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Wenn die wärmeren Strahlen der Sonne durch den Schleier der Winterwolken zu dringen beginnen, wenn die ersten Triebe an den Bäumen sich zeigen und der grüne Flaum des Getreides auf den feuchten Feldern sprießt, zieht auch neue Hoffnung in die Herzen der Menschen. Aber der Frühling des Jahres 1655 brachte den bekümmerten Bewohnern der Republik nicht den gewohnten Trost. Die ganze Ostgrenze derselben, vom Norden bis an die wilden Felder im Süden, war wie mit einem feurigen Bande umfaßt, die Regenströme der Frühlingszeit vermochten nicht, diesen roten Schein zu verlöschen, er breitete sich immer mehr aus und umfaßte immer größere Strecken. Außerdem zeigten sich am Firmament noch andere schlimme Zeichen, welche noch größeres Unglück und Elend prophezeiten. Ab und zu bildeten sich aus den am Firmament hinjagenden Wolken hohe Türme, gleichsam Festungsflanken, welche dann mit großem Gepolter zusammenstürzten. Blitze fuhren auf die noch schneebedeckte Erde hernieder, die Kiefernwälder verloren ihre grüne Farbe, die Aeste der Bäume nahmen wunderliche krankhafte Formen an, die Tiere und Vögel fielen einer unbekannten Krankheit zum Opfer. Endlich sah man auf der Sonne seltsame Flecken, welche die Formen einer den Reichsapfel haltenden Hand, eines durchstochenen Herzens und eines Kreuzes hatten.
Die Gedanken der Menschen wurden immer düsterer und die Klosterbrüder erschöpften sich in Mutmaßungen, was jene Zeichen zu bedeuten hätten. Eine seltsame Unruhe hatte alle Herzen befallen. Man prophezeite neue Kriege und plötzlich verbreitete sich, Gott weiß woher, das Gerücht von Mund zu Mund in Dörfern und Städten, daß von Schweden her das Unwetter nahe. Scheinbar bestätigte dieses Gerücht jedoch nichts, denn der mit Schweden geschlossene Waffenstillstand war noch auf sechs Jahre hinaus gültig. Dennoch sprach man von einer Kriegsgefahr auch auf dem Landtage, welchen König Johann Kasimir am 19. Mai in Warschau zusammenberufen hatte.
Immer unruhiger richteten sich die Blicke auf Großpolen, wo das Unwetter zuerst losbrechen mußte. Leschzynski, der Wojewode von Lentschütz, und Naruschewitz, der Feldschreiber von Litauen, reisten als Botschafter nach Schweden, aber ihre Abreise vermehrte nur die Unruhe und Besorgnis in den Herzen.
»Diese Botschaft riecht nach Krieg,« schrieb Janusch Radziwill.
»Wenn von dorther nicht etwas drohte, wozu würde man die Botschafter denn hinschicken!« sagten andere. »Ist doch eben erst der vorige Botschafter Kanezyl aus Stockholm zurückgekehrt; wahrscheinlich hat er nichts ausgerichtet, da man gleich nach ihm so angesehene Senatoren aussendet.«
Verständige Menschen wollten trotzdem noch nicht an einen Krieg glauben.
»Die Republik hat keine Veranlassung zum Bruch des Waffenstillstandes gegeben,« meinten sie. »Wie könnte man Verträge so mit Füßen treten, die heiligsten Versprechungen brechen und nach Räuberart den sicher gemachten Nachbar überfallen? Ueberdies hat Schweden noch nicht die bei Kirchholm, Puzk und Schönlanke erhaltenen Wunden verschmerzt. Ist doch Gustav Adolf, welcher in ganz Europa keinen ebenbürtigen Gegner fand, dem Herrn Koniezpolski erlegen. Die Schweden werden ihren großen, weltberühmten Kriegsruhm nicht aufs Spiel setzen einem Gegner gegenüber, welchem sie noch nie Stand zu halten vermochten. Es ist wahr, die Republik ist durch die Kriege geschwächt, aber Preußen und Großpolen, welche in den letzten Kriegen gar nicht gelitten haben, sind allein im Stande, dieses verhungerte Volk über das Meer an die unfruchtbaren Gestade seines Landes zurückzudrängen. Es giebt keinen Krieg.«
Die Aengstlichen antworteten darauf, daß noch vor dem Landtage in Warschau auf Veranlassung des Königs eine Versammlung in Grodno über die Schutzmaßnahmen an den Grenzen Großpolens beraten habe, daß neue Steuern und Aushebungen angeordnet seien, was man doch, ohne die Nähe der Gefahr, nicht thun würde.
So schwankten die Meinungen zwischen Furcht und Hoffnung, die schweren Sorgen bedrückten die Gemüter, bis endlich ein Umlaufsschreiben Boguslaw Leschzynskis, des Generals von Großpolen, dieser Ungewißheit ein Ende machte. Dasselbe ordnete eine allgemeine Aushebung und Stellung des Adels der Wojewodschaften Posen und Kalisch, zum Schutze der Grenzen, gegen das drohende schwedische Unwetter an.
Es war nun außer allem Zweifel. Der Ruf »Krieg!« scholl durch ganz Großpolen und durch alle Länder der Republik. Es drohte nicht nur ein Krieg, sondern ein neuer Krieg, denn Chmielnizki, unterstützt von Buturlin, bedrohte im Osten und Süden, Chowanski und Trubetzki im Osten und Norden das Land, jetzt kam der Schwede vom Westen her. Das feurige Band hatte sich in einen feurigen Kreis verwandelt. Das Land war rings wie ein Lager eingeschlossen. Und im Lager selbst ging es schlimm her. Ein Verräter, Radziejowski, war bereits in die Zelte der Feinde übergesiedelt. Er führte sie der sicheren Beute entgegen, er zeigte ihnen die schwache Seite der Republik, er sollte die Räuberbanden führen. Auch außerdem fehlte es nicht an Unzufriedenen und Neidern. Es fehlte nicht an Magnaten, die untereinander haderten oder wegen nicht verliehener Aemter mit dem Könige zürnten und jeden Augenblick bereit waren, ihre Privatangelegenheiten öffentlich auszufechten. Es fehlte auch nicht an Dissidenten, welche ihren Triumph über dem Grabe des Vaterlandes zu feiern begehrten, und dann gab es auch Uebermütige, Träge und Faule in Menge, die nur sich selbst, ihre Bequemlichkeit und ihre Reichtümer liebten.
Doch sparten die begüterten und von Kriegen noch verschont gebliebenen Ländereien Großpolens kein Geld zum Schutze des Vaterlandes. Die Städte und Adelssitze stellten Fußsoldaten, so viele man verlangte, und ehe der Adel selbst in eigener Person in das Lager zog, gingen ihm schon die bunten Regimenter der Hufensoldaten voran unter der Führung von Rittmeistern, Leute, welche vom Landtage dazu ausersehen und in der Kriegskunst wohlgeübt waren.
So führte Herr Stanislaus Dembinski die Posener Hufsoldaten, Herr Wladislaus Wlostowski die Kostener und Herr Golz, ein berühmter Soldat und Ingenieur, die von Walezk. Ueber die Kalischer Bauern schwang den Rittmeisterstab Herr Stanislaus Skrzetuski aus dem Geschlecht berühmter Krieger, ein Vetter des Helden von Sbarasch, Johann Skrzetuski. Herr Kaspar Rzychlinski führte die Müller und Schulzen von Konin an. Von Peisern her kam Herr Stanislaus Jaratschewski gezogen, der seine jungen Jahre in ausländischen Kriegen zugebracht hatte, dann Herr Peter Skoraschewski von Exin und Herr Kostezki von Nakel her. Niemand kam aber an Erfahrung dem Herrn Wladislaus Skoraschewski gleich, dessen Stimme im Kriegsrat sogar vom General von Großpolen und von den Wojewoden gehört wurde.
An drei Stellen – bei Schneidemühl, Uschz und Filehne – zogen die Rittmeister einen Schutzgürtel an der Netze und erwarteten dann die Ankunft des Adels, welcher ebenfalls zur allgemeinen Aushebung berufen war. Die Infanteristen schütteten vom Morgen bis zum Abend Wälle auf, sich beständig umschauend, ob die sehnlich erwartete Reiterei noch nicht im Anzuge sei.
Endlich kam der erste der Würdenträger, Herr Andreas Grudzinski, der Wojewode von Kalisch und nahm Quartier im Hause des Bürgermeisters, samt seinem großen, in blaue und weiße Farben gekleideten Gefolge. Er hoffte, daß der Adel von Kalisch sich ihm bald zugesellen werde, als das jedoch nicht geschah, schickte er nach dem Rittmeister, Herrn Skrzetuski, welcher am Flusse bei den Schanzen beschäftigt war.
»Wo sind meine Leute?« fragte er nach der ersten Begrüßung den Rittmeister, welchen er von Kindesbeinen an kannte.
»Welche Leute?« fragte Herr Skrzetuski.
»Das allgemeine Aufgebot von Kalisch!«
Ein halb verächtliches, halb schmerzliches Lächeln erschien auf dem gebräunten Antlitz des Soldaten.
»Erlauchter Herr Wojewode!« sagte er, »es ist jetzt die Zeit der Schafschur und für schlecht gewaschene Wolle zahlt man in Danzig nichts. Jeder der kleinen Herren steht jetzt am Teiche bei der Schafwäsche oder an der Wollwage und denkt mit Recht, daß die Schweden nicht fortlaufen.«
»Wie das?« entgegnete der Wojewode bekümmert. »Ist noch niemand hier?«
»Außer den Hufsoldaten zu Fuß ist keine Seele gekommen. Dann ist die Ernte nahe. Ein guter Wirt verläßt um diese Zeit seine Wirtschaft nicht.«
»Was sagt ihr mir da?«
»Und die Schweden laufen nicht fort, die kommen unterdessen allgemach näher,« wiederholte der Rittmeister.
Das pockennarbige Gesicht des Wojewoden wurde plötzlich rot.
»Was kümmern mich die Schweden! Es ist mir nur eine Schande den anderen Herren gegenüber, wenn ich allein wie ein abgehackter Finger hier bleibe.«
Skrzetuski lächelte wieder.
»Ew. Gnaden mögen erlauben, daß ich euch sage,« sagte er, »die Schweden sind die Hauptsache, die Schande Nebensache. Uebrigens habt keine Sorge, die Schande bleibt euch erspart, denn weder der Kalischer noch sonst welcher Adel ist gekommen.«
»Sie sind wahnsinnig!« sagte Herr Grudzinski.
