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Am Nachmittag des nächsten Tages ließ Charlotte anspannen, um mit Miß Jones und den beiden Mädchen einen Besuch im Försterhause zu machen.
Fritz Gutmann war gerade im Begriff, nach Feldheim zu reiten, als der Wagen mit den Damen aus dem Walde auf den freien Platz vor dem Försterhause bog; er ließ aber das Pferd wieder in den Stall führen, als Charlotte ihm sagte, daß sie gekommen sei, um über wichtige Dinge ausführlich mit ihm zu sprechen.
Während Tante Malchen und die jungen Mädchen dem Falken und den zahmen Hasen einen Besuch abstatteten, gingen Charlotte und der Förster in dem breiten Gartengange zwischen den entblätterten Johannesbeersträuchern auf und ab, Charlotte eifrig sprechend, der Förster gesenkten Hauptes aufmerksam zuhörend. Charlotte hatte sich mit ihrem Tuche wiederholt die Augen getrocknet, und auch der Förster war sichtlich bewegt. Er hatte bis jetzt nur dann und wann ein kurzes Wort eingeschaltet; jetzt, als Charlotte schwieg, sagte er, und seine tiefe Stimme zitterte ein wenig:
Ich danke Ihnen, gnädiges Fräulein, ich danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie mir dies Alles mitgetheilt haben. Wenn mir dergleichen anstände, so würde ich sagen: Ich bin stolz auf Ihr Vertrauen, aber darum handelt es sich hier nicht. Was den Leo anbetrifft, so werde ich Ihnen leider wohl Recht geben müssen. Er ist meines Bruders Sohn, aber die fremde Ader, die in dem Anton schlug, ist in dem Jungen übermächtig geworden, daß ich oft meine, er gehöre gar nicht zu uns. Das würde ich nun Niemandem weiter sagen, außer Ihnen, denn Niemand sonst kann sich denken, wie es mich schmerzt. Ich habe es kommen sehen von seiner Krankheit im vergangenen Herbst. Ein waidwunder Hirsch kann sich nicht scheuer im Dickicht verbergen, als es der Junge vor uns that. Darum habe ich ihn auch mit schwerem Herzen zum Doctor Urban gehen lassen. Mir ahnte nichts Gutes, und ich bin bös auf mich, daß ich damals nicht die Kraft hatte, Nein zu sagen. Der Doctor hat nicht gut auf ihn gewirkt; nun ist der Schulmeister dazu gekommen, das hat Oel in's Feuer gegossen.
Sie müssen mit ihm reden, sagte Charlotte.
Das würde wenig helfen, fürchte ich, erwiederte der Förster kopfschüttelnd, ich könnte nicht so fest sein, wie ich müßte, weil ich nie vergessen würde, daß er eine Waise ist und Niemand hat, der für ihn eintritt, wenn ich ihm ja Unrecht thäte. Und dann, der Junge ist mir auch zu gelehrt, er setzt die Worte so fein und spitz, daß ich nicht dagegen aufkommen kann.
Aber wir können den Knaben doch nicht ungewarnt in sein Verderben laufen lassen, sagte Charlotte.
Gewiß nicht, erwiederte der Förster, und darum müssen Sie, meine ich, so bald als möglich mit ihm reden.
Ich?
Charlotte sann eine zeitlang nach und sagte dann mit bewegter Stimme:
Sie haben Recht, mein Freund. Manches könnt und wollt Ihr nur aus einem Frauenmunde hören, und wehe dem, welchem in solchen Stunden nicht eine Frau zur Seite stand – eine Geliebte, eine Schwester, eine Mutter! Das ist ja des Knaben Unglück, daß er, ausgestattet mit diesen Gaben, zerwühlt von diesen Leidenschaften, sein ganzes Leben hindurch der milden, warnenden, tröstenden Stimme der Mutter hat entbehren müssen. Sie soll ihm in dieser Stunde, wo er sie vielleicht am nöthigsten braucht, nicht fehlen, so weit ich sie ersetzen kann.
Gott segne Sie! sagte der Förster.
