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6. Kapitel

Der Tag stieg blaß empor und beschien eine Menge Trümmerhaufen in Wolmontowitsch, Ueberreste von Häusern, Wirtschaftsgebäuden, halbverbrannte oder in Stücke gehauene Leichen und Pferdekadaver. Kleine Haufen bleicher Menschen suchten unter der Asche und den glimmenden Kohlen nach den Körpern der Vermißten oder den Ueberbleibseln ihrer armseligen Habe. Ein Tag der Trauer und des Elends war über ganz Lauda hereingebrochen. Der zahlreiche Adel hatte zwar den Sieg über die Abteilung des Herrn Kmiziz davongetragen, aber er war blutig und schwer errungen. Außer den Butryms, von denen die meisten gefallen waren, gab es kein Gehöft, in welchem nicht Frauen ihre Männer, Eltern ihre Söhne oder Kinder ihre Eltern zu beweinen hatten. Es war den Laudaern um so schwerer geworden, die Angreifer zu besiegen, als die besten und stärksten Krieger nicht daheim waren und nur Greise und die kaum der Kindheit entwachsenen Jünglinge sich am Kampfe beteiligen konnten. Dennoch war von den Leuten Kmizizs kein einziger übrig geblieben. Die einen hatten ihr Leben in Wolmontowitsch gelassen, indem sie sich so hartnäckig verteidigten, daß sie schon verwundet noch weiter kämpften, die andern jagte man am nächsten Tage in den Wäldern, bis man sie einfing, und schlug sie unbarmherzig nieder. Kmiziz selbst war spurlos verschwunden. Man erging sich in Vermutungen, was mit ihm geschehen sei. Etliche mutmaßten, er sei nach der Zielonka-Haide entkommen und von dort nach Rogowska, wo nur die Domaschewitsch allein ihn aufzuspüren vermochten. Viele waren auch der Meinung, er werde zu Chowanski gehen, um die Feinde herzuführen, aber das war zum mindesten eine verfrühte Besorgnis.

Unterdessen war alles, was von den Butrymows noch lebte, nach Wodockt gezogen und der Hof förmlich belagert. Das ganze Haus war voll Weiber und Kinder. Was dort nicht mehr unterkommen konnte, das ging nach Mitrun, welchen Ort Fräulein Alexandra den Abgebrannten vollständig eingeräumt hatte. Außerdem standen etwa hundert bewaffnete Männer, welche von Zeit zu Zeit sich ablösten, in Wodockt kampfbereit; man glaubte nämlich, Herr Kmiziz würde den Kampf noch nicht aufgeben und könne jeden Tag erscheinen, um das Fräulein mit bewaffneter Hand zu nehmen. Auch andere bedeutende Häuser der Umgegend, wie die Schillings, die Sollohubs und andere, schickten ihre Heiducken und Hofkosaken zum Schutz des Fräuleins. Wodockt sah aus wie eine Stadt, welche eine Belagerung erwartet. Und mitten zwischen diesen Bewaffneten, zwischen den Haufen der versammelten Weiber und dem Adel ging trauernd, bleich und schmerzbewegt Fräulein Alexandra umher, gezwungen, das Weinen und Wehklagen der Menschen und die Flüche und Verwünschungen anzuhören, welche dem Herrn Kmiziz nachgerufen wurden und welche wie Dolchstiche ihr Herz verwundeten. War sie doch die unmittelbare Ursache alles dieses Unglücks. Ihretwegen war dieser wahnsinnige Mann in diese Gegend gekommen, dieser Mann, welcher den Frieden zerstört, das Recht mit Füßen getreten, Menschen getötet, wie ein Bissurmann Dörfer mit Feuer und Schwert vernichtet und nur blutige Andenken an sich zurückgelassen hatte. Es war fast wunderbar, daß ein einziger Mensch in so kurzer Zeit so viel Schlimmes vollbringen könne – und das dazu ein Mensch, der weder völlig verdorben, noch völlig boshaft war. Niemand wußte das besser als Fräulein Alexandra, die allein hier ihn näher kennen gelernt hatte. Ein ganzer Abgrund trennte den Herrn Kmiziz selbst von seinen Thaten. Aber gerade deshalb verursachte ihr der Gedanke, daß dieser Mensch, welchen sie mit der ganzen Innigkeit eines jungen Herzens liebte, anders sein könnte, daß er Eigenschaften in sich vereinigte, die ihn zum Muster eines Ritters, Kavaliers und Nachbars machen konnten, daß er an Stelle der Verachtung, Bewunderung und Liebe, statt der Verwünschungen Segenswünsche erwerben könnte, einen tiefen Schmerz.