»Nein, nicht das. Sie sind nur dessen so sicher, daß, wenn sie nicht zu den Schweden wollen, diese erst recht nicht zu ihnen kommen.«
»Wartet einmal!« sagte Herr Grudzinski.
Und indem er durch Händeklatschen seinen Diener herbeigerufen, befahl er, Tinte, Feder und Papier zu bringen, dann setzte er sich hin und schrieb. Nach einer halben Stunde streute er Sand über die Karte, schnippte ihn mit den Fingern wieder ab und sagte:
»Ich sende ihnen noch eine Aufforderung, sie möchten sich bis spätestens den 27. dieses Monat hier einstellen, und ich denke, daß sie doch bis dahin die Interessen des Vaterlandes nicht vergessen haben werden. Und jetzt sagt mir einmal, ob ihr schon Nachrichten über den Feind habt.«
»Wir haben sie. Wittemberg hat seine Truppen bei Damm zusammengezogen.«
»Sind sie stark?«
»Die Einen sagen, es sind siebzehntausend, andere, es seien noch mehr.«
»Hm! so viele werden der Unsrigen nicht sein. Was glaubt ihr, werden wir sie aufzuhalten vermögen?«
»Wenn der Adel nicht kommt, so ist daran gar nicht zu denken.«
»Sie werden kommen! Warum sollten sie denn nicht? Es ist eine altbekannte Sache, daß der Adel immer brummt, wenn das allgemeine Aufgebot erscheint. Werden wir mit dem Adel stark genug sein?«
»Wohl kaum,« sagte Skrzetuski kühl. »Erlauchter Wojewode, wir haben ja gar keine Soldaten.«
»Wie? keine Soldaten?«
»Ew. Gnaden wissen so genau als ich, daß alles, was Soldat heißt, in der Ukraine steckt. Man hat uns kaum zwei Fahnen hierhergeschickt, und Gott weiß, welche Gefahr jetzt die drohendere ist.«
»Aber die Infanterie, das allgemeine Aufgebot?«
»Auf zwanzig Männer kommt kaum einer, welcher den Krieg gesehen hat, und von zehnen weiß kaum einer, wie eine Büchse gehalten wird. Nach dem ersten Kriege werden sie alle gute Soldaten sein, aber nicht jetzt. Und was das allgemeine Aufgebot betrifft, so mögen Ew. Gnaden einen jeden fragen, der nur etwas vom Kriegshandwerk versteht, ob dasselbe einer regulären Truppe Stand halten kann, noch dazu einer solchen wie die schwedische, in welcher lauter Veteranen aus dem lutherischen Kriege dienen, die so sieggewohnt sind.«
»So hoch stellt ihr die Schweden über die Unsrigen?«
»Ich stelle sie nicht über die Unsrigen, denn wenn wir hier fünfzehntausend solcher hätten, wie die in Sbarasch waren, ich würde sie nicht fürchten. Mit diesen hier aber – nun, gebe es Gott, daß wir etwas Bedeutenderes schaffen.«
Der Wojewode stützte die Hände auf die Kniee und blickte scharf in die Augen Skrzetuskis, als wollte er dort irgend einen verborgenen Gedanken herauslesen.
»Wozu sind wir denn hier? Denkt ihr nicht auch, daß es besser wäre, sich zu ergeben?«
Herr Stanislaus errötete und sagte:
»Wenn mir ein solcher Gedanke je käme, so laßt mich auf den Pfahl ziehen, Ew. Gnaden. Ich antworte nur auf die Frage, ob ich an einen Sieg glaube, als Soldat: ich glaube nicht daran! aber wozu wir hier sind, das ist eine andere Frage, die ich als Bürger beantworte. Wir sind hier, um dem Feinde den ersten Stoß zu versetzen, ihn mit unseren Leibern aufzuhalten, so lange noch ein Mann da ist, um dem Lande Zeit zu lassen, sich zu sammeln und sich dem Feinde entgegenzustellen!«
»Das ist eine lobenswerte Absicht, Herr,« antwortete der Wojewode kühl. »Es ist aber für euch Soldaten leichter, vom Tode zu reden, als uns, auf die die ganze Verantwortlichkeit wegen so vielen, umsonst vergossenen adeligen Blutes fällt.«
»Dazu hat ja der Adel Blut, um es zu vergießen.«
»Das ist wahr! Wir sind alle bereit, zu sterben, denn das ist schließlich das Leichteste. Dennoch gebietet uns, welche die Vorsehung nun einmal zu Oberhäuptern eingesetzt hat, die Pflicht, nicht blos den eigenen Ruhm zu suchen, sondern uns nach der Nutzbarkeit desselben umzusehen. Der Krieg ist so wie begonnen, das ist wahr, aber Karolus Gustavus ist doch ein Verwandter unseres Herrn und muß das berücksichtigen. Deshalb gehört es sich, daß wir es mit den Verträgen versuchen; oftmals richtet man mit dem Worte mehr aus als mit dem Schwert.«
»Das geht mich nichts an!« sagte Herr Stanislaus trocken.
Der Wojewode mußte dasselbe denken, denn er nickte nur mit dem Kopfe und verabschiedete den Rittmeister.
Skrzetuski hatte nur teilweise recht behalten in Bezug auf das, was er über die Nachlässigkeit des Adels hinsichtlich des allgemeinen Aufgebotes gesagt. Es war ja eine Thatsache, daß vor Beendigung der Schafschur fast niemand in das Lager zwischen Filehne und Uschz kam; aber um den 27. Junius, das war der in dem neuen Aufruf angesetzte Termin, begann ein lebhafter Zuzug. Täglich verkündeten große Staubwolken, welche infolge des anhaltend trockenen und schönen Wetters aufwirbelten, das Annähern neuer Zuzüge. Und der Adel kam mit aller Pracht zu Pferde und zu Wagen, mit Gefolge und Dienerschaft und Kredenztischen, mit Wagen und einer Menge Dinge zur Bequemlichkeit darauf. Auch mit Waffen aller Gattungen waren sie so belastet, daß mancher dreifache Last zu tragen hatte von den Spießen, Büchsen, Degenkoppeln, Säbeln, Rapieren bis zu den schon zu damaliger Zeit gebräuchlichen Husarenhämmern, welche zum Schärfen der Säbel dienten. Alte Praktiker erkannten schon an dieser Bewaffnung Menschen, welche mit Kriegsbrauch nicht bekannt und völlig in der Kriegsführung unerfahren waren.
Von allem Adel, welcher die weiten Flächen der Republik bewohnte, war derjenige Großpolens am wenigsten kriegerisch gesinnt. Tartaren, Türken und Kosaken hatten diese Gegenden noch niemals betreten; seit den Zeiten der Kreuzritter hatte man fast vergessen, wie ein Krieg im Lande aussieht. Wer vom Adel Großpolens kriegerische Gelüste verspürte, ließ sich in die Stammrolle des Kronenheeres eintragen und stellte dort seinen Mann wie jeder andere. Dagegen hatten diejenigen, welche ein häusliches Leben vorzogen, sich in richtige Hausunken verwandelt, die den Wohlstand und die Bequemlichkeit liebten, sich zu berühmten Wirtschaftern ausbildeten und die Märkte der preußischen Städte mit ihrer Wolle und besonders mit ihrem Getreide überschwemmten.
Jetzt also, wo das nahende schwedische Unwetter sie ihren friedlichen Beschäftigungen entriß, meinten sie, daß man zum Kriege sich nicht genug mit Waffen und allerhand Vorräten versehen konnte, auch daß man nicht genug Dienerschaft mitnehmen könne, welche die Leiber und die Gerätschaften ihrer Herren schützen sollten. Das waren wunderliche Soldaten, mit denen die Rittmeister nicht leicht fertig werden konnten. Es kam vor, daß die einen sich zum Dienste meldeten mit neunzehn Fuß langen Spießen und einem Brustpanzer bewaffnet, aber mit einem Strohhute auf dem Kopfe; »der Kühle wegen«, wie sie sagten; andere klagten während der Uebungen über die Hitze, gähnten, aßen oder tranken, wieder andere riefen nach ihren Burschen und alle betrachteten es als nichts Ungehöriges, in Reihe und Glied so laut zu plaudern, daß niemand das Kommando der Offiziere verstehen konnte. Eine verständige Disziplin war sehr schwer herzustellen, da die Meisten dieselbe als eine Beleidigung ihrer Würde betrachteten. Man hatte zwar die »Kriegs-Artikel« verlesen, aber niemand beachtete sie.
Eine eiserne Fessel besaß dieses Heer in der unzähligen Menge von Wagen, Zug- und Handpferden, Schlachtvieh, und besonders in den Dienern, welche alle die Zelte, Geräte, Hirse und sonstige Gekörnvorräte bewachten und jede lächerlichste Ursache zum Beginn von Streitigkeiten und Unruhestiftereien benutzten.
Und einem solchen Heere zog von Stettin und den Oderniederungen her Arwid Wittemberg entgegen, ein Feldherr, dessen Jugend im dreißigjährigen Kriege verflossen war und der jetzt siebzehntausend Veteranen, in eiserner Disziplin geübt, heranführte. Hier stand das ordnungslose polnische Lager, einem improvisierten Jahrmarkt ähnlich, voller Lärmen, Zänkereien und Disputen über die Anordnungen der Führer und Unzufriedenheit mit denselben, zusammengesetzt aus braven Bauern, die man eilig in Infanteristen verwandelt, aus Herren, welche man direkt von der Schafschur weggeholt hatte. Dort marschierten in drohender Haltung, schweigend, eng geschlossene Kolonnen heran, welche auf einen Wink ihrer Führer mit der Regelmäßigkeit einer Maschine sich in Linien und Halbkreise formierten, Keile und Dreiecke bildeten, so geschickt sich drehten und wendeten wie das Schwert in der Hand des Schlägers. Gespickt mit Speeren und Büchsen, waren das wahrhafte Männer des Krieges, kühl, ruhig, richtige Handwerker, welche es in ihrem Kriegshandwerk zur Meisterschaft gebracht hatten. Wer von den Leuten, die Erfahrung hatten, konnte hier zweifeln, auf welche Seite der Sieg sich neigen mußte.
