verbietet und Lenau umdichtet, dann mag er selber, wenn er nachher bekannt wird, in dem Humor der Weltgeschichte fortleben. Aber nach anderer Richtung gehen auch diese Dinge dahin, daß mitunter Formalien zu einer völligen Unterbindung der freien Meinungsäußerung sich auswachsen. Darunter verstehe ich beispielsweise, daß von manchen Rednern verlangt wird, daß sie vor ihrer Rede das gesamte Manuskript ihrer Ausführungen der Behörde vorlegen und daß sogar dafür gesorgt wird, daß eine Kontrolle geschaffen wird, um festzustellen, daß nicht irgendwie ein Wort vorgelesen wird, das nicht in dem vorgelegten Manuskript zum Ausdruck gebracht ist. Damit schließen Sie zunächst einmal jeden, der wirklich ein Redner ist, von der Betätigung in der Öffentlichkeit aus. Denn ein wirklicher Redner wird sich niemals dazu hergeben, ein derartiges Manuskript zu verlesen, und weiter wird bei anderen dadurch der Geist tödlicher Langeweile von vornherein über diese ganzen Versammlungen ausgegossen, so daß sie jede sachliche Bedeutung verlieren. Ich muß allerdings sagen, daß mir eine derartige Forderung in meiner Praxis nie vorgekommen ist; es scheint sich auch nur um einzelne Generalkommandos zu handeln, aber wo es überhaupt geschieht, da ist das eine viel zu weitgehende Überwachung.
Auf einem anderen Gebiete, dem der persönlichen Freiheit, liegen nun diejenigen Dinge, die über die Frage der Sicherheitshaft, über die Frage der Briefsperre auch von meinem Herrn Vorredner zum Ausdruck gebracht worden sind. Ich würde es begrüßen, wenn sich ein Weg finden ließe, der uns die Möglichkeit gäbe, doch auch hier, namentlich nach der ersten Richtung, denjenigen mit beistehen zu können, die da glauben, mit Unrecht ihrer persönlichen Freiheit beraubt zu werden. Ich gebe durchaus zu, daß in solchen Zeiten ein derartiges Mittel vorhanden sein muß. Aber wer es ausübt, sollte sich der schweren Verantwortung bewußt sein, die er jedem einzelnen gegenüber hat. Die Briefsperre trifft hier Anhänger aller Anschauungen. Mir war nicht bewußt, daß Anhänger der Friedensbewegung unter der Briefsperre zu leiden haben. Ich weiß aber, daß Anhänger der Annexionsbestrebungen, ja sogar ihre Frauen und Dienstmädchen, mit der Briefsperre belegt worden sind. Wenn Leute, die im öffentlichen Leben stehen, wie Rechtsanwalt Claaß, davon betroffen werden, so ist das eine schwere geschäftliche Schädigung, wenn er als Rechtsanwalt auch Geschäftsbriefe erst mit vierzehntägiger Verspätung oder gar nicht erhält. Das ist nicht die Art, wie man die Auseinandersetzung über Kriegsziele vermeiden oder einschränken kann, wenn man nicht nur dem einzelnen Verfasser verbietet, sein Manuskript herauszugeben, sondern sein ganzes Privatleben, sein Geschäftsleben unter eine Aufsicht stellt, von der ich überhaupt nicht geglaubt hatte, daß sie in heutiger Zeit gesetzmäßig noch zulässig sei.
Es ist gefragt worden, ob die Zensur nicht ungleichmäßig geübt werde. Eine Reihe von Eingaben, über die ich als Berichterstatter gesprochen habe, beschweren sich darüber, daß da, wo es sich um die künftigen Kriegsziele handelt, eine derartige Parität, eine derartige gleichmäßige Behandlung nicht vorhanden sei. Man sagt, es würde in der weitestgehenden Weise denen das Wort verstattet, die für weitgehende Eroberungspläne eintreten, und denen verwehrt, die in einer Zurückweisung dieser Pläne den dauernden Frieden sicher gewahrt sehen. Ich darf demgegenüber darauf hinweisen, damit darüber nicht falsche Meinungen ins Land hinausgehen, daß beispielsweise wiederholt verboten wurde die »Deutsche Tageszeitung«, »Tägliche Rundschau«, »Crefelder Zeitung«, »Die Post«, auf die Tatsache, daß die »Bergisch-Märkische Zeitung« des Herrn Landtagsabgeordneten Bachmeister unter Vorzensur steht, daß die Gildemeistersche Broschüre der Intellektuellen nicht mehr verbreitet werden darf, daß der Geheimrat Kirdorf, als er am 1. April 1915 in den »Alldeutschen Blättern« eine Veröffentlichung machen wollte, er sie der Öffentlichkeit so vorlegen mußte: »Zu Bismarcks Geburtstag«. Dann kam ein weißer Strich, der bis zu Ende ging, und darunter stand »Emil Kirdorf«. Es wird nach dieser Richtung auch, und mit aller Schärfe, gegen diejenigen vorgegangen, die diese Zukunftsfragen des deutschen Volkes im Sinne der Gebietserweiterungen erörtern. Ich habe erst in diesen Tagen erfahren, wie weit das geht. Der »Nationalliberalen Korrespondenz für die Rheinprovinz« hat man verboten, das ostasiatische Problem wirtschaftlich zu erörtern. Welche Rücksichten dabei obgewaltet haben, weiß ich nicht. Ich will nur noch auf eins hinweisen. Als Generalfeldmarschall von Hindenburg sich einem Berichterstatter der »Neuen Freien Presse« gegenüber über seine Ansichten über den Krieg ausgedrückt hat, als er das prächtige Wort ausgesprochen hat: »Nicht durchhalten, sondern siegen«, und über manche andere Fragen mit der ihm eigenen Frische sich geäußert hat, ist, wie mir aus Parteikreisen mitgeteilt wurde, nachdem eine Zeitung diese Unterredung abgedruckt hatte, sogar diese Unterredung unter Zensur gestellt worden. Das kann, wenn es auch nur eine Ungeschicklichkeit ist, zu sehr bedenklichen Erörterungen in der Öffentlichkeit führen. Das wird von keiner Seite aus verstanden.