So gab es denn Augenblicke, wo es dem Fräulein schien, daß ein großes Unglück, eine mächtige unreine Gewalt ihn zu allen diesen Uebelthaten drängte. Dann bemächtigte sich ihrer eine unendliche Trauer über diesen Unglückseligen, die unauslöschliche Liebe zu ihm erwachte nur stärker mit dem Gedenken an seine ritterliche Gestalt, seine Worte, seine Beteuerungen, seine Liebe.

Inzwischen liefen hundert Proteste gegen ihn um, hundert Prozesse drohten ihm und der Starost Hlebowitsch sandte Leute aus, um den Missethäter zu fangen.

Das Gericht mußte ihn verdammen.

Jedoch lag zwischen dem Urteilsspruch und der Vollziehung desselben ein weiter Zwischenraum, da die Unordnung in der Republik immer mehr zunahm. Ein schrecklicher Krieg drohte dem Lande und näherte sich mit blutigen Tritten immer mehr der Smudz. Der mächtige Radziwill aus Birz, welcher allein das Recht mit bewaffneter Hand schützen konnte, war zu sehr von öffentlichen Angelegenheiten in Anspruch genommen; überdies vertiefte er sich zugleich in große Unternehmungen, sein eigenes Haus betreffend, welches er hoch über alle anderen Häuser des Landes erheben wollte, sei es auch auf Kosten des öffentlichen Gesamtwohles. Andere Magnaten dachten auch mehr an sich selbst als an die Republik. Seit den Kosakenkriegen waren alle Bande zersprengt, welche den mächtigen Bau dieser Republik zusammenhielten.

Das bevölkerte reiche Land, voll edler Ritter, wurde eine Beute der Parteigänger; Eigenwille und Uebermut erhoben sich immer mehr und fühlten sich schon so stark, um dem Rechte trotzen zu können.

Die Unterdrückten fanden gegen die Unterdrücker den besten und fast einzigen Schutz in ihren eigenen Säbeln. So verließen denn die Laudaer, nachdem sie in den öffentlichen Versammlungen gegen Kmiziz protestiert hatten, noch lange nicht die Sättel, um Macht gegen Macht stellen zu können.

Es war bereits ein Monat verflossen. Von Kmiziz war nichts zu hören. Die Menschen begannen freier aufzuatmen. Die Magnaten beriefen ihre bewaffneten Diener, welche sie zum Schutze nach Wodockt geschickt, zurück. Der Klein-Adel sehnte sich nach seiner gewohnten Arbeit und der größeren Bequemlichkeit auf seinen Höfen und begann daher auch allmählich sich zu zerstreuen. Und in eben dem Maße, wie der kriegerische Sinn mit der dahineilenden Zeit sich mäßigte, in demselben Maße steigerte sich der Wunsch bei ihnen, den Abwesenden zu quälen und bei den Gerichten ihr Recht zu suchen. Denn, wenn auch Herrn Kmiziz das Urteil nicht erreichen konnte, so blieb doch Lubitsch, diese schöne große Besitzung, um die erlittenen Schäden zu ersetzen und auszugleichen. Die Lust am Prozessieren wurde bei den Laudaern eifrig durch Fräulein Alexandra angeregt. Zweimal kamen die Aeltesten der Lauda zu Beratungen bei ihr zusammen und sie nahm an jenen Beratungen nicht nur teil, sie übernahm sogar den Vorsitz bei denselben, indem sie alle durch ihren männlichen Verstand und ihr treffendes Urteil, um welches sie mancher Rechtsgelehrte beneiden konnte, in Staunen setzte.

