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Einundvierzigstes Capitel.

Das Palais des Prinzen unterschied sich in seiner Façade nicht eben von den Minister- und Gesandtschaftshotels, deren eine ganze Anzahl in demselben stillen Quartier lag. Ein großes, massives Hauptgebäude im zopfigen Geschmack der ersten Jahre des vorigen Jahrhunderts, von zwei Seitengebäuden, die ihre Giebel nach der Straße richteten, flankirt; die offene Seite des so gebildeten Hofes mit einer Colonnade geschlossen, zwischen deren plumpen Säulen plumpe Statuengruppen aus Sandstein in allerlei wunderlichen Stellungen ihre ungeschlachten Glieder verrenkten; in der Mitte des düsteren Hofes auf einer Säule von polirtem Granit ein colossaler vergoldeter Adler mit weit ausgespannten Flügeln – offenbar ein Werk aus neuester Zeit und in seiner glänzenden Neuheit mit der grauen Umgebung seltsam contrastirend – das war so ziemlich Alles, was das prinzliche Palais dem Auge des Vorübergehenden darbot.

Nichtsdestoweniger war es in den Sehenswürdigkeiten der Residenz aufgeführt und wurde auch hin und wieder von durchreisenden Fremden und von einheimischen Künstlern und Kunstliebhabern besucht, denn es enthielt einige werthvolle Sammlungen von Münzen und geschnittenen Steinen und eine Galerie von Gemälden, zumeist älterer Meister, die von Kennern sehr gepriesen wurde.

An der Thür des linken Flügels war eine Klingel angebracht, dazu ein kleines Schild, auf welchem die Worte: »Zum Castellan« zu lesen waren.

Vor dieser Thür stand einige Tage später in der Mittagsstunde Leo. Er war im Begriff zu klingeln, als die Thür von innen geöffnet wurde und ein Officier heraustrat, in welchem Leo den General von Tuchheim erkannte. Der General schlug den Kragen seines Mantels in die Höhe und schritt, Leo's nicht achtend, nach einem Wagen, der in einiger Entfernung an der Ecke der Straße hielt. Der Jäger öffnete den Schlag, der General stieg ein, und der Wagen rollte schnell davon.

Er ist alt geworden, dachte Leo, sehr alt! Wie lange ist das nun her? Neun Jahre etwa! Und ein schlimmer Tag war's, an dem ich dies kluge, kalte Gesicht sah! Oft hab' ich es seitdem gesehen, wenn ich im Traum wieder durch den Wald fliehe wie in jener Nacht und sie hinter mir her sind mit Halloh und Hussa – voran der Prinz auf dem schwarzen Pony und jener alte Mann auf einem hochbeinigen weißen Gerippe! Es ist kein gutes Omen, daß er mir hier auf der Schwelle begegnet!

Der General hatte beim Herausgehen die Thür aufgelassen, als er Jemanden unmittelbar davor stehen sah; Leo brauchte nur eben in's Haus zu treten.

Auf dem hohen, geräumigen Flur fand er Niemand, an den er sich hätte wenden können; aber an einer Thür rechts trug ein Schild wiederum die Aufschrift: »Zum Castellan«. An diese Thür pochte er; er öffnete sie zögernd, als auf sein mehrmaliges Klopfen keine Antwort erfolgte.

In der einen der beiden tiefen Fensternischen des niedrigen, aber sehr weiten Gemaches saß eine Frau vor einem Nähtischchen. Sie hatte das Gesicht in die Hände gedrückt und war so in sich versunken, daß sie den Schritt Leo's nicht hörte, bis dieser fast unmittelbar vor ihr stand. Dann erst fuhr sie mit einem leisen Schreckensruf jäh in die Höhe, und ihre erste Bewegung war, von ihrem gutmüthigen Gesicht, das einst recht schön gewesen sein mochte, die Spuren der reichlichen Thränen zu vertilgen, die sie soeben geweint hatte. Sie fragte mit leiser, schüchterner Stimme, was dem Herrn zu Diensten stehe?

