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Kaiserreich, Revolution, Wiederaufbau

Rede auf dem Parteitag in Jena. 13. 4. 1919

In seinem letzten Briefe an Humboldt hat Goethe den Satz niedergeschrieben: »Der Tag ist wirklich zu absurd. Konfuse, verwirrende Lehren und verwirrter Handel walten über der Welt.« Dieser Satz klingt so, als wenn er für die Gegenwart geschrieben wäre. Verwirrende Lehren, verwirrter Handel walten über der Welt. Das hat begonnen mit dem Tage, den man uns jetzt in manchen Bundesstaaten als künftigen Nationalfeiertag vorschlägt, nämlich mit dem Tage der deutschen Revolution. In der Frage, ob wir den 9. November als einen nationalen Feiertag oder als einen Tag nationaler Trauer ansehen, darin allein schon scheiden sich die Geister. Wer der Auffassung ist, daß jener 9. November ihm das neue Deutschland gebracht hat, das seinem Ideal entspricht, der gehört nicht in unsere Mitte; seine Auffassung liegt fernab von derjenigen, die uns beseelt.

Man spricht davon, dieser 9. November habe den Zusammenbruch eines Systems gebracht, das innerlich morsch und faul und abbruchreif gewesen wäre. Man spricht davon, seit dem 9. November gäbe es ein freies deutsches Volk, das endlich die Fesseln der Unfreiheit von sich geworfen hätte, das sich nicht mehr absolut regieren lassen brauche.

Ist das richtig? Wir sind nicht lediglich dazu da, um die Lobpreiser der alten Zeit zu sein, und wir haben dazu um so weniger Veranlassung, als wir die Schwäche, die in dem alten Deutschland lag, rechtzeitig erkannt und rechtzeitig Abhilfe verlangt haben. Ich darf Sie darauf hinweisen, wie oft und entschieden auch die alte Nationalliberale Partei sich dagegen gewendet hat, daß ein Überwuchern gesellschaftlicher Engherzigkeit gerade in den höchsten Beamtenkreisen die Ausnutzung aller geistigen Kräfte der Nation nicht in dem Maße möglich machte, wie es notwendig war in einer Zeit, die schon anzeigte, daß um den Bestand des Reiches noch einmal gekämpft werden müßte. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß alles das, was man in dem Vorwurf des persönlichen Regiments zusammenfaßt, uns als Kritiker gesehen hat. Die erste Interpellation im alten Deutschen Reichstag, die sich gegen das persönliche Regiment wandte, trug den Namen Bassermann. Die erste Interpellation angesichts der Daily-Telegraph-Affäre war von demselben Führer der Nationalliberalen eingebracht. Wir durften das, weil wir als Anhänger der Monarchie die Krone vor einer Umgebung schützen wollten, die sie über ihre verfassungsmäßigen Kompetenzen im Unklaren ließ. Wenn in der Gegenwart rückblickend vielfach ein Bild gezeichnet wird von dem letzten Träger der Kaiserkrone, wobei ihm dieses persönliche Hervortreten als ein Unrecht angekreidet wird, dann sollten wir gerecht abwägend vor zwei Dingen die Augen nicht verschließen: daß das, was an persönlichem Willen über die Schranken der alten Verfassung hinaus sich in dem letzten Träger der Hohenzollernkrone geltend machte, einmal die Schuld des deutschen saturierten Bürgertums war, das sich nicht dagegen wandte, und nur lau uns unterstützte, wenn wir auf solche Dinge hinwiesen, und daß es zweitens auch ein Ausfluß der Epigonenzeit staatsmännischer Kunst war, in der kein Bismarck da war, der stets die Reichskanzlerkompetenz gegenüber der Monarchie durchgesetzt hat bis zum letzten, der nicht einen Augenblick länger im Amte geblieben wäre, als es ihm mit der Auffassung verträglich erschien, die er von dieser Abgrenzung hatte.

Wir haben uns weiter gegen das gewehrt, was wir als einen Fehler der alten Zeit ansahen, jene Überheblichkeit der Bureaukratie gegenüber dem praktischen Leben, die in den Ausstrahlungen des Kriegssozialismus sozusagen ihren Gipfelpunkt gefunden und damit unendlich viel an wirtschaftlicher Kraft bei uns zerstört hat. Wir haben uns immer und immer wieder gegen das gewandt, was wir als Hauptfehler unserer auswärtigen Politik erkennen mußten: Das Verkennen der Tatsache, daß in dem mehr und mehr demokratisch werdenden Weltzeitalter die öffentliche Meinung der Welt ein Machtfaktor sei, der für nationale Interessen eingesetzt werden müsse. Wir haben niemals in unserem Deutschen Reiche, aber, seien wir gerecht, auch in unserer eigenen deutschen öffentlichen Meinung ein Verständnis für diese Aufgabe im rechten Sinne gehabt. Der Regierung fehlte die Initiative, dem Reichstag fehlte die Großzügigkeit. Die Regierung berief sich darauf, daß ihr Mittel abgelehnt worden wären, um genügend aufklärend im Auslande zu wirken – eine schlechte Entschuldigung; denn, erkannte sie die Notwendigkeit, die öffentliche Meinung als Machtfaktor für sich einzusetzen, wie das England in glänzender Weise verstand und damit diesen Krieg gewonnen hat, dann hatte sie die Pflicht, sich mit der Ablehnung nicht zu beruhigen, dann hatte sie die Pflicht, an das Volk zu appellieren, dann hatte sie führend zu sein, anstatt sich führen zu lassen.

Den Machthabern des alten Deutschlands fehlte das Vertrauen in die Kräfte des Volkes. Dieses mangelnde Vertrauen zu den im Volke ruhenden Kräften hat dazu geführt, daß wir in dem führenden Bundesstaate Deutschlands bis in den Krieg hinein an einem Wahlrecht festgehalten haben, das längst vor dem Kriege, das längst im Frieden hätte beseitigt werden müssen, das unendlich viel dazu beigetragen hat, daß soziale und politische Verhetzung in Preußen und Deutschland Platz greifen konnte.

Hier liegt auch die große parteigeschichtliche Schuld des liberalen Bürgertums, das seinerseits in diesen Fragen hätte führend sein müssen und das, wenn es die Führung gegen Regierung und konservative Mehrheit übernommen hätte, sich durchgesetzt hätte zu jeder Zeit, in der es den Mut zur Agitation in diesem Sinne gehabt hätte. Wäre man zu der Zeit, als Bülow erkannte, daß diese Dinge geändert werden müßten, an seine Seite getreten und hätte den Kampf aufgenommen, auch den Kampf in der Form, daß man den Acheron bewegte, um sich für diese Forderungen einzusetzen, dann hätte es keine Mehrheit mehr gegeben, die dem gemeinsamen Ansturm der Liberalen in dieser Frage hätte Widerstand leisten können. Die Schuld liegt an dem gesamten Liberalismus, und sie liegt, wenn Sie weiter sehen und sich einmal die Vergangenheit unter größeren Gesichtspunkten ansehen, darin, daß wir in der Tat in der Zeit, in der Deutschland groß und mächtig wurde, ein materielles Bürgertum gehabt haben, saturiert, seine politischen und seine kulturellen Ideale vergessend. So, wie wir früher in zu weitgehendem Maße lediglich das Volk der Dichter und Denker waren, so wurden wir in zu weitgehendem Maße lediglich das Volk der wirtschaftlich schöpferischen und rechnenden Akademiker. Die große Anziehungskraft der Sozialdemokratie gegenüber den bürgerlichen Parteien lag nicht nur im Klassenkampfcharakter, lag nicht nur im Neid, sie lag auch daran, daß im Sozialismus eine Idee lebendig war, während die bürgerlichen Parteien vielfach Zweckmäßigkeitspolitik trieben, und man überhaupt nicht mehr sah, daß die Oriflamme einer Idee ihnen voranleuchtete. Lernen wir aus dem, was die Vergangenheit in dieser Beziehung zeigt, für die Zukunft.

Bei den Regierenden fehlte das Vertrauen zum Volke, um mit diesem Volke Politik zu machen, um das Volk national zu erziehen und dadurch die Monarchie so tief zu fundieren, daß sie unangreifbar gewesen wäre. Es fehlte infolge dieser ganzen Entwicklung aber auch diejenige Erziehung des deutschen Volkes in staatlichen Dingen, die in anderen Ländern, unbeschadet der jeweiligen politischen Herrschaft einer Partei, den Staatsgedanken als solchen im Volke fest fundiert hat. Blicken Sie nach England, blicken Sie nach Frankreich. Die Parteien wechseln, konservativ heute, liberal morgen, starke sozialistische Minderheiten mitwirkend. Nichts wird all das, was sich ändert an Herrschaft irgendeiner Parteischicht, an dem Unverrückbaren im englischen Herzen ändern, daß der englische Staatsgedanke der unverrückbare Leitstern des englischen Volkes ist. Das ist das Endergebnis einer politischen Erziehung von Jahrhunderten, die uns fehlt, die wir hätten nachholen können in der Zeit seit Gründung des Reiches, wenn wir mehr Wert auch auf staatsbürgerliche Erziehung auf der einen Seite und Durchdringung mit politischen Gedanken in unserem ganzen Bürgertum auf der anderen Seite gelegt hätten. Täuschen wir uns nicht: Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter in der Vergangenheit verstanden im allgemeinen mehr von Politik als der akademische Bürger der Vergangenheit. Es ist ein trauriges Bild, das das deutsche Bürgertum geboten hat. Wir müssen zurück zu der Auffassung, daß politische Arbeit ein Teil der Lebensaufgabe des Menschen ist. Jetzt ist es viel schwerer, aus den Trümmern eines unglücklichen Krieges heraus das Neue aufzubauen; das hätte aufgebaut werden müssen in der Zeit, die hinter uns liegt.

