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Dreiundfünfzigstes Capitel.

Seit jener Nacht, in welcher Leo sich von Eve unter so eigenthümlichen Verhältnissen getrennt hatte, war er nur ein paarmal in der Lippert'schen Wohnung gewesen, und immer nur, um die kranke Frau Lippert zu besuchen. Eve hatte er nicht wieder gesprochen und nur einmal flüchtig gesehen, während sie, als er eintrat, schnell durch eine zweite Thür das Krankenzimmer verließ. Er hatte nicht versucht, sich ihr wieder zu nähern; er wußte, daß sie ihm seine Zurückweisung nun und nimmer vergeben würde. In der That hatte Eve kein Interesse mehr für ihn, seitdem er durch sie und Ferdinand Lippert so ziemlich Alles über den Prinzen erfahren, was er zu wissen gewünscht. Auch Ferdinand war ihm nicht weiter wichtig; er hatte seinen Dienst gethan, und mochte immerhin seinen Prinzen auf dessen Inspectionsreisen begleiten. Er hatte an den jungen Wüstling nur gedacht, so oft ihm in seinen politischen Berechnungen der Wunsch gekommen war, den Brief des Prinzen, den er noch immer in Händen hatte, zu veröffentlichen. Aber dieser Brief war ein Trumpf, der, wenn er das Spiel gewinnen helfen sollte, in dem rechten Moment gezogen werden mußte. Es war ein Todesstoß, wenn das Opfer schon am Boden lag. So weit war es mit der liberalen Partei noch nicht.

Diese Gedanken gingen durch Leo's Kopf, als er schnell durch die langen Straßen, in denen ein Frühlingssturm brauste, nach dem prinzlichen Palais schritt. Er dachte auch des Geheimnisses, das über der Familie Lippert wie eine schwere Wolke hing und, wenn der Tod den Mund der Frau auf ewig schloß, wohl niemals gelöst werden würde.

Was war auch schließlich daran gelegen, ob Ferdinand der Sohn dieses oder jenes Wüstlings war? immer war der Apfel nicht weit vom Stamme gefallen.

Als Leo beim Palais anlangte, fand er die Thür zur Lippert'schen Wohnung offen. Aus dem Wohnzimmer hörte er trotz der dicken Wände und sehr gut schließenden Thüren Ferdinand's heftige Stimme. Er mußte des Tages denken, als Eve ihn zum erstenmale in die Familie eingeführt hatte; er machte sich darauf gefaßt, heute einer ähnlichen Scene zu begegnen.

Leo öffnete die Thür des Wohnzimmers. Ein Blick genügte, zu sehen, daß hier etwas Außerordentliches vor sich gegangen sein mußte. In dem sonst so sauber gehaltenen Gemache sah es wüst aus; Frauenkleider, Wäsche, eine Menge Dinge waren auf die Erde geworfen, wie wenn hier ein Rasender seine Wuth ausgetobt hätte. Und wirklich glich Ferdinand, der, mitten im Zimmer stehend, gegen seinen Vater die geballte Faust ausstreckte und dazu kaum verständliche Worte kreischte, ganz einem Tobsüchtigen. Herr Lippert stand am Ofen, die Hände auf dem Rücken, den kleinen Kopf mit dem kurzen, struppigen grauen Haar leicht geneigt, die Augen halb geschlossen, wie es seine Gewohnheit war. Nur ein sehr Scharfsichtiger mochte bemerken, daß hinter dieser Maske eisiger Kälte eine innere Unruhe sich nur mühsam versteckte und daß er unter den gesenkten, borstigen Wimpern mißtrauisch spürend nach dem Eintretenden schielte.

Selbst Leo's Anblick war nicht im Stande, Ferdinand's Leidenschaft zu mildern. Sie ist fort! schrie er ihm entgegen, seit gestern Abend schon; und er – dabei deutete er mit vor Aufregung zitternder Hand nach dem Manne am Ofen – er hat ihr fort geholfen. Aber er soll es bereuen, sie Alle sollen es bereuen; ich will's ihnen beweisen, daß ich nicht mit mir spielen lasse.

Herr Lippert, an den dies Alles gerichtet war, lächelte.

Das geht nun schon so eine halbe Stunde fort, sagte er, zu Leo gewendet.

