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Sechsundzwanzigstes Capitel.

Charlotten's Befürchtung, daß dem Bruder aus der Uebernahme der Güter zu eigener Bewirthschaftung wenig Segen erwachsen würde, schien in Erfüllung zu gehen. Zum Theil lag die Schuld auf seiner Seite. Er hatte bisher in der Landwirthschaft nur immer dilettirt; er wußte Manches, aber nicht im Zusammenhang; er kannte aus Büchern und Journalen alle neuesten Maschinen, und weil die Vortheile augenscheinlich waren, wollte er so vortreffliche Hilfswerkzeuge auch nicht einen Augenblick entbehren. Er ließ sie also sofort, oft mit den größten Kosten, kommen, und wenn die theuren Instrumente auch nicht immer unbrauchbar waren, so leisteten sie doch keineswegs, was sie hätten leisten sollen. Fritz Gutmann stemmte sich vergeblich gegen diese Neuerungssucht, deren verderbliche Folgen sich bereits deutlich zeigten. Die Tagelöhner, welche sich bald mit diesen, bald mit jenen modernen Ungeheuern vergeblich abquälten, wurden ungeduldig, arbeiteten verdrossen, ja, da sie sich durch diese Maschinen in ihrem Verdienste geschmälert glaubten, verdarben sie wohl gar muthwillig etwas an dem Mechanismus. Der Freiherr beklagte sich dann bei den Fabrikanten über die unsolide Arbeit, und diese, welche sich bewußt waren, ihre Pflicht gethan zu haben, blieben die Antwort nicht schuldig. So gab es, Alles in Allem, ein unsicheres Tasten und Experimentiren, und wie in diesem Falle, so war es ziemlich in allen anderen. Nachdem der Freiherr einmal angefangen hatte, auf die Einzelheiten zu achten, sah er so viel, daß er nicht wußte, wo und wie er Alles unterbringen sollte, und das Ungehörige fiel ihm natürlich immer zuerst in die Augen. Hier war ein Strohdach, dort ein Zaun, hier eine Gartenmauer, dort eine Brücke, die sämmtlich geflickt, ausgebessert oder erneuert werden mußten. Die alten Wirthschaftsgebäude in Tuchheim waren dem Einsturz nahe, und das neue Pächterhaus in Feldheim so über alle Begriffe geschmacklos, daß es, nach des Freiherrn Meinung, unmöglich so stehen bleiben konnte. Vergebens, daß Charlotte vor Ueberstürzung warnte, vergebens, daß Fritz Gutmann ein genaues Register alles dessen, was wirklich einer Reparatur bedürftig war, aufnahm und den Freiherrn so in den Stand setzte, das Nothwendige nach und nach in Angriff zu nehmen. Ihr seht nicht, was ich sehe, rief der Freiherr; von Dir ist das überhaupt nicht zu verlangen, Charlotte, und was den Fritz betrifft, so meint er es gewiß gut, und es fällt mir nicht ein, ihm Tüchtigkeit und sicheres Erfassen des Einzelnen abzusprechen; aber es fehlt ihm der Blick für das Ganze, und den traue ich mir zu, wenn ich auch gern zugebe, daß ich in den praktischen Details noch viel zu lernen habe. Worauf es jetzt vor Allem ankommt, ist, den Leuten, die bei dem Schlendrian der Pächter gründlich verdorben sind, einen anderen Geist einzuflößen. Mit solchen trägen, unwissenden Subjecten ist nichts auszurichten. Hier muß der Hebel zuerst eingesetzt werden, oder das Ganze rückt nicht aus der Stelle.

Leider hatte der Freiherr nur zu gegründete Veranlassung, mit dem schlechten Geist der Leute unzufrieden zu sein. Hie und da, und oft, wo er es am wenigsten vermuthete, stieß er auf eine versteckte Widerspenstigkeit, auf einen störrischen, bösen Willen. Bald war es einer der freien Bauern, mit dem er sich über eine Sache, die so klar war wie die Sonne, nicht einigen konnte; bald ein zinspflichtiger Häusler, der sich bitter über eine Last beklagte, die seine Väter wer weiß wie lange schweigend getragen und gegen die er selbst bis dahin noch nie gemurrt hatte; bald ein Tagelöhner, der eine schlecht gethane Arbeit besser bezahlt haben wollte.