Leo erwiederte, daß er gekommen sei, die Kunstsammlungen des Schlosses zu sehen. Die Verwirrung der Frau steigerte sich, als Leo sein Gesuch vorbrachte; sie murmelte, daß ihr Mann, der sonst die Fremden herumzuführen habe, ausgegangen und sie selbst in diesem Augenblicke nicht gut abkommen könne. Leo sagte, daß er zu gelegenerer Zeit wiederkommen wolle, und war schon im Begriff, sich zu entfernen, als durch eine Thür, welche in die anderen Wohnungsräume führte und, wie es schien, nur angelehnt gewesen war, eine Frauengestalt rasch hereintrat, die, als ob der unerwartete Anblick des Fremden sie erschrecke, mit einem gut gespielten Erstaunen zurückprallte.

Ach, Verzeihung! sagte sie, ich glaubte, die Tante sei allein; und sie, wollte sich mit einer Verbeugung entfernen.

Der Herr möchte das Schloß sehen, Eve, sagte die Frau, der Vater ist ausgegangen; ich –

Vielleicht vertraut sich der Herr meiner Führung an, unterbrach Eve die Tante; ich kann freilich nicht viel mehr, als die Thüren aufschließen – wenn der Herr damit zufrieden ist.

Leo beeilte sich, zu versichern, daß er damit vollkommen zufrieden sei, daß er es aber nicht verantworten könne, das Fräulein von jedenfalls interessanteren Beschäftigungen abzuhalten.

Die Tante schien unzufrieden und ängstlich. Sie flüsterte mit Eve, und es verging noch einige Zeit, bis diese, die Schlüssel in der Hand, an Leo's Seite durch den langen Corridor schritt, der, den Flügel in seiner ganzen Länge durchschneidend, nach dem Hauptgebäude führte.

Leo hatte unterdessen Zeit gehabt, von seinem Erstaunen zurückzukommen; er würde Eve, wäre er nicht vorbereitet gewesen, schwerlich wieder erkannt haben. Das Bauernmädchen hatte sich in eine Dame verwandelt, deren einfache, elegante Toilette einen nicht gewöhnlichen Geschmack bekundete. Ihre Sprache, ihre Haltung, ihre Manieren trugen den Stempel einer Bildung, deren Echtheit nur sehr feinen Ohren und Augen zweifelhaft sein mochte. Auch schien sie Leo größer und schlanker und trotzdem in ihren Formen noch voller und üppiger als sonst – ja, er mußte sich sagen, als sie jetzt vor ihm her ein paar Stufen hinaufschritt, daß er selten eine Gestalt gesehen habe, in welcher sich Kraft und Weichheit so harmonisch mischten. Aus ihrem Gesicht war das Bäuerischrohe vollständig verschwunden, obgleich ihre grauen Augen einen Glanz hatten und auf ihren Wangen eine Frische lag, die den Städterinnen nicht eigen zu sein pflegt. Das überaus reiche, sehr dunkle Haar, das sonst in ein paar unschöne Zöpfe geflochten war, umgab jetzt in einer modischen kleidsamen Frisur den wohlgeformten Kopf, und Leo fiel das Wort Ferdinand's von der schönen Bacchantin ein, die jener nackt den Panthern vorwerfen wollte.

Sie haben keinen besonders günstigen Tag gewählt, mein Herr, sagte Eve, während sie in dem ersten Saal, in welchen sie jetzt eingetreten waren, die Vorhänge von den hohen Fenstern aufzog; bei dem trüben Himmel werden die alten Bilder, die viel Licht brauchen, wenig Wirkung machen. Diese Gemälde stammen von Prinz Eduard, dem Großonkel Sr. Hoheit, der sie zum größten Theil selbst in Italien sammelte. Es sollen sich einige werthvolle Stücke aus dem fünfzehnten Jahrhundert darunter befinden. Diese Madonna mit dem Kinde wird von Einigen für ein Werk Rafael's gehalten, von Anderen wird es dem Bernardo Luini, einem Schüler Leonardo da Vinci's, zugeschrieben. Diese Kreuzabnahme ist von Gianantonio Nazzi, genannt Il Sodoma – aber was fällt mir denn ein! rief sie, sich plötzlich mit einem koketten Lachen unterbrechend; da krame ich Ihnen meine Weisheit aus, und Sie werden ohne Zweifel von diesen Dingen mehr verstehen als ich, wozu, nebenbei gesagt, nicht viel gehört.