Die Aeltesten der Lauda wollten also Lubitsch mit Bewaffneten besetzen und dasselbe den Butrymows übergeben, aber das Fräulein riet energisch davon ab.

»Zahlt nicht Gewalt mit Gewalt,« sagte sie, »sonst nimmt auch eure Sache eine schlimme Wendung; die Schuldlosigkeit muß ganz auf eurer Seite sein. Er ist ein mächtiger Mensch mit vielerlei Verbindungen, auch bei Gericht wird er seine Helfer finden, und wenn ihr nur den geringsten Anlaß gebt zu einer Klage, so würde euch das nur zum Schaden gereichen. Euer Recht muß so klar sein, daß ein jedes Gericht, und wäre es selbst aus seinen leiblichen Brüdern zusammengesetzt, euch zu Recht erkennen mußte. Sagt den Butryms, sie sollen weder Vieh noch sonstiges Geräte aus Lubitsch nehmen und den Herrenhof gänzlich in Ruhe lassen. Was sie etwa brauchen, werde ich ihnen aus Mitrun geben, wo mehr brauchbares Gut sich vorfindet, als jemals in Wolmontowitsch war. Und sollte Herr Kmiziz hierher zurückkehren, so sollen sie auch ihn in Ruhe lassen, bis das Urteil gefällt ist, ihn auch nicht an der Gesundheit schädigen, denn merkt euch, daß nur, so lange er lebt, ihr ein Recht habt, auf Schadenersatz zu dringen.«

So sprach das kluge Fräulein mit dem gereiften Verstande und die Geschädigten lobten ihre Weisheit, nicht beachtend, daß die Verzögerung ebenso gut dem Herrn Andreas von Nutzen sein könne und – zum Wenigsten – sein Leben sicherte. Vielleicht wollte auch Olenka dieses unglückselige Leben vor einem plötzlichen Ende bewahren? Genug, der Klein-Adel gehorchte ihr, denn er war von uralten Zeiten her daran gewöhnt, alles, was aus dem Munde der Billewitsch kam, wie das Evangelium heilig zu halten. Lubitsch blieb unberührt, und Herr Andreas hätte, wenn er sich dort gezeigt hätte, in aller Ruhe dort wohnen können.

Aber er kam nicht. Etwa ein und einen halben Monat später erschien dafür bei dem Fräulein ein Bote, ein ganz fremder Mensch, mit einem Briefe. Der Brief war von Kmiziz und enthielt folgendes:

»Von Herzen geliebte, teuerste und ewig betrauerte Olenka! Es ist jedem irdischen Geschöpf, besonders aber dem Menschen, und sei es der elendeste, der Drang angeboren, für erlittenes Unrecht sich zu rächen und denjenigen, welche ihm Böses zugefügt, mit Bösem heimzuzahlen. Gott ist mein Zeuge, daß, da ich diese stolzen Adligen überfiel, dies nicht ein Gefallen an der Grausamkeit war, sondern darum, weil sie meine Gefährten, wider alles göttliche und Menschenrecht, ohne ihrer Jugend und hohen Geburt zu achten, unbarmherzig eines so grausamen Todes hingemordet haben, wie dies selbst die Kosaken und Tartaren nicht gethan hätten. Ich will nicht leugnen, daß eine unnatürliche Wut mich beherrschte; aber wer würde eine Wut verdammen, die ihren Ursprung in dem vergossenen Freundesblute fand? Die Geister meiner in Gott ruhenden Gefährten Kokosinski, Ranizki, Uhlick, Rekutsch, Kulwiez und Zend legten das Racheschwert gerade zu der Zeit in meine Hand, da ich nur – ich schwör' es beim ewigen Gotte – an Frieden und Freundschaft mit dem Landaer Adel dachte und den festen Vorsatz gefaßt hatte, nach Deinen süßen Ratschlägen meinen Lebenswandel völlig zu ändern. Indem Du die Klagen über mich hörst, verwirf auch meine Verteidigung nicht und richte gerecht. Ich bedaure jetzt diese Menschen, denn gewiß sind auch Unschuldige von meiner Rache betroffen, aber der Soldat, wenn es sich darum handelt, Bruderblut zu rächen, vermag nicht die Unschuldigen von den Schuldigen zu trennen und respektiert nichts. Ich wünsche, es wäre niemals geschehen, was mir in Deinen Augen schaden konnte. Für fremde Schuld und Sünden, für meinen gerechten Zorn trifft mich die schwerste Buße; denn indem ich Dich verliere, schlafe ich ein, Verzweiflung im Herzen, und erwache verzweifelt, da ich weder Dich noch meine Liebe zu Dir vergessen kann. Mögen alle Tribunale mich Unglückseligen verdammen, mögen die Landtage mein Urteil bestätigen, mögen sie mich für ehrlos erklären, möge die Erde mich verschlingen, alles will ich ertragen, alles über mich ergehen lassen, nur Du – beim barmherzigen Gotte – verstoße mich nicht aus Deinem Herzen. Ich will alles thun, was sie wollen, ich will ihnen Lubitsch und nach der Auseinandersetzung mit dem Feinde auch meine Güter im Orschanschen geben; in den Wäldern habe ich Beuterubel vergraben, auch die sollen sie haben, wenn Du nur mir sagst, daß Du mir die Treue bewahrst, wie der selige Großvater es Dir gebot. Du hast mir das Leben gerettet, so rette auch meine Seele, laß mich das Unrecht wieder gut machen, laß mich einen besseren Lebenswandel anfangen, denn das weiß ich, wenn Du mich verlassest, so verläßt mich auch Gott, und die Verzweiflung treibt mich dann zu noch schlimmeren Thaten ...«

Wer vermöchte zu erraten, zu erkunden, wie viele Stimmen des Mitleids und der Fürsprache für Herrn Andreas in der Seele des Mädchens sich regten. Die Liebe kommt wie ein Samenkörnlein aus dem Walde eilig dahergeflogen; wenn sie aber, ein Baum, im Herzen großgewachsen ist, dann kann man sie nur mit dem Herzen zugleich herausreißen. Das Fräulein Billewitsch gehörte zu denen, die stark und ehrlich lieben, darum benetzte sie den Brief des Herrn Kmiziz mit Thränen. Aber sie durfte doch nicht beim ersten Worte alles vergessen und vergeben. Gewiß war die Reue Kmiziz' eine aufrichtige, aber seine wilde Seele, seine ungezügelte Natur hatten sich durch die letzten Ereignisse wohl nicht so sehr geändert, daß man ohne Sorgen an die Zukunft denken konnte. Nicht der Worte, sondern der Thaten bedurfte es für die Zukunft von seiten des Herrn Andreas. Uebrigens – wie wäre es möglich gewesen, zu einem Menschen, welcher die ganze Gegend bluten gemacht, dessen Name an beiden Ufern der Lauda nur zugleich mit Verwünschungen genannt wurde, zu sagen: »Komme wieder, für die Toten, für Brand, Blut, Menschenthränen will ich dir meine Liebe, meine Hand schenken.«

Sie schrieb ihm also:

»Sofern ich Euch sagte, daß ich Euch nicht kennen und sehen will, so beharre ich bei meiner Aussage, und sollte mir das Herz darüber springen. Das Böse, das Ihr hier gethan habt, läßt sich weder mit Geld noch mit Gut wieder gut machen, denn das vermag nicht, Tote aufzuwecken. Ihr habt auch nicht Euer Vermögen verloren, sondern Eure Ehre. Sofern Euch der Klein-Adel, den Ihr gemordet und gebrandschatzt habt, vergiebt, so vergebe auch ich Euch. Möge er Euch empfangen, so empfange auch ich Euch; möge er zum Fürsprecher für Euch werden bei mir, so werde ich ihn erhören. Und – da dieses niemals stattfinden kann, so müßt Ihr anderswo Euer Glück suchen, vor allem aber Gottes und nicht der Menschen Vergebung erbitten, da Euch diese viel mehr Not thut.«

Fräulein Alexandra benetzte jedes Wort dieses Briefes mit heißen Thränen, sie versiegelte ihn mit dem Petschaft der Billewitsch und trug ihn selbst zu dem Boten.