Wir kommen aber nicht weiter, wenn wir Einzelheiten erörtern, zumal die ja meist zurückliegen, so daß wir an den Tatsachen nichts mehr zu ändern vermögen. Es handelt sich darum, den Grundgedanken zu beleuchten, ob denn überhaupt das Staatsinteresse bedroht ist, wenn in der Kriegszeit politische Fragen in größerem Maße erörtert werden. Ich bestreite es, daß hier eine Verletzung des Staatsinteresses in der Weise zu befürchten ist, wie sie angeführt wird. Was ist denn der Begriff »Burgfriede«, von dem man fürchtet, daß er verletzt werden könnte, daß er nicht mehr dem Auslande das Bild eines einigen deutschen Volkes vor Augen führte? Ich glaube, niemals, auch nicht in den ersten Augusttagen, als die Wogen der Begeisterung so hoch gingen im deutschen Volke, hat jemand den Begriff »Burgfrieden« so gedacht oder denken können, daß nun auch alle die großen Gegensätze, die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Grundauffassungen, im deutschen Volke ausgelöscht sein sollten. Ein Siebzigmillionenvolk wird niemals über diese Gegensätze hinwegkommen. Gerade ein Volk der deutschen Schulbildung wird niemals über die Gegensätze hinwegkommen, weil sie den Menschen zu sehr zur Einzelpersönlichkeit erzieht, als daß er lediglich Masseninstinkten oder lediglich irgendeiner gouvernementalen Beeinflussung zugänglich wäre. In einem Volke der Intellektuellen wird sich stets die Einzelpersönlichkeit schwer in den Rahmen einer Gesamtauffassung restlos einfügen. Wir merken das ja manchmal bei allen Parteien, wie schwer die Einfügung selbst in ein Parteiprogramm sich vollzieht. Noch viel schwerer, ja unmöglich ist es, daß ein Burgfrieden in diesem Sinne geschaffen werden könnte. Nein, meine Herren, unter Burgfrieden verstehe ich die gegenseitige Achtung der Parteien, verstehe ich die Auffassung, daß einer dem anderen von vornherein zugesteht, daß er das Vaterland ebenso liebt wie der Gegner, daß er es groß und in der Welt geachtet sehen will, daß nur die Wege verschieden sind, auf denen er meint, zu dem Ziele gelangen zu wollen. Wenn wir in diesem Sinne den Burgfrieden auffassen, bewahren wir uns die Möglichkeit, auch unsere verschiedenen Auffassungen über Wirtschaftsfragen, über soziale Probleme, auch über die großen Zukunftsprobleme der Kriegsziele, zum Ausdruck zu bringen, ohne daß dadurch das Staatsinteresse als solches zu leiden braucht oder etwa gar zusammenbricht.