Ich bin nur ein Liebhaber, kein Kenner, sagte Leo, der sich ohne Ihre Güte schwerlich unter diesen alten Herrlichkeiten zurechtfinden würde, und Sie sind, wie ich sehe, in der Kunstgeschichte sehr bewandert.

Das lernt sich so, erwiederte Eve leichthin, ich habe ein gutes Gedächtniß für Namen, und vielleicht auch ein Auge für Zeichnung und Farbe. Früher bin ich oft mit Fremden durch diese Räume gewandert: jetzt komme ich nur selten hierher.

Ihre Frau Tante schien Ihnen nur mit Widerstreben die Schlüssel auszuhändigen, sagte Leo.

Eve zeigte lächelnd ihre weißen Zähne.

Sie beobachten scharf, mein Herr.

Und höre nicht minder scharf, sagte Leo; als Sie einen Augenblick mit der Tante flüsterten, hörte ich die Worte: Er wird es ja nicht erfahren. habe ich recht gehört?

Mein Herr! rief Eve und trat mit einer erkünstelten Miene der Entrüstung einen Schritt zurück.

Nun, nun, Eve, unter alten Freunden nimmt man das nicht so genau; sagte Leo, Eve's Hand ergreifend.

Diesmal zitterte die Hand wirklich, die Farbe auf ihren blühenden Wangen kam und ging, ihr schöner Busen hob und senkte sich hastig, und ihre Augen waren mit dem gespanntesten Ausdruck auf Leo's Gesicht geheftet.

Kennen Sie mich wirklich nicht mehr, Eve?

Eve that einen leisen Schrei und blickte noch einmal in Leo's Augen, auf Leo's Mund. Leo faßte auch die andere Hand. Eve lehnte, wie in plötzlicher Ohnmacht, ihren Kopf an seine Schulter. Leo hielt die schöne Gestalt in seinen Armen, ihr Gesicht war zu ihm emporgewendet; er fühlte den warmen Athem; wie er sie noch näher an sich zog, drückte sie ihre Lippen auf die seinen.

Eve richtete sich wieder auf.

Sie böser, böser Mensch, sagte sie, wie haben Sie mich erschreckt! Wie kommen Sie hierher? Seit wie lange sind Sie hier? und wie haben Sie sich verändert! Wie groß und stattlich und – schön sind Sie geworden! Wo sind Sie gewesen? Nein, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!

So fragte und lachte Eve durcheinander, und jetzt war wieder etwas von der Eve von damals in ihr, dem heißblütigen Mädchen, das keine anderen Gebote kannte, als die Regungen und Triebe ihrer eigenen, unbändigen, halb verwilderten Natur.

Sie hatten auf einem niedrigen Divan in einer Nische des Saales Platz genommen. Eve konnte sich noch immer über das Wiedersehen ihres Jugendbekannten nicht beruhigen. Nach ihrem Bruder fragte sie nicht weiter, als Leo ihr die Grüße desselben mittheilte. Es genügte ihr zu, hören, daß er nicht mit Leo zurückgekommen sei. – Konrad hat mich immer tyrannisirt, sagte sie, ich will von Niemand tyrannisirt sein, höchstens von Einem, den ich liebe, und ich habe meinen Bruder nie geliebt. Er hat mir jede Freude verdorben, wenn es in seiner Macht stand, und so hat er auch Sie aufgehetzt, daß Sie so schlecht gegen mich waren. Ja, ja, Sie waren schlecht gegen mich, sehr schlecht. Was konnte ich dafür, daß ich Sie liebte? Sie sahen so seltsam aus mit Ihren dunklen Augen und dem dunklen Haar und dem mageren braunen Gesicht! Und Sie waren ein Waisenkind, wie ich, das allein stand, wie ich, hilflos war, wie ich, und doch nach etwas Höherem strebte, gerade wie ich. Nun, Sie haben erreicht, wonach Sie strebten: Sie haben gewiß eine glänzende Carrière gemacht –

Noch nicht, sagte Leo lachend.