Dennoch zogen immer mehr Adlige herbei und jetzt kamen auch die Würdenträger Großpolens und anderer Provinzen mit langen Zügen von Leibsoldaten und Dienern. Bald nach dem Herrn Grudzinski langte in Schneidemühl der mächtige Wojewode von Posen, Herr Krystof Opalinski, an. Dreihundert Haiducken in rot-goldenen Farben, mit Musketen bewaffnet, gingen seinem Staatswagen voran. Eine Menge Höflinge und Adel umgaben seine hohe Person; hinter ihm zog eine Abteilung Reiter, in die gleichen Farben wie die Haiducken gekleidet. Der Wojewode selbst saß im Wagen mit seinem Hofnarren Stach Ostroschka, dessen Aufgabe es war, seinen düster gestimmten Herrn aufzuheitern.
Die Ankunft dieses bekannten Würdenträgers flößte allen Herzen Mut ein. Denjenigen, welche die fast monarchische Majestät des Wojewoden, dieses herrliche Antlitz, unter dessen hochgewölbter Stirn ein paar kluge, strenge Augen hervorsahen, und die Senatorenwürde der ganzen Gestalt betrachteten, konnte es kaum in den Sinn kommen, daß angesichts dieser Macht ein Unglück hereinbrechen könnte. Diesen Menschen, welche an Ehrfurcht für hohe Aemter und die sie bekleidenden Personen so sehr gewöhnt waren, schien es, daß selbst die Schweden nicht wagen würden, die gotteslästerliche Hand gegen einen solchen Magnaten zu erheben, und diejenigen, denen ein furchtsames Herz in der Brust schlug, fühlten sich gleich sicherer unter seinen Fittichen. Man begrüßte daher den Wojewoden warm und freudig. Vivatrufe tönten die Straße entlang, auf welcher sich der Zug dem Hause des Bürgermeisters zu bewegte, die Köpfe neigten sich vor dem Wojewoden, welcher, allen sichtbar durch die Scheiben des vergoldeten Wagens, in demselben saß. Diese Grüße erwiderte neben dem Fürsten auch Ostroschka mit solchem Ernst und solcher Würde, als ob sie ihm allein gelten sollten.
Kaum hatte sich der Staub hinter diesem Zuge verzogen, da kamen schon Eilboten mit der Nachricht, daß der Vetter Opalinskis, der Wojewode von Podlachien, Peter Opalinski, mit seinem Schwäher Jakob Rosdraschewski, dem Wojewoden von Inowrazlaw, herannahe. Die führten ein Jeder hundertundfünfzig bewaffnete Männer zu, außer den Höflingen und Dienern. Dann verging kein Tag, an welchem nicht mindestens einer der Würdenträger ankam; so der Oberrichter Tscharnkowski, der Schwager Krystofs und selbst Kastellan von Kalisch, Maximilian Miaskowski, der Kastellan von Kriewen, und Paul Gembizki, der Herr von Meseritz. Das Städtchen füllte sich so mit Menschen an, daß es kaum Häuser genug gab zur Unterbringung der Mannschaften; es sah aus, als wäre in Schneidemühl alles bunte Gevögel der ganzen Republik zusammengeflogen.
Da mischten sich rote, grüne, blaue, himmelbaue und weiße Farben auf den kurzen Röcken, den Oberröcken, den schlichten Röcken der Mannschaften und den Aermelröcken. Denn abgesehen davon, daß jeder Edelmann andere Farben trug, abgesehen von den herrschaftlichen Dienern, kleidete sich auch die Infanterie eines jeden Kreises in andere Farben.
Nun kamen auch die Kaufleute, welche, da sie auf dem Markte nicht Platz finden konnten, eine Reihe von Schuppen in der Nähe des Städtchens aufbauten. Man verkaufte dort Militärgerätschaften, von der Uniform und den Waffen bis zum Proviant. Die Feldküchen rauchten Tag und Nacht und verbreiteten die Düfte des Biges, der Hirsegerichte und der Braten. In anderen wurden Getränke verkauft. Vor den Schuppen wimmelte es von Adligen, die nicht nur mit Schwertern, sondern auch mit Löffeln bewaffnet waren, essend, trinkend und sich unterhaltend, bald vom Feinde, der noch nicht zu sehen war, bald von den herbeikommenden Würdenträgern, bei denen man es an Vorwürfen nicht fehlen ließ. Zwischen diesen Gruppen hindurch ging Ostroschka, gekleidet in ein Gewand, welches aus lauter bunten Läppchen zusammengenäht war, mit einem Szepter in der Hand, an welchem kleine Glöckchen hingen, mit der Miene eines albernen Menschen. Wo er sich blicken ließ, war er bald umringt. Er aber goß überall Oel ins Feuer, half die Würdenträger bekritteln, gab Rätsel auf, über welche die Adligen desto mehr lachten, je bissiger sie waren.
Es wurde niemand damit geschont.
Eines mittags kam der Wojewode von Posen selbst vor die Verkaufsstellen, mengte sich unter die Adligen, sprach gnädig bald mit diesem, bald mit jenem oder mit allen und beklagte sich etwas über den König, daß dieser angesichts der nahen Gefahr auch nicht eine Fahne regulärer Soldaten herschickte.
»Man denkt nicht an uns, meine Herren,« sagte er, »und läßt uns ohne Hilfe. In Warschau erzählt man, daß in der Ukraine ohnehin zu wenig Militär sei, daß die Hetmane den Chmielnizki nicht bezwingen können. Ha! was hilft es! Die Ukraine ist ihnen ersichtlich lieber als Großpolen. Wir sind in Ungnade, meine Herren, in Ungnade! Wie zur Schlachtbank schickt man uns hierher ...«
»Und wer ist Schuld daran?« fragte Herr Schlichting, der Richter von Fraustadt.
»Wer ist Schuld an allem Unglück der Republik?« entgegnete der Wojewode. »Sicherlich nicht wir, Bruder, die wir sie mit unserer Brust schirmen.«
Den horchenden Adligen schmeichelte es sehr, daß der »Graf auf Bnin und Opaleniza« sich auf gleichen Fuß mit ihnen stellte und sie als Bruder anerkannte.
Herr Koschutzki antwortete daher sogleich:
»Erlauchter Wojewode! Wenn die Majestät mehr solcher Räte hätte, wie Ew. Gnaden sind, würde man uns sicher hier nicht einer Metzelei aussetzen. Aber dort sollen ja nur diejenigen regieren, welche sich am tiefsten beugen können.«
»Ich danke euch für das gute Wort, Herr Bruder! Derjenige trägt die Schuld, welcher den schlimmen Räten Gehör schenkt. Unsere Freiheit ist jenen ein Dorn im Auge. Je mehr Edelleute fallen, desto leichter wird es ihnen werden, die absolute Herrschaft einzuführen.«
»Sollen wir nur darum verloren gehen, damit unsere Kinder einst im Joche der Unfreiheit seufzen?«
Der Wojewode antwortete nicht darauf und die Adligen sahen einander gedankenvoll an.
»Also so ist es?« riefen zahlreiche Stimmen. »Also deshalb schickt man uns hierher unter das Messer? Das glauben wir. Nicht erst seit heute wird von der absoluten Herrschaft gesprochen! Aber wenn es sich darum handelt, werden wir auch für unsere Köpfe sorgen!«
»Und für unsere Kinder.«
»Und für unseren Wohlstand, den der Feind mit Feuer und Schwert vernichten wird.«
Der Wojewode schwieg. Er brauchte ein seltsames Mittel, seinen Soldaten Mut zu machen.
»Der König ist an allem schuld!« rief man immer stärker.
»Denkt ihr an die Thaten Johann Albrechts, meine Herren?« fragte der Wojewode.
»Zu seiner Zeit starb der Adel aus! Verrat, ihr Herren Brüder!«
»Der König ist ein Verräter!« rief eine dreiste Stimme.
Der Wojewode schwieg.
Da schlug Ostroschka, welcher neben dem Wojewoden stand, sich mit den Händen einigemale an die Hüften und krähte wie ein Hahn, so durchdringend, daß aller Augen sich ihm zuwendeten. Darauf schrie er:
»Meine Herren! Herzensbrüderchen! Hört einmal ein Rätsel!«
Wie Aprilwetter wandelte sich plötzlich der Zorn dieser Menschen in Neugier und die Lust einen neuen Witz des Narren zu hören.
»Wir hören! Wir hören!« riefen mehrere Stimmen.
Der Narr fing an mit den Augen zu zwinkern wie ein Affe und rezitierte mit weinerlicher Stimme:
»Er freut sich vom Bruder die Krone geerbt zu haben,
Doch ließ mit dem Bruder die eig'ne Ehr' er begraben.
Er wurde berühmt, weil den Kanzler er vertrieben,
Und Kanzler allein – mit der Kanzlerin geblieben.«
»Der König! Der König! Johann Kasimir, wie er lebt!« rief es von allen Seiten.
Und ein ungeheures Gelächter donnerte durch die Versammlung.
»Da schlage doch eine Kugel drein; wie geschickt er das ausgesonnen hat,« riefen die Adligen.
Der Wojewode lachte mit den anderen, dann, als es etwas stiller geworden war, sagte er ernster:
»Und für dieses Werk müssen wir jetzt mit Kopf und Kragen zahlen. Seht, wohin es gekommen ist! Aber hier, Narr, nimm einen Dukaten für das gute Rätsel.«
»Krystoseck, Krschych allerliebster!« antwortete der Narr, »weshalb füllst du andere an, daß sie die Treffer in der Hand halten, wenn du selbst nicht nur mich hältst, sondern sogar für die Rätsel mich besonders bezahlst? Gieb mir noch einen Dukaten und ich sage dir noch ein Rätsel.«
»Ein ebenso gutes?«
»Nur ein längeres ... Gieb den Dukaten im Voraus.«
»Hier, nimm!«
Der Narr schüttelte die Arme wieder, wie der Hahn die Flügel, krähte wieder und rief:
»Meine Herren, hört! Wer ist das?
Er spielt den Kato, sorgt für das eigne Leder
Und zieht vor dem Säbel – die Gänsefeder.
Verräter wollt' er beerben, und da's nicht gelungen,
Hat er die Fehler der Republik besungen.
O, liebt' er den Säbel, zu End' wär' die Fehde,
Denn nicht die Satire fürchtet der Schwede.
Kaum aber er kostet Kriegssorgen ein wenig,
Gleich will er, wie andre, verraten den König.«
Alle Anwesenden errieten dieses Rätsel so gut wie das vorige. Zwei- bis dreimal hörte man ein unterdrücktes Lachen in der Versammlung, dann war es ganz still.