Erkennt man den Gedanken des engeren Burgfriedens, wie ich ihn nennen möchte, in dem Sinne an, wie ich versucht habe, ihn zu charakterisieren, dann sinken die Bedenken gegen die Erörterung aller der großen Fragen, die sich gerade jetzt an uns herandrängen, immer mehr in sich zusammen. Wir können positiv das eine sagen – es mag im ersten Augenblick vielleicht sehr gewagt und zu weitgehend erscheinen –: Der Weltkrieg ist überhaupt nur mit der öffentlichen Meinung zu gewinnen. In dieser Beziehung ist uns doch England ein Lehrmeister gewesen, wenn auch die Art, in der England einseitig und zum Teil heuchlerisch-verbrecherisch gegen uns vorging, von uns nicht nachgeahmt werden kann. Wie hat England den Wert der öffentlichen Meinung schon in Friedenszeiten einzuschätzen verstanden! Es kämpft gegen uns nicht nur mit Flotte und Heer und Blockade, es kämpft gegen uns auch mit Kabel und Telegraphenbureaus, es kämpft mit Films im Kino, es kämpft mit allen Mitteln, die überhaupt dem Menschengeist gegeben sind, um dem eigenen Volke und den anderen Völkern eine bestimmte Meinung zu suggerieren und sie so fest in die Hirne hineinzuhämmern, daß wir zugestehen müssen, bis heute vergeblich gegen diese englische Weltmeinung angekämpft zu haben. In dieser Richtung liegen große Versäumnisse Deutschlands, liegen große Versäumnisse auch unserer Diplomatie vor. Ich glaube, es sind aber auf diesem Gebiete große Versäumnisse nicht nur dadurch begangen worden, daß wir nicht deutsche Meinungen und deutsche Auffassungen in das Ausland getragen haben, sondern fast noch schwerer zu wiegen scheint mir die Tatsache, daß man uns im Inlande vielfach gegängelt hat, indem man uns aus den Zeitungsausschnitten, die für uns zurechtgemacht wurden, nur die günstigen Stimmen hören ließ, nur solche Stimmen, die freundlich gegenüber Deutschland waren, so daß wir wie aus einem Traume aufschraken, als wir auf einmal sahen, daß wir fast nur Haß, fast nur Neid, fast nur Gegnerschaft selbst bis in die neutralen Länder hinein uns gegenüber fanden.
Wie oft haben wir von dieser Tribüne aus gefordert, daß unser ganzes Gesandtschafts- und Botschafterwesen auf eine andere Grundlage gestellt werde, daß bei jeder Botschaft ein Presseattaché sein müsse, so daß wir in der Weise, wie es Herr Cambon in Rom getan hat und wie es die Engländer noch während des Krieges, sogar heute noch in den mit uns verbündeten Ländern tun, auch unsererseits um die öffentliche Meinung der anderen Völker werben könnten, daß wir auch unsererseits zum Ausdruck bringen könnten, wie wir die Dinge ansehen und wünschen, daß sie angesehen werden.
Gegenüber diesem Wunsche kann man nicht sagen: wir sind uns selbst genug. Gewiß, ich bin gegen jede Auffassung, die etwa zum Ausdruck brächte, daß wir den Anschluß an die Kultur anderer Völker suchen müßten. Wenn irgendein Land die geistige Isolierung, lediglich vom Standpunkt als Volk aus gesehen, ertragen könnte, dann wäre es wohl Deutschland, das der Welt unendlich viel an geistigen Gütern gegeben hat, die mehr von uns empfing, als sie bis jetzt uns zurückgab. Aber wir sehen doch, daß die Welt das nicht anerkennt, weil sie nach anderer Richtung ein ganz falsches Bild von uns hat, daß sie das, was wir als höchste Demokratie ansehen, die allgemeine Wehrpflicht, die jeden Deutschen veranlaßt, sein Leben hinzugeben fürs Vaterland, nur immer ansieht unter dem Gesichtspunkt des »preußischen Militarismus«, daß sie über unsere ganzen politischen Verhältnisse – nicht immer ohne unsere Schuld – die Auffassung hat, die sie glauben läßt, daß andere wirklich einen Kampf der Freiheit gegen uns führen. Genau so, wie wir im Frieden die Bedeutung der öffentlichen Meinung der Völker für die Beziehungen der Völker zu gering einschätzten, so begehen wir jetzt den Fehler, daß wir sie innerhalb Deutschlands zu gering einschätzen für den Ausgang des Weltkrieges. Wir müssen die Stimmung in deutschen Landen, nicht die Stimmung des Moments, sondern die große Auffassung des Volkes, von dem uns möglichen, wahrscheinlichen und sicheren Sieg und von der Möglichkeit, in einem größeren Deutschland sich frei entfalten zu können, aufrecht erhalten bis zum letzten Tag. Das können wir eher, wenn wir auch den frischen Windhauch der Kritik ertragen lernen, als wenn wir lediglich das Schweigen im Walde als das Endergebnis aller Regierungsweisheit uns gegenübersehen.