Oder werden es doch noch einmal, fuhr Eve eifrig fort. Sie haben tausend Mittel dazu; aber ich! – Ich bin geblieben, was ich war.

Leo wollte diese letztere Behauptung nicht zugeben; er sagte, daß er noch nie an Jemand eine so gewaltige Veränderung in verhältnißmäßig so kurzer Zeit beobachtet habe; daß er diese Veränderung für unmöglich halten würde, wenn er sie nicht mit seinen eigenen Augen wahrnähme.

Eve lachte, daß ihre weißen Zähne in dem Halbdunkel glänzten.

Ich war damals sehr garstig? sagte sie.

Das meine ich nicht, erwiederte Leo, jedenfalls hatten Sie sehr schöne Augen. Die Erklärung des Wunders wird überhaupt wohl nur darin liegen, daß der siebenzehnjährige Bursche zu dumm war, einen Demant von einem Stück Glas zu unterscheiden. Aber wissen möchte ich, wer der Künstler war, der diesen kostbaren harten Stein zu schleifen verstand, so daß nun Niemand über seinen Werth im Unklaren sein kann.

Wer der Künstler war? entgegnete Eve. Wenn Sie es im Ernst wissen wollen: die Eifersucht.

Das müssen Sie mir erklären, sagte Leo.

Ich wäre eine Närrin, rief Eve, wenn ich es thäte. Soll ich Sie etwa noch eitler machen, als Sie es jedenfalls schon jetzt sind?

Und ich schwöre Ihnen, sagte Leo lachend, daß Sie auf die Gefahr hin ruhig reden mögen. Ich bin so eitel, daß ich eitler gar nicht mehr werden kann.

Nun, entgegnete Eve, wenn wirklich an Ihnen nichts mehr zu verderben ist – und je länger ich Sie ansehe, desto mehr möchte ich glauben, daß Sie in diesem Punkte die Wahrheit sagen – darf ich Ihnen ja wohl das Geständniß machen, daß ich Sie in jener Zeit leidenschaftlich geliebt habe. Lassen Sie meine Hände in Ruhe! Sie brauchen sich nicht dafür zu bedanken. Sie haben nichts dazu gethan; Sie haben nie ein freundliches Wort für mich gehabt; ja, Sie haben mich eigentlich von sich gestoßen, und doch war ich bereit, für Sie durch Wasser und Feuer zu gehen. Noch an jenem Winternachmittage – ich werde es nie vergessen – als meine Mutter gestorben war und Ihr in Tuchheim das Schloß stürmen wolltet, glauben Sie, ich hätte um Konrad's willen die langen, langen Stunden oben auf der Bergeshalde im schneidenden eiskalten Winde gesessen und geduldig gewartet? Ich that es, weil ich wußte, daß er Sie schicken würde, den ich so lange nicht gesehen hatte und wiederzusehen mich so unendlich sehnte; und als Sie endlich kamen und vor mir zurückschauderten wie, vor einem wilden Thier, ja, da wollte ich nichts weiter sein, als wofür Sie mich nahmen; und wie ein wildes Thier lief ich durch den Wald und Schnee hügelabwärts, hügelaufwärts, bis ich oben beim Schlosse ankam und dem gnädigen Fräulein ohnmächtig in die Arme fiel. Das Schloß wurde gerettet, aber der Lohn meines Verrathes blieb nicht aus. Ich sagte mir immerfort, Tag und Nacht, daß ich es sei, die Sie in die Ferne getrieben; ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber ich glaubte es und konnte es mir nicht verzeihen. Ich haßte mich, ich haßte alle Menschen, am meisten aber Ihre Cousine, die eitle Silvia, an die ich jetzt noch nicht denken kann, ohne daß sich mir das Blut zum Herzen drängt. Sie war so klug und übermüthig, und Alle trugen sie auf den Händen, und einmal hörte ich Walter erzählen, daß Sie früher Gedichte auf sie gemacht hätten, und ich erinnere mich nicht mehr, was er noch weiter und was die Anderen sagten: aber ich wußte nun, warum ich Silvia haßte. Von dem Augenblick habe ich keinen anderen Gedanken gehabt, als auch so klug zu werden und mir eine Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen. Was war jene denn mehr als ich? Warum sollte mir das Alles nicht ebenso gut erreichbar sein, wie ihr? Deßhalb bin ich mit Freuden hierher gegangen, denn in dem Hause des Freiherrn, in der Nähe der Verhaßten, konnte und wollte ich nicht bleiben – und seit der Zeit bin ich hier gewesen und habe mich mittlerweile so zu meinem Vortheil verändert, wie Sie, ich fürchte mit mehr Galanterie als Aufrichtigkeit, zu sagen belieben. – Nun, mein Herr, Sie sind ja ganz nachdenklich geworden! Empfinden Sie Reue über das Unglück, das Sie angerichtet haben? Beruhigen Sie sich; das arme Opfer Ihrer Herzenshärtigkeit vergiebt Ihnen, hat Ihnen schon lange vergeben und freut sich nur herzlich, einen alten Freund nach so langen Jahren endlich einmal wiederzusehen.

