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Was war denn nun eigentlich mit Herrn Andreas geschehen und auf welche Weise war es ihm gelungen, sein Vorhaben auszuführen?
Nachdem er die Veste verlassen, schritt er eine Zeitlang fest und sicher vorwärts. Am äußersten Ende der Plattform blieb er stehen und horchte. Es herrschte tiefste Stille, ja es war fast zu still, denn man hörte deutlich das Knirschen des Schnees unter seinen Tritten. Je weiter er sich vom Kloster entfernte, desto vorsichtiger ging er. Da er fürchtete, auszugleiten und beim Hinfallen seine teure Pulverladung feucht zu machen, zog er sein Rapier und stützte sich auf dessen Spitze, was ihm das Fortkommen sehr erleichterte.
Eine halbe Stunde mochte er gegangen sein, da hörte er ein leichtes Geräusch gerade vor sich.
»Aha! sie sind wachsam,« dachte er.
Es freute ihn, daß er die Richtung nicht verfehlt hatte. Unwillkürlich überkam ihn aber allmählich ein Gefühl der Vereinsamung, doch nicht auf lange, denn plötzlich mußte er an Olenka denken, eine leise Rührung befiel ihn. Ach, ... wenn sie ihn jetzt sehen könnte, wie würde ihr Herz jubeln. Aber sie glaubte ihn noch im Dienste der Schweden. O ja, er wollte ihnen ja eben jetzt einen Dienst erweisen, aber was für einen!
Doch diese Gedanken hinderten ihn nicht, auf seinen Weg zu achten. Er blickte sich einigemale um; es war weder vom Kloster, noch von der Kirche etwas zu sehen, undurchdringliches Dunkel umgab ihn. Nach der Zeit seiner Wanderung zu schließen, mußte er aber dicht vor der Schanze sein.
»Ich möchte gern wissen, ob Wachen ausgestellt sind?« dachte er.
In demselben Augenblick erklangen dicht vor ihm im Takte die Schritte einer Wachtpatrouille, während gleichzeitig von verschiedenen Stellen aus mehrere Stimmen riefen: »Wer da?«
Herr Andreas stand wie angewurzelt; es wurde ihm doch etwas heiß.
»Gut Freund!« antworteten andere Stimmen.
»Die Losung?«
»Upsala!«
»Das Feldgeschrei?«
»Die Krone! ...«
Kmiziz freute sich. Es war für ihn außerordentlich günstig, daß die Wachen jetzt abgelöst wurden, nun konnte er die Linie sicher überschreiten. Er ging dreist dicht hinter den abgelösten Wachen her, bis dicht unter die Schanze. Sein Auge hatte sich etwas an das Dunkel gewöhnt, er meinte auch, es sei etwas heller geworden und dankte Gott dafür, er hätte sonst kaum die große Kolubrine herausfinden können. Er bog jetzt den Kopf tief ins Genick und erspähte mit angestrengtem Blick über sich die schwarze Linie, welche der Rand der Schanze bildete, ebenso die Umrisse der Körbe, zwischen welchen die Geschütze standen. Während er langsam im Laufgraben vorrückte, entdeckte er endlich das gesuchte, so gefürchtete Rohr. Jetzt blieb er stehen und horchte.
Oben auf der Schanze wurde gesprochen; es standen also Mannschaften neben den Geschützen. Aber die Schanze selbst entzog ihn ihren Blicken, sie konnten ihn hören, aber nicht sehen. Nun handelte es sich noch darum, wie er die Mündung des Geschützes erreichen sollte. Glücklicherweise waren die Grabenränder nicht zu sehr abgeschrägt und die Erde durch das eingetretene Tauwetter nicht hartgefroren. Er begann leise, Löcher in den Abhang zu reißen und kletterte langsam hinauf. Nach etwa einer Viertelstunde vermochte er die Mündung der Kanone mit der Hand zu erreichen. Mittels seiner ungewöhnlichen Körperkraft gelang es ihm, sich solange in der Schwebe zu erhalten, bis er die Pulverladung tief genug in die Mündung derselben hineingestoßen hatte.