Es wird nun darauf hingewiesen, es könnte doch manches gesagt werden, was vielleicht unangenehm wirkte, was etwa als Schwäche angesehen werden könnte. Unsere wirtschaftliche Lage verträgt aber jede offene Kritik. Daß es uns in manchem schlecht geht, daß wir große Schwierigkeiten haben, daß die Blockade Englands in vielen Beziehungen wirkt, das weiß das Ausland aus unseren Regierungsverfügungen so genau, daß es geradezu lächerlich wäre, nun zu glauben, dadurch, daß man Regierungsverfügungen nicht weiter kritisiert, sei man davor bewahrt, daß das Ausland von diesen Dingen überhaupt Kenntnis erhalte. Nein, ich glaube, die Regierung muß sich auf einen ganz anderen Standpunkt stellen. Sie sollte, wie sie es in den ersten Monaten dieses Wirtschaftskampfes getan hat, Hunderte von Leuten nach Berlin zusammenberufen, die als Wanderlehrer hinausgehen ins Land und dem Volke nicht schönfärberisch sagen: es geht alles gut –, sondern ihm sagen: es geht vieles schlecht, und weil vieles schlecht geht, ist es eure klare Pflicht und Schuldigkeit, all das auf euch zu nehmen, was sich aus dieser Situation ergibt.
Das würde eine ganz andere Wirkung haben, als wenn man dadurch, daß man der Presse nicht die Möglichkeit gibt, diese Dinge zu erörtern, nun vielfach im Volke gerade die Meinung erweckt: es ist alles da, es wird uns aber von gewissenlosen Wucherern vorenthalten. Manche Angriffe gegen Berufsstände wären nicht erfolgt, wenn man hier mit aller Deutlichkeit von vornherein gesagt hätte, wie die Dinge stehen. Ebenso steht es doch mit vielen anderen Fragen, bei denen in der inneren Politik etwa die Geister aufeinanderplatzen. Lesen Sie die Verhandlungen des englischen Parlaments: diese Angriffe auf die Regierung, dieser Kampf der Parteien und der Persönlichkeiten untereinander. Ich weiß nicht, wie es auf Sie gewirkt hat: im ersten Augenblick vielleicht ein gewisses Gefühl der Schadenfreude, aber letzten Endes doch eine Anerkennung der daraus sprechenden Stärke und Größe, daß man sich dort sagt: Wir stehen im schweren Kampfe; trotzdem und weil wir überzeugt sind, daß diese Dinge gut gehen, können wir uns im Innern offen aussprechen über das, was geschehen muß, um sie zum siegreichen Ende durchzuführen.
Das wird sich auch geltend machen für uns in bezug auf alle die großen Wirtschaftsprobleme, vor denen wir stehen. Die Herren Fortschrittler haben den Antrag eingebracht: Freigabe der Erörterung über Steuerfragen und Fragen der inneren Politik. Über die Steuern ist schon gesprochen worden. Meine politischen Freunde stehen auf dem Standpunkt, daß wir allerdings ein Mittel haben, uns dagegen zu wehren, daß uns die öffentliche Erörterung der Steuerfragen nicht ermöglicht wird. Würde man das versuchen, so würden wir dem damit begegnen, daß wir den Antrag stellen, die Verhandlungen im Reichstag über die Steuern solange auszusetzen, bis derartige unzulässige Eingriffe der Zensur in die freie Meinungsäußerung unterbleiben.
Das muß hier zum Ausdruck gebracht werden, weil, wenn wir einmal in wirtschaftliche Existenzfragen eintreten müssen, so daß des einzelnen Existenz wirklich bedroht ist, er mindestens die Möglichkeit haben muß, das, was für ihn spricht, wovon er glaubt, daß es für ihn spricht, frei zum Ausdruck zu bringen. – Das ist die Steuerfrage auf der einen Seite.
Ich erinnere an andere große Fragen, bei denen auch gewisse Einengungen möglich sind, die ich als verfehlt erachten würde. Wir stehen vor der Erneuerung unserer ganzen deutschen Handelspolitik. Das muß völlig frei erörtert werden. Dieses große Problem Mitteleuropa auf der einen Seite, das Problem der Meistbegünstigung auf der anderen Seite, das Problem der Wiederaufnahme unserer Überseebeziehungen, der großen Frage des Übergangs aus dem Kriegszustand in den Friedenszustand – wenn da eingegriffen würde, würde ich auch das für äußerst bedenklich halten. Ich freue mich, daß das Buch des Kollegen Naumann über Mitteleuropa nicht auch dem Zensor verfallen ist; denn ein Kriegsbuch ist es im ausgesprochensten Maße, auch wenn er über dieses Buch allen Glanz der deutschen Sprache ausgegossen und es dadurch so lesbar gemacht hat, daß es sich anders liest, als es bei wissenschaftlichen Darlegungen sonst der Fall ist. Wir müssen uns sicherlich vor Beendigung dieses Krieges darüber klar sein, wohin wir wirtschaftlich gehen wollen, und diejenigen, die darüber etwas zu sagen haben, müssen in die Lage versetzt werden, das zu tun. Das ist für die glückliche Lösung des Problems wichtiger, als daß durch die Unachtsamkeit eines einzelnen, der nicht das deutsche Volk vertritt, einmal hier und da angestoßen wird. Hier sieht man aber nur die Empfindlichkeit irgendeiner Ungeschicklichkeit und sieht nicht, eine wieviel größere Ungeschicklichkeit es ist, überhaupt die sachliche Erörterung eines solchen Problems unmöglich zu machen.