Leo erklärte, daß er nicht gekommen sei, sich in einen Streit zwischen Vater und Sohn zu mengen, und trat, ohne sich aufzuhalten, in das Zimmer nebenan. Das gute Mädchen, das auch eben erst zurückgekommen war, kam ihm auf den Zehen entgegen. – Ich glaube, sie schläft, sagte sie, die arme Frau! Ach, sie stöhnte so entsetzlich, und da habe ich sie zu Bett gebracht und bin zu Ihnen gelaufen. Die da haben sich gar nicht um sie bekümmert. Sie wissen nicht einmal, daß ich dort gewesen bin.

Was giebt es denn? fragte Leo.

Wissen Sie es denn nicht? Das Fräulein ist ja weg; seit gestern Abend; sie sagen ja –

Leo trat an das Bett. Der Schein der Lampe, welche das Mädchen in der Hand trug, streifte über das blasse Gesicht. Mochten sie immerhin nebenan streiten und toben – diesen Schlaf konnten sie nicht mehr stören; mochten sie immerhin sich untereinander das Leben zur Hölle machen – diese gebrochenen Augen konnten nun keine Thränen mehr darüber vergießen.

Das Mädchen kreischte laut, ließ die Lampe fallen und stürzte heulend hinaus – Leo tastete sich nach dem Wohnzimmer. Die Streitenden hatten den gellenden Schrei gehört. Ferdinand blickte verstört, als Leo hereintrat.

Was giebt es? fragte er.

Ihre Mutter liegt nebenan – todt! erwiederte Leo.

Ferdinand taumelte zurück und stierte ihn wie wahnsinnig an; auch Herr Lippert zuckte zusammen. Leo nahm die auf dem Tische stehende Lampe und ging wieder in das Schlafgemach. Nur Herr Lippert folgte ihm.

Es war nicht schwer zu bestimmen, wie und wodurch der dünne Faden des Lebens der Unglücklichen nun so schnell zerrissen war. Es mußte vielmehr als ein halbes Wunder gelten, wie ihr armes, zuckendes Herz so viel Qualen nur noch so lange hatte ertragen können. Dennoch ließ sich Leo Zeit bei einer vorläufigen Untersuchung, während Herr Lippert sich in einiger Entfernung auf einen Stuhl gesetzt und mit einem Tuche sein Gesicht bedeckt hatte.

Und ist sie wirklich – wirklich todt? murmelte er.

Ja, erwiederte Leo, und wenn Sie, wie ich das für sehr wahrscheinlich halte, über diesen Tod froh sind, so seien Sie es nicht minder darüber, daß die geheime Geschichte der Krankheit Ihrer Frau nicht vor die Geschworenen gebracht werden kann – es dürfte Ihnen übel ergehen. Nein, Mann, machen Sie keine pathetischen Geberden! Lassen Sie in den Zeitungen drucken: Gestern Abend starb meine geliebte Frau nach langem Leiden am Herzschlage. Aber sparen Sie sich die vergebliche Mühe, mir Ihre Unschuld beweisen zu wollen! Ich sage Ihnen, Sie haben diesen Tod auf dem Gewissen, und Hallunke, wie Sie sind, so hoffe ich doch, es kommt noch einmal eine Zeit in Ihrem Leben, wo Ihnen die Todte hier unbequemer sein wird, als Ihnen die Lebende je gewesen ist.

Herr Lippert nahm, während Leo ruhig, als handle es sich um eine ärztliche Verordnung, diese Worte sprach, das Taschentuch von dem blassen, von Angst und Wuth verzerrten Gesicht; er wollte etwas erwiedern, aber Leo wendete sich von ihm ab und verließ, nachdem er draußen in der Küche der heulenden Dienerin einige Aufträge ertheilt hatte, die Wohnung. Nach Ferdinand hatte er sich vergebens umgesehen.

Er hatte sich indessen kaum ein paar Schritte von dem Palais entfernt, als er Jemand schnell hinter sich her kommen hörte. Es war Ferdinand. Der Mond, der durch die jagenden Wolken schaute, schien hell in das Gesicht, dessen Schönheit jetzt zu einer wahren Grimasse verzerrt war. Ist es denn wahr? stammelte er.

Ja, erwiederte Leo.