Eve reichte mit anmuthigem Lächeln die Hand hin, die Leo eifrig drückte.

Ich danke Ihnen nicht minder herzlich, liebe Eve, sagte er. Wer, wie Sie und ich, in der Welt allein steht, kann wohl von Glück sagen, wenn er einen Freund findet, der ihm mit Rath und That zu Hilfe kommt. Ich werde wohl noch Gelegenheit haben, beides von Ihnen in Anspruch zu nehmen, aber lassen Sie uns für diesmal von mir schweigen, und halten Sie es nicht für Neugierde, sondern für aufrichtige Theilnahme von meiner Seite, wenn ich von Ihnen selbst, von Ihren Verhältnissen, mehr zu erfahren wünsche. Ich habe vorhin im Scherz die Indiscretion gehabt, zu fragen: wer es nicht gleich erfahren soll, daß Sie einen Unbekannten in diesen Räumen umher führen; ich wiederhole jetzt im Ernst die Frage: Sind Sie verlobt, Eve? Und wer ist es, der die Schätze dieses Herzens einmal sein nennen soll?

Eve's frische Wangen glühten, aber in ihren glänzenden Augen, um ihre vollen Lippen spielte ein kokettes Lachen.

O, über diese Männer! rief sie, also verlobt, oder verliebt zum wenigsten muß ein Mädchen sein, wenn sie Anstand nimmt, mit dem ersten besten hübschen jungen Mann, der des Weges kommt, sich auf ein paar Stunden in eine einsame Bildergalerie einzuschließen?

Sie weichen mir aus, Eve, sagte Leo, aber die Sache ist wichtig, und ich, als Freund, habe das Recht, in einer so wichtigen Sache klar zu sehen. Uebrigens hatte Ihre alte gute Tante offenbar stärkere Bedenken, als Sie, woraus hervorgeht, daß Sie der Liebe des Mannes, um den es sich handelt, sehr sicher sind, oder sich nicht viel daraus machen, oder vielleicht, daß beides zugleich der Fall ist.

Wissen Sie nicht noch mehr? fragte Eve, indem sie sich, nicht eben mit Erfolg, zu lachen bemühte; wollen Sie mir nicht auch gleich den Namen des betreffenden Herrn nennen?

Wenn Sie wünschen – warum nicht, erwiederte Leo, Eve scharf in die Augen sehend; der Herr nennt sich Doctor Ferdinand Lippert, Privatsecretär Sr. Hoheit des Prinzen.

Eve erröthete bis in die Schläfen hinauf und wurde dann auf einmal sehr blaß.

Wer – wer hat Ihnen das gesagt? stammelte sie.

Niemand, erwiederte Leo lächelnd, seien Sie nicht böse, Eve; es war ein Scherz.

Nein, nein, es ist kein Scherz, sagte Eve eifrig; Sie wissen mehr, als Sie sagen wollen; was wissen Sie?