Wenn ich nach der Richtung hin zum Ausdruck bringe, daß ich eine großzügigere Auffassung der Zensur erwarte, so muß ich mich nach anderer Richtung hin schuldig bekennen, daß ich eine Verschärfung fordere, und zwar möchte ich fordern, daß unsere amtlichen Stellen mehr acht haben auf die Reutertelegramme, die der deutschen Presse zugänglich gemacht werden, weil ich die Empfindung nicht loswerden kann, daß viele dieser Telegramme in usum delphini direkt für den deutschen Gebrauch gefälscht werden, um uns in eine falsche Auffassung der Dinge hineinzubringen. Ich muß diese allgemeine Auffassung beweisen und darf das an einem Beispiele tun.
Wiederholt, dreimal, hat Reuter jetzt behauptet, daß alle in Rotterdam lagernden Waren im Werte von Hunderten von Millionen Mark durch das Entgegenkommen Englands frei nach den Vereinigten Staaten befördert werden dürfen. Erste Wirkung: Zunächst sind die deutschen Industriellen hocherfreut, sie wenden sich nun nach Rotterdam an die deutschen Spediteure, an die Holland-Amerika-Linie und sagen: Nun los, von uns liegen noch die und die Güter; wann werden die auf den Weg gebracht? Natürlich werden sie erregt, wenn sie hören: Uns ist davon nichts bekannt. Zweite Wirkung: Verwirrung, nachher noch größerer Pessimismus und Verwirrung der geschäftlichen Dispositionen. Dritte Wirkung: Die Amerikaner sagen: Was wollen denn die Deutschen gegen die Engländer! Das ist doch großzügig gehandelt, daß England mitten in diesem Wirtschaftskriege einsieht, daß es notwendig ist, einen gewissen Teil des Ausfuhrhandels aufrechtzuerhalten; wenn die nun die ganzen deutschen Güter von Rotterdam herüberlassen, dann ist doch dieses Deutschland wirklich ein Querulant, wenn es immer wieder von der Freiheit der Meere redet und immer wieder in Protestnoten davon spricht, daß der neutrale Handel unterbunden würde.
In diesen Tagen kommen so viel Reutertelegramme über eine deutschfreundliche Stimmung in den Vereinigten Staaten, daß ich meine großen Bedenken habe, ob nicht auch diese Telegramme nur ein Beruhigungspulver für uns sein sollen, daß man sich sagt: Jetzt tagt der Kongreß in Washington, jetzt ist eine gewisse Einflußnahme auch von Seiten unserer Herren, die dort Fühlung haben, möglich. Die Deutschen sollen sich sagen: Es steht ja in Washington alles gut, ihr könnt ganz beruhigt sein; fünf Redner sprechen, jeder spricht nur für Deutschland, jeder spricht gegen Wilson. Ich fürchte, daß das nicht übereinstimmen wird mit dem stenographischen Bericht über die Kongreßverhandlungen in Washington; sonst wäre die ganze Politik nicht möglich, die wir erlebt haben. Ist der Kongreß zu Ende, dann werden wir vielleicht hören, was wirklich gesprochen worden ist. Bismarck hat, wie ich neulich einmal fand, schon 1876 in einem Gespräch darauf hingewiesen, daß vielfach Meldungen ad hoc zurecht gemacht würden, die dann durch Reuter und Havas, die »Brutstätten der Enten«, wie er sich ausdrückte, als Telegramme nach Deutschland geschickt würden, um uns zu beeinflussen. Nach dieser Richtung bitte ich also, einmal aufzumerken, ob diese Reutertelegramme, die wir erhalten, übereinstimmen mit den Telegrammen, die Reuter nach anderen Ländern gibt, und sie nur dann zuzulassen, wenn diese Übereinstimmung festgestellt ist.