Der Wojewode war rot geworden und seine Verwirrung nahm zu, als er aller Augen auf sich gerichtet sah. Der Narr blickte von einem zum anderen, endlich sagte er:
»Errät keiner der Herren, wer das ist?«
Und als Schweigen die einzige Antwort blieb, da wendete sich Ostroschka mit der frechsten Miene zum Wojewoden:
»Und du, Krschych, du weißt auch nicht, von welchem Halunken hier die Rede war? ... Du weißt es nicht? So zahle einen Dukaten!«
»Hier, nimm!« antwortete der Wojewode.
»Gott bezahl's! ... Sage mir, Krschych, hast du nicht vielleicht dich um die Kanzlerschaft nach dem Radziejowski beworben?«
»Es ist nicht Zeit zu Scherzen,« entgegnete Krystof Opalinski.
Er grüßte alle Anwesenden mit der Mütze:
»Es ist Zeit zum Kriegsrat.«
»Zum Familienrat, wolltest du sagen, Krschych,« setzte Ostroschka hinzu. »Du wirst dort mit den Vettern beraten, wie ihr am leichtesten Fersengeld geben könnt.«
Darauf drehte er sich nach den Adligen um, ahmte den Gruß des Wojewoden nach und sagte:
»Und euch, meine Herren, wird das Vergnügen machen!«
Dann entfernten sich beide. Kaum aber waren sie einige Schritte gegangen, da erscholl mächtiges Lachen und gellte noch lange in den Ohren des Wojewoden, bis es im allgemeinen Lärm des Lagers sich verlor.
Thatsächlich fand ein Kriegsrat statt, welchen der Wojewode von Posen präsidierte. Es war ein seltsamer Rat, denn es beteiligten sich nur solche Würdenträger daran, welche von der Kriegsführung nichts verstanden. Die großpolnischen Magnaten konnten nicht dem Beispiel jener litauischen und ukrainischen »Königskinder« folgen, welche gleich Salamandern in unaufhörlichem Feuer lebten.
Dort war jeder Wojewode oder Kanzler ein Feldherr, welchen der Panzer nie mehr zu verwischende rote Spuren auf den Leibern abgedrückt hatte, denen das Leben in den Steppen und Wäldern des Ostens, unter Ueberfällen, Kämpfen und Hetzjagden, in Lagern und Pferdekoppeln verfloß. Hier gab es nur Würdenträger, die ihre Aemter hüteten und – wenn sie auch in Augenblicken der Not dem allgemeinen Aufgebot Folge leisteten – doch niemals eine hervorragende Stellung in Kriegszeiten einnahmen. Der tiefe Friede hatte den kriegerischen Geist der Nachkommen jener Ritter eingeschläfert, denen selbst die gestählten Scharen der Kreuzritter nicht Stand zu halten vermocht hatten; er hatte sie in Statisten, Gelehrte und Litteraten umgewandelt. Erst die harte Schule der Schwedenkriege sollte sie wieder das lehren, was sie schon vergessen hatten.
Jetzt aber saßen die zum Kriegsrat versammelten Dignitare mit unsicher umherschweifenden Blicken da und jeder fürchtete sich, zuerst das Wort zu ergreifen, und wartete ab, was ihr »Agamemnon«, der Wojewode von Posen, sagen würde.
Dieser »Agamemnon« aber verstand selbst nichts. Er begann seine Rede wiederum mit Klagen über die Undankbarkeit und Trägheit des Königs, über den Leichtsinn, mit welchem man sie und ganz Großpolen vor das Messer stellte. Und wie beredt erschien er, welche majestätische Figur stellte er vor: sie war eines römischen Senators würdig. Das Haupt hatte er beim Sprechen hoch emporgehoben, die schwarzen Augen schossen Blitze, der Mund donnerte und der bereits silbern schimmernde Bart zitterte vor Erregung, wenn er das künftige Elend des Vaterlandes ausmalte.
»Das Vaterland leidet in seinen Söhnen,« sagte er, »und wir hier sind die ersten, welche leiden müssen. Ueber unsere Erde, über unser Privatgut, das die Verdienste und das Blut unserer Vorfahren errungen, wird der Fuß dieser Feinde zuerst hinwegschreiten. Sie nahen uns wie ein Sturmwetter vom Meere her. Und wofür leiden wir? Wofür wird man uns die Heerde nehmen, die Felder verwüsten, die Dörfer niederbrennen, welche unser Fleiß erbaut? Haben wir dem Radziejowski ein Leid zugefügt, diesem Manne, der, mit Unrecht verurteilt, wie ein Verbrecher verfolgt, fremden Schutz suchen mußte. Nein! ... Sind wir es, die verlangen, daß der leere Titel eines Königs von Schweden, welcher schon so viel Blut gekostet, in der Unterschrift unseres Johann Kasimir einen Platz finden soll? ... Nein! ... An zwei Grenzen des Reiches ist der Krieg entbrannt, mußte noch ein dritter hervorgerufen werden? Möge Gott und das Vaterland denjenigen richten, der die Schuld daran trägt! Waschen wir unsere Hände in Unschuld, denn wir sind unschuldig an dem Blute, das vergossen werden wird.«
So wetterte der Wojewode weiter; doch als er zum eigentlichen Zweck der Versammlung kam, da wußte er den gewünschten Rat nicht zu erteilen. Man sandte also nach den Rittmeistern der Hufensoldaten, insbesondere nach Herrn Wladislaus Skoraschewski, welcher nicht nur ein unvergleichlicher Ritter, sondern auch ein alter Kriegspraktiker war, welcher den Krieg in- und auswendig kannte. Sein Rat wurde von allen Heerführern gern gehört, um so bereitwilliger verlangte man jetzt darnach.
Herr Skoraschewski riet nun, drei Lager aufzuschlagen, eines bei Schneidemühl, eines bei Filehne und das dritte bei Uschz, so nahe also bei einander, daß im Falle eines Ueberfalles sie sich gegenseitig Hilfe leisten konnten. Außerdem sollte der ganze Raum am Fluß entlang in Bogenschußweite von den Lagern entfernt durch aufgeschüttete Schanzen eingesäumt werden, welche auch den Brücken und Fähren Schutz gewähren mußten.
»Wenn es sich erst zeigt, an welcher Stelle der Feind den Uebergang versuchen wird,« sagte Herr Skoraschewski, »dann wollen wir alle drei Lager zusammenziehen und ihn ordentlich abschrecken. Ich aber möchte, mit Erlaubnis der erlauchten Herren, mit einem kleinen Vortrabe nach Tschaplin gehen. Das ist zwar ein verlorener Posten, ich muß ihn bei Zeiten verlassen, aber ich kann dort am frühesten etwas über das Vorrücken des Feindes erfahren und die Herren davon in Kenntnis setzen.«
Alle stimmten diesen Ratschlägen bei und man begann etwas lebhafter sich im Lager zu regen. Es waren endlich an fünfzehntausend Adlige zusammen gekommen. Die Hufsoldaten arbeiteten an den Schanzen auf einem Raume von sechs Meilen. Uschz, die Hauptstellung, nahm der Wojewode von Posen mit seinen Leuten ein. Ein Teil der Ritter blieb in Filehne, ein anderer Teil in Schneidemühl und Herr Wladislaus Skoraschewski ging nach Tschaplin, um von dort aus den Feind zu beobachten.
Es war im Anfang Juli, die Tage waren gleichmäßig heiß und heiter. Die Sonne brannte in den Ebenen so sehr, daß die Adligen sich in die Wälder flüchteten, wo sie im Schatten der Bäume ihre Zelte aufspannten. Dort richtete man auch lärmende Gastmähler her und noch lärmender benahm sich die Dienerschaft, besonders beim Tränken und Schwemmen der Pferde, welche einige Tausende zusammen, dreimal täglich in die Netze getrieben wurden, unter heftigem Gezanke und Streit um die besten Plätze am Ufer.
Im Anfange herrschte ein mutiger Geist in diesen Heerlagern, trotzdem der Wojewode von Posen selbst dahin wirkte, ihn abzuschwächen. Wäre Wittemberg in den ersten Julitagen hier eingetroffen, so wäre er wahrscheinlich auf harten Widerstand gestoßen, da in dem Maße, wie diese Männer sich für die gute Sache erwärmten, ihr Mut sich bis zur Raserei entflammen konnte, wie frühere Beispiele zur Genüge bewiesen hatten. Floß doch in den Adern auch dieser Menschen Ritterblut, wenn sie auch jetzt vom Kriege entwöhnt waren.
Wer weiß, ob ein zweiter Jeremi Wisniowiezki Uschz nicht in ein zweites Sbarasch verwandelt und den Ruhm der polnischen Ritterschaft mit dem Schwerte auf diesen Schanzen verzeichnet hätte. Leider verstand der Wojewode von Posen nur mit der Feder zu zeichnen, statt mit dem Schwert.
Wittemberg, welcher nicht nur den Krieg kannte, sondern auch ein großer Menschenkenner war, beeilte sich vielleicht absichtlich nicht. Eine langjährige Erfahrung hatte ihn belehrt, daß der neu eingezogene Soldat am gefährlichsten im ersten Augenblick der Begeisterung ist, daß es ihm niemals an Mut, wohl aber an soldatischer Ueberlegung fehlt, welche nur in langer Praxis erworben wird. Er vermag oft wie ein Sturmwind die ältesten Regimenter niederzuwerfen, über ihre Leichen seinen Weg zu nehmen; er ist wie glühendes Eisen, das, so lange es rot ist, lebt, Funken sprüht, brennt und vernichtet, aber sobald es abgekühlt, nur ein lebloser Kloß bleibt.
So kam es auch, daß, nachdem eine und die zweite Woche vergangen war, im Anfange der dritten die lange Thatlosigkeit bereits die Gemüter zu belasten anfing. Die Hitze wurde immer größer. Die Adligen wollten nicht mehr zu den Uebungen ausrücken, indem sie vorgaben, daß die Pferde, von den Bremsen gestochen, nicht still stehen wollten und in dieser sumpfigen Gegend es vor Mücken nicht auszuhalten sei.
Das Gesinde stritt sich immer lauter um schattige Plätze, um welche es bei ihren Herren sogar zu Säbelhieben kam. Bald verließ dieser, bald jener, gegen Abend vom Wasser heimkehrend, heimlich mit seinem Pferde das Lager, um nie wieder dahin zurückzukehren.
Es fehlte auch nicht an bösem Beispiel von oben. Herr Skoraschewski hatte eben aus Tschaplin Botschaft geschickt, daß die Schweden ganz in der Nähe seien, als vom Kriegsrat beschlossen wurde, den Herrn Sigismund Grudzinski aus Grodno, Starosten von Schrimm, nach Hause zu beurlauben, was sein Oheim Andreas, der Wojewode von Kalisch, durchaus verlangte.