Nichts weiß ich, erwiederte Leo und erzählte, daß er vor einigen Abenden mit Ferdinand zusammengetroffen sei und ein gleichgiltiges Gespräch mit ihm gehabt habe. Jetzt habe er sich auf's Rathen gelegt, und er sei nicht wenig erstaunt, daß er so richtig gerathen.

Ja, erwiederte Eve, Sie haben richtig gerathen. Ferdinand liebt mich schon seit Jahren, aber – ich kann mich nicht entschließen, ihn von Herzen wieder zu lieben. Er ist ja ein so schöner Mann, und er könnte große Erfolge haben, wenn er wollte; aber ich fürchte, er wird nicht wollen. Er hat keinen Willen, er hat blos Launen, sehr liebenswürdige zuweilen, aber was soll man mit einem Manne, der blos Launen hat? Und dazu hat er auch sehr unliebenswürdige, zum Beispiel die, daß er wahnsinnig eifersüchtig ist, ohne daß ich ihm jemals ein Recht gegeben hätte, es zu sein. Er verfolgt mich auf Tritt und Schritt. Er hat es verboten, daß ich Fremde im Schloß herumführe, das heißt, er hat mir so entsetzliche Scenen deswegen gemacht, daß ich es wirklich nur noch ausnahmsweise thue und wenn ich sicher bin, daß er es nicht erfährt. O, Sie glauben nicht, was er für ein wilder Mensch ist! Ich bin überzeugt, er würde mich schlagen, wenn ich seine Frau wäre, und ich wundere mich manchmal, daß er es jetzt nicht schon thut. Nicht viel besser geht er übrigens mit seinen Eltern um, besonders mit dem Onkel, mit dem er alle Augenblicke die schrecklichsten Auftritte hat.

Eve war in's Erzählen gekommen, und Leo mußte endlich selbst sie daran erinnern, ob es nicht Zeit sei, den Saal wieder zu verlassen. Eve erschrak. Es war die Stunde vor Tisch, wo Ferdinand aus dem Cabinet des Prinzen kam und vorzusprechen pflegte. Die Tante in ihrer Dummheit und Schwäche habe ganz gewiß nicht reinen Mund gehalten; das werde wieder einen schönen Lärm geben. Leo erklärte sich bereit, mit Eve zu gehen; er sei überzeugt, daß Ferdinand in Gegenwart eines Dritten seine Heftigkeit zügeln werde; überdies müsse er ja doch die Bekanntschaft des Herrn und der Frau Lippert machen.

Warum haben Sie sich nicht gleich zu erkennen gegeben? fragte Eve, während sie sich schon wieder auf den langen Corridoren befanden, die aus dem Hauptgebäude zur Lippertschen Wohnung führten.

Ich wollte, offen gestanden, das Terrain erst einmal recognosciren, erwiederte Leo; ich dachte, es wäre dann noch immer Zeit, die Rechte eines alten Freundes geltend zu machen.

Und was werden Sie meinen Verwandten sagen? fragte Eve.

Daß ich als Knabe Sie öfters gesehen, daß ich in der Fremde die Bekanntschaft Ihres Bruders gemacht habe und von ihm mit Grüßen an Sie und Herrn und Frau Lippert beauftragt sei. Ich denke, das wird genügen.

Vollkommen, sagte Eve, ich möchte sogar nicht, daß Sie mehr sagten – aus, aus –

Aus Gründen, die ein alter Freund, wie ich, zu respectiren weiß, sagte Leo, indem er Eve's Hand nahm und drückte.

Eve schien nicht abgeneigt, dem Freunde ihre Dankbarkeit für die versprochene Discretion noch lebhafter zu erkennen zu geben, als sie plötzlich aus der Lippert'schen Wohnung, vor deren Thür sie jetzt standen, die laute und heftige Stimme eines Mannes vernahmen.

Sagte ich es nicht? rief Eve, die ganz blaß geworden war.

Lassen Sie uns gemeinsam den Sturm aushalten, erwiederte Leo, indem er Eve die Thür des Zimmers öffnete.


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