Sie sehen daraus, daß es mir ganz fern liegt, lediglich den bequemen Ausgangspunkt zu wählen, das Elend der Gegenwart mit dem Glück der Vergangenheit zu vergleichen und daraus die Folgerungen zu ziehen, daß das Heutige das völlig Angreifbare, das Vergangene das allein Lobenswerte wäre. Aber wenn wir den Blick richten auf die Vergangenheit mit all ihren Schwächen, die ich offen einräume, und die infolge der mangelnden Ausbildung des Staatsgedankens auch dazu führten, daß man zu spät den Weg ging zum parlamentarischen System, zu vertrauensvollem Zusammenarbeiten zwischen Parlament und Staatsregierung, das ich, vielfach umbraust deshalb auch von Kämpfen innerhalb der eigenen Partei, in dringendster Weise im Frühjahr 1917 zu schaffen im Reichstag nahegelegt habe, – ich sage: wenn all das auch Anklagepunkte sein mögen gegen die politische Entwicklung in dem jungen Reiche, so ändert das nichts an der Tatsache, daß die Entwicklung zum Besseren nur den Weg der Evolution, niemals den Weg der Revolution gehen durfte. Es ist eine Lüge gegenüber der Öffentlichkeit, zu sagen, die Revolution habe in Deutschland das System des Absolutismus gestürzt. Als sie kam, da war das Deutschland, das sie stürzte, ein Land, in dem die Monarchie in dem Verhältnis zu Volk und Staat stand, wie sie in England steht. Seit Jahrhunderten hat die deutsche Demokratie die englische Verfassung als ihr Vorbild angesehen. Wenn sie heute auch ihrerseits den 9. November feierte, dann feiert sie den Tag, an dem ihr Ideal in Deutschland zusammengebrochen ist, an dem das parlamentarisch-konstitutionell-monarchische System der Republik Platz machte. Deshalb war schon an sich für jeden Liberalen der Tag, der diese Entwicklung unterbrach, kein Tag irgendwelcher Genugtuung, und für jeden, der monarchisch denkt, ist es ein Tag der Trauer. Aber höher noch als die Liebe zur Monarchie steht der Gedanke zu Volk und Vaterland, und das Traurigste an jenem 9. November ist neben dem Sturz der Monarchie und der alten Staatseinrichtungen die Würdelosigkeit, mit der diese Revolution sich gegen das nationale Empfinden im Volke gewandt hat. Kein Volk, das die Taten vollbracht hätte, die das deutsche Volk im Weltkriege vollbracht hat, wäre fähig gewesen, seine eigene Fahne in den Staub zu ziehen, denen, die zurückkamen von der Front, die draußen gekämpft hatten, die Kokarden herunterzureißen; kein Volk, das das Offizierkorps besaß, das wir besessen haben, wäre fähig gewesen, es so schamlos zu beschimpfen, wie es beschimpft worden ist.

Es erscheint mir, als wenn es nötig ist, auch als eine Partei, die auf Massen sich stützt, doch nicht den Schwindel der Popularitätshascherei mitzumachen, sondern darauf hinzuweisen, daß – was im einzelnen hier und da gesündigt worden sein mag, und es gibt keinen Stand, in dem nicht gesündigt worden ist –, wir alle Veranlassung haben, an das zu denken, was an Aufopferung, Hingabe und Pflichterfüllung das alte Offizierkorps in diesem Weltkriege geleistet hat.

Wir wollen aus dieser Zeit der nationalen Schmach und Würdelosigkeit unser Volk zurückführen zu dem alten Stolz auf Deutschland, Deutschlands Größe und Deutschlands Weltbestimmung. An sich sollte eine derartige Gesinnung selbst den deutschen Revolutionären möglich sein. Denn revolutionäre Bewegungen brauchen sich nicht im Widerspruch zu nationalem Empfinden zu vollziehen. Mögen diejenigen, die in Deutschland glauben, daß ein revolutionäres Deutschland mit den alten Fahnen des Reiches unvereinbar sei, sich ein Beispiel an denen nehmen, die in Frankreich zwar ein Königtum stürzten, aber die Feinde des Landes vor sich hertrieben und den Aufruf zur nationalen Verteidigung erließen; mögen sie sich ein Beispiel nehmen an denen, die in England durch Umwälzungen ein neues Zeitalter schufen, die aber gleichzeitig die heiße Liebe zu ihrem englischen Vaterlande und den starken Gedanken nationaler englischer Würde damit verbanden. – Was wir hier in Deutschland erleben, das ist in bezug auf die neue Zeit ein Schwelgen in Worten, ohne daß sich irgendwelche Taten zeigen, so daß als Endergebnis mit dem Zusammenbruch des Alten ohne Aufbau des Neuen sich naturgemäß die Sehnsucht nach dem Alten geradezu mit Vehemenz mehr und mehr im Volke wieder lebendig macht.

Zu den Phrasen, mit denen wir bei uns überschüttet werden, gehört die eine, daß wir die Errungenschaften der Revolution sichern müssen. In Wirklichkeit sehen wir seit jener kurzen Zeit doch nur das eine: einen nationalen, einen wirtschaftlichen, einen finanziellen und, was das schlimmste ist, einen moralischen Niederbruch des deutschen Volkes ohnegleichen. Es lösen sich alle Bande frommer Scheu. Das erste, was wir zu fordern haben, woran wir zu arbeiten haben, wird die sittliche Wiedergeburt des deutschen Volkes sein, ohne die das ganze Verfassungswerk, ohne die alle Außen- und Innenpolitik elendiglich Schiffbruch erleiden muß.

Was ist es denn, was uns der 9. November gebracht hat an Freiheiten, an neuem Geist, an neuen Gedanken? Er hat uns die Republik in Deutschland gebracht. Lassen Sie mich über die Frage: Monarchie oder Republik hier offen sprechen. Die Frage der Monarchie ist eine Verstandesfrage, und sie ist eine Gefühlsfrage. Vom Standpunkt des Verstandes und vom Standpunkt des Gefühls bekenne ich als meine Auffassung, daß für unsere deutschen Verhältnisse die Monarchie das Gegebene war und das Gegebene gewesen wäre. Alle Entwicklung kann sich nur auf dem geschichtlich Gewordenen aufbauen. Vieles lebt und webt in uns an Empfindungen, über deren Ursprung wir uns innerlich nicht Klarheit zu schaffen vermögen. Was ist denn unser Denken und Empfinden, was ist denn das, was wir deutsche Seele nennen? Ist denn das in der Zeit entstanden, in der die äußerlichen Eindrücke des Lebens, unserer Umgebung auf uns eindrangen? Lebt denn und webt denn in dem, was wir denken und empfinden, nicht irgendein Nachklang aus den Zeiten vor hundert, vor tausend Jahren, die das gebildet haben? Kann man sich denn alle diese Gegenwart, uns als Menschen denken ohne die Ahnen, die vor uns gewesen sind? Wir sind doch nichts als das Glied einer Kette, die vor uns gewesen ist, die in Zukunft sein wird, und all dieses Unwägbare, alle diese Seelenstimmung, all das geschichtlich Gewordene kann niemand dadurch herausreißen, daß er sich an den Schreibtisch setzt und Paragraphen einer neuen Verfassung formuliert.

Das geschichtlich Gewordene fortzuführen wäre zunächst dasjenige gewesen, was uns veranlaßt hätte, wenn die Entscheidung bei uns lag, an der Monarchie festzuhalten. Und dann das zweite Verstandesmäßige: Gerade in einer Zeit großer sozialer Gegensätze, großer Umballungen wirtschaftlicher Macht erscheint mir die monarchische Regierung für die Fortentwicklung eines gesunden sozialen Gedankens eine bessere Gewähr als die Republik. Das Kaisertum und der Monarch in seiner Höhe stand jeder Beeinflussung durch große Kapitalmächte viel freier und unabhängiger gegenüber als im allgemeinen irgend ein Ministerium einer Republik. Es ist kein Zweifel, daß wir das Volk der Sozialpolitik gewesen sind, denn die Sozialpolitik hatte im kaiserlichen Deutschland ihre Geburtsstätte. Ich darf Sie an die Rede erinnern, die einstmals der alte Bebel in Amsterdam auf dem Sozialistenkongreß gehalten hat. Da hat er gegenüber Jean Jaurès, der die Deutschen mitleidig aufforderte, nun doch auch einmal in die Reihe der freien Völker einzutreten, zum Ausdruck gebracht: Die französischen Genossen möchten sich einmal Mühe geben, das an Sozialpolitik in Frankreich durchzuführen, was in Deutschland schon besteht; sie möchten sich Mühe geben, in ihrer Steuergesetzgebung den sozialen Gedanken der preußischen Einkommens- und Vermögenssteuer durchzuführen gegenüber dem französischen System, das im wesentlichen auf indirekten Steuern beruhte, und als er zu einer Schilderung dieses sozialen Gedankens in Deutschland überging und gute Worte dafür fand, und ihm die Franzosen höhnisch zuriefen: »Vive l'empereur!«, erwiderte der alte Bebel, er wolle ihnen auch das eine noch sagen: Im kaiserlichen Deutschland werde nicht auf streikende Arbeiter geschossen, wie in der französischen Republik unter dem sozialistischen Handelsminister Millerand.

Ich glaube, daß diese Rede Bebels die Verhältnisse der alten Zeit zwischen dem kaiserlichen Deutschland und der kapitalistischen Republik Frankreich richtig kennzeichnete. Man mag in bezug auf die Gegenwart darauf einwenden, daß der starke Einschlag sozialistischer Auffassung in unserer gesamten Politik ein Überwuchern des Kapitalismus verhindern werde. Wir wollen in dieser Beziehung die Entwicklung abwarten. An der Fortführung einer gesunden Sozialpolitik werden wir nicht zweifeln brauchen. Diese Fortführung war auch niemals durch die bürgerlichen Parteien in Frage gestellt, aber ob alles das, was sich für mich mit dem Begriff des kapitalistischen Einflusses in der Regierung und in der Öffentlichkeit verbindet, namentlich nach der Richtung des mobilen Kapitals, durch die neue Republik in seine Schranken gewiesen werden wird, das erscheint mehr als zweifelhaft nach all den Entwicklungen, die im republikanischen Staatswesen vorliegen. Selbst durch die demokratischen Reden ging bei der Verfassungsdebatte eine Angst vor Entwicklungsmöglichkeiten, die in dieser Richtung liegen. So bleibt das eine bestehen, daß der soziale Gedanke und das Zurückdrängen kapitalistischer Einflüsse in der Monarchie besser gewährleistet gewesen wäre, als die Republik es uns gewährleisten kann.

Wir hatten seit Hertlings Rücktritt die konstitutionelle Monarchie auf der Grundlage des parlamentarischen Systems. Damit war jede Besorgnis vor einem persönlichen Regiment beseitigt. Dabei waren nicht, wie konservative Anklagen behaupten, Persönlichkeitswerte der Monarchie vernichtet. Ein Nikolaus II. als theoretisch absoluter Herrscher war praktisch ohne Einfluß; ein Eduard VII. als theoretisch schwacher Herrscher wußte seiner ganzen Zeitepoche den Stempel seines Geistes aufzuprägen.