»Woher bist du?« fragte sie, die seltsame Gestalt dieses Halb-Bauer, Halb-Diener mit forschendem Blicke betrachtend.

»Aus dem Walde, Fräulein.«

»Und wo ist dein Herr?«

»Das ist mir nicht erlaubt zu sagen ... aber er ist weit von hier; ich ritt in fünf Tagen hierher und habe das Pferd dabei ruiniert.«

»Hier, hast du einen Thaler!« sagte Olenka. »Dein Herr ist doch nicht krank?«

»Der Ritter ist gesund wie ein Bär.«

»Leidet er auch keine Not?«

»Er ist ein reicher Herr.«

»Geh' mit Gott.«

»Ich falle dem Fräulein zu Füßen.«

»Sage dem Herrn – warte – sage dem Herrn ... Gott möge ihn behüten.«

Der Bauer ging. Wieder verflossen Tage, Wochen ohne ein Lebenszeichen von Kmiziz. Dafür kamen Nachrichten aus der Oeffentlichkeit, eine immer unglücklicher als die andere. Das russische Heer unter Chowanski überzog immer mehr die ganze Republik. Abgesehen von den ukrainischen Ländereien waren im Großherzogtum allein die Wojewodschaften Potozk, Smolensk, Witebsk, Mschzislaw, Minsk und Nowogrod besetzt. Nur ein Teil der Wilnaer, Litauisch-Brest, Trozk und die Smudzer Starostei atmete noch frei, aber man erwartete täglich die feindlichen Gäste.

Die Republik hatte ersichtlich den Höhepunkt ihrer Kraftlosigkeit erreicht, da sie nicht mehr imstande war, denjenigen Elementen Widerstand entgegen zu stellen, welche sie bisher immer gering geschützt und sieghaft überwunden hatte. Freilich wurden diese Elemente durch den noch immer nicht völlig erloschenen und wie eine hundertköpfige Hydra immer von neuem sich erhebenden Aufstand Chmielnizkis unterstützt. Aber trotz dieses Aufstandes, trotz der Erschöpfung der Kräfte in den vorhergegangenen Kriegen, war das Großherzogtum allein imstande, nicht nur dem Andrang Halt zu gebieten, sondern die siegreichen Fahnen bis hinter die eigene Landesgrenze hinauszutragen. So hatten erfahrene Krieger und Statistiker die Thatsache festgestellt. Unglücklicherweise stand der innere Unfrieden dieser Möglichkeit im Wege, indem er sogar die Bemühungen selbst derjenigen Bürger paralysierte, welche bereit waren, Gut und Leben dem Vaterlande zum Opfer zu bringen.

Unterdessen bargen sich in den noch unbesetzten Länderstrichen Tausende von Flüchtigen sowohl vom Adel als vom gemeinen Volke. Die Städte, Städtchen und Dörfer der Smudz waren überfüllt von Menschen, welche das Kriegsunglück um Hab und Gut und zur Verzweiflung gebracht hatte. Die dort Eingesessenen waren nicht mehr imstande, allen Unterkommen und ausreichende Nahrung zu geben: so starben denn viele Hungers, besonders aus den niederen Ständen. Oft wurde mit Gewalt genommen, was man ihnen freiwillig zu geben verweigerte, daher entstanden Unruhen, Kämpfe und Schlägereien immer öfterer.