Dann sprang er hinunter. Ein Weilchen noch mußte er nach der Zündschnur tasten, ehe er dieselbe erhaschte. Jetzt kam die größte, gefährlichste Arbeit; er mußte Feuer schlagen. Einen Augenblick wartete er noch in der Hoffnung, daß die Unterhaltung dort oben etwas lauter werden würde. Endlich begann er damit. Doch in demselben Augenblick ertönte auch schon über seinem Kopfe in deutscher Sprache die Frage:
»Wer ist dort im Graben?«
»Ich, Hans!« antwortete Kmiziz ohne Zögern. »Der Teufel hat mir den Ladestock in den Graben gerollt; ich muß Feuer schlagen, damit ich ihn finde.«
»Da kannst du von Glück sagen, daß jetzt nicht geschossen wird, denn der Luftdruck würde dir den Kopf abreißen,« antwortete die Stimme von oben.
»Aha!« dachte Kmiziz, »die Kanone hat also außer meiner Ladung noch ihre eigene, desto besser.«
In diesem Augenblick fing die Zündschnur an ihrem unteren Ende Feuer, kleine Fünkchen hüpften auf der trockenen Oberfläche nach oben. Jetzt war es Zeit zu fliehen; Kmiziz rannte, was er laufen konnte, im Graben entlang, unbesorgt um das Geräusch, welches seine Tritte verursachten. Etwa zwanzig Schritte mochte er gerannt sein, da fiel ihm ein, daß die Zündschnur verlöschen konnte. Die Neugier überwog das Gefühl der Gefahr – er blieb stehen und sah sich um. Die Schnur glimmte, aber schon viel höher als vorher.
»Ich bin noch zu nahe,« dachte er. Wieder rannte er im Graben fort, was er zu laufen vermochte. Plötzlich stolperte er über einen Stein – er fiel hin. In demselben Augenblick erfolgte die Explosion. Die Erde unter ihm schwankte, Holzsplitter, Eisenstücke, Steine, Erde und Eisschollen sausten um ihn herum, so viel merkte er noch – dann verließ ihn das Bewußtsein.
Der ersten Explosion folgten noch mehrere andere, durch die umherfliegenden Brennstoffe verursacht. Die in der Nähe stehenden Pulverkästen, die nächststehenden Geschütze – alles flog in die Luft, aber von alledem hörte Kmiziz nichts mehr. Er hörte auch nicht die Jammerschreie der Verwundeten und das Herbeieilen Millers, welcher selbst den ganzen Schaden besah und als Ursache der Explosion sofort den Eingriff einer mutwilligen Hand erkannte. Er befahl, die nächste Umgebung der Batterie abzusuchen – die Soldaten fanden Kmiziz im Graben liegend. Es erwies sich, daß er nur betäubt war und für den Augenblick durch den Luftdruck den Gebrauch seiner Gliedmaßen verloren hatte. Man pflegte ihn auf das Sorgfältigste, erst gegen den Abend des nächsten Tages war er vollkommen wieder hergestellt.
Miller ließ ihn sogleich vor sich führen. Er nahm den Mittelplatz an dem Tische in seinem Quartier ein; neben ihm saß der Fürst von Hessen, Wrestschowitsch, Sadowski und andere höhere Offiziere des schwedischen Stabes. Von den Polen waren anwesend: Sbroschek, Kalinski und Kuklinowski.
Der Letztere wurde beim Anblick Kmiziz' blaurot im Gesicht; seine Augen glänzten wie zwei glühende Kohlen, und ehe noch jemand das Wort ergreifen konnte, rief er:
»Ich kenne diesen Vogel; er ist von der Tschenstochauer Besatzung und heißt Babinitsch!«
Kmiziz verharrte schweigend. Sein Gesicht trug die Spuren der überstandenen Anstrengung, aber sein Auge blickte ruhig und stolz.
»Ihr habt das Geschütz gesprengt?« frug Miller.
»Ja!« antwortete Kmiziz.
»Wie habt ihr das bewerkstelligt?«
Kmiziz erzählte kurz, ohne etwas zu verheimlichen, wie er zu Werke gegangen. Voll Staunen blickten die Offiziere einander an.