Aber, mein Gott, wie ist denn das möglich? Sie war ja doch, däucht mir, ein paar Augenblicke vorher noch in dem Zimmer; ich habe gar nicht gesehen, wie sie hinausgekommen ist; ich weiß ja von gar nichts.

Leo antwortete nicht. Ferdinand, der neben ihm her ging, legte ihm die Hand auf den Arm.

Um Gottes willen, Doctor, sprechen Sie, sagen Sie mir ein Wort, daß Sie mich nicht für ihren Mörder halten! Ich habe sie nicht getödtet! Ich bin wohl sehr zornig gewesen, aber nicht eigentlich gegen sie. Sie konnte ja nichts dafür, wenn sie auch vielleicht nicht so lange hätte schweigen dürfen. Ach, ich bin ein elender, unglücklicher Mensch!

Und Ferdinand schlug die Hände vor das Gesicht und fing an zu weinen.

Leo fühlte kein Mitleid mit dem Unglücklichen.

Lassen Sie das! sagte er rauh; Ihr Lamentiren hilft zu nichts. Sie haben mir wer weiß wie oft gesagt, daß Sie nicht einen Funken Liebe für Ihre Mutter hätten, daß Sie nichts, gar nichts für sie fühlten, ja daß Sie öfter zweifelten, ob es wirklich Ihre Mutter sei. Was soll das Alles jetzt?

Ja, rief Ferdinand, ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Ich habe meine Mutier nie geliebt. Und wenn Sie mich tausendmal einen Elenden nennen – ich kann nicht anders.

Sie müssen es am besten wissen, sagte Leo trocken, und hier – trennen sich wohl unsere Wege.

Sie wollen mich verlassen? rief Ferdinand voller Entsetzen, mich jetzt verlassen, in diesem Zustande verlassen? Um Gottes willen, thun Sie das nicht, wenn Sie nicht wollen, daß ich mich hier von der Brücke in den Fluß stürze.

Ich bin sehr beschäftigt, erwiederte Leo, und ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann.

Verlassen Sie mich nur nicht, flehte der Andere, ich bin rasend, ich weiß nicht, was ich thue; ich wäre im Stande, sie zu ermorden, den Prinzen zu ermorden. Retten Sie mich vor mir selbst!

Leo hörte kaum auf des Andern wirre Reden. Er dachte an Eve, wie er sie einst vor Jahren in einer dumpfen Bauernstube oben im Walde zuerst gesehen hatte – ein junges, üppiges, verwahrlostes Ding; er selbst ein düsterer, leidenschaftlicher Knabe. Er erinnerte sich, daß er das Bild des eigenthümlichen Mädchens damals wochenlang nicht hatte loswerden können; und daß Eve seiner nicht vergessen, dafür hatte die Erkennungsscene in der Bildergalerie den Beweis geliefert. Und jetzt?

Die beiden jungen Männer schritten eine Zeit lang schweigend durch die nächtlichen Gassen. Ferdinand begann von Neuem:

Und daß die Mutter gerade jetzt sterben mußte! als ob mein Herz nicht schon schwer genug wäre! Glauben Sie, Doctor, daß eine rechte Mutter sich einen solchen Moment zum Sterben gewählt hätte! Freilich, freilich, für sie ist es ein Glück, daß sie gestorben ist. Ich bin nicht daran Schuld, ich wahrlich nicht! Sie sind daran Schuld – sie, die Metze, und er, der sie verkuppelt hat! Und er soll sie in seinen Armen halten! er soll schwelgen in diesen Reizen! Himmel und Hölle! Wie soll ich das ertragen! Aber ich will mich rächen, an ihm, an ihr und allen Weibern, allen, allen! Sie taugen alle nichts! Und dann ist ein Trost, Doctor; er wird sie nach ein paar Wochen, nach ein paar Tagen vielleicht, wieder fortschicken. Ich kenne ihn besser als irgend Jemand. Oder glauben Sie wirklich, Doctor, das könne Bestand haben, glauben Sie?

Ich weiß kaum, wovon Sie sprechen, erwiederte Leo; bis jetzt habe ich von Ihnen wenig Anderes als zerrissene Phantasien eines Fieberkranken gehört.