Der Winter war außerordentlich hart. Der April kam endlich, aber der Schnee lag noch hoch, nicht nur in den Wäldern, sondern auch auf den Feldern. Als die vorjährigen Vorräte ihr Ende erreicht hatten und noch keine frischen da waren, da fing der Hunger, dieser Bruder des Krieges, an zu wüten. Und seine Herrschaft breitete sich immer weiter aus. Man fand, wenn man die Häuser verließ, in den Feldern nicht selten Menschenleichen, ebenso Erfrorene an den Wegen, denen die Wölfe schon halb das Fleisch von den Knochen genagt hatten. Diese Tiere hatten sich so außerordentlich vermehrt, daß sie scharenweise die Dörfer und Gehöfte umschlichen. Ihr Geheul mischte sich mit den menschlichen Rufen um Barmherzigkeit; in den Wäldern und Feldern, dicht bei den Dörfern leuchteten nämlich des Nachts Feuer, an welchen die Armen ihre durchfrorenen Glieder wärmten. Kam jemand vorüber, so liefen sie ihm in den Weg, um Geld, Brot und Barmherzigkeit bettelnd, jammernd, fluchend und drohend zugleich. Eine abergläubische Furcht benahm den Menschen den Verstand. Viele behaupteten, daß diese Kriege, dieses Unglück, wie es bisher noch nie dagewesen, sich an den Namen des Königs knüpfe. Man erklärte sich nur zu gern die Buchstaben: J. C. R., welche auf den kleinen Münzen ausgeschlagen waren, nicht bloß Joannes Casimirus Rex, sondern viel lieber Initium Calamitatis Regni. Und wenn schon in den vom Kriege noch nicht überzogenen Provinzen eine solche Panik und Unordnung herrschte, was geschah da erst in denjenigen, welchen der Krieg bereits seine feurigen Spuren aufgedrückt hatte? Die ganze Republik war aufgelöst in sich gegenseitig befehdende Parteien, krank, fiebernd, wie ein Mensch in der Sterbestunde. Man sagte auch neue innere und äußere Kriege voraus. An Anlässen dazu fehlte es nicht. Verschiedene mächtige Häuser der Republik, welche der Sturm der Streitigkeiten mit fortgerissen hatte, betrachteten sich gegenseitig wie feindliche Mächte und mit ihnen bildeten ganze Länderstriche, ganze Kreise feindliche Heerlager. So hatte in Litauen ein Streit zwischen dem Großhetman Janusch Radziwill und dem Feldhauptmann und gleichzeitigen Unterkämmerer des Großfürstentums Litauen fast die Gestalt eines offenen Krieges angenommen. Auf seiten des Unterkämmerers standen die mächtigen Sapiehas, denen die große Macht des Radziwillschen Hauses längst ein Dorn im Auge war. Die Parteigänger belasteten den Großhetman mit schweren Vorwürfen; sie behaupteten, daß er, nur auf seinen eigenen Ruhm bedacht, das Heer bei Schklow dem Verderben, das Land dem Feinde zur Beute preisgegeben habe, daß ihm die Erlangung des Rechtes für sein Haus zur Teilnahme an den Sitzungen des Landtages im deutschen Kaiserreich mehr am Herzen liege, als das Glück der Republik, ja, daß er sogar an den Besitz der Königskrone dächte und die Katholiken verfolge ...

Oft genug schon kam es zu Gefechten zwischen den beiden Parteien, vorgeblich ohne Wissen und Willen ihrer Patrone; die Patrone aber verklagten einander in Warschau, ihre Zänkereien wurden zum Gegenstand von Verhandlungen auf den Landtagen – an Ort und Stelle unterstützten sie den Uebermut und sicherten ihm Straflosigkeit, denn ein Kmiziz durfte des Schutzes eines dieser beiden Potentaten sicher sein, sobald er sich auf die Seite des einen gegen den anderen stellte.

Und inzwischen drang der Feind ungehindert vor, nur hier und da auf befestigte Schlösser stoßend, gemächlich das Land überflutend.