Ich habe im Gegensatz zu den Vorrednern mit Fragen der inneren Politik begonnen. Ich wende mich nun zu den Fragen der äußeren Politik und ihrer Erörterung. Meine politischen Freunde glauben, daß das, was für die innere Politik an freiheitlicherer Erörterung der Probleme notwendig ist, noch mehr für die äußere Politik gilt. Ich darf an alle die großen Fragen erinnern, die uns nach dieser Richtung beschäftigt haben, an die Frage der Fortsetzung des Ubootkrieges, an die Art und Weise, in der die Vereinigten Staaten wiederholt in unsere Kriegführung eingegriffen haben mit Vorwürfen, die die heftigste Erregung im deutschen Volke hervorgerufen haben, und daß man danach lechzte, daß demgegenüber einmal das, was alle bewegte, auch zum Ausdruck kam. Wir haben selbst, ich weiß nicht, ob mit sofortiger Zustimmung der verbündeten Regierungen, die »Baralong«-Frage im Deutschen Reichstag erörtert. Ich sehe diese Erörterung der »Baralong«-Frage im Deutschen Reichstag geradezu als eine befreiende Tat an gegenüber der deutschen Öffentlichkeit, die darauf gewartet hat, daß das, was sie bewegt, nun auch einmal ausgesprochen werden darf. Oft geschieht das Vorgehen der Zensur nach der Richtung, daß zunächst lediglich Tatsachen mitgeteilt werden über außenpolitische Dinge und sofort daran die Bemerkung geknüpft wird, daß jede Kritik zu unterlassen ist. Wenn sich das nun so trifft, daß erst die Note des ausländischen Staates bekannt wird ohne Kritik und die Kritik erst kommen soll, wenn Deutschland amtlich geantwortet hat, dann erreichen Sie ja gerade, daß in der Zwischenzeit in allen denen, die nur die Angriffe auf uns lesen, das Gefühl entsteht, daß unsere deutsche Regierung schwach ist und nichts darauf zu erwidern weiß, und wenn sie nun sich an ihre Zeitungen wenden und erfahren: Wir dürfen darauf nichts sagen –, wird dieses Gefühl nur noch mehr verstärkt, und dadurch schaffen Sie eine gedrückte Stimmung im Innern, die nicht nützt für die Durchführung dieses Krieges. Wenn offen hätte gesagt werden dürfen, was man auch gegenüber den Vereinigten Staaten empfand, dann hätte das auch politisch gewirkt. Das ist es, was ich so sehr bedaure, daß unsere verantwortlichen Staatslenker so oft unterschätzen, welche große Waffe sie in der öffentlichen Meinung Deutschlands haben, daß sie gar nicht wissen, diese öffentliche Meinung als Aktivposten für sich einzustellen und für sich wirken zu lassen. Döllinger hat einmal über Martin Luther gesagt: Die Seele des Volkes war ein Saitenspiel in seiner Hand. Oh, wenn doch die Seele des deutschen Volkes ein Saitenspiel in der Hand unseres Auswärtigen Amtes wäre, auf dem es zu spielen verstände! Wir leben nun einmal in einem demokratischen Zeitalter. Für die Verhandlungen in den Vereinigten Staaten ist es vielleicht zur Durchsetzung unserer Forderungen viel wichtiger, wenn unser Botschafter sagen kann: Das deutsche Volk verbittet sich diese Sprache des Herrn Wilson, als wenn er lediglich sagt: Ich weise sie zurück im Namen meiner Regierung. Das ist es ja, womit unsere Feinde gegen uns kämpfen, daß sie immer sagen: Es besteht ein Zwiespalt zwischen der deutschen Regierung und dem Volk, daß sie sagen: Wir kämpfen nicht gegen das Deutschland Goethes und Schillers und Beethovens, wir kämpfen auch nicht gegen das deutsche Volk der Gegenwart, wir kämpfen gegen die deutsche Regierung als Vertreterin des preußischen Militarismus. Auch in neutralen Ländern ist es notwendig, daß Sie (zum Bundesratstisch) diese öffentliche Meinung für sich gebrauchen. Lassen Sie sie einmal laut erklingen, und Sie würden in der Frage des Ubootkrieges, der Eingriffe des Herrn Wilson, im »Baralong«-Fall gesehen haben, daß sie, ohne dirigiert werden zu müssen, vollkommen einheitlich so übereinstimmt, wie sie vor wenigen Tagen von Oerfel bis Noske übereingestimmt hat, und ich glaube, das Echo, das davon ausginge, würde ein großes sein. Wenn es nicht groß wäre bei einer Regierung wie der der Vereinigten Staaten, die vielleicht innerlich uns ablehnend gegenübersteht, so würden wir vielleicht ein Echo bei dem amerikanischen Volke erwecken können gegenüber den Politikern, die dieses Volk heute führen, das wir nicht verantwortlich machen wollen für eine Politik, die ein Gemisch von Heuchelei und Überhebung und eine Verquickung von Wahlinteressen und Völkergeschicken ist. Das ist es, weshalb wir wünschen, daß uns die Regierung die Möglichkeit gibt, das Empfinden des deutschen Volkes offen zum Ausdruck bringen zu können.