»Ein Held!« flüsterte der Fürst von Hessen Sadowski zu.
Und Sadowski neigte sich hinüber zu Wrestschowitsch und sprach:
»Was meint ihr, Graf Weyhard, werden wir bei solcher Verteidigung die Veste erobern?«
»Das werdet ihr nicht,« fiel Kmiziz ein, »denn Tschenstochau wird sich verteidigen, so lange noch ein Mann dort oben ist.«
Eine tiefe Stille trat ein. Dann ergriff Miller das Wort:
»Babinitsch also ist euer Name?«
Herr Andreas überlegte. Nach dem, was er gethan, war der Tod ihm sicher. Es war nicht notwendig, seinen wahren Namen länger zu verheimlichen. So mochte denn die Bekanntmachung seiner letzten That seine früheren Schulden im Gedächtnis der Nachwelt austilgen, mochte sein Nachruhm mit dem Strahlenkranz der Ehre und des Opfermutes geschmückt, im Munde der Menschen leben.
»Ich heiße nicht Babinitsch,« antwortete er stolz. »Ich bin Andreas Kmiziz und war Hauptmann einer eigenen Fahne im litauischen Stammheere.«
Kaum hatte Kuklinowski das vernommen, da sprang er wie besessen auf, und indem er die Augen weit aufriß, rief er:
»Herr General, ich bitte sogleich um ein Wort unter vier Augen!« Auch unter den polnischen Offizieren entstand eine große Bewegung zur höchsten Verwunderung der schwedischen, welchen der Name Kmiziz ganz unbekannt war. Sie vermuteten aber doch eine besonders berühmte Persönlichkeit in ihm, als Sbroschek aufstand und sich dem Gefangenen nähernd, sprach:
»Mein Herr Hauptmann! Ich kann euch zwar aus der Lage, in welcher ihr euch befindet, nicht befreien, aber – ich bitte, reicht mir eure Hand! ...«
Da richtete Kmiziz sich hoch auf, seine Nasenflügel bebten, als er antwortete:
»Ich reiche meine Hand nicht Verrätern, welche die Waffen gegen das Vaterland führen.«
Sbroschek wurde dunkelrot im Gesicht und Kalinski, welcher dicht hinter ihm stand, zog sich sogleich zurück, während die schwedischen Offiziere die Polen mit Fragen bestürmten, was es mit diesem Kmiziz für eine Bewandtnis habe.
Unterdessen hatte in der angrenzenden Kammer Kuklinowski den General an das Fenster gezogen und gefragt:
»Was beabsichtigen Ew. Liebden mit dem Gefangenen zu thun?«
»Ich müßte ihn hängen lassen; doch selbst Soldat, der persönlichen Mut und Tapferkeit zu schätzen weiß, kann ich mich nicht dazu entschließen. Dazu ist er ein Edelmann aus altem Geschlecht ... Ich werde ihn noch heute erschießen lassen.«
»Ich bin zwar kein großer Politiker, Herr General,« versetzte Kuklinowski – »aber, – wenn Ew. Liebden das thun, dann werden die zweitausend Polen, welche hier stehen, mit Sbroschek und Kalinski uns verlassen und zu Johann Kasimir übergehen.«
»Wenn ich sie nicht vorher alle in Grund und Boden schießen lasse,« entgegnete Miller.
»Das zu thun verbietet die Klugheit, Herr General.« Er wollte weiter sprechen, doch Miller unterbrach ihn.
»Bei hunderttausend Teufeln« sprach er. »Wollt ihr etwa, daß ich diesem Kmiziz das Leben schenken soll? Das geht nicht an!«
»Nein,« antwortete Kuklinowski, »aber ich bitte: schenkt ihn mir! Ew. Liebden sind dann jeder Verantwortung enthoben, die Polen können euch nichts anhaben.«
»Was wollt ihr mit ihm thun? Ihr kanntet ja nicht einmal seinen Namen, was hat der Mensch euch gethan?« frug der General.
»Darüber will ich lieber nicht sprechen,« lautete die Antwort. Miller dachte nach. Ein Verdacht stieg in ihm auf.