Wir waren in der alten Nationalliberalen Fraktion in den ersten Novembertagen noch zusammen zur Beratung der Frage, ob ein Einfluß auf die Abdankung des Kaisers ausgeübt werden sollte, und wir haben uns einstimmig dagegen erklärt aus dem Gefühl heraus: Fallen Kaiser und Kronprinz, kommt die Zeit eines kaiserlichen Kindes, wird auch nur das Kaisersymbol verkümmert durch die Zeit einer Prinzregentschaft, dann kommt schon dadurch soviel ins Wanken von dem alten Einfluß der Kaiserkrone, daß auch das Letzte gestürzt werden kann. In uns war die eine Empfindung gemeinsam, die wir alle zum Ausdruck brachten, als die Gefahr einer traurigen deutschen Zukunft aufdämmerte: Die Einheit Deutschlands ist in Gefahr, wenn das Symbol der Kaiserkrone nicht mehr diesem Deutschland voranschwebt. Daß dieses Gefühl ein richtiges war, das zeigen uns die augenblicklichen Verhältnisse. Niemals würden die Abtrennungsbestrebungen aus Preußen sich derartig hervorgewagt haben, wenn es noch einen König von Preußen gäbe. Heute fehlt der Mittelpunkt, um den sich alles Nationale findet.

Für uns steht es so, wie unser Freund Kahl in der Nationalversammlung in Weimar sagte: Wer, wie er, den Tag von Versailles noch miterlebt habe, für den sei mit dem 9. November eine ganze Welt versunken. Auch für uns ist eine Welt versunken mit diesem Tage, und es war eine große, es war eine schöne Welt; es war eine Welt, in der der Einzelne das Gefühl hatte, als Deutscher stolz und mächtig dazustehen unter den Völkern der Erde. Deshalb wird man uns das eine nicht verwehren können, sondern es wird sogar unsere Pflicht sein, es zu pflegen: die Erinnerung an diese große Zeit der Vergangenheit. Und wenn es jemals eine Entwicklung in den Einzelstaaten gäbe, in der ein Kultusminister irgendwelchen neuen Geistes unsere Jugend erziehen wollte, indem er diese Vergangenheit verlästerte und das neue Zeitalter vom 9. November ab etwa datieren wollte, dann werden wir unsere Jugend selbst lehren und ihr die deutsche Vergangenheit zeigen, in der zu leben und zu träumen das beste ist, was uns in den Ruhestunden dieses Lebens in dieser Gegenwart noch übrig bleibt. Das ist es, was wir zum Ausdruck gebracht haben mit der Erklärung, welche die Fraktion in der Nationalversammlung in dem Satz abgab: Wir lassen uns die Erinnerung an die große Zeit der Hohenzollern in Deutschland nicht rauben.

Bedeutet das nun das eine, daß wir Träger sein wollen einer monarchischen Gegenbewegung, einer großen Bewegung auf Wiederherstellung der Monarchie? Nein, das bedeutet es nicht. Aus dem Grunde, weil der Weg zu dieser Monarchie nur durch einen Bürgerkrieg hindurchgehen könnte und weil uns bei aller Liebe und bei aller innerlichen monarchischen Veranlagung das Volk und das Ganze höher stehen muß als dieser Gedanke und diese Empfindung. Wir dürfen nicht von einem Blutbad zum andern schreiten. Wir dürfen nicht die endlich zu suchende Einheit des Ganzen dadurch aufs neue aufs schwerste in Frage stellen. Wir müssen uns auch des einen klar sein, daß Großdeutschland nur zu schaffen ist auf republikanischer Grundlage. Ganz anders sind die Empfindungen der Deutsch-Österreicher als die der Reichsdeutschen, und das können wir verstehen, denn zu Habsburg und zur letzten Kaiserin von Österreich-Ungarn irgendwie ein Gefühl der Liebe und des Vertrauens zu haben, dazu hat kein Grund vorgelegen. Wer so das eigene Volk verrät, wie es von dieser Stelle verraten worden ist, der hat damit selbst den Sand auf das Grab geschaufelt, in dem die Habsburger liegen. Deshalb ist bei der ganzen Situation auch nicht einmal in irgendeinem Bürgertum dort ein Verständnis für eine Wiederherstellung der Monarchie. Der Weg zu Großdeutschland und der Weg zu innerer Ruhe kann nur gehen auf dem Boden republikanischer Staatsform. Deshalb arbeiten wir an ihr mit, bewahren das große Geschichtliche in der Erinnerung, lassen es nicht verdunkeln und haben in dem Sinne die Stellung eingenommen, die wir zum Ausdruck gebracht haben.

Was uns die Revolution außer der Tatsache der Republik gebracht hat, war, wie ich sagte, der Geist der Auflösung auf sittlichem Gebiete. Erlassen Sie es mir, das ganze Bild vor Ihnen aufzurollen, das sich seit dem 9. November ergeben hat. Der Rest des Volksvermögens ist vergeudet. Wir sind so bettelarm, daß wir nicht mehr wissen, womit wir die Lebensmittel bezahlen sollen, die wir für die Ernährung des Volkes brauchen. Das Heeresgut ist dahingegangen. Milliarden sind verschleudert. Es brach alles zusammen, was irgendwie noch sittlicher Anstand war, und es brach das Pflichtgefühl der Arbeiter zusammen. Wenn irgend etwas furchtbar ist, dann ist es der Gedanke, daß im Hafen von Hamburg, der einstmals Milliarden Güter in die Welt hinaustrug, amerikanische Lebensmittelschiffe mit Ballast hinausgehen mußten, weil das Deutsche Reich nicht so viel produziert hatte, um einen 6000-Tonnendampfer damit beladen zu können. Nennt Ihr das Errungenschaft der Revolution, so habt Ihr recht, aber Ihr habt nur das Recht, Euch dieser Errungenschaft zu schämen.

Wir haben einen Finanzbedarf von siebeneinhalb Milliarden, die aufgebracht werden sollen. Ob sie aufzubringen sind – die Fragestellung heißt schwere Zweifel auslösen. Und trotzdem bin ich der Meinung, daß wir auch über diese Zeit, auch über ihre finanzielle Not hinwegkommen können, wenn wir eins wieder hätten: die Wiederaufnahme der alten wirtschaftlichen Tätigkeit. Denn es liegt nicht so, daß wir etwa wirtschaftlich zusammengebrochen wären, weil die Welt draußen keine deutschen Waren mehr will, weil wir ganz arm wären in der Möglichkeit der Erzeugung von Werten; nein, es besteht in der Gegenwart ein derartiger Warenhunger im Innern und außen, daß die Leipziger Messe dieses Jahres die bedeutendste sein würde, die wir seit langem gehabt haben, wenn man nur das eine wüßte, daß es in Deutschland noch Arbeiter gibt, die arbeiten, damit Deutschland Waren verkaufen kann. Wir würden sicherlich in den ersten Jahren nach dem Kriege, sobald wir wieder Rohstoffe hätten, eine Zeit der Hochkonjunktur haben, weil die Welt nach Waren dürstet. Ich weiß von Kaufleuten, daß Millionenaufträge aus dem Auslande vorliegen in allen möglichen deutschen Artikeln. Die Aufkäufer Amerikas sitzen in Holland und warten auf das liefernde Deutschland, und in der Zeit ersaufen die Kohlengruben, in der Zeit stürzen die Schächte ein, gehen die Hochöfen zu Bruch, in der Zeit zahlen wir, ein bettelarmes Volk, Hunderte von Millionen an Arbeitslose, die aus freiem Willen arbeitslos sind, weil sie die Pflicht zur Arbeit nicht mehr in sich fühlen. Das ist der moralische Niederbruch, den uns die Zeit gebracht hat, die die Freiheit zu verkünden schien und die nur die Zügellosigkeit verkündete und die sich jetzt, wo sie mit Verantwortung beladen ist, vergeblich bemüht, die Massen zu bannen, die sie selber gerufen hat. Das ist ja das Charakteristikum unserer Zeit, daß die deutsche Sozialdemokratie in dieser wildbewegten Zeit uns kein Hort und kein Halt ist gegenüber diesen Erscheinungen. Sie bricht, wie ich gestern im Zentralvorstand schon ausführte, programmatisch zusammen. Sie steht vor Zersetzungserscheinungen, deren sie sich vergeblich Herr zu werden bemüht.

Der letzte bürgerliche Kanzler des Deutschen Reiches war auch in der Beziehung schlecht beraten, als er glaubte, alles zum besten zu kehren und zum Heil zu wenden, wenn er einem Sozialdemokraten die Reichskanzlerwürde übergäbe und damit gewissermaßen die Abdankung des Bürgertums vor der neuen Zeit unterzeichnete. Ich muß das eine sagen: Dieses Verhalten des Prinzen Max von Baden am 9. November war ein schmählicher Verrat an der von ihm vertretenen Sache. So eilig hatte es der Prinz mit seiner Flucht, daß er uns, die Führer der bürgerlichen Parteien, die wir im Reichskanzlerpalais bei ihm waren, um mit ihm die Lage zu besprechen, nicht mehr empfing, sondern uns nur das Manifest mit der Mitteilung sandte, daß er Herrn Ebert mit seiner Nachfolgerschaft betraut hätte und in dem er uns mitteilte, daß der Kaiser abgedankt hätte, was der Wahrheit nicht entsprach, was in diesem Augenblick eine weltgeschichtliche Lüge war. Das ist das Schlimme, daß derjenige, der der erste sein sollte auf der ragenden Pyramide des deutschen Bürgertums, das Zeichen gab für die vollkommene Feigheit und für den Zusammenbruch, den wir im deutschen Bürgertum leider in den nächsten Revolutionswochen erleben mußten. Darin haben die Unabhängigen recht: In den ersten Wochen konnte die Sozialdemokratie erreichen, was sie wollte, denn es gab ja niemand, der ihr entgegentrat, nachdem der Reichskanzler vorangeflohen war.

Jetzt sehen wir, wie falsch die Auffassung war, daß die Sozialdemokratie als solche in der Lage sein würde, uns in der neuen Zeit den Weg zu weisen. Sie sieht die Massen nach links ausbrechen. In ihrem Kampf um die Vorherrschaft innerhalb der Sozialdemokratie kämpft sie mit mangelndem Erfolge aus dem Grunde, weil die Massen instinktiv empfinden, welch ein abgrundtiefer Gegensatz liegt zwischen den ein halbes Jahrhundert lang vorgetragenen sozialistischen Theorien und der Praxis der heute mit Verantwortung beladenen Regierung.