Ferdinand riß den Hut vom Kopfe und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ja, ja, sagte er, ich erinnere mich, Sie wissen ja eigentlich noch nichts. Es ist eine kurze, hübsche Geschichte. Ich bin mit dem Prinzen zwei Wochen lang auf Reisen gewesen; er war während der ganzen Zeit ungewöhnlich gnädig zu mir: es wäre unrecht, daß er mich noch länger im Dienst behalte und es mir so unmöglich mache, meine Talente in einer höheren Sphäre zu verwerthen. Der Staat brauche tüchtige Köpfe mehr als je. Ob er mit dem Justizminister sprechen solle, oder ob ich es vorzöge, in die diplomatische Carrière einzutreten? – Ich Narr, der ich war, hielt diese Heuchelei für wahre Freundschaft; ich hatte keine Ahnung davon, daß er mich los sein wollte, und weigerte mich, ihn zu verlassen – ich habe mir meine Schande nicht einmal bezahlen lassen! Ich Narr der Narren!

Vorgestern kamen wir zurück. Noch an demselben Abend fuhr der Prinz nach seinem Sommerschloß – ohne mich – was mir sehr auffiel, da ich wußte, daß es viel zu thun gab und ich kaum zu entbehren war. Eine Ahnung von bevorstehendem Unheil erfaßte mich; ich konnte es in meiner Wohnung nicht aushalten; ich ging und fragte nach Eve. Die Mutter sagte, sie sei ausgegangen. Die Mutter hatte gelogen, gewiß nur aus Angst vor ihm, aber doch gelogen; ich erinnere mich jetzt, daß ihre Lippen bebten und daß sie blaß war wie eine weiße Wand. Wenn ich gewußt hätte, daß sie so bald sterben würde –

Ferdinand seufzte tief.

Nun? fragte Leo.

Mein Verdacht, daß mit Eve etwas passirt sei, ließ mir keine Ruhe, fuhr Ferdinand fort, indem er sich mit dem Tuche den kalten Schweiß von der Stirn wischte; ich ging nach einer Stunde wieder in die Wohnung, diesmal gleich in die Küche. Das Mädchen ist gut und dumm. Ich hatte es denn auch bald heraus. Eve war schon seit dem Abend vorher aus das Sommerschloß des Prinzen gefahren, um die Tochter des dortigen Castellans zu besuchen. Die Tochter des Castellans – ein rothhaariges, buckliges Geschöpf, das Eve niemals hatte ausstehen können, das sie stets auf das Grausamste verhöhnt hatte! Die Nachricht traf mich wie ein Dolchstich. Ich wußte, was geschehen war, als hätte ich mir selbst den Kuppelpelz verdient. Ich stürzte fort nach dem Bahnhof. Der Inspector ist mir befreundet; auch er hatte Eve einmal seine Hand angeboten. Er wollte nicht recht mit der Sprache heraus; endlich gestand er: in demselben Zuge, in welchem der Prinz gestern Abend gefahren, sei auch eine schwarz gekleidete, tief verschleierte Dame gewesen in Begleitung eines Herrn in Civil, in dessen Gesellschaft er mich öfters gesehen habe. Das habe ihn aufmerksam gemacht. Er habe die Dame nicht aus dem Auge gelassen und im Moment der Abfahrt denn auch Eve, die den Schleier bereits zurückgeschlagen hatte, richtig erkannt. – Ich hatte genug gehört, die ganze Welt drehte sich mit mir im Kreise; ich vergaß, in den Zug zu springen, der eben abging; erst in vier Stunden ging wieder einer. Unterdessen konnte ich zu Pferde längst dort sein. Ich fuhr nach Hause, sattelte mein Pferd und jagte, was das Thier laufen konnte, durch den Park auf dem kürzesten Wege. Ich muß halb wahnsinnig gewesen sein; ich erinnere mich, daß ich eine alte Dame, die in Begleitung eines sehr schönen Mädchens war, überritten habe, daß die Leute mich überall verwundert anstaunten. Mein Pferd stürzte zusammen, als ich in der Nähe des Schlosses war; ich ließ es liegen; ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Ich ging nach dem Schloß; ich fragte nach Eve. Sie war heute Morgen mit der buckligen Castellanstochter auf Besuch zu einer Verwandten der Letzteren, einer Maierstochter auf einem der prinzlichen Güter, gefahren. Und der Prinz? Der Prinz war auf seinem Jagdschloß – dem Jagdschloß, Doctor, in dessen unmittelbarer Nähe das Gut liegt, auf dem Eve zum Besuch bei einer Freundin war! War das nicht fein, Doctor? Das edle, gefällige Wild, das so gehorsam in das Fanggarn läuft! Eine noble Jagd, eine wahrhaft prinzliche Jagd! Ha, ha, ha!