»Kuklinowski« sagte er. »Wollt ihr ihn etwa in Freiheit setzen?« Kuklinowski lachte so ungekünstelt höhnisch, daß Miller zu zweifeln aufhörte.
»Vielleicht ist euer Rat gut!« sprach er.
»Ich bitte für alle meine Verdienste um diesen einzigen Lohn!«
»So nehmt ihn!«
Darauf gingen beide zu den anderen, welche noch versammelt waren. Miller wandte sich zu ihnen mit den Worten:
»Ich übergebe den Gefangenen dem Herrn Kuklinowski für seine Verdienste zur persönlichen Verfügung.«
Alle horchten auf. Staunen malte sich in den Gesichtern der Anwesenden, dann trat Sbroschek dicht vor Kuklinowski hin und frug mit untergestemmten Armen:
»Was beliebt dem Herrn Kuklinowski mit dem Gefangenen zu thun, wenn man fragen darf?«
Kuklinowski, welcher immer ein wenig gebeugt ging, richtete sich hoch auf; sein Mund verzog sich zu einem hämischen Lachen, die Pupillen in seinen Augen flogen hin und her.
»Wem das nicht gefällt, was ich mit dem Gefangenen zu thun gedenke,« sagte er, »der weiß, wo ich zu finden bin.«
Dabei klirrte er mit dem Säbel.
»Auf Ehrenwort, Herr Kuklinowski!« sagte Sbroschek.
»Auf Ehrenwort, gewiß!«
Während er das sagte, schritt er auf Kmiziz zu.
»Komm mit mir, mein Würmchen,« wandte er sich an diesen. »Komm, du berühmtes Soldatchen ... Du bist ein wenig schwach, bedarfst der Pflege ... ich will dich kurieren!«
»Lump!« antwortete Kmiziz.
»Schon gut! schon gut, du stolzes Seelchen ... Unterdessen komm!«
Die Offiziere blieben im Hause zurück, während draußen Kuklinowski sein Opfer an die Leine nehmen ließ und mit ihm und drei Soldaten sich auf den Weg nach Lgota begab, wo seine Abteilung stand.
Kmiziz betete unterwegs heiß und inbrünstig. Er wußte, daß der Tod jetzt seiner wartete, deshalb empfahl er seine Seele Gott; er war so sehr in sein Gebet versunken, daß er gar nicht auf das hörte, was Kuklinowski sagte, und nicht merkte, wie lange der Weg dauerte. Endlich hielten sie vor einer halb eingefallenen, mitten im freien Felde stehenden Scheune. Dorthinein ließ der Hauptmann Kmiziz führen. Er selbst wandte sich an einen der Soldaten:
»Schnell! beschaffe mir aus dem Lager Stricke und ein Tönnchen mit brennendem Pech.«
Der Soldat trabte davon und kam nach einer Viertelstunde in Begleitung eines anderen zurück. Beide brachten die gewünschten Gegenstände.
»Zieht mir diesen Burschen nackt aus, bindet ihm die Hände auf den Rücken und die Beine zusammen, dann zieht ihn hinauf und bindet ihn am Balken fest!«
»Lump!« sagte Kmiziz.
»Schon gut! Wir werden uns noch sprechen, wir haben Zeit dazu.«
Der eine Soldat kletterte auf den Balken, während die anderen Kmiziz entkleideten und banden. Sie legten ihn dabei auf das Gesicht, banden ihm die Hände und Füße auf dem Rücken zusammen, schlangen ihm dann das Seil noch um den Leib, dann warfen sie das Ende desselben dem auf dem Balken sitzenden Soldaten zu.
»Jetzt zieht ihn hinauf!« befahl Kuklinowski. »Der da oben soll das Seil um den Balken schlingen und festknoten.«
Im nächsten Augenblick war der Befehl vollzogen.
»Halt! Laßt ihn los!« rief Kuklinowski den Soldaten zu, welche Kmiziz noch festhielten.
Das Seil knarrte. Herr Andreas hing wagerecht mitten über der Tenne, etwa drei Ellen hoch.