Die Unabhängigen haben vor den Mehrheitssozialisten das eine voraus, daß sie der Masse als die Prinzipientreuen gelten. Was ich der Sozialdemokratie zum Vorwurf mache, ist, daß sie nicht die Charakterstärke hat, offen dem Volke zu sagen, daß sich das Erfurter Programm nicht durchführen läßt, sich bewußt auf den Boden der Gegenwartsarbeit zu stellen und sich von dem allein seligmachenden Dogma des Marxismus freizumachen. So sucht sie den Eindruck zu erwecken, als sei sie die Erbin der alten sozialistischen Anschauungen und muß nun natürlich erleben, daß sie als unwahrhaftig gilt und daß weite Mengen sie als Verräterin ansehen. An dieser Haltlosigkeit und diesem Mangel am politischen Charakter wird sie zugrundegehen, wenn sie nicht zur rechten Zeit den Trennungsstrich findet. Man kann die deutsche Arbeiterschaft, gewerkschaftlich geschult, hochgebildet in politischer Beziehung, für den Gedanken gewinnen, sich in dem neuen Reich, in dem es keine Reaktion zu bekämpfen gibt, auch auf den Boden wirtschaftsgeschichtlicher Tatsachen zu stellen. Der Versuch, die alte Sozialdemokratie zu sein und die alte Lehre doch in der Tat verleugnen zu müssen, wird zu einem Zusammenbruch führen. Wir sehen gleichzeitig, daß der Einfluß der Gewerkschaften gemindert ist, sehen deshalb die Sozialdemokratie in der Regierung eine Politik führen, die schwankend ist, die zwischen brutaler Gewalt auf der einen Seite und unangebrachter Nachgiebigkeit auf der anderen Seite haltlos hin und her schwankt.

Daher auch die Unsicherheit der gesamten Regierung in zwei Fragen, die gegenwärtig aktuell sind, der Frage der Sozialisierung und der Frage des Rätesystems. Lassen Sie mich dazu unsere Auffassungen darlegen. Ich darf sagen »unsere Auffassungen«, weil die Verhandlungen des Zentralvorstandes eine weitgehende, wenn nicht eine völlige Übereinstimmung in diesen Fragen ergeben haben. Wir lehnen von uns aus jeden Gedanken an irgendeine Manchesterwirtschaft in dem Sinne ab, als wenn wir den Individualismus als solchen als das alleinige Prinzip in der Wirtschaftserzeugung ansehen. Aber dieser Individualismus ist längst vor der neuen Zeit bei uns durchbrochen gewesen durch die Sozialpolitik auf der einen Seite, die Steuerpolitik auf der anderen Seite. Neben dieser ethischen Durchbrechung kam die praktische durch die Staatsbetriebe in der Eisenbahn, im Bergbau, auf anderen Gebieten. Um was es sich jetzt handelt, das ist, die Grenze der Individualwirtschaft, aber auch gleichzeitig die Grenze der Staatswirtschaft zu finden, und da scheint es uns, daß unbeschadet dessen, ob man die Ersetzung der Individualwirtschaft durch die Staatswirtschaft im einzelnen für möglich, für praktisch, für wünschenswert hält – und es gibt solche Fälle –, der wirtschaftliche Zustand Deutschlands in der Gegenwart uns unbedingt dazu drängt, uns jetzt gegen die Vermehrung des Staatsbetriebes zu wehren. Aus dem wirtschaftlichen Zusammenbruch dieser Zeit führt uns der Staatsbetrieb nicht heraus. In die neue Zeit, zu der Wiederanknüpfung der Tausende von Fäden im Welthandel mit der Wiederaufrichtung der deutschen Wirtschaft können nur diejenigen führen, die uns in der Friedenszeit an die zweite Stelle im Welthandel gebracht haben. Das sind die Menschen, die als Persönlichkeiten auf diesem Gebiet der Welt ein ragendes Beispiel von Fleiß, von Pflichttreue, von Organisationsfähigkeit und von starkem Charakter gegeben haben. Diese köstliche Initiative, dieses köstliche wirtschaftliche Persönlichkeitsgut hieße es aufgeben, wenn man sie hineinzwängen wollte in die Fesseln einer Staatswirtschaft. Nach dieser Richtung hin werden wir in der Gegenwart uns wehren gegen alles, was da glaubt, eine neue Wirtschaft dadurch bilden zu können, daß man die Kriegswirtschaft verewigt, die uns doch die Grenzen dieser Staatswirtschaft und ihre Einseitigkeit so als praktische Lehre vor Augen geführt hat, daß man annehmen sollte, niemand trüge Verlangen danach, daß diese Zeit verlängert wird.

Wir werden uns dagegen wehren auch aus finanziellen Gründen. Die Überführung der Einzelbetriebe in die Staatswirtschaft wäre nicht Vermehrung, sondern, ich sage es als meine Überzeugung als Volkswirtschaftler, wäre Verminderung der Einnahmen im Lande wie im Reiche. Ein sozialistisch zusammengesetzter Staat als Arbeitgeber ist ja schon an sich parteipolitisch hilflos gegen jede, auch die exorbitanteste Forderung, die ihm gestellt wird. Er soll dankbar sein, wenn das Risiko, diesen Kampf durchzuführen, von ihm genommen wird und nicht allein auf seinen Schultern liegt; dankbar, wenn er der Vermittler sein kann in diesen Dingen, in denen er die Interessen der Allgemeinheit vertritt und nicht gleichzeitig Partei ist und parteipolitisch vielleicht Einbuße zu erleiden fürchtet, wenn er nicht allen Forderungen nachkommt.

Denn, wollen wir uns doch über eines nicht irren: In der Frage der Sozialisierung steckt für die Arbeiter in erster Linie eine ideelle Forderung. Man sagt ihm: Du sollst nicht arbeiten für die Unternehmer, du selbst sollst teilhaben an dem Ertrag der Arbeit. Das ist es, was jetzt vielfach durch die weiten Kreise der Arbeiter und Angestellten geht, was dann diesen Kampf als einen idealen erscheinen läßt. Deshalb müssen wir zwei Fragen ganz ruhig und leidenschaftslos erörtern: Die Frage, ob und inwieweit sich eine erhöhte Freudigkeit der Arbeiter und Angestellten in dem Unternehmen dadurch erzielen läßt, ohne aber gleichzeitig die verantwortliche Leitung irgendwie derjenigen Funktionen zu entkleiden, die in ihrer Hand und, wie ich hinzufügen möchte, allein in ihrer Hand bleiben müssen, weil ihr das Risiko, das damit verbunden ist, von niemand abgenommen werden kann. Die zweite Frage ist die, ob es möglich ist, dem großen Gedanken, daß, wer Werte schafft, auch an den von ihm geschaffenen Erträgnissen teilnehmen soll, durch eine Sozialisierung des Ertrages zu entsprechen, das heißt dadurch, daß das Reich zum Mitbesitzer aller Unternehmungen gemacht wird, daß es, von einer gewissen Verzinsung der Unternehmungen an, an allen Überschüssen mit teilnimmt. Wir haben gestern gehört, daß hervorragende Führer der Industrie durchaus dem Gedanken zustimmen. Alles, was an aufpeitschender Kritik dem Arbeiter gesagt wird, daß er die großen Gewinne eines Werkes sieht und sagt: Ich habe sie mitgeschaffen und habe keinen Teil daran, fällt in dem Augenblick fort, in dem das Reich Mitbesitzer aller Unternehmungen auch in diesem Sinne ist. Es erfaßt dadurch die Steuer an der Quelle. Es steuert nicht im einzelnen das Einkommen oder das Vermögen in wahnsinnigen Proportionen hinweg. Wir müssen den Mut haben, gegen den Gedanken einer exorbitanten Vermögensabgabe Sturm zu laufen. Sturm zu laufen aus dem Grunde, weil einmal der kleine Rentenbesitzer, weil alle diejenigen, die hier vielfach in weit größeren Entbehrungen als der industrielle Arbeiter ihr Leben fristen, nicht gezwungen werden können, von dem, was der Ertrag ihrer Lebensarbeit ist, große Prozentsätze wegzugeben, und zweitens, weil, wenn wir in Zukunft den großen Bedarf des Reiches durch die Erträgnisse unserer Volkswirtschaft und namentlich unserer industriellen und gewerblichen Tätigkeit decken wollen, wir ihr nicht die Mittel nehmen dürfen, durch die sie den Wiederaufbau auf dem Weltmarkt allein in die Wege leiten kann. Wir brauchen heute Kredit im Auslande. Das Reich hat keinen Kredit – das ist auch eine Errungenschaft der Revolution –, aber der Privatmann, die einzelne große Firma hat noch Kredit. Ich darf darauf hinweisen, daß eine Hamburger Firma neulich in einer Konferenz mit berechtigtem Stolz sagte: Wir mit unserm Konzern haben auch nach der Niederlage Deutschlands einen Kredit von einer Milliarde, sobald wir ihn beanspruchen. Dieser Kredit gründet sich auf die unbegrenzte Hochachtung der Welt vor den Leistungen der deutschen Industrie, des deutschen Kaufmanns. Er hat die unbedingte Überzeugung, daß er sich wieder herausarbeiten wird. Nehmen Sie ihm nicht durch eine zu weitgehende Vermögensabgabe die Möglichkeit, wieder groß zu werden, unterbinden Sie auch nicht die Lust an der Steigerung des Gewinnes, aber beteiligen Sie das Reich an allem, was seine Initiative, was die Verbesserung deutscher Technik, was deutscher Unternehmungsgeist als Gewinn schaffen. Das ist meiner Auffassung nach die einzige Möglichkeit, die Finanzaufgaben zu lösen, die dem Reiche bevorstehen, und sozial versöhnend und finanziell ertragreich zugleich zu wirken.