Allerdings konnte man sich nicht verhehlen, daß die Zeit selbst der Unzufriedenheit der Leute das Wort zu reden schien. Die Kartoffelernte war sehr dürftig ausgefallen, und überdies zeigten sich bereits jetzt, nachdem die Früchte kaum aufgenommen waren, die ersten Spuren der verderblichen Krankheit, so daß für den Winter das Schlimmste zu befürchten stand. Ebenso war bei dem unaufhörlichen Regen, der gerade in die Erntezeit gefallen war, das reichliche Korn zum Theil noch auf dem Felde verdorben, zum Theil hatte es, nicht gehörig ausgetrocknet, eingefahren werden müssen und moderte nun in den Scheunen. Dies traf die Tagelöhner, welche, wie es in der Gegend Brauch war, ihren Lohn nicht in baarem Gelde, sondern in einem bestimmten Theil des Getreideertrages erhielten, besonders hart. Sie murrten laut, was sie mit den nassen, kümmerlichen Garben, die kaum für das Vieh gut genug seien, anfangen sollten? Vergebens, daß der Freiherr ihnen zu beweisen suchte, wie er selbst unter der allgemeinen Calamität nicht minder leide, um so mehr leide, als ein nicht geringer Theil seiner Einkünfte in Zehnten und ähnlichen Abgaben, also ebenfalls in Naturalien bestehe, die ihm noch dazu bei dem allgemeinen Mangel fast nirgends in der vorgeschriebenen Quantität abgeliefert würden, während er seinerseits dem Tagelöhner gegenüber die schlechte Qualität durch ein reichlicheres Maß zu ersetzen suche. Und übrigens müsse man sich gedulden. Vorläufig sei wirklicher Mangel noch nirgends vorhanden. Komme es zum Aeußersten, so wüßten Alle aus langjähriger Erfahrung, daß ihr Gutsherr noch keiner Noth, die er habe lindern können, den Rücken gewendet habe; ihn aber vor der Zeit mit Bitten zu bestürmen, die er, ohne der Zukunft vorzugreifen, gar nicht erfüllen könne, das halte er für ungerechtfertigt, und er bitte seinerseits, daß man ihn damit verschone.

Der Freiherr hatte diese kleine Rede vor der Thür seines Hauses an eine Schaar von mindestens zwanzig Leuten gehalten, die eines Sonntagmorgens aus verschiedenen Dörfern zu gleicher Zeit auf dem Hofe angelangt waren, um ihre Beschwerden dem gnädigen Herrn persönlich vorzutragen. Schon oft genug im Laufe der Jahre hatten ähnliche Scenen stattgefunden, und der Freiherr hatte noch jedesmal die Freude gehabt, daß die Petitionirenden ihm schließlich Recht gegeben und vor Allem in vollem Vertrauen zu seinem guten Willen von ihm gegangen waren. Diesmal war sein Erfolg kein so günstiger. Die Leute hatten seinen Worten mit dumpfen, mißmuthigen Mienen gelauscht und entfernten sich nach vielem Hin- und Widerreden, zum Theil in düsterem Schweigen, zum Theil murrend; ja, sie hatten, wie treuergebene Knechte dem Freiherrn berichteten, als sie eine Strecke vom herrschaftlichen Hofe entfernt gewesen waren, laute Scheltworte und Drohungen ausgestoßen.

Der Freiherr kehrte nachdenklich und sorgenvoll in das Haus zurück. Ich weiß nicht, sagte er zu Charlotte, die Leute sehen heute ganz anders aus wie sonst. Ich habe Augen auf mich gerichtet gesehen, die eher in ein Rudel polnischer Wölfe, als in eine Schaar deutscher Landleute zu gehören schienen. – Und ist Dir denn nicht aufgefallen, sagte Charlotte, daß die Leute von Tuchheim, Feldheim und dem Vorwerke fast Alle zu gleicher Zeit kamen? Das wäre doch ohne eine vorhergegangene Verabredung gar nicht möglich gewesen. – Du hast Recht, rief der Freiherr, daran habe ich gar nicht gedacht! Sieh' einmal, sind wir bereits so weit? Complotiren und conspiriren wir schon? Das ist ja Wasser auf unseres Landraths Mühle; jetzt können die Räder seiner Polizeimaschinen, die in der letzten Zeit auch gar zu wenig zu thun hatten, wieder lustig klappern. Wahrhaftig, Charlotte, da kommt er auf den Hof gefahren! Tante Malchen hat Recht: Man soll um Gotteswillen den Teufel nicht an die Wand malen! Aber neugierig bin ich denn doch, was der uns bringt.


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