Nun komme ich zu der Frage, ob im speziellen die Frage der Erörterung der Kriegsziele besondere Gefahren in sich berge. Ich gebe zu, eine Erörterung im Detail kann solche Gefahren in sich tragen, die Details etwa in der Form einer Landkarte, die neue Grenzen zeigt. Das mag die Kreise der Regierung stören. Aber es gibt noch etwas anderes. Man kann die großen Gesichtspunkte der Kriegsziele frei zur Erörterung geben, ohne in diese Details einzusteigen. Lassen Sie mich sagen, wie ich das meine, da es zuerst phrasenhaft erklingen mag. Sind wir in bezug auf die Kriegsziele so uneinig, daß daraus auch sofort gefolgert werden müßte, das deutsche Volk stehe sich in zwei Heerhaufen gegenüber, die füreinander kein geistiges Verbindungsmittel mehr haben? Wir sind uns einig darin, daß wir kämpfen bis zum letzten Hauch für unsere Freiheit und Unabhängigkeit, und wir sind uns auch darin einig, daß wir die Grundlage schaffen wollen für einen dauernden Frieden, weil wir der Meinung sind, daß wir nach diesem Kriege, der ganz Europa nur als einen zuckenden Menschenleib erscheinen läßt, schon im Interesse der Kulturentwicklung dauernden Frieden gebrauchen. Die Differenzen beginnen erst dort, wo es sich darum handelt, ob man die Grundlagen des dauernden Friedens durch eine Politik der Versöhnung einleitet, die etwa als Grundlage für einen neuen Weltkulturbund dient, oder ob man annimmt, daß dieser dauernde Friede nach dem, was wir nach 45 Friedensjahren erlebt haben, uns nur durch die Sicherung unseres Landes gewährleistet werden kann. Ich gebe zu, das sind Dinge, die nach dem, was sie auswirken, unversöhnlich erscheinen mögen. Aber es sind doch schließlich Weltanschauungsfragen, über die man miteinander debattieren kann, ohne daß daraus sofort wieder der Gedanke entsteht, daß das deutsche Volk sich unversöhnlich bekämpfe. Ich erinnere an die Verhandlungen im Reichshaushaltausschuß. Da haben wir uns auch frei ausgesprochen. Glauben Sie nun etwa, daß sich das Verhältnis der Fraktionen dadurch verschlechtert hat? Daß diese Differenzen bestehen, weiß das Inland ebenso gut wie das Ausland, mit und ohne Preßzensur, mit und ohne Belagerungszustand. Daran ändert sich auch nichts, wenn im einzelnen hierüber in den Tageszeitungen in vornehmer Weise gesprochen wird. Ich würde es begrüßen, wenn man dem ganzen deutschen Volke, auch über die Intellektuellen hinaus, es ermöglichte, sich mit den Problemen des neuen Deutschland auseinanderzusetzen. Keine Zeit war wohl so für die staatsbürgerliche Erziehung auf Grundlage der deutschen Geschichte gegeben wie die gegenwärtige. Es ist heute der Tag der Reichsgründung, und wenn jemals, so hat in dieser Gegenwart das Faustwort Geltung:
Vom frischen Geiste fühl' ich mich durchdrungen,
Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
Lassen Sie uns auch in der Presse die großen Fragen erörtern: Wie ist das Deutsche Reich entstanden, welche Kräfte wirkten dazu, daß Preußen Deutschlands Vormacht wurde? Lassen Sie uns auseinandersetzen, Herr Dittmann und ich oder andere: wie war Bismarcks Stellung im Jahre 1867? – ist das, was wir alle an ihm als große Mäßigung preisen, als den großen Moment eines genialen Staatsmannes: dieses Entgegenkommen gegen Österreich, Sachsen und Bayern, heute im Jahre 1916 in ähnlicher Weise richtig, wenn auf der anderen Seite der Kontrahenten Frankreich, Rußland und England stehen? Lassen Sie uns davon sprechen, welche Stellung wir in Zukunft zum Slawentum, zum Panslawismus haben sollen, ob Rußland die große Gefahr ist, die uns durch seine Menschenmassen erdrückt! Lassen Sie uns doch frei über das Verhältnis der Deutschen zu den Deutschbalten sprechen, die wir als unsere Brüder ansehen, über das Verhältnis zu den Flamen, die auf der anderen Seite auch durch Bande des Blutes mit uns verbunden sind, und die weltgeschichtliche Entscheidung erörtern, in welcher Weise sie sich in Zukunft zu uns stellen sollen! Lassen Sie uns das Problem Deutschland-England offen erörtern! Ich kann mir nicht erklären, wo das deutsche Staatsinteresse gefährdet sein könnte, wenn das, was uns heute die Herren in einzelnen Manuskripten über russische und andere Verhältnisse schicken, nun auch einmal frei und offen in der Öffentlichkeit zum Ausdruck käme.
Meine Herren, wenn darauf hingewiesen worden ist, daß der erste Sonderfrieden vor der Tür stehe, dann weist das uns doch darauf hin, daß wir diese ganzen Dinge in Bälde erörtern müssen.