Ich komme zu der zweiten Frage, ob die Mitwirkung der sozialen Organisationen in den Unternehmungen sich nicht in einer Weise ermöglichen läßt, die auch hier brausende und gärende Ideen in ein vernünftiges Bett zwingt. Damit ist nichts getan, daß man eine neue Idee, die im ersten Augenblicke toll erscheint, einfach von sich abweist. Da scheint mir, als wenn die Entwicklung der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Industrie, die wir vor uns gesehen haben, und die wir mit photographischer Treue in der Entwicklung des englischen Industrierates sehen, uns den Weg weist. Wenn heute unsere Industrie mit den Gewerkschaften zusammen diese Arbeitsgemeinschaft bildet, wenn wir einen Schritt weitergehen, wenn wir denken, daß andere große Berufszweige sich hier anschließen, die Landwirtschaft in erster Linie, dazu das Handwerk, das ja sowieso hinzugenommen werden muß, dann auch die Angliederung aller der geistigen Arbeiter, dann kann auf diesem Gebiete ein Parlament entstehen, das schaffend arbeitet, das die Möglichkeit hat, die Einseitigkeit zu vermeiden, die einem Zentralarbeiterrat anhaften wird. Im einzelnen kann da die Frage gelöst werden: Welche Wirtschaftspolitik müßt Ihr gemeinsam treiben, um die Sozialpolitik durchzuführen, die Ihr als Arbeiter verlangt? Dann werden alle die alten Gegensätze von Freihandel und Schutzzoll als verstaubte Theorien erscheinen, dann wird auf diesem Gebiete die Möglichkeit gegeben sein, an Stelle des Gedankens des Klassenkampfes den neuen Gedanken des wirtschaftlichen Zusammenarbeitens aller Stände zu setzen. Ich habe die Überzeugung, daß die Zusammensetzung eines solchen sozialen Parlamentes, das auf dieser paritätischen Grundlage aufgebaut werden müßte, sich mit dem heute vertretenen Gedanken der Zusammenfassung der Räte vereinigen läßt, nur daß nicht der Betrieb als solcher die Urzelle für die Wählbarkeit sein, daß nicht der Einzelne von seinem Berufe getrennt sein kann, sondern daß für die Gewerkschaft und ihre Entwicklung innerhalb dieser Gesamtentwicklung Platz sein muß und daß die letzten Machtmittel angewandt werden müssen gegen jeden Terror, der sich gegen irgendeine Minderheit kehrt. Dann müssen wir versuchen, in praktischer Arbeit dasjenige auszugleichen, was heute in den wildstürmenden Ansprüchen sich auch mit Forderungen geltend macht, die unerträglich, die undurchführbar sind. Lassen Sie uns versuchen, den Gedanken dieser Betriebsräte, ihrer Mitwirkung am Produktionsprozeß durchzudenken. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, dem Gedanken der Mitwirkung der Arbeiter und Angestellten an der Produktionsförderung in gewissem Maße zu entsprechen. Haben wir uns doch daran gewöhnt, daß ein Mitbestimmungsrecht der Arbeiterschaft in den sie selbst angehenden Fragen, in der Einstellung und Entlassung und allen anderen sozialen Betriebsfragen heute konzediert und in Zukunft als etwas Selbstverständliches angesehen werden wird. Wir müssen und werden sowohl eine Formel als auch eine Praxis finden, welche die führende geistige und technische Leitung des Betriebes denjenigen überläßt, welche durch die Vorbildung und Leistung dazu bestimmt sind, welche aber eine weniger kontrollierende als fördernde Mitwirkung eines Betriebsrates zuläßt. Wird doch in dem Maße, in dem der Staat selbst in seiner Finanzgebarung von dem Ertrag der Unternehmungen abhängt, auch das allgemeine Interesse an dieser Frage interessiert sein. Ich kann diese Frage hier nicht im einzelnen ausführen, aber ich glaube, daß die Idee einer Mitwirkung der Betriebsräte und die Idee eines sozialen Parlamentes, das aber nicht einseitig einen Zentralarbeiterrat darstellen darf, nicht negativ bekämpft, sondern praktisch gelöst werden muß.

Es wird etwas anderes entstehen, als was früher das berufsständige Parlament sein sollte, und doch wird dieses soziale Parlament gleichzeitig einen Ausgleich bieten, der mir nach zwei Seiten wünschenswert erscheint. Einmal weil die Berufsstände im alten Reichstage meist zu kurz kamen und im neuen Reichstage wahrscheinlich wieder zu kurz kommen werden, so daß es ihnen nur wünschenswert sein kann, wenn sie hier Gelegenheit haben werden, mit zur Geltung zu kommen, und zweitens, weil Sie, glaube ich, das Parlament der Zukunft stärken, wenn Sie es wieder hinführen auf die großen politischen und kulturellen Gedanken und es von der blöden Interessenwirtschaft befreien, in der wir in den letzten Jahren versunken waren. Erst dann, wenn wir diesen Weg der Entwicklung gemacht haben, wenn man die ganzen Wahlkämpfe unter dem Gesichtspunkte großer Ideen wertet, werden wir auf diesem Gebiete wieder einigermaßen zu einer Gesundung unseres gesamten politischen Lebens kommen. Die Entlastung, die wir dadurch bekommen, daß diese Fragen in einem anderen Parlament vorgearbeitet werden, schätze ich auch nach der Richtung hin als etwas Positives. Deshalb glaube ich, daß wir positiv mitarbeiten können an dieser gesetzgeberischen Frage, die ja gleichzeitig eine hoch sozialwirtschaftliche Frage ist, auch in der Frage der Eingliederung des Rätesystems in die bestehende Organisation der deutschen Arbeitsgemeinschaft und ihres Ausbaues zu einem sozialen Parlament.

Ich möchte eine weitere Anregung hinzufügen: Nachdem einmal der Rätegedanke alle Kreise bis in die hohe Beamtenschaft hinein ergriffen hat, sollten wir als die Führer des liberalen Gedankens in Deutschland uns angelegen sein lassen, an die Spitze der geistigen Arbeiterräte zu treten, die sich bilden werden, um auch auf diesem Gebiete dafür zu sorgen, daß hier die Führung nicht wieder in die Hände solcher gegeben wird, die in kosmopolitischen Ideen schwärmen oder die vielleicht gar anarchistischen Gedanken sich zuwenden. Wir haben erfreulicherweise schon Zusammenfassungen der akademischen Berufsstände zu großen Organisationen von Hunderttausenden. Gehen diejenigen von uns, die zu den Intellektuellen gehören, da hinein, versuchen wir hier die Führerschaft zu erlangen und dafür zu sorgen, daß nicht überall, wo neue Strömungen entstehen, sie in das Bett falscher Anschauung geleitet werden.

Und dann ein zweites. Wir sind uns gestern darüber klar geworden, daß wir im neuen Deutschland positiv etwas bieten, etwas schaffen müssen, das dem Einzelnen mehr gibt als Theorien von idealem Wert. Finanziell können wir dem Einzelnen keine Entlastung geben, denn die Belastung wird alle bis aufs tiefste drücken; aber wir müssen zur Gesundung unseres ganzen Lebens mit führend sein auf dem Gebiete der Siedlungspolitik. Wir müssen alles daransetzen, um diese Umpflanzung von der Großstadt auf das Land herbeizuführen, und dies kann nur geschehen, indem wir uns gleichzeitig zu dem gesunden Kern der Bodenreformgedanken bekennen, zu dem gesunden Kern, den ich darin sehe, daß das Land und der Boden, der mit uns gewachsen ist, auf dessen Entwicklung der Gesamtheit des Volkes ein maßgebender Einfluß zustehen muß, von jeder Privatspekulation freigemacht wird, daß derjenige, dem wir eine Scholle geben, sie nicht dazu erhält, um sie mit Nutzen wieder veräußern zu können und sie weiter und weiter zu steigern, sondern daß wir ihn ansässig machen wollen auf Grund der modernen Formen, die ihm die Möglichkeit geben, dort auch für sich und sein Geschlecht und die, die nach ihm kommen, auf alle Zeiten zu sitzen, ihn frei zu machen von allen diesen spekulativen Gedanken und dadurch die Möglichkeit einer Gesundung unseres Volksganzen zu schaffen. Ich sehe diese Gesundung nicht nur im Physischen. Gewiß liegt sie im Physischen vielleicht zuerst; Geheimrat Backhaus hat gestern darauf hingewiesen, daß schon einmal das zerschlagene Preußen sich an seiner Landwirtschaft wieder erholt hat, und daß wir diese Urkräfte in erster Linie stützen und stärken müssen, das haben wohl dem blödesten Auge der Krieg und seine Erscheinungen bewiesen. Die Achtung vor dem Lande ist wieder groß geworden; aber es ist meist nur die materielle Achtung vor den Vorräten, die auf dem Lande sind. Etwas anderes muß auch in uns groß werden: die sittliche Achtung vor dem Lande, vor dem Dorf, vor der Einsamkeit. Wenn irgend etwas uns verflacht hat, dann ist es doch die Großstadt gewesen. Nirgends mehr geht die Einzelpersönlichkeit zugrunde als in diesen Stätten der Massensuggestion. Dort ist die Sensation zu Hause, dort denkt der Meinungsmacher für alle die andern; dort wird gläubig hingenommen, was in immer neuen Ausgaben der Presse an Vielheit der Erscheinungen und Gedanken auf den Einzelnen einstürmt, ohne daß sich darauf eine Lebensanschauung und eine Persönlichkeitsentwicklung aufbauen kann. Es gilt noch heute, was Goethe im »Faust« als Plutus dem Knaben Lenker sagen läßt, den er hinwegführt aus dem großen Festestrubel und dem er zuruft: »Zur Einsamkeit, da bilde deine Welt!« Die Großen unseres Volkes sind meist aus dieser Einsamkeit gekommen. Es fehlt uns in der Hast der Entwicklung der Gegenwart die Ruhe des Gemüts, in der der Einzelne Zwiesprache mit sich pflegt. Das Große und Gute in uns, alle Gedanken der Liebe zum Vaterlande, alle Gedanken sittlicher Erneuerung, alle Gedanken, daß der Mensch ein Lebensziel in sich haben müsse, um des Lebens würdig zu sein, die bilden sich nicht auf dem Potsdamer Platz und im Gewirr der Tausende, die mit Stoßen und Drängen durch die Straßen eilen, als wenn sie nur lebten um des Lebens willen. Je mehr wir Menschen haben, die wieder diese Einsamkeit liebgewinnen, die wieder die Möglichkeit haben, diejenige Verbindung des Menschen mit der Urmutter Natur herzustellen, aus der die Großen unseres Volkes fast immer die Antäuskräfte des Gemütes gewonnen haben, je mehr diese Möglichkeit gegeben ist, um so mehr sollten wir sie nicht nur vom physischen, nicht nur vom realen Standpunkt, sondern auch vom Standpunkt der geistigen Erneuerung unseres Volkes aus begrüßen.