»Wenn ich hier schon Hals und Kragen verlieren soll, so mag mein Brudersohn wenigstens meine Ehre und mein Gedächtnis forterben, damit unser Name und Verdienst nicht verloren gehe,« meinte der alte Herr. Er verfiel in eine weinerliche Rührung über die Jugend und Unschuld des Herrn Sigismund und pries die Freigebigkeit, mit welcher er hundert Fußsoldaten, sehr gut ausgestattet, dem Dienste der Republik gestellt habe. Und der Kriegsrat berücksichtigte die Bitten des Oheims.
Am 16. Juli frühmorgens reiste der Starost von Schrimm, von einigen Dienern begleitet, ganz offen aus dem Lager nach Hause ab, am Vorabend fast der Belagerung und Schlacht. Eine Menge Adliger geleitete ihn unter Spottgeschrei aus dem Lager, angeführt von Ostroschka, welcher dem Fortreitenden noch nachrief:
»Mein Herr Starost, ich füge eurem Wappen und Namen noch den Beinamen »Der Feige« hinzu.«
»Vivat Grudzinski der Feige!« schrieen die Adligen.
»Und weint euch nach dem Ohm die Aeuglein nicht aus!« fügte Ostroschka hinzu. »Er hat denselben Widerwillen gegen die Schweden wie ihr und wird, sobald sie sich sehen lassen, ihnen gewiß den Rücken zukehren.«
Dem jungen Magnaten schoß das Blut ins Gesicht, aber er schien die Beschimpfung nicht zu hören und gab dem Pferde die Sporen, drängte sich durch die Menge, um so eilig als möglich aus dem Lager zu kommen. Seine Verfolger fingen nun an, ihn ohne Rücksicht auf seine hohe Geburt mit Erdklößen zu werfen, indem sie riefen:
»Da hast du ein Klößchen, du Kloß! Ah–ho! A Huzia! Hock, hock! Graurock! Katze!«
Es entstand ein solches Getümmel, daß der Wojewode von Posen selbst mit einigen Rittmeistern einschreiten und der Menge erklären mußte, daß der Starost in wichtigen Geschäften nur auf acht Tage beurlaubt sei.
Das Beispiel jedoch hatte gewirkt. Noch am selbigen Tage fanden sich einige hundert Adelige, welche nicht schlechter sein wollten als der Herr Starost, denn sie entflohen unter geringerer Begleitung ganz in der Stille aus dem Lager. Herr Stanislaus Skrzetuski, der Rittmeister von Kalisch, Vetter des berühmten Johann von Sbarasch, raufte sich die Haare, denn auch seine Hufsoldaten fingen, dem Beispiel der Gefährten folgend, bereits an aus dem Lager zu fliehen.
Man berief wieder einen Kriegsrat, an welchem die Menge durchaus teilnehmen wollte. Es folgte eine unruhige Nacht voll Geschrei und Gezänk. Der Ruf: »Entweder alle oder niemand!« lief von Mund zu Mund.
Alle Augenblicke tauchte das Gerücht auf, die Wojewoden beabsichtigten, das Lager zu verlassen; es herrschte eine solche Unruhe, daß die Wojewoden sich wiederholt der empörten Menge zeigen mußten. Einige tausend Männer saßen bis zum Tagesanbruch zu Pferde und der Wojewode von Posen ritt entblößten Hauptes zwischen ihnen umher, einem römischen Senator ähnlich, und wiederholte alle Augenblicke das große Wort:
»Meine Herren! mit euch lebe und sterbe ich!«
Man empfing ihn an einzelnen Stellen mit Vivatrufen, an anderen mit Spottgeschrei. Er aber kehrte, sobald er die Menge beruhigt, in den Rat zurück, müde, heiser, berauscht von der Größe der eigenen Worte und überzeugt, daß er in dieser Nacht dem Vaterlande unbezahlbare Dienste geleistet hatte. Im Rat aber führte er nicht das große Wort; er raufte verzweifelt Bart und Haare und wiederholte fortwährend:
»Ratet, helft, ihr Herren, wenn ihr könnt! ... Ich wasche meine Hände in Unschuld und übernehme keine Verantwortung für das, was kommt, denn mit solchen Soldaten ist eine Verteidigung unmöglich.«
»Erlauchter Wojewode!« entgegnete Herr Stanislaus Skrzetuski. »Der Feind selbst wird den Uebermut und die Unruhe aufheben. Laßt nur erst die Kanonen donnern, laßt es zur Belagerung und zum Kampf kommen, so werden dieselbigen Adeligen im Interesse des eigenen Lebens auf den Wallen kämpfen, anstatt sich im Lager herumzutreiben. So war es schon immer!«
»Womit sollen wir uns wehren? Kanonen giebt es nicht. Wir haben nur unsere Vivat-Mörser, welche gut zu Freudenschüssen während eines Gastmahls sind.«
»Chmielnizki hatte bei Sbarasch siebzig Geschütze und der Fürst Jeremi nur einige Achtpfünder und Granaten.«
»Aber er hatte ein Heer guter Soldaten, nicht gemeines Volk; seine Fahnen waren weltberühmt, nicht aus Männern, die direkt von der Schafschur kommen, gebildet.«
»Sendet nach dem Herrn Wladislaus Skoraschewski,« riet der Oberrichter Tscharnkowski. »Macht ihn zum Lagerhauptmann. Er ist beliebt beim Adel und versteht, ihm Respekt einzuflößen.«
»Sendet nach Herrn Skoraschewski!« wiederholte Herr Andreas Grudzinski, der Wojewode von Kalisch. »Weshalb soll er dort in Drahim oder Tschaplin sitzen.«
»So ist es! Das ist der beste Rat!« riefen andere Stimmen.
Und man schickte Boten nach dem Herrn Wladislaus Skoraschewski. Einen anderen Rat wußte man nicht zu erteilen; dafür sprach und klagte man viel über den König, die Königin, über den Mangel an Militär und Vernachlässigung.
Der folgende Morgen brachte weder Beruhigung noch Trost. Die Unordnung vergrößerte sich nur noch. Jemand hatte die Nachricht verbreitet, daß Andersgläubige, namentlich die Anhänger der Lehre Kalvins, den Schweden freundlich gesinnt und bereit seien, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zum Feinde überzugehen. Noch mehr, diese Nachricht wurde weder von dem Herrn Schlichting, noch von den Herren Kurnatowski widerlegt, welche letztere beide auch Kalvinisten, aber dem Vaterlande treu ergebene Männer waren. Sie selbst bestätigten, daß viele Andersgläubige eine besondere Abteilung gebildet und den Beschluß gefaßt hätten, unter der Leitung des bekannten Raufboldes Herrn Rej, welcher in jungen Jahren als lutherischer Freiwilliger in Deutschland gedient und ein großer Schwedenfreund sei, zu den Feinden überzugehen. Kaum hatte dieser Verdacht unter den Adligen Platz gegriffen, als auch schon einige tausende gezogene Säbel blitzten und ein wahres Unwetter im Lager losbrach.
»Wir nähren Verräter! wir füttern Schlangen, welche den Mutterschoß mit ihrem Stachel vergiften!« schrieen sie.
»Gebt sie heraus! Schlagt sie nieder! Es ist der ansteckendste Verrat, meine Herren! Reißt das Unkraut aus, sonst verderben wir alle!«
Die Wojewoden und Rittmeister mußten wieder zu beruhigen suchen, es gelang ihnen aber noch schwerer als gestern. Sie waren übrigens selbst überzeugt, daß Herr Rej ganz offen das Vaterland verraten würde, denn er war ein Mensch, welcher in der Heimat völlig ein Fremdling geworden war und außer der Sprache nichts mehr mit einem Polen gemein hatte. Man versprach auch, ihn aus dem Lager zu entfernen, was sogleich den Aufruhr etwas besänftigte. Dennoch hörte man noch lange die Rufe:
»Gebt sie heraus! Verrat! Verrat!«
Eine seltsame Stimmung war über das Lager gekommen. Die einen waren ganz mutlos geworden und schlichen betrübt in Gedanken versunken ziellos an den Wällen umher, ließen den düsteren Blick über die Ebene schweifen, über welche der Feind heranziehen mußte, oder flüsterten sich immer neue Schreckensnachrichten zu. Andere hatte eine verzweifelte, fast wahnsinnige Lustigkeit und Todesmut befallen. Infolge dieser Lustigkeit bereitete man Gastmähler und Trinkgelage, um die letzten Lebenstage noch recht zu genießen. Wieder andere dachten an ihr Seelenheil und verbrachten die Nacht im Gebet. Niemand aber in dieser Menschenmenge dachte an einen Sieg, als ob dieser eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Und doch hatte der Feind keine Uebermacht: er hatte nur mehr Kanonen, geübtere Soldaten und einen Führer, welcher die Kriegsführung verstand.
Und während hier das polnische Lager in Aufruhr lärmte, toste, während man speiste und trank, aufbrauste und wieder stille ward wie das sturmgepeitschte Meer, während das allgemeine Aufgebot Rat hielt, als handle es sich um eine Königswahl, nahte von der anderen Seite her über die ausgedehnten, grauen Oderniederungen in aller Ruhe das Schwedenheer.
Voran zog eine Brigade der Königsgarde. Benedikt Horn, ein gefürchteter Krieger, dessen Name mit Schrecken in Deutschland genannt wurde, führte sie heran – ein auserlesenes, hochgewachsenes Volk, bekleidet mit Kammhelmen, deren Stirnband bis über die Ohren herabreichte, und gelben Lederkollern, bewaffnet mit Rapieren und Musketen, kühl und hartnäckig im Kampf, auf jeden Wink des Führers bereit.
Karl Schedding, ein Deutscher, kam an der Spitze der westgotländischen Brigade daher, welche aus zwei Regimentern Fußsoldaten und einem Regiment schwerer Reiterei zusammengesetzt war. Sie war in Panzer ohne Armschienen gekleidet; die eine Hälfte der Infanterie trug Musketen, die andere Lanzen. Im Beginn eines Gefechtes standen die Musketenträger im Vordertreffen, zogen sich jedoch im Falle einer Attacke hinter die Lanzenträger zurück, welche alsdann das eine Ende ihrer Lanzen in den Boden feststemmten, das andere den daherjagenden Pferden entgegenhielten. Zur Zeit Sigismunds III. hatte bei Schönlanke eine einzige Husaren-Schwadron diese selbe westgotländische Brigade niedergeritten und unter den Hufen ihrer Pferde zermalmt, dieselbe Brigade, in welcher gegenwärtig überwiegend Deutsche dienten.