Unter solchen Verhältnissen mußten auch die Laudaer wachsam und fortwährend unter den Waffen sein; besonders, da die Hetmane nicht in der Nähe waren. Denn diese plänkelten beide sich mit dem Feinde herum, ohne viel auszurichten, aber dennoch ihm den Eintritt in die bis jetzt noch freien Wojewodschaften wehrend. Auch Paul Sapieha allein leistete ihm ruhmvollen Widerstand. Janusch Radziwill, ein berühmter Krieger, dessen Name allein, bis zur verlorenen Schlacht bei Schklow, dem Feinde Schrecken eingejagt hatte, errang sogar einige größere Vorteile. Gosiewski schlug sich bald herum, bald versuchte er, durch Verträge das weitere Vordringen desselben aufzuhalten. Beide Führer beriefen alle Krieger aus den Winterquartieren und wo sie diese nur herbekommen konnten, zu sich, voraussehend, daß zum Frühjahr der Krieg von neuem losbrechen würde. Aber das Heer war zu klein, die Schatzkammer leer und das allgemeine Aufgebot konnte aus den okkupierten Wojewodschaften nicht herangezogen werden, da der Feind die Leute zurückhielt. »Man hätte vor der Schlacht bei Schklow daran denken sollen,« sagten die Gostschiewitsche, »jetzt ist es zu spät.« Es war auch wirklich zu spät. Das Kronenheer konnte nicht zu Hilfe kommen, es war in der Ukraine und hatte schwere Arbeit gegen Chmielnizki, Scheremet und Baturlin.

Nur die Nachrichten von den Heldenthaten, welche aus der Ukraine kamen, von den eingenommenen Städten und nie dagewesenen Feldzügen munterten etwas die mutlosen Herzen auf und gaben ihnen neue Widerstandslust. Laut wurden denn auch die Namen der beiden Kronenhetmane gerühmt; neben ihnen erklang auch immer öfter von allen Lippen der Name Stefan Tscharniezkis, aber der Ruhm der Führer konnte den Mangel eines genügenden Heeres, sowie die Hilfe der königlichen Truppen nicht ersetzen. So zogen denn die litauischen Hetmane sich allmählich zurück, unterwegs ihre Zänkereien unaufhörlich fortsetzend.

Endlich langte Radziwill in Smudz an. Mit ihm kehrte im Laudaschen momentaner Friede ein. Nur in den Städten erhoben die Anhänger des Kalvinismus, ermutigt durch die Nähe ihres Oberhauptes, die Köpfe hoher, indem sie die Kirchen überfielen und ihnen allen möglichen Schaden zufügten. Dafür zogen sich aber die Anführer verschiedener Volontarier und Parteien, die – niemand wußte, woher sie kamen – unter den Farben Radziwills, Goschewskis oder Sapiehas das Land verwüsteten, in die Wälder zurück und die friedliebenden Menschen konnten erleichtert aufatmen. Da bekanntlich der Uebergang von der Verzweiflung zur Hoffnung ein leichter ist, so kehrte denn auch plötzlich ein regerer Geist in der Lauda ein. Fräulein Alexandra saß still in Wodockt. Herr Wolodyjowski, welcher noch immer in Pazunel wohnte und jetzt allmählich seine Gesundheit wiederkehren fühlte, verbreitete die Nachricht, daß im Frühjahr der König mit seinen Fahnen kommen und darauf der Krieg sogleich eine andere Wendung nehmen werde. Der ermutigte Adel fing an, mit den Pflügen in das Feld zu ziehen. Der Schnee begann auch zu schmelzen und an den Birken zeigten sich die ersten Triebe. Die Lauda trat aus und goß ihre Wasser weit über ihre Ufer hinaus. Ein heiterer Himmel leuchtete über der Gegend; ein besserer Geist hatte die Herzen der Menschen beseelt.

Da ereignete sich etwas, was die Stille und den Frieden der Lauda wieder trübte, die Hände von den Pflugscharen riß und nicht gestattete, daß die Säbel vom Rost bezogen wurden.

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