Nun nahm Kuklinowski einen Strohwisch, tauchte ihn in das glühende Pech und trat dann mit demselben an den in der Schwebe Hängenden heran.
»Wie nun, Herr Kmiziz? ... Sagte ich nicht, es gäbe nur zweie solcher wie wir beide in der Republik? ... Du aber wolltest dich nicht zur Kameradschaft mit mir bekennen und gabst mir einen Fußtritt ... Du hattest recht, elendes Würmchen. Wir paßten nicht zusammen, denn Kuklinowski ist ein anderer Kerl als du, er hat dich Hauptmännchen jetzt in der Hand und wird dir deine Seiten etwas anbraten ...«
Bei diesen Worten fuhr er mit dem glühenden Pechwisch an der rechten Seite des Herrn Andreas entlang. Dieser zuckte nicht. Er sagte nur zum dritten Mal: »Lump!«
»Langsam, langsam!« sprach Kuklinowski gelassen. »Nicht zu viel auf einmal; wir haben viel Zeit.«
In diesem Augenblick hörte man Pferdegetrappel; es kam Jemand im Galopp herangesprengt und hielt vor der Scheune.
»Wer zum Teufel kommt denn?« frug der Hauptmann.
Die Angeln des Thores knarrten, ein Soldat trat ein.
»Herr Hauptmann,« sagte er, »der General Miller wünscht euch sogleich zu sehen; er hat befohlen, daß ihr unverzüglich zu ihm kommt.«
»Ah! du bist es, Alter? Was zum Teufel ist denn los? Wen hat denn der General geschickt?«
»Ein schwedischer Offizier brachte den Befehl, sofort zu kommen. Er kam so schnell angesetzt, daß er samt dem Gaul atemlos war. Deshalb gab er mir den Auftrag, den Befehl auszurichten!«
»Gut,« sagte Kuklinowski. »Dann muß ich fort.« Und sich an Kmiziz wendend, setzte er hinzu:
»Dir ist etwas warm geworden, du kannst jetzt abkühlen; ich komme gleich zurück, dann sprechen wir weiter!«
»Was soll mit dem Gefangenen geschehen?« frug einer der Soldaten.
»Er soll hängen bleiben! Einer von euch soll mich begleiten.«
Kuklinowski ging hinaus. Ihm folgte der Soldat, welcher zuvor auf dem Balken gesessen hatte – es blieben nur drei zurück. Gleich darauf traten drei andere in die Scheune.
»Ihr könnt schlafen gehen,« sagte derjenige, welcher an Kuklinowski den Befehl überbracht hatte. »Der Hauptmann hat gesagt, wir sollen euch ablösen.«
»Wir wollen lieber hier bleiben,« antwortete einer der Soldaten, »um das Schauspiel ...«
Ein Röcheln unterbrach die Rede des Sprechenden, ein kurzer Aufschrei – er breitete die Arme aus und stürzte nieder. Gleichzeitig ertönte der Ruf: »Schlagt zu!« ein kurzer, gräßlicher Kampf entstand, dann fielen noch zwei Körper leblos nieder und in demselben Augenblick rief dieselbe Stimme, welche schon vorher Kmiziz bekannt vorgekommen war:
»Wir sind es, Herr Hauptmann, Kiemlitsch und seine Söhne. Wir warten schon seit dem Morgen auf eine Gelegenheit, euch zu retten. Auf, ihr Schelme! schneidet den Herrn Hauptmann los, schnell!«
Und ehe Kmiziz verstehen konnte, was mit ihm geschah, sah er neben sich die Zottelköpfe der Söhne Kiemlitschs, welche seine Fesseln lösten. Im Nu stand er auf den Füßen; er schwankte. Seine Kinnladen waren steif geworden, kaum vermochte er zu stammeln:
»Ihr seid es? ... Ich danke! ...«
»Wir sind es,« sagte der schreckliche Greis. »Zieht euch schnell an, vor der Scheune stehen Pferde, der Weg ist frei, die Wachen lassen niemanden herein, aber hinaus dürfen wir; ich kenne die Losung. Wie befinden sich Ew. Liebden.«
»Er hat mir die Seite verbrannt, meine Beine zittern.«
»Hier, trinkt etwas Branntwein, Ew. Liebden! Das wird euch stärken.«
Gierig trank Kmiziz die dargereichte Flasche zur Hälfte leer.