Zwei smaländische Brigaden führte Irwin, genannt Ohnehand, an. Er hatte seinerzeit bei der Verteidigung seiner Fahne die rechte Hand verloren, dafür hatte er in der linken eine solche Kraft, daß er auf einen Hieb den Kopf eines Pferdes vom Rumpfe trennte. Er war von düsterem Aussehen, liebte nur den Krieg und das Blutvergießen und war streng gegen sich und gegen seine Soldaten. Während andere »Kapitäne« sich im Kriege zu handwerksmäßigen Kriegern ausbildeten, den Krieg des Krieges wegen liebten, blieb er immer der gleiche Fanatiker und mordete Menschen, fromme Psalmen singend.
Die westermaländische Brigade ging unter dem Kommando Drakenbergs, die Helsingör-Brigade, bestehend aus weltberühmten Schützen, unter Gustav Oxenstierna, einem Verwandten des berühmten Kanzlers, ein junger Mann, der große Hoffnungen erweckte. Die Ostgotländische wurde von Fersen kommandiert, während die Uericksche und Esthländische von Wittemberg selbst angeführt wurden, welcher gleichzeitig das oberste Kommando über die ganze Armee führte.
Zweiundsiebzig Geschütze zogen ihre Geleise durch die feuchten Niederungen und siebzehntausend Soldaten begleiteten sie, Soldaten, welche in Deutschland als Plünderer gefürchtet und im Kampfe so geschickt waren, daß ihnen, besonders der Infanterie, kaum die französische Garde gleichzustellen war. Den Regimentern folgten Wagen mit Zelten, das ganze Heer marschierte in schönster Ordnung, stets kampfbereit. Ein Wald von Lanzen ragte über diese Menge von Köpfen, Helmen und Hüten empor und inmitten dieses Lanzenwaldes wehten große blaue Fahnen mit weißen Kreuzen in der Mitte, der polnischen Grenze entgegen. Mit jedem Tage wurde die Entfernung geringer, welche die zwei Heere trennte.
Endlich, am 27. Juli, erblickten im Walde von Heinrichsdorf die schwedischen Truppen den ersten polnischen Grenzpfahl. Bei diesem Anblick erscholl ein mächtiger Freudenschrei aus den Kehlen der Schweden. Die Trompeter schmetterten, die Kessel und Pauken donnerten, alle Fahnen wurden entfaltet. Wittemberg ritt an der Spitze des Heeres, von seinem glänzenden Stabe geleitet, und ließ alle Regimenter bei sich vorbeidefilieren, die Infanterie ihre Waffen präsentierend, die Reiterei mit gezogenen Rapieren, die Geschütze mit brennenden Lunten. Es war um die Mittagszeit und das herrlichste Wetter. Der Harzduft des Waldes breitete sich erfrischend aus.
Der graue, von den Strahlen der Sonne übergossene Weg, welchen die schwedischen Truppen beim Verlassen des Heinrichsdorfer Waldes beschritten, verlief am Horizont. Als das Heer endlich den Wald ganz verlassen hatte, entrollte sich vor den Augen der Krieger das Bild einer lachenden heiteren Landschaft, bedeckt mit den gelblich leuchtenden Flächen der verschiedenen Getreidearten, stellenweise besäet mit Eichenschonungen, stellenweise mit grünen Wiesen bekleidet. Hier und da erhoben sich in der Ferne aus Baumgruppen, weit hinter den Eichenschonungen, leichte Rauchwolken in die Luft, auf den Wiesen sah man weidende Herden und dort, wo auf denselben die ausgetretenen Wasserflächen leuchteten, spazierten ruhig Störche umher.
Ein süßer Frieden lag über dieser Landschaft, welche von Milch und Honig überfloß. Sie schien sich zu erweitern, ihre Arme dem schwedischen Heere entgegenzubreiten, als hieße sie nicht Einbrecher, sondern im Namen Gottes erscheinende Gäste willkommen.
Wieder kamen Jubelschreie aus der Brust aller Soldaten, insbesondere der eingeborenen Schweden, welche nur an den Anblick der nackten, ärmlichen und wilden Natur ihres Vaterlandes gewöhnt waren. Die Herzen dieses armen, beutegierigen Volkes dehnten sich im Verlangen, diesen Ueberfluß, diese Schätze, welche ihr Auge erblickte, für sich zu erbeuten. Begeisterung überkam diese Scharen.
Aber die im Feuer des dreißigjährigen Krieges abgehärteten Soldaten glaubten, es würde ihnen dies nicht leicht werden. Sie meinten, dieses gottgesegnete Land sei von einem zahlreichen, starken und ritterlichen Volke bewohnt, welches sein Eigentum schirmen werde. Noch lebte in Schweden das Andenken an die fürchterliche Niederlage von Kirchholm, wo dreitausend Reiter unter Chodkiewitsch achtzehntausend der tapfersten Schweden vollständig vernichtet hatten. In den Hütten Westgotlands, Smalands und Dalekarliens erzählte man von diesen geflügelten Reitern wie von den Riesen aus den Sagen. Noch lebendiger war das Gedächtnis an die Zeit Gustav Adolfs, denn die Menschen, welche an ihnen teilgenommen hatten, waren noch nicht ausgestorben. Hatte doch der skandinavische Adler, ehe es ihm gelang, ganz Deutschland zu durchfliegen, zweimal seine Schwingen arg an den Speeren Koniezpolskis verletzt.
Es gesellte sich also zu der Freude in den Herzen der Schweden eine gewisse Besorgnis, welcher sich selbst ihr Kommandierender Wittemberg nicht zu entschlagen vermochte. Er betrachtete seine vorüberziehenden Regimenter Füsiliere und Reiter mit Blicken, wie der Hirt seine Herden betrachtet. Dann wandte er sich einem dicken Manne zu, welcher einen Federhut und eine helle Perücke trug, die ihm bis auf die Schultern herabfiel:
»Ew. Liebden versichern mir, daß ich mit dieser Streitmacht das Heer bei Uschz besiegen werde?« fragte er.
Der Mann in der blonden Perücke lächelte und antwortete:
»Ew. Gnaden könnt euch vollkommen auf mein Wort verlassen; ich stehe dafür ein. Wenn bei Uschz reguläre Truppen unter einem der Hetmane ständen, so würde ich selbst raten, nicht zu eilen, sondern zu warten, bis Seine Majestät der König mit der ganzen Armee nachkommt. Aber dem allgemeinen Aufgebot und diesen polnischen Herren gegenüber reichen unsere Kräfte bei weitem aus.«
»Und wird man ihnen keinerlei Sukkurs senden?«
»Aus zweierlei Gründen wird das unterbleiben. Zuerst deshalb, weil alle regulären Truppen, deren es ohnehin nicht viele giebt, in Litauen und der Ukraine beschäftigt sind; zum zweiten, weil in Warschau weder der König Johann Kasimir, noch der Kanzler, noch der Senat bis zu diesem Augenblick glauben wollen, daß Seine Majestät der König Karl Gustav, ganz entgegen den Verträgen, trotz der letzten Botschaft und trotz der Bereitwilligkeit, Zugeständnisse zu machen, dennoch thatsächlich den Krieg beginnt. Sie glauben, daß noch im letzten Augenblick der Friede geschlossen wird ... ha, ha!«
Der dicke Mann nahm seinen Hut ab, wischte den Schweiß von der Stirn und setzte hinzu:
»Trubetzki und Dolgorucki in Litauen, Chmielnizki in der Ukraine und wir treten in Großpolen ein ... Seht, wohin es die Regierung Johann Kasimirs gebracht hat.«
Wittemberg warf ihm einen seltsamen Blick zu, während er fragte:
»Und Ew. Liebden freut dieser Gedanke?«
»O, wie sehr freut mich dieser Gedanke! Denn das mir unschuldig zugefügte Unrecht wird gerächt werden. Außerdem sehe ich deutlich, daß euer Schwert und meine Ratschläge diese neue, allerschönste Krone der Welt auf das Haupt Karl Gustavs setzen werden.«
Wittemberg ließ den Blick in die Ferne schweifen, umfaßte mit ihm die Wälder, die Gehege, die Niederungen und Wiesen, die mit Getreide bedeckten Auen und sagte dann nach einer Weile:
»Es ist wahr! Das ist ein schönes und fruchtbares Land ... Ew. Liebden könnt euch auch versichert halten, daß nach dem Kriege Seine Majestät der König niemandem als euch die Oberherrschaft hier anvertrauen wird.«
Der dicke Mann lüftete wieder den Hut.
»Und ich begehre auch keinen anderen Herrn,« sagte er, die Augen zum Himmel erhebend.
Der Himmel war hell und heiter. Kein Blitz fuhr hernieder, um den Verräter zu zermalmen, welcher hier, an dieser Grenze, sein schon unter dem Elend zweier Kriege erschöpft seufzendes Vaterland in die Hände dieses Feindes lieferte.
Der Mann, welcher mit Wittemberg hier sprach, war Hieronymus Radziejowski, der einstige Unterkanzler der Krone, jetzt von den Schweden gegen sein Vaterland bezahlt.
Eine Zeit lang schwiegen Beide. Inzwischen zogen die letzten zwei Brigaden, die Uericksche und die Ermländische, über die Grenze, hinter ihnen schwankten die Geschütze heran. Noch immer schmetterten die Trompeten, der Donner der Pauken übertönte die Tritte der Soldaten und erfüllte den Wald mit unheimlichem Lärm. Endlich kam auch der Stab. Radziejowski ritt neben Wittemberg.
»Oxenstierna ist noch nicht zu sehen«, sagte Wittemberg. »Ich bin besorgt, daß ihn ein Unfall betroffen haben könnte. Ich weiß nicht, ob der Rat gut war, ihn als Trompeter verkleidet mit Briefen nach Uschz zu schicken.«
»Er war gut«, entgegnete Radziejowski, »denn er kann das ganze Lager durchspähen, die Führer kennen lernen und ihre Absichten erforschen. Das würde der erste Beste nicht fertig bekommen.«
»Und wenn sie ihn erkennen?«
»Rej ist der Einzige, der ihn kennt, und der gehört zu uns. Uebrigens, wenn sie ihn auch erkennen sollten, würden sie ihm nichts Schlimmes thun, sie würden ihn noch auf die Rückfahrt ausstatten und belohnen ... Ich kenne meine Polen und weiß, daß sie alles zu thun bereit sind, wenn sie sich nur vor Fremden als ein gastfreies Volk zeigen können. Unsere Bemühungen gehen allein dahin, daß wir von Fremden gelobt werden ... Um Oxenstierna können Ew. Gnaden ganz ruhig sein; ihm wird kein Haar gekrümmt werden. Er kann noch nicht zurück sein, dazu ist die Zeit zu kurz.«
»Und glauben Ew. Liebden, daß unsere Briefe einen guten Erfolg haben werden?«
Radziejowski lachte.