Und Ferdinand schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirn und knirschte mit den Zähnen.

Warum liebe ich sie nur? Ich könnte mich dafür mit meinen eigenen Händen erwürgen! habe ich nicht schon viel schönere Frauen besessen? War die Dame, der ich heute im Park begegnete, nicht viel schöner als Eve? Ich Narr! Ich Narr! Ich Narr!

Leo war sehr nachdenklich geworden. So hatte Eve doch ihr großes Ziel erreicht. Von dem Bauernmädchen aus Tannenstädt bis zur Maitresse des Prinzen war immerhin kein kleiner Schritt. Wird sie sich in dieser schwankenden Stellung halten können? Wäre sie wirklich im Stande, einen Einfluß auf den Prinzen zu gewinnen, oder wird er sie wieder fortschicken, wenn er ihrer satt ist? Und war dies beschlossen gewesen, als sie sich ihm vor ein paar Wochen antrug? Oder war sie eine Dirne geworden, weil der Mann, den sie liebte, sie verschmäht hatte?

Ferdinand erzählte nun weiter, wie er gegen Abend auf der Eisenbahn zurückgekehrt sei und sich in das Palais begeben habe, um den Mann – seinen Vater – zur Rede zu stellen. Dann aber wisse er nicht mehr, was geschehen sei; er sei nicht eher wieder zur Besinnung gekommen, als bis Leo mit der Nachricht von dem Tode der Mutter hereintrat. Er wisse noch jetzt kaum, wo ihm der Kopf stehe und was er spreche; er wisse nur, daß er sich rächen, blutig rächen werde, daß die Helfershelfer – denn ohne die sei es nicht abgegangen – ihre schändliche That theuer bezahlen sollten.

Leo hatte den leidenschaftlichen Menschen, ohne ihn zu unterbrechen, lange in dieser Weise reden lassen; endlich sagte er:

Ihr Zorn ist, Alles in Allem, sehr begreiflich; nur wundere ich mich, daß Sie immer nur von einer Rache sprechen, die Sie an den Helfershelfern nehmen wollen. Warum nicht direct an die Hauptperson sich wenden?

Was kann ich der thun? rief Ferdinand.

Erinnern Sie sich des Briefes, den Sie mir vor einigen Wochen gaben, des Briefes vom Prinzen, der Sie zuerst auf die rechte Fährte brachte?

Ja wohl, was soll's damit?

Der Brief hatte für Sie nur ein Privatinteresse, er hat aber auch ein sehr bedeutendes öffentliches Interesse, wenn man ihn veröffentlichte. Der Brief ist ein unumstößlicher Beweis der tyrannischen Gesinnung des Prinzen und zugleich der Dummheit und Perfidie unserer sogenannten Liberalen, die mit diesem Prinzen verhandeln zu können glauben. Dem Prinzen und den Liberalen könnte kaum etwas Schlimmeres passiren, als die Veröffentlichung dieses Briefes.

Wo ist der Brief? Geben Sie mir den Brief, ich will ihn selbst in eine Druckerei tragen. Her mit dem Brief! Und Ferdinand packte Leo an Arm und Schulter.

Seien Sie vernünftig. Der Brief liegt bei mir zu Hause, wohl verschlossen. Wenn ich ihn morgen drucken lasse, sind Sie übermorgen um Ihre Stelle; vielleicht – doch ich glaube nicht, daß man unter diesen Umständen, wo ihnen Alles daran liegen muß, die Unechtheit des Briefes zu beweisen, weiter gegen Sie vorschreiten würde.

Und wenn sie mich mit glühenden Zangen zwickten – es ist mir gleich – Rache will ich – Rache! Rache um jeden Preis!

Wohl, sagte Leo, wenn Sie so darüber denken, kann uns Beiden geholfen werden. Hier ist Ihre Wohnung, gehen Sie zu Bette und legen Sie sich kaltes Wasser auf den Kopf. Ich sehe Sie morgen. Gute Nacht!


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