»Mich fror! Jetzt ist mir besser,« sagte er.
Einen Augenblick darauf fühlte er sich ganz wohl und blickte mit vollem Bewußtsein auf die drei Gestalten neben ihm, welche von den gelblichen Flämmchen des schwelenden Pechs matt beleuchtet wurden.
Der Alte stand mahnend vor ihm: »Die Pferde stehen bereit, die Zeit drängt,« sagte er.
Da erwachte der alte Kmiziz in ihm, dessen Leben aus einer langen Reihe tollkühner Thaten bestand.
»Nein!« rief er. »Jetzt will ich diesen Verräter erwarten. Hört einmal. Hat Miller ihn wirklich holen lassen?«
»Nein!« antwortete Kiemlitsch. »Ich habe den Befehl ersonnen, um ihn von hier fortzulocken.«
»Also hört! Er wird wiederkommen, entweder allein oder mit Begleitung. Kommt er mit mehreren, dann überfallt ihr sie gleich; ... ihn überlaßt mir. Dann zu den Pferden! ... Hat einer von euch Pistolen?«
»Ich!« antwortete Kosma.
»Gieb her! Ist sie geladen? Pulver auf der Pfanne?«
Die Kiemlitsch blickten ihren Hauptmann verwundert an, doch wagten sie kein Wort zu erwidern, denn sie waren von früher her zu sehr an seine Befehle gewöhnt.
»Paßt auf!« fuhr Kmiziz fort. »Kommt er allein, dann faßt ihn und verstopft ihm den Mund. Ihr könnt ihm seine eigene Mütze hineinstopfen.«
»Zu Befehl!« sagte der Alte. »Ist es erlaubt, jenen dort die Taschen zu durchsuchen? Wir sind arme Bauern ...«
Indem er das sagte, wies er auf die toten Soldaten.
»Nein!« verbot Kmiziz. »Haltet gut Wache – was ihr bei Kuklinowski findet, das soll euch gehören!«
»Wenn er allein kommt, fürchte ich nichts,« sagte der Alte. »Ich werde vor dem Thore bleiben, und sollte jemand aus dem Quartiere kommen, dann sage ich, der Hauptmann hat verboten, jemanden einzulassen ...«
»Gut also! nehmt eure Plätze ein!«
Da, kaum war jeder auf seinem Posten, näherte sich Pferdegetrappel.
»Er kommt allein,« sagte der Alte händereibend.
»Er ist allein,« wiederholten die jungen Kiemlitsch.
Jetzt hielt der Reiter vor dem Thore und rief:
»Kommt doch einer heraus; nehmt mir das Pferd ab.«
Kiemlitsch sprang hinzu. Einen Augenblick war alles still, dann hörten die drinnen die folgende Unterredung:
»Du bist es, Kiemlitsch? Was zum Donnerwetter, bist du toll geworden? ... Es ist Nacht! Miller schläft; die Wache hat mich nicht zu ihm gelassen, es ist war kein Offizier abgeschickt worden. – Was soll das heißen?«
»Der Offizier wartet in der Scheune auf Ew. Liebden. Er hat euch verfehlt.«
»Was soll das heißen? ... Und der Gefangene? ...«
»Hängt noch.«
Die Angel knarrte, Kuklinowski trat ein. Kaum hatte er die Schwelle überschritten, da packten ihn ein paar derbe Fäuste und unterdrückten den Schreckensschrei, den er ausstoßen wollte. Gleichzeitig leuchtete ihm Kmiziz mit einem Strohwisch ins Gesicht.
»Ah! Herr Kuklinowski!« sagte er. »Wir haben noch miteinander zu reden ... Zieht ihn aus und dann dort hinauf mit ihm!«
Kosmus und Damian machten sich mit einer Eilfertigkeit über ihn her, als wollten sie die Haut samt den Kleidern herunterreißen. Nach einer Viertelstunde hing Kuklinowski an derselben Stelle, wo Kmiziz zuvor gehangen hatte.