»Wenn Ew. Gnaden mir erlauben, ein Prophet zu sein, so will ich vorher sagen, was geschehen wird. Der Herr Wojewode von Posen ist ein artiger und gelehrter Herr: er wird uns sehr artig antworten. Aber da er es liebt, den Römer aufzuspielen, so wird seine Antwort furchtbar römisch lauten. Er wird also zuerst sagen, daß er vorziehe, den letzten Blutstropfen zu vergießen, als sich zu ergeben, daß der Tod ihm lieber sei, als die Ehrlosigkeit, und die Liebe zum Vaterlande ihm gebiete, für dasselbe zu fallen.«
Radziejowski lachte noch lauter; das strenge Gesicht Wittenbergs hellte sich ebenfalls auf.
»Ew. Liebden glauben also nicht, daß er so handeln wird, wie er schreibt?« fragte er.
»Er?« entgegnete Radziejowski. »Es ist wahr, er nährt seine Liebe zum Vaterlande, aber mit Tinte. Und da diese eine wenig nahrhafte Kost ist, so ist seine Vaterlandsliebe magerer sogar als diejenige seines Narren, welcher ihm Reime schmieden hilft. Ich bin überzeugt, daß jener römischen Antwort Wünsche für euer Wohlergehen, die Versicherung seiner Bereitwilligkeit zu Dienstleistungen und zuletzt die Bitte folgen wird, seine und seiner Verwandten Güter zu schonen, wofür er uns wieder samt seinen Verwandten dankbar sein wird.«
»Und was für Folgen werden zuletzt unsere Briefe haben?«
»Sie werden den Mut der Polen vollständig erschlaffen, die Herren Senatoren werden Verhandlungen mit uns beginnen und ganz Großpolen wird uns nach einigen in die Luft gerichteten Schüssen von selbst zufallen.«
»O, wären Ew. Liebden doch ein wahrer Prophet ...«
»Ich bin meiner Sache gewiß, denn ich kenne diese Menschen. Auch habe ich Freunde und Parteigenossen im ganzen Lande und weiß, wie man es anzufangen hat ... Und daß ich nichts versäumen werde zu thun, dafür bürgt euch das Unrecht, welches Johann Kasimir mir zugefügt, und meine Liebe für Karl Gustav. Die Menschen sind jetzt mehr auf die Erhaltung ihrer Besitztümer, als auf die Einheit der Republik bedacht. Alle die Ländereien, welche wir jetzt durchschreiten werden, gehören den Opalinskis, den Tscharnkowkis und Grudzinskis, und da gerade sie es sind, die bei Uschz stehen, so werden sie auch weicher sein bei den Verträgen. Und was die Adligen betrifft, so darf man ihnen nur die Freiheit der Landtage zusichern, sie treten dann ungesäumt in die Fußstapfen der Herren Wojewoden.«
»Ew. Liebden leisten durch eure Kenntnis des Landes und der Leute Seiner Königlichen Majestät unbezahlbare Dienste, welche nicht des würdigen Lohnes ermangeln werden. Aus allem, was ihr mir mitgeteilt, darf ich also den Schluß ziehen, daß ich dieses Land als das unsrige betrachten kann.«
»Das können Ew. Gnaden! Das könnt ihr! Das könnt ihr!« wiederholte Radziejowski eilig einige Male.
»So nehme ich es denn in Besitz, im Namen Seiner Majestät des Königs Karl Gustav«, sagte Wittemberg ernst.
Während hier das schwedische Heer hinter Heinrichsdorf den Boden Großpolens betrat, war noch einige Tage vorher, am 18. Juli, im polnischen Lager ein schwedischer Trompeter mit Briefen von Wittemberg und Radziejowski an die Wojewoden erschienen.
Herr Wladislaus Skoraschewski selbst hatte ihn zum Wojewoden von Posen geführt und die Adligen des allgemeinen Aufgebots starrten neugierig den »ersten Schweden« an und bewunderten seine kräftige Gestalt, sein männliches Gesicht, den gelben Schnurrbart, welcher an beiden Enden wie eine breite Bürste aufwärts gekämmt war, und sein wahrhaft herrschaftliches Auftreten.
Die Menge begleitete ihn zum Wojewoden, die Bekannten riefen einander zu, man zeigte sich den Schweden mit den Fingern, lachte etwas über seine Stiefel, welche in mächtige kreisförmige Schäfte ausliefen, über das lange, gerade Rapier, welches man einen Bratspieß nannte und das in einem reich mit Silber gestickten Gehänge steckte. Der Schwede seinerseits warf ebenfalls neugierige Blicke nach allen Seiten hin unter dem breiten Hut hervor, als wolle er das Lager durchspähen, seine Stärke bemessen. Dann wieder sah er sich die Menge Adliger an, deren morgenländische Kleidung ihm etwas neues war. Endlich war man mit ihm zum Wojewoden gekommen, bei welchem sich alle Würdenträger zusammengefunden hatten, die sich im Lager befanden.
Bald waren die Briefe gelesen; man fing an zu beraten, was zu thun sei. Inzwischen empfahl der Wojewode den Trompeter seinen Höflingen, damit sie ihn nach Soldatenart bewirteten. Bald nahmen ihn die Adligen den Höflingen ab, und ihn stetig bewundernd, tranken sie mit ihm auf Tod und Leben.
Auch Herr Skoraschewski beobachtete den Trompeter fleißig, aber nur darum, weil er den Verdacht geschöpft hatte, derselbe sei ein verkleideter Offizier. Er teilte diesen Gedanken gegen Abend sogar dem Wojewoden mit, dieser aber antwortete darauf, daß das einerlei sei, und erlaubte nicht, ihn zu verhaften.
»Und wäre er Wittemberg selbst,« sagte er, »so ist er als Botschafter hierhergekommen, wir müssen ihn ruhig ziehen lassen ... Ich werde ihm noch zehn Dukaten Zehrgeld auszahlen lassen.«
Der Trompeter unterhielt sich inzwischen in gebrochenem Deutsch mit denjenigen der Adligen, welche durch ihre Verbindung mit preußischen Städten diese Sprache erlernt hatten. Er erzählte ihnen von den Siegen, welche Wittemberg in den verschiedenen Ländern errungen, von der Stärke des Heeres, welches gegen Uschz vorrücke, und besonders von den Geschützen und ihrer bisher noch nicht dagewesenen Tragweite. Das bekümmerte die Adligen nicht wenig; bald durchkreisten übertriebene Gerüchte das ganze Lager.
In dieser Nacht schlief niemand in ganz Uschz, denn um Mitternacht kamen alle diejenigen an, welche bis jetzt in besonderen Lagern bei Schneidemühl und Filehne gelegen hatten. Die Wojewoden und Würdenträger ratschlagten über das Antwortschreiben bis zum hellen Tag und den Adligen verging die Zeit über den Erzählungen von der Macht Schwedens.
Mit fieberhafter Neugier fragte man den Trompeter aus über die Offiziere, die Soldaten, die Waffen, die Art zu kämpfen, und gab jede Antwort von Mund zu Mund weiter. Die Nähe des schwedischen Heeres verlieh jeder Einzelheit eine ungemeine Wichtigkeit, welche jedoch nicht derartig war, um Trost einzuflößen.
Mit dem Morgengrauen erschien Herr Stanislaus Skrzetuski mit der Nachricht, daß die Schweden schon bis Walezk vorgerückt seien, also einen Tagesmarsch nur vom polnischen Lager entfernt. Es entstand augenblicklich ein großes Gedränge. Die Mehrzahl der Pferde befand sich samt den Dienern auf den Wiesen zur Weide; jetzt sandte man Hals über Kopf nach ihnen. Die einzelnen Kreise bestiegen die Pferde und bildeten geschlossene Gruppen. Die Zeit vor dem Kampfe ist in der Regel für den ungeübten Soldaten die schrecklichste Zeit. Ehe also die Rittmeister im Stande waren, etwas Ordnung in diese Kolonnen zu bringen, herrschte eine Zeit lang eine entsetzliche Verwirrung. Man verstand kein Kommando, hörte keinen Trompetenton vor all den verworrenen Rufen, die von allen Seiten zugleich ertönten: »Johann! Peter! Onufry! Hierher! ... Daß du erschlagen würdest! Die Pferde her! ... Wo sind meine Diener? ... Johann! Peter!« Wäre in diesem Wirrwarr auch nur ein einziger Kanonenschuß gefallen, die Flucht wäre allgemein geworden.
Allmählich standen dennoch die Kreise geordnet da. Der angeborene Kriegssinn der Adligen ersetzte in etwas den Mangel an Erfahrung. Gegen Mittag bot das Lager schon einen ganz respektablen Anblick. Die Infanterie stand in ihren verschiedenfarbenen Kamisols, bunten Blumen ähnlich, auf den Wällen. Die bereit gehaltenen Lunten rauchten und im Innern der Wälle, im Schutz der Kanonen, wimmelte die Ebene von den Fahnen der Kreis-Reitereien, in Schlachtordnung aufgestellt, auf starken Pferden, deren Wiehern das Echo der nahen Wälder wachrief und die Herzen mit Kampfesmut erfüllte.
Unterdeß hatte der Wojewode von Posen den Trompeter mit der Antwort auf die empfangenen Briefe abgefertigt, die mehr oder weniger so lautete, wie Radziejowski es vorausgesagt hatte, also artig und römisch zugleich. Hierauf hatte er beschlossen, eine Streifpatrouille nach dem nördlichen Ufer der Netze auszuschicken, um womöglich einen feindlichen Kundschafter aufzugreifen.
Peter Opalinski, der Wojewode von Podlachien, der Brudersohn des Wojewoden von Posen, sollte diesen Streifzug an der Spitze der hundertfünfzig Dragoner, welche er nach Uschz mitgebracht hatte, anführen. Außerdem hatte man den Herren Rittmeistern Skoraschewski und Skrzetuski den Auftrag gegeben, Freiwillige aus den Adligen des allgemeinen Aufgebotes aufzufordern, dem Feinde ebenfalls endlich in die Augen zu sehen.