Sie schritten ein paarmal schweigend den Gartengang entlang. Dann nahmen sie das Gespräch wieder auf, das sich nun um die allgemeine Lage drehte, und was etwa von Seiten der Herrschaft geschehen könne, den bösen Geist, der sich immer offener und drohender zeigte, zu bannen. Der Förster entwickelte einen Plan, mit dem er sich schon seit einiger Zeit getragen hatte. Daß die Noth groß sei und daß geholfen werden müsse, sei offenbar. Deshalb wünsche, er, daß Charlotte an die Spitze eines Vereins trete, der aus sämmtlichen wohlhabenden Frauen der Nachbarschaft bestehen würde. Wo es irgend gehe, solle man den Leuten Arbeit verschaffen, und wo das in der Gegend unmöglich sei, den Männern behilflich sein, einen andern Arbeitsmarkt aufzusuchen, und sich unterdessen der zurückgebliebenen Frauen und Kinder mit desto größerer Sorgfalt annehmen. Nur so könne man hoffen, dem bösen Willen der Leute, der meistens nur der Ausdruck ihrer schlimmen Lage sei, zu begegnen und den Einfluß der Einbläser und Aufhetzer, von denen der Schulmeister Tusky leicht einer der schlimmsten sein möchte, zu brechen.
Ich weiß von dem Herrn Tusky nicht mehr, als die meisten Leute, fuhr der Förster fort. Der Vater war Hirt oben auf dem Walde, ein schlechter, wüster Mensch, den sein Unglück, das er freilich selbst verschuldete, vollends verdorben hat, der Gott und die ganze Welt verfluchte und sein armes Weib und seine Kinder aus dem Schlimmen in's Schlimmste brachte. Die Kinder liefen davon, sobald sie laufen konnten, und es war ihnen auch just nicht zu verdenken. Für das Unglück, aus solcher Familie zu stammen, kann, wie gesagt, der Tusky nichts; aber ein Unglück ist und bleibt es, und er hat sicher noch schwer daran zu tragen. Wenn wir uns begegnen, blickt er auf die andere Seite, und wo er mich nicht vermeiden kann, thut er jedesmal, als ob er mich vorher noch nie gesehen hätte. Das hat mich denn von vornherein mißtrauisch gegen ihn gemacht, denn ich meine immer, Niemand versteckt sich, als wer's muß. Und dann habe ich so Manches von ihm gesehen und noch mehr von ihm gehört, was mir nicht gefallen hat. Ich habe bisher geschwiegen, aber da Sie so viel schon geahnt haben, mögen Sie auch noch das Andere wissen.
Fritz Gutmann erzählte nun ausführlich, wie Holzfäller, Kohlenbrenner, Fuhrleute, Bettler ihm wiederholt mitgetheilt hätten, daß sie dem Schulmeister da und dort – und immer des Abends, manchmal mitten in der Nacht – begegnet wären, im Walde, auf der Landstraße, im Wirthshause, wie er sich mit ihnen in Gespräche eingelassen und dabei so sonderbare Reden geführt habe; wie schon jetzt in der Gegend das Gerücht gehe, daß der Schulmeister von Tuchheim mehr könne, als andere Leute, und vor Allem das Geheimniß besitze, von einem Orte zum andern zu kommen, ohne daß er deshalb seine Beine zu bemühen brauche. – Mit solchen Geschichten trägt sich unser abergläubisches Volk nur zu gern, und ich halte den Schulmeister für schlau genug, daraus für sich den möglichsten Vortheil zu ziehen.
Hier wurden die Redenden durch die jungen Mädchen unterbrochen, welche mit den Hasen, die keinen Kohl mehr fressen wollten, und mit dem Falken, der noch gerade so aussah, wie vor vier Wochen, nichts mehr anzufangen wußten und jetzt in den Garten stürmten, ihnen voraus in mächtigen Sprüngen Ponto, der große, langhaarige Lieblingshund des Försters, den sie mit Kränzen aus verblühten Astern und verwelktem Weinlaub gar seltsam ausstaffirt hatten, und der jetzt bei seinem Herrn vor den Quälgeistern Schutz suchte.
An eine Fortsetzung des Gesprächs war nun nicht mehr zu denken, auch wußte Charlotte jetzt, was sie zu thun hatte.