»Nun, Herr Kuklinowski,« begann Kmiziz, »wer ist jetzt besser, Kmiziz oder Kuklinowski?«
Mit diesen Worten nahm er den Strohwisch und trat näher an ihn heran.
»Ich könnte euch schlachten lassen, wie einen Kapaun, aber ich ziehe vor, eure Seiten erst etwas anzubraten, wie ihr mir thun wolltet.«
Er hielt ihm das glühende Pech an die Seite, aber nicht so kurz wie Kuklinowski ihm gethan, sondern solange, bis der Geruch von verbranntem Fleisch sich in der Scheune verbreitete. Kuklinowski, dessen Mund verstopft war, wand sich vor Schmerz wie ein Wurm; seine Augen flehten um Barmherzigkeit, und Kmiziz entfernte den Wisch von seiner Seite, versengte ihm eilig noch den Schnurrbart und die Augenbrauen, dann warf er das Marterwerkzeug weit fort.
»Ich schenke euch das Leben,« sagte er, »damit ihr noch ein wenig über Kmiziz nachdenken könnt. Bittet Gott, daß man euch findet, ehe ihr erfriert.«
Dann wandte er sich an Kosmus und Damian.
»Aufs Pferd!« befahl er. Darauf ging er hinaus. Eine halbe Stunde später ritt Kmiziz schon weit außer dem Bereich des schwedischen Lagers durch die stille Hügellandschaft. Von Zeit zu Zeit entrang sich ein leises Stöhnen seiner Brust, denn die verbrannte Seite schmerzte ihn sehr. Dennoch war ihm wohl zu Mute; er war frei, saß zu Pferde und hatte seinen Rachedurst an Kuklinowski gestillt. Dieses Gefühl der Freiheit erfüllte ihn mit solchem Wohlbehagen, daß der brennende Schmerz daneben nichts zu bedeuten hatte. Aus dem Sinnen, in welches er versunken war, riß ihn plötzlich das Gezanke der drei Kiemlitsch, welche sich um die Beute stritten.
»Kennt ihr den Weg zur schlesischen Grenze, Alter?« unterbrach er den Streit.
»O! O! freilich kennen wir ihn.«
»Ist er frei von Schweden?« frug Herr Andreas.
»Ja, denn sie stehen alle bei Tschenstochau,« antwortete Kiemlitsch.
»Ihr habt also bei Kuklinowski gedient?« forschte Kmiziz weiter.
»Ja, denn wir dachten, wenn wir nahe dem Kloster bleiben, könnten wir den frommen Vätern am besten dienen. Wir haben ohne Sold der Veste manchen Dienst geleistet und uns nur damit bezahlt gemacht, was wir den Schweden abgenommen.«
»Wie? Den Schweden?« frug Kmiziz erstaunt.
»Wir wollten doch auch außerhalb des Klosters der heiligen Jungfrau dienen. Da sind wir nachts um das Lager herumgeschlichen, und wo einer oder ein paar allein sich blicken ließen, da haben wir ... o Zuflucht der Sünder ... da haben wir ihnen die Köpfe gewaschen,« antwortete Kiemlitsch.
»Und hat das Kuklinowski gewußt?« fragte Kmiziz.
»Man hat es ihm zugetragen. Er ließ sich für jeden erschlagenen Schweden einen Thaler von uns bezahlen, sonst wollte er uns anzeigen.«
Kmiziz lächelte still vor sich hin. »Das hätte ich von euch nicht erwartet,« sagte er. »Ihr sollt reich belohnt werden ...«
Da tönte Kanonendonner durch die Nacht. Er unterbrach seine Rede und hielt das Pferd an, während er aufmerksam lauschte. Ihm schien, als könne er gut unterscheiden, welche Geschütze vom Kloster her, welche vom Lager aus abgefeuert wurden. Dann ballte er drohend die Faust gegen das Lager hin und sagte laut:
»Schießt nur, schießt! Ihr thut der Veste doch nichts mehr! ...«