Beide ritten nun die Reihen entlang, in ihren Uniformen und mit ihren schönen Gestalten eine wahre Augenweide. Herr Stanislaus hatte ähnlich allen Skrzetuskis kohlschwarzes Haar, ein ernstes, männliches Gesicht, welches eine lange, schräg über die Wange laufende Narbe schmückte, die von einem Schwertstreiche herrührte und von einem ebenso schwarzen wehenden Barte umrahmt war. Herr Wladislaus, etwas fett, mit langem blonden Schnurrbart, mit etwas herabhängender Unterlippe, rosig geränderten Augen, sanften Gesichtszügen und brav, erinnerte weniger an Mars, war aber nicht weniger eine ehrliche Soldatenhaut, liebte das Feuer gleich einem Salamander, war ein Ritter, der das Kriegsleben kannte wie seine zehn Finger, und besaß einen unvergleichlichen Mut. Beide wiederholten, die lang sich hinziehenden Reihen der Adligen abreitend, immerfort den Ruf:
»Auf, ihr Herren, wer geht als Freiwilliger gegen die Schweden? Wer möchte gern Pulver riechen? Auf! Auf! als Freiwillige.«
Sie waren so ein gut Stück abgeritten, ohne Erfolg zu haben. Niemand trat aus den Reihen. Einer blickte den anderen an; es gab welche, die keine Furcht kannten, welche, die Lust hatten, den Schweden entgegenzutreten, aber es fehlte ihnen die Dreistigkeit, sich zu melden. So mancher stieß den Nachbar mit den Ellenbogen an und sagte: »Gehst du, so gehe ich auch!«
Die Rittmeister fingen an ungeduldig zu werden. Da sprengte plötzlich, als sie eben bei den Reitern des Gnesener Kreises angelangt waren, ein buntgekleideter Mann auf einem Ponny nicht aus den Reihen, wohl aber hinter den Reihen hervor und rief:
»Meine Herren Heerbannisten, ich werde ein Freiwilliger, ihr aber werdet Narren!«
»Ostroschka! Ostroschka!« riefen die Adligen.
»Ich bin ebenso gut ein Adliger wie jeder andere!« antwortete der Narr.
»Pfui! bei hundert Teufeln!« rief der Unterrichter Herr Rosinski, »genug der Narrheiten, ich gehe mit.«
»Ich auch, ich auch!« riefen zahlreiche Stimmen.
»Nur einmal hat die Mutter mich geboren, einmal nur sterbe ich.«
»Es finden sich mehr so Gute, als du bist.«
»Jedem steht es frei. Mag keiner hier sich besser dünken als der andere.«
Und wie im Anfang niemand sich melden wollte, so eilten sie jetzt aus allen Kreisen herbei, spornten die Pferde um die Wette, stießen im Eifer aufeinander und zankten sich eilig aus. Im Augenblick hatten sich fünfhundert Pferde etwa gestellt und noch immer trabten mehr aus den Gliedern herbei. Herr Skoraschewski lachte herzlich und laut und rief:
»Genug, meine Herren, genug! Wir können nicht alle gehen!«
Darauf ordneten beide ihre Leute und ritten davon.
Der Wojewode von Podlachien vereinigte sich mit ihnen am Ausgange des Lagers. Man konnte deutlich sehen, wie sie die Netze überschritten, dann tauchten sie noch einige Male an Wegebiegungen auf und entschwanden zuletzt den Blicken.
Nach Ablauf einer Stunde befahl der Wojewode von Posen den Leuten, abzusitzen und in die Zelte zu gehen. Er hatte eingesehen, daß es unmöglich war, sie in Schlachtordnung zu halten, da der Feind noch einen Tagesmarsch entfernt war. Man stellte jedoch zahlreiche Wachen aus, erlaubte nicht mehr, die Pferde auf die Weide zu treiben, und gab den Befehl, daß bei dem ersten leisen Ton der Trompete alle aufsitzen und sich bereit halten sollten.
Die Erwartung hatte aufgehört; mit der Ungewißheit, den Zänkereien und Streitigkeiten war es zu Ende. Die Nähe des Feindes hatte, wie Skrzetuski es vorausgesagt, den Mut gehoben. Die erste glückliche Schlacht konnte ihn noch bedeutend erhöhen und am Abend geschah etwas, was wie eine neue, glückliche Prophezeiung aussah.
Die Sonne ging eben unter und beschien mit einem letzten, blendendem Leuchten die Netze und die hinter ihr liegenden Wälder, als auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses erst eine Staubwolke und dann sich in derselben fortbewegende Menschen sichtbar wurden. Alles, was lebte, besetzte die Wälle, um zu sehen, was dort für Gäste kämen. Da sprengte von den Wachtposten ein Dragoner aus der Fahne des Herrn Grudzinski her und meldete, daß die ausgesandte Streifpatrouille zurückkehre.
»Die Patrouille kehrt zurück! ... sie kommen glücklich zurück! ... Die Schweden haben sie nicht gegessen!!« wiederholte man von Mund zu Mund im Lager.
Jene näherten sich indessen, in helle Staubwolken gehüllt, immer mehr, aber langsam, endlich überschritten sie die Netze.
Die Hände über die Augen haltend, um sie vor den blendenden Strahlen zu schützen, beobachteten die Adligen den Zug. Das auf dem Wasser ruhende blendende Licht wurde immer greller, die ganze Luft schien von einem rotgoldenen Glanze erfüllt.
»Heh! ihre Zahl scheint größer zu sein, als da sie ausritten!« sagte Herr Schlichting.
»Sie müßten dann Gefangene mit sich führen, so wahr ich Gott liebe!« schrie einer der Adligen, welcher zu den Furchtsamen gehören mochte, die ihren eigenen Augen nicht trauen.
»Sie bringen Gefangene! Sie bringen Gefangene! ...«
Der Zug war unterdessen so nahe gekommen, daß man die Einzelnen erkennen konnte. Voran ritt Herr Skoraschewski, gewohnheitsmäßig mit dem Kopfe nickend und fröhlich mit Herrn Skrzetuski plaudernd. Hinter ihnen hatte eine große Abteilung Reiter mehrere Fußsoldaten mit radförmigen Hüten eingeschlossen. Das waren thatsächlich gefangene Schweden.
Bei diesem Anblick hielten sich die Adeligen nicht länger und liefen dem Zuge entgegen unter den Zurufen:
»Vivat Skoraschewski! Vivat Skrzetuski!«
Bald umringte eine dichte Menge die ganze Abteilung. Die Einen betrachteten die Gefangenen, die Andern fragten: »Wie war es?« und wieder andere bedrohten die Schweden.
»Ah – hu! Wie?! Recht ist's euch, ihr Hundeblut! Mit den Polen wolltet ihr Krieg führen? Jetzt habt ihr die Polen!«
»Her mit ihnen! ... Vor die Säbel! ... Haut sie zu Bigos!« ...
»Ha, ihr Salzkraut! Ha, ihr Pluderhosen! Habt ihr es mit den polnischen Säbeln versucht?«
»Meine Herren, schreit nicht so wie halbwüchsige Jungens; die Gefangenen könnten denken, ihr versteht vom Kriege nichts,« sagte Herr Skoraschewski. »Das ist etwas ganz Gewöhnliches, wenn man in Kriegszeiten Gefangene macht.«
Die Freiwilligen, welche zum Streifzuge gehörten, blickten stolz auf die Adligen herab, welche sie mit Fragen bestürmten.
»Wie war es? Habt ihr sie leicht bekommen? Haben sie euch Schweiß gekostet? Verstehen sie gut dreinzuhauen?«
»Sie sind gute Jungens,« entgegnete Herr Rosinski. »Sie haben sich brav verteidigt, aber sie sind doch nicht von Eisen, denn der Säbel hakt sich fest an ihnen.«
»Sie konnten sich also nicht gegen euch halten, wie?«
»Unser Ungestüm war zu groß.«
»Meine Herren, hört, was sie sagen; die Schweden konnten ihr ungestümes Vordringen nicht aushalten! Also wie? Der Ungestüm ist die Hauptsache! ...«
»Merkt euch das, immer mit Ungestüm vorwärts! Das ist das beste Mittel gegen die Schweden!«
Hätte man den Adeligen in diesem Augenblick befohlen, auf den Feind loszugehen, es hätte ihnen gewiß der nötige Ungestüm nicht gefehlt. Leider aber war vom Feinde nichts zu sehen. Dafür ertönte schon ein gut Stück in die Nacht hinein, vor den Vorposten der Ton einer Trompete. Ein zweiter Trompeter mit einem Briefe von Wittemberg langte an. Der Brief enthielt die Aufforderung, sich zu ergeben. Als die Menge das hörte, wollte sie den Boten in Stücke hauen, die Wojewoden aber nahmen den Brief zur Beratung, obgleich der Wortlaut des Inhalts frech war.
Der schwedische General erklärte, daß Karl Gustav sein Heer seinem Verwandten Johann Kasimir gegen die Kosaken zu Hilfe sende, daß mithin die Großpolen ohne Widerstand sich zu ergeben hätten.
Als Herr Grudzinski dieses Schriftstück las, konnte er seine Entrüstung nicht verbergen. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, aber der Wojewode von Posen beschwichtigte ihn bald mit der Frage:
»Glaubt ihr an einen Sieg, Herr? ... Wie viel Tage können wir uns halten? ... Wollt ihr die Verantwortung für so viel Blut tragen, wie vielleicht schon morgen vergossen wird?«
Nach längeren Beratungen beschloß man, gar nicht zu antworten und der Dinge zu harren, die da kommen sollten. Man brauchte nicht lange zu warten. Am Sonnabend, den 24. Juli meldeten die Wachen, daß das ganze Schwedenheer geradeüber von Schneidemühl stehe. Im Lager summte es wie in einem Bienenstock am Abend vor dem Ausschwärmen.
Die Adligen setzten sich zu Pferde, die Wojewoden schritten die Reihen ab, sich widersprechende Befehle erteilend, und erst Herr Wladislaus brachte Ordnung in die Verwirrung, nachdem er die Sache in die Hand genommen. Er ritt mit einigen Hunderten Freiwilliger hinaus, um jenseits des Flusses etwas die Pferde zu tummeln und die Leute an den Anblick des Feindes zu gewöhnen.
Die Reiter folgten ihm sehr gern, denn die Tirailleurübungen bestanden aus einer Reihenfolge kleiner Gefechte, von nicht allzu großen Gruppen ausgeführt, und diese Uebungen in der Kunst, den Säbel zu führen, fürchtete der Adel durchaus nicht. Sie