Nun sagen die verbündeten Regierungen: Wir geben die Kriegsziele frei; wartet nur, der Tag wird kommen. Ich glaube, das kann ebensowenig so gehen, daß mit einem Tage die volle Freiheit kommt, nachdem man zwanzig Monate geschwiegen hat, wie es kommen kann, daß mit einem Tage der Übergang von der Kriegs- in die Friedenswirtschaft eintritt. Lassen Sie doch jetzt, wo diese Dinge vielleicht heranreifen – wer weiß, in welcher Zeit –, zunächst einmal die Diskussion über diese großen geschichtlichen Gesichtspunkte frei und geben Sie das Detail frei, wenn nachher die Friedensverhandlungen vor der Tür stehen! Glauben Sie aber, daß die Entscheidung auch in diesem Weltkriege nicht allein bei den Diplomaten liegen kann und darf, daß das deutsche Volk gehört werden muß. Darin – das ist ja das Eigenartige – treffen wir uns links und rechts. Auf der einen Seite verlangt die Sozialdemokratie die Erörterung dieser Dinge, auf der anderen Seite verlangen wir sie, obwohl wir uns in dem, was wir erstreben, vollkommen gegenüberstehen. Wir treten offen – und haben das in den Beschlüssen unserer Parteiinstanzen zum Ausdruck gebracht – für das größere Deutschland ein, von dem wir glauben, daß es uns allein die Sicherungen bringt, die möglich und notwendig sind, um uns den dauernden Frieden zu bewahren.
Wir verwahren uns aber dagegen, daß man uns bei diesen Zielen unterstellt, daß sie lediglich aufgesteckt seien, um etwa einem leitenden Staatsmanne Schwierigkeiten zu bereiten und durch diese Schwierigkeiten den Weg für politische Reformen im Innern zu versperren. Zunächst glaube ich, daß der leitende Staatsmann oder alle, die an der Spitze der Regierung stehen, denen nicht zu zürnen brauchten, die heute weitgesteckte Ziele aufstellen, auch wenn sie über das hinausgehen, was zurzeit zu verwirklichen ist. Es können solche Ziele nur unter dem Gesichtspunkte ihrer militärischen Durchführbarkeit aufgestellt werden, Sie können nur unter diesem großen Gesichtspunkte aufgestellt werden, weil sie ja sonst alle vierzehn Tage neu revidiert werden müßten, wenn die militärische Lage sich ändert. Sie in das Gebiet der Realpolitik zurückzuführen, auf das Rücksicht zu nehmen, was militärisch erreichbar ist, ist dann Aufgabe unserer militärischen Sachverständigen und unserer Staatsmänner. Ich könnte mir denken, daß es einen Kanzler gäbe, der demgegenüber an das Goethewort dächte: »Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt«, und der sich sagt: Ich kann gerade, wenn diese Forderungen vom Volke aufgestellt werden, vielleicht einen großen Teil davon eher durchbringen, wenn ich mich auf diese Volksstimmen berufe, als wenn man von vornherein darauf verzichtet. Daß wir aber irgendwelche Gedanken hätten, hier durch das Aufstecken von manchem von Ihnen weit erscheinenden Zielen eine innere Reform zu verhindern, das muß ich zurückweisen. Wir können uns das größere Deutschland, das wir erhoffen, nur denken aufgebaut auf einem freien, selbstbewußten und an den Staatsgeschäften entscheidend mitwirkenden Volke; und bei allem, was uns an Gesetzen vorgelegt wird, um diesem Ziele näher zu kommen, an Stärkung der Rechte des Parlaments, werden Sie (nach links gewendet) uns auf Ihrer Seite finden. Wir möchten nicht, daß jemals wieder die Geschichte das einschreibt, was sie eingeschrieben hatte 1815, daß einem Volke, das für seine Freiheit gekämpft hat, Versprechungen gegeben wurden, denen die Einlösung fehlte, die es sich erst über die Pauluskirche hinweg erkämpfen mußte. Wir halten das deutsche Kaisertum am festesten gegründet auf einem freien, selbstbewußten Volke. Dieses Volk hat Vertrauen zur Regierung bezeugt und sich in diesem Kriege bewährt wie nie ein Volk in der Geschichte. Es beansprucht aber auch das Recht, daß dieses Vertrauen ihm gegenüber von Seiten der Regierung zum Ausdruck gebracht werde. Wir fordern dieses Vertrauen durch eine großzügige, großherzige Auffassung der Zensur. Sichern Sie sich die öffentliche Meinung des Volkes; denn der Endsieg kann nicht nur erfochten werden auf militärischem Gebiet. Dazu brauchen Sie auch die öffentliche Meinung des Volkes, das bereit ist, mit Ihnen auch auf diesem Gebiete zu kämpfen, wenn Sie ihm hierzu die Möglichkeit geben.