In diesem Zusammenhange könnte ich zu Ihnen von dem Kulturprogramm der Deutschen Volkspartei sprechen, auf das wir den größten Wert deshalb legen, weil wir die Bedeutung der Geistesfragen für die Zukunft unseres Vaterlandes als hochwichtig und mächtig einschätzen. Ich verzichte darauf, das hier im einzelnen zu tun, weil ich die Hoffnung habe, daß unser verehrter Vorsitzender, Herr Geheimrat Kahl, das nachher in der Aussprache tun wird, verweise Sie nur auf die Anträge in der Verfassungskommission, die den Namen Kahl tragen und die alle die kirchlichen Fragen umfassen, auch die Anträge, die unsere Freunde Runkel, Beuermann und Aßmann in der Frage der Schulpolitik gestellt haben, und auf die Ausführungen, die ich selbst zu der Eingabe des Deutschen Lehrervereins in der Nationalversammlung machen konnte.

Zweierlei möchte ich nur herausheben als leitende Grundgedanken unserer Auffassung: das ist unbeschadet der Stellung der Kirche, die in dem neuen Deutschland eine neue werden wird, die Überzeugung, daß die Religion als Fundament unserer sittlichen Erziehung uns erhalten bleiben soll auch in der Schule, unbeschadet der Entwicklung der Schulverhältnisse im übrigen, und ein zweites, daß wir innerhalb der Erziehung des Volkes die Freimachung aller geistigen Kräfte zur höchsten Leistung durch diejenige Möglichkeit der Entwicklung erreichen wollen, die in einer neuen Form der Schulorganisation liegen soll. Wie das im einzelnen durchzuführen ist, darüber werden diejenigen bestimmen, die auf diesem Gebiete die geborenen Führer sind, unsere Pädagogen und Lehrer. Aber zu diesen beiden Gedanken, von denen ich den zweiten geradezu als den Grundkern liberaler Empfindungen hinstellen möchte, weil der Liberalismus Entwicklung der Persönlichkeit ist; in ihm müssen, glaube ich, alle unsere Anstrengungen auf diesem Gebiete für die Zukunft wurzeln.

Wir stehen, wie ich schon sagte, in wirtschaftlichen, in großen volkswirtschaftlichen, finanziellen, sozialen, kulturellen Fragen vor großen Aufgaben. Zu diesen großen Aufgaben kommt die eine noch hinzu: das Verfassungswerk für das neue Deutschland zu schaffen. Ich kann im Rahmen dieses Vortrages nicht auf die Einzelheiten dieses Werkes eingehen; aber zwei Gedanken will ich auch hier in den Vordergrund stellen: den Gedanken der Reichseinheit und den Gedanken der Unantastbarkeit Preußens. Diese beiden Gedanken sind miteinander verbunden. Wer an Preußen die Hand legt, der legt auch die Hand an die Reichseinheit; wem die Reichseinheit lieb ist, der darf Preußen nicht zerschlagen wollen, und deshalb müssen wir uns gegen alle Bestrebungen wehren, die hier auftreten.

Sie haben verschiedene Quellen. In Hannover leben zum Teil alte dynastische Erinnerungen, leben alte Vorstellungen von der Stellung des welfischen Adels, beispielsweise bei dem alten hannoverschen Königshause. Andererseits sind im Rheinlande entweder neben Führern, die aus patriotischen Motiven zu handeln glauben, weil sie durch eine Westdeutsche Republik dem Pufferstaat Rheinland zuvorzukommen denken, solche, bei denen nicht alle Fäden zerrissen sind, die geistig hinübergehen nach dem Westen, oder es sind Leute, die in einem Ausfluß des Egoismus, wie offen gesagt worden ist, als Ratten das sinkende Schiff verlassen möchten, die der Meinung sind, daß sie besser fahren, wenn sie nicht dem armen, ohnmächtigen Deutschland der Zukunft angehören. Die Toren, die, abgesehen von der Erbärmlichkeit dieser Gesinnung, sich auch in dem einen täuschen, daß Frankreich nach diesem Kriege ebenso geschwächt ist wie Deutschland, daß dieser Krieg seine großen zerstörenden Wirkungen nicht nur bei uns zum Ausdruck gebracht hat, daß es fraglich ist, wem der Wiederaufbau zuerst gelingen wird, wenn die sittlichen Kräfte bei uns wieder lebendig gemacht werden!

Das ist die eine Quelle. Die andere fließt bei denen, die jetzt Entwürfe an die Öffentlichkeit bringen, die frei von geschichtlichem Sinne sind, oder die sich in einem innerlichen Gegensatz zur Geschichte befinden, und die das Volk von seiner Geschichte loslösen wollen, weil sie glauben, daß damit auch die Bahn für Ideen frei wird, die nicht mehr mit der Vergangenheit behaftet sein werden.

Das alles steht in fundamentalem Gegensatz zu unseren Empfindungen. Wir sind nicht eine Preußenpartei. Unser langjähriger Führer, mein verehrter Freund Bassermann, hat als Süddeutscher jahrelang die Partei geführt. Sie ist entstanden in einer Zeit, da der Nationalverein sich zuerst bildete, als Rudolf von Bennigsen, als Hannoveraner damals noch außerhalb Preußens stehend, den Gedanken vertrat, daß Preußen den Kern des nationalen Deutschlands zu bilden habe. Wir wissen, was alles an Rauhem, Einseitigem, was an Eckigem und Sprödem in diesem Preußen liegt. Trotzdem bleibt das eine, was Bülow einmal, als er Süd und Nord verglich, in die Worte gefaßt hat: Im Süden war der deutsche Geist, im Norden die staatenbildende Kraft. Beides muß sich miteinander vermählen, der Geist und die staatenbildende Kraft. Wir waren geistig groß und politisch ohnmächtig, ehe die staatenbildende Kraft Preußens beides miteinander verschmolz, und das wird auch für die Zukunft so bleiben. Deshalb erscheint mir der vielfach bei einzelnen Demokraten und Sozialisten zum Ausdruck kommende Haß gegen Preußen als die grenzenloseste geschichtliche Undankbarkeit, die sich jemals ein Volk hat zuschulden kommen lassen.

Der Geist von Potsdam! Ja, wenn es die andern sagten, die Feinde, die darunter gelitten haben in verlorenen Schlachten – das könnte man verstehen. Das deutsche Volk sollte seinem Himmel danken, wenn es noch ein Heer besäße, in dem der Geist von Potsdam lebendig wäre. Alle die Machthaber, die so schnell dabei waren, hier das Alte niederzureißen – jetzt möchten sie manches aus dem Grabe hervorkratzen, wenn sie es nur wieder zur Auferstehung bringen könnten. Jetzt versuchen sie durch manchmal übertriebene Brutalität das zu ersetzen, was ihnen verlorengegangen ist, als sie das alte Heer in der Weise verlumpen und verludern ließen, wie es ihnen kürzlich, von einem ihrer eigenen Leute gesagt worden ist.

Deshalb, meine ich, sind wir hier die Erben alter, guter Überlieferung der Partei der Reichsgründung, wenn wir eintreten für die Reichseinheit und eintreten für die Unteilbarkeit Preußens, und wenn wir uns nicht nur wehren gegen die Loslösungsbestrebungen, sondern zur Offensive aufrufen gegen sie und die an den Pranger stellen, die in dieser Zeit der Not nichts Besseres wissen, als neue deutsche Kleinstaaten zu begründen und dadurch den Grund zu späterer politischer Ohnmacht Deutschlands zu legen.

Unitarismus und Föderalismus – das weite Gebiet erlassen Sie mir abzuhandeln. Die Ausführungen, die Heinze in Weimar gemacht hat, geben Ihnen die Auffassung wieder, die sich bei uns widerspiegelt, die das eine zeigt, daß dieser Unitarismus, daß dieses völlige Aufgehenwollen in dem einen Deutschland ein Gedanke ist, der sich an der geschichtlichen Überlieferung in Deutschland stößt. Das sehen wir ja daran, daß selbst unabhängige Sozialisten, wenn sie Minister in einem Einzelstaat werden, manchmal viel partikularistischer reden als die Träger des alten Regimes geredet haben. Es bleibt eben dabei, daß der alte Bismarck doch der große geniale Staatsmann war, der die Form gefunden hat, in der sich Deutschlands Eigenleben mit Reichsmacht allein vereinigen läßt. Mögen sich lebensunfähige Gebilde in Zukunft zu lebensfähigen zusammentun; das wird gut sein. Die großen Dinge, Eisenbahnen, Post, Kanäle, Heer, alles das werden wir einheitlich zusammenfassen in der Reichskompetenz. Aber bleiben wird die Vielgestaltigkeit deutschen Lebens. Sie soll bleiben, und sie ist ein Plus in unserer Entwicklung, wenn sie nur zusammengehalten wird durch den ehernen Reif deutscher Kraft und deutschen Bewußtseins zu Macht und Größe.

In dem Sinne waren unsere Ausführungen gehalten, in dem Sinne arbeiten wir in der Verfassungskommission und arbeiten darin auch gegen alles das, was sich jetzt auch nach dem 9. November neu zeigt an Verlassen alter, geschichtlicher Vergangenheit.

Würdeloses Verlassen alles Großen in unserer Geschichte war auch die Aufgabe der alten Reichsfarben schwarz-weiß-rot. Ich bin der letzte, der nicht innerlich eine Liebe zu den Farben schwarz-rot-gold hätte. Wer empfände sie nicht hier in Jena, hier, wo im »Gasthaus zur Tanne« die deutsche Burschenschaft gegründet worden ist, hier, wo sie uns im »Burgkeller« in den Farben der »Arminia« entgegenleuchten, und wer von uns Burschenschafter war, wer hat sie nicht mit Stolz getragen und daran gedacht, daß in dieser Farbe der Gedanke zu deutscher Einheit sich durchsetzte gegen Kleinlichkeit und gegen Philisterhaftigkeit oben und unten. Aber das ist Vergangenheit in der Geschichte, das ist klein gegenüber dem, was in fünfzig Jahren sich mit den Farben schwarz-weiß-rot an erlebter Geschichte für uns auf ewig verbunden hat, an Erinnerung an alle diejenigen, die unter diesen Farben in den Tod gegangen sind, auch an die Führer unserer Schiffe, unserer U-Boote, an Erinnerung an unsere stolze Handelsflotte, deren Erscheinen mit diesen Farben ein Fest war für die Deutschen draußen im Auslande, die, wie dies kürzlich in einem wundervollen Briefe an Herrn Geheimrat Kahl gesagt war, die Farben grüßten im letzten Urwalde von Südamerika, denen sie ein Zeichen waren für das große deutsche Hundertmillionenvolk in der Welt und für seine Kraft und Weltbestimmung, das sich auch nach einer Niederlage nicht scheuen braucht, nach einem Kriege, in dem wir gegen Staaten mit 1200 Millionen vier Jahre lang kämpften und den Heimatboden freihielten vom Feinde. Wahrlich, es wäre schmählich, wenn sich für ein Aufgeben dieser Farben jetzt eine Mehrheit in einem sich deutsch nennenden Parlament fände.

Allerdings, seltsam brauen sich hinter manchem Hirne die Gedanken: Haben wir es doch erlebt, daß im Verfassungsausschuß von einem demokratischen Führer der Antrag gestellt wurde, den Ausdruck »Deutsches Reich« durch »Deutscher Bund« zu ersetzen, weil die Worte »Deutsches Reich« französisch hießen: »Empire allemand«, und weil man den Franzosen nicht zumuten könne, dieses »Empire allemand« auch noch in Zukunft zu ertragen. Es ist tief bedauerlich, daß solche Empfindungen überhaupt nur in einem deutsch empfindenden Herzen zum Ausdruck kommen können, ein Zeichen beginnender Knochenerweichung in nationaler Beziehung, ein Zeichen jener Illusionspolitik, die da glaubt, durch ein Sichbeugen vor der Welt da draußen für Deutschland auch ein kleines Plätzchen an der Sonne erobern zu können, während das eine feststeht, daß nur durch Selbstachtung und Bekundung dieser Selbstachtung Deutschland jemals eine gleichberechtigte Stellung erringen wird.

Auch auf dem Gebiete der inneren Politik sehen wir heute seltsame Erscheinungen. Auf Grund des parlamentarischen Systems wurde eine Regierungsmehrheit gebildet mit dem Erfolge, daß Führer dieser Mehrheit gegen die Regierung Oppositionsreden halten und dabei zum Ausdruck bringen, daß nur die Rücksicht auf die Mitwirkung ihrer Partei in der Regierung sie veranlaßt, ihre Reden nicht in eine schärfere Form zu kleiden. Wir sahen das Ausscheiden von Ministern wegen großer Differenzen in den wichtigsten Fragen, die augenblicklich zur Debatte stehen. Lesen Sie die Rede von Scheidemann über die Sicherung der Errungenschaften der Revolution, und lesen Sie die gut nationale Rede von Dr. Pfeiffer, die er zu der großen deutschen Zukunftsfrage gehalten hat, und Sie werden die Empfindung haben, daß hier sehr verschiedene Pferde vor einen Wagen gespannt sind. Nichts ist törichter als die Auffassung, daß diese Mehrheit nun gewissermaßen die Verankerung künftiger deutscher Regierungsform sei. Wir werden uns darauf einrichten müssen, daß im Laufe der Zeit ganz andere Entwicklungen nach links oder rechts entstehen können. Nichts ist deshalb törichter, als wenn man wie Kinder, die im Dunkeln sind und sich durch lautes Singen Mut machen wollen, in den Kreisen dieser Mehrheit von der einflußreichen Opposition spricht.

Wir sehen ja heute schon, wie große Schwierigkeiten die Sozialdemokratie hat, sich überhaupt zu behaupten. Auch die Demokratie kämpft innerlich gegeneinander, Friedberg gegen Preuß in der »Deutschen Juristenzeitung«, der seine ganze alte Kampfesfreudigkeit für Ideen zeigt, die mit Demokratie nichts zu tun haben. Wir sehen auf der anderen Seite das Zentrum, das eigentlich verpflichtet wäre, Adolf Hoffmann ein Denkmal zu setzen mit der Inschrift: »Dem Bewahrer der Einheit des Zentrums, die dankbare Partei«, denn ohne die Tolpatschigkeit dieses Ministers wäre vielleicht die große Krisis in der Zentrumspartei zum Ausbruch gekommen.

In all dieser Entwicklung, in diesem Wirrwarr der sozialpolitischen Fragen und des Kampfes um unsere nationale Gestaltung stehen wir als Deutsche Volkspartei. Die Stärke unseres Einflusses ist nicht gegeben durch das Ergebnis der letzten Wahlen. Das Ergebnis der Wahlen war ein befriedigendes angesichts der Schwierigkeiten der Situation, angesichts der Tatsache, daß wir die letzte auf dem Plan erscheinende Partei waren und daß uns vom 15. Dezember bis 19. Januar nur knapp fünf Wochen überhaupt gegeben waren, um auf den Plan zu treten und die Wahlen durchzuführen.

Wir waren bereit, mit denjenigen mitzugehen, die eine vereinigte liberale Partei schaffen wollten. Wir haben es abgelehnt, uns mit jenem linken demokratischen Flügel zu vereinigen, der hinzukam, von dem wir uns scheiden wie Feuer und Wasser, von dem uns scheidet auf der einen Seite deutschbewußte Empfindung gegenüber kosmopolitischem Denken, von dem uns scheidet der Liberalismus, der die persönliche Entwicklung in den Mittelpunkt stellt, gegenüber der Öde demokratischen Mehrheitsfanatismus. Wir sind eine liberale Partei, wir wollen das in den Mittelpunkt unserer gesamten Auffassung der Kulturfragen, der Wirtschaftsfragen, der großen politischen Fragen stellen, wir sind und bleiben selbständig nach rechts und nach links. Es ist unsere parteigeschichtliche Aufgabe, diejenigen aufzunehmen, die zu Hunderttausenden aus dem demokratischen Lager in das Lager des Liberalismus zurückkommen werden, nachdem sie in der Demokratie unter falschen Voraussetzungen für kurze Zeit eine politische Heimstätte gefunden haben. Wenn wir die Entwicklung unserer jungen Organisation sehen, das Anschwellen ihrer Mitglieder zu Tausenden in Westfalen, in Hamburg, in Hessen, in der Reichshauptstadt, dann zeigt sich, daß, wie es in allen Berichten aus dem Lande zum Ausdruck kommt, wir eine gute Zukunft für uns haben, daß wir gerade aus diesem Lager wie aus dem Lager von rechts diejenigen zurückbekommen, die der Auffassung sind, daß nur auf der Grundlage unserer Bestrebungen das deutsche Bürgertum in den Teilen, die immer zu uns gehört haben, sich zusammenfinden kann. Es wird die Zeit kommen, wo man, nachdem man alles zerschlagen hat, an einen Wiederaufbau gehen muß. Dann wird die Zeit sein für positive Mitarbeit unserer Partei, denn man wird die Kreise, die zu uns gehören, bei diesem Wiederaufbau gar nicht entbehren können. Das ergibt sich aus der ganzen Situation.

Aber auch Selbständigkeit nach rechts gegenüber der Deutschnationalen Volkspartei. Alle die im Schwange befindlichen Legenden von Verschmelzung der beiden Parteien, die uns so erscheinen lassen, als wenn wir der Annex der Deutschnationalen Volkspartei wären, sind eine Erfindung. Wir haben die feste Überzeugung, eine gute Zukunft vor uns zu haben; wir haben nicht die Absicht, irgend etwas von unserer Selbständigkeit aufzugeben.

Lassen Sie mich zum Schluß ein Wort über unsere außenpolitische Lage sagen, über das, was uns in den nächsten Wochen bevorsteht, die über Deutschlands Schicksal entscheiden. Ein Wort kommt einem dabei in den Sinn, das Wort des Dichters:

Denk' ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht.

Das ist jetzt wohl der Eindruck, unter dem wir alle stehen. Von unserer politischen, wirtschaftlichen Ohnmacht, unserm finanziellen Zusammenbruch habe ich gesprochen. Das alles sollte uns veranlassen, unser Letztes zusammenzunehmen, um wieder unsere außenpolitische, unsere weltpolitische Stellung aufzubauen. Statt dessen sehen wir, wie wir uns zerfleischen mit Anklagen über Deutschlands Schuld am Kriege. Das ist geradezu politischer Sadismus.

Schuld am Kriege! Wann wird einmal in dieser Frage überhaupt volle Klarheit da sein auf Grund der Kenntnis aller Vorgänge, nicht nur auf Grund derer, die veröffentlicht worden sind? Die sozialdemokratische Regierung hatte nichts Eiligeres zu tun als mitzuteilen: sie wolle die deutschen Akten veröffentlichen. Die Sozialdemokratie hätte es tun sollen als internationale Partei, unter der Bedingung, daß die übrigen Nationen dasselbe tun; denn man muß wissen, was in den entscheidenden Tagen nicht nur in Berlin, sondern, wenn nicht in offiziellen Depeschen, so doch in geheimen Dokumenten niedergelegt ist, von Grey, von Iswolski, von den Franzosen und von all den anderen. Wir leben der ganz falschen Auffassung und lassen uns in sie hineinbringen, daß wir die Schuld am Kriege hätten auf Grund der Vorgänge der letzten vier Wochen vor dem Kriege. Daß unsere deutsche Diplomatie – Gott stärke sie – in diesen vier Wochen vor dem Kriege vielleicht ebenso haltlos und ungeschickt gewesen ist wie andere, mag vielleicht zutreffen. Aber die Schuld am Kriege ist ein Kapitel, das nicht mit dem 28. Juni 1914 beginnt, das liegt in der ganzen Entwicklung, in der die Persönlichkeit Eduards VII. die große Weltkoalition gegen Deutschland schmiedete, in der die Milliardenanleihe Frankreichs an Rußland, in der die Einführung der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich stattfand, einer Entwicklung, in der die anderen Nationen für ihren Militarismus ganz andere Opfer gebracht haben als das von allen Seiten bedrohte Deutsche Reich.

Schuld am Kriege! Gewiß, Schuld am Kriege in höherem Sinne war vielleicht jene deutsche Außenpolitik, die es verstand, sich gleichzeitig Rußland und England zu Feinden zu machen. Das aber ist ein Kapitel, das auf dem Gebiete politischer Unzulänglichkeit der Leiter steht, das aber nicht moralische Schuld gegenüber der Welt bedeutet.

Ein Zweites ist die Frage der Schuld am Ausgange des Krieges, die Frage der Überschätzung unserer eigenen Macht. Das eine werden wir, die wir für den Kampf bis zum Letzten eingetreten sind, zugeben: Wir sind Illusionisten in einem gewesen, haben uns getäuscht über die seelische Widerstandsfähigkeit der deutschen Nation. Aber auch diese Täuschung konnte nur deshalb eintreten, weil man seit dem 4. August lediglich von dem Kapital der Begeisterung der ersten Tage gelebt hat und nichts getan hat, um diese seelische Widerstandsfähigkeit zu festigen. Und man hätte doch lernen können von jenem Clemenceau, den wir vielfach in ganz falschem Lichte uns zu sehen gewöhnt hatten, ein Mann von unbedingtem politischen Willen. Man hätte von ihm lernen können, der seinerzeit das Wort gesprochen hat, das man allen Werken über diesen Krieg voranschreiben sollte: »In diesem Kriege, der nicht nur ein Krieg der Waffen, sondern ein Krieg der Völker ist, wird dasjenige Volk siegen, das eine Viertelstunde länger als das andere an seinen Sieg glaubt.« Unter diesen Gesichtspunkt hat er seine Politik gestellt, und unter diesem Gesichtspunkt hat er Caillaux verfolgt, hat er alle Zeitungen verboten, die irgendwie den Siegeswillen der Franzosen verspotteten, ist er, als die Kanonen Paris beschossen, in die Kammer gegangen und hat mit eiserner Stirn gesagt: »Es steht militärisch glänzend« und hat doch dadurch gesiegt, daß er die Suggestion des Sieges in den Seinen so lange festhielt, bis die Hilfe kam, die sie rettete. Hätte man das französische Volk in seiner öffentlichen Meinung so führerlos hin- und herschwanken lassen wie das deutsche Volk, dann wäre es auch zusammengebrochen. Deshalb sage ich, wenn wir vom Siege gesprochen haben, immer nur vom deutschen Siege und von seiner Gewißheit, so war es das, was jeder Politiker zu sagen die Pflicht hatte, was er zu sagen hatte vierundzwanzig Stunden vor dem Zusammenbruch, um bis zur letzten Stunde wenigstens diesen Glauben nicht erschüttern zu lassen.

Waren wir Illusionisten in dem Glauben an die Widerstandsfähigkeit der Seele des deutschen Volkes, dann waren doch diejenigen viel mehr die Getäuschten, die der Meinung waren, daß wir einen billigen Frieden erhalten könnten, sobald wir nur das »Kriegsziel« der Gegner erfüllten, Deutschland in die Reihe »freier Nationen« durch Demokratisierung und Republikanisierung zu überführen. Wir haben beides getan und haben trotzdem Waffenstillstandsbedingungen, Hungerblockade und Demütigungen bis aufs tiefste erlitten, wie sie seit Karthagos Untergang noch keinem Volke zugemutet worden sind. Daß jetzt die tapfere Armee, die in Ungarn unter Mackensen focht, gefangen nach Serbien geschickt wird, obwohl sie nicht kriegsgefangen, sondern nur interniert war, das zeigt den Geist, von dem sich unsere Feinde leiten lassen, die es nur besser als wir verstanden haben, ihre wahren Ziele ethisch zu umkleiden. Selbst ein demokratischer Pazifist wie Graf Czernin hat in einer Rede, die eine Anklagerede gegen deutsche Politik sein sollte, doch auf Grund seiner Erfahrungen als österreichischer Ministerpräsident den Satz ausgesprochen, daß gegenüber dem Deutschen Reiche bei der Entente nur ein Wille vorhanden war: der Wille auf Vernichtung.

Was die öffentliche Meinung, was das Anspannen der seelischen Kräfte des Volkes vermag, das haben die letzten Wochen uns ja gezeigt. Das wehrlose deutsche Volk erzwang durch das Aufflammen nationaler Würde die Verhinderung der polnischen Landung in Danzig. Hätte man auf diesem Instrument der öffentlichen Meinung zu spielen verstanden seit dem Unglückstage des 2. Oktober, – man hätte uns nicht zugemutet, die Waffenstillstandsbedingungen anzunehmen, wenn das ganze Volk sich dagegen gewehrt hätte, statt daß es sich so widerstandslos in sein Schicksal schickte.

Nun stehen wir vor dem Frieden, vor dem, was aus Deutschland werden soll. Sind wir aber den rechten Weg zur Vorbereitung gegangen? Ich glaube nicht. Wie traurig war es, daß die Nationalversammlung in Weimar sich nicht einmal dazu aufschwingen konnte, die elsaß-lothringischen deutschen Vertreter zuzulassen, die im Namen derjenigen Elsaß-Lothringer, die bei Deutschland bleiben wollten, beratende Stimme in der Deutschen Nationalversammlung verlangten! Glauben Sie wohl, daß die Franzosen sie im entgegengesetzten Falle zurückgestoßen hätten? Wir haben dagegen die Stimmen, die davon sprachen, daß Elsaß-Lothringen deutsches Land sei, zum Schweigen gebracht, da, wo sie vor der ganzen Welt hätten sprechen können. Wenn ihre Stimme auch übertönt worden wäre durch Kundgebungen aus dem jetzt von den Franzosen besetzten Elsaß-Lothringen. Diese Tribüne in Weimar mußte ihnen zum ersten Treu-Gruße an die Deutsche Nationalversammlung freigestellt sein. Traurig und kläglich ist es, daß hierüber eine Einigung nicht zu erreichen war. Denn wir wollen doch das eine festhalten, und es wird vor unseren Augen stehen immerdar: Dieses Elsaß und weite Teile von Lothringen, sie sind deutsches Land und sind deutschen Blutes. Mag vom Straßburger Münster die Trikolore wehen, – der Bau, der dort ragt, ist geboren aus deutschem Geiste, er hat nichts zu tun mit französischem Geiste; das ist die Stätte, wo einer der Größten, die jemals deutschen Geist über die Welt trugen, die großen Empfindungen von deutscher Baukunst in sich aufnahm, das alles lebt und webt in deutschem Wesen und lebt und webt in deutschem Geiste, und deshalb werden wir niemals vergessen, daß Elsaß-Lothringen deutsch ist, und daß es geistig immer zu uns gehören wird, und daß es unsere Aufgabe sein wird, diesen geistigen Besitz in tatsächlichem Besitz Deutschland zu erhalten.

Wir haben am Begrüßungsabend die Grüße aus dem Saargebiet vernommen. Alle diejenigen von Ihnen, die dort anwesend waren, haben sich der tiefen Bewegung nicht entzogen, als sie hörten von jener Kundgebung, die in Saarlouis von dem französischen Befehlshaber zugunsten Frankreichs erzwungen werden sollte, und die ausklang in dem wunderbaren Bekenntnis der dort unter französischer Besetzung stehenden Deutschen: »Lieber deutsche Fron als welschen Lohn; lieber deutsche Not als welsches Brot.« Wenn das die Gesinnung wäre, die überall in Deutschland bestände – wie ganz anders hätte unser Geschick sich gewandt.

Das Saargebiet – vom Rheinland nicht zu sprechen – Schleswig, unsere Nordmark, wie die Ostmark, alles das ist deutsches Land, für das wir uns einzusetzen haben. Wir grüßen die Ostmark, in der es kein unzweifelhaft polnisches Gebiet auch im Sinne Wilsonscher Formulierung gibt. Daß in Posen heute polnischer Fanatismus sich gegen Deutsche austoben kann, das ist auch nur eine Errungenschaft der Revolution, die unser Heer zugrundegerichtet hat. Wir sehen, was wir dadurch verloren haben, wir sehen, wie gut es war, daß wir von der Linie des ewigen Nachgebens unter dem Vorsitzenden der Waffenstillstandskommission uns abwandten und zu dem Geist der Politik zurückkehrten, dessen Träger wohl der gegenwärtige Staatssekretär des Äußeren ist.

Wir müssen hinaus über diese starke Betonung des deutschen Charakters dieser Lande, aber auch das eine betonen und zum Ausdruck bringen, daß wir verlangen, als Kolonialmacht weiter zu bestehen, daß wir das Recht deutscher kolonisatorischer Tätigkeit geltend machen. Wir geben unsere Bedeutung in der Welt auf, wenn wir den Wunsch aufgeben, auf diesem Gebiete mit anderen Nationen den Wettbewerb zu pflegen.

Nun lassen Sie mich meine Ausführungen schließen mit einem Gruß an Deutsch-Österreich, an diejenigen, die jetzt darauf rechnen, zu Deutschland zu kommen. In dem Groß-Deutschland, das aus der Vereinigung der deutschen Lande mit dem deutsch-österreichischen Gebiete entstehen wird, haben wir vielleicht den einzigen Lichtpunkt in der Gegenwart zu erblicken. Dieses Groß-Deutschland wird arm und ohnmächtig ins Leben treten. Österreich selbst hat bereits seine Perlen und sein Geschmeide hingegeben, um Lebensmittel zu erhalten, und es wird finanziell vielleicht noch schlimmer dastehen als wir. Trotzdem müssen wir eines fordern: daß unsere Unterhändler sich jetzt nicht verlieren in Einzelheiten finanzieller und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen, sondern daß sie die Tatsache der Vereinigung des Deutschen Reiches mit Deutsch-Österreich als politische Tatsache vor der Welt kundgeben, sonst haben wir mit dem, was wir deutsche Gründlichkeit nennen, vielleicht einen weltgeschichtlichen Moment versäumt, jetzt, wo die große Arbeit der Entente einsetzt, um Deutsch-Österreich für sich zu erlangen.

Wir wissen, daß schon einmal in der Zeit tiefsten Niederganges unser Volk auch arm, politisch ohnmächtig und niedergedrückt gewesen ist; das war in der Zeit nach dem Frieden von Tilsit; das war damals, als der König von Preußen sein Goldgeschirr verkaufte, um mit seinen Beitrag zu geben für die Kriegsschulden, die Preußen aufzubringen hatte. Ärmlich war damals das Leben, eng war es und begrenzt in äußerlicher Hinsicht. Aber es war die Zeit, in der einmal das größte Werk eines deutschen Dichters, der »Faust« erschien, es war die Zeit, in der die Wiedergeburt des Volkes auf liberaler Grundlage hervorgerufen wurde durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung, die das Bürgertum aufrief zur Selbstverantwortung in den Städten, die die Bauernschaft aufrief zur freien Selbstverwaltung auf dem Lande. Und erstanden ist aus der Zeit tiefsten Niederganges, aus der Zeit tiefster Demütigung das starke, das große Deutsche Reich der Vergangenheit. So dürfen auch wir nicht in Resignation verfallen, wie traurig es auch jetzt um uns stehe. Der lebendige deutsche Volksgeist, so sehr er jetzt unter Halden und Schutt darniederliegt, an der Oberfläche nicht zum Ausdruck kommt, er ist trotz alledem doch schließlich vorhanden. Lassen Sie uns zusammenarbeiten, lassen Sie diese unsere Zusammenarbeit tragen durch das eine, das über allen unseren Arbeiten stehen muß, durch den unerschütterlichen Glauben an Deutschlands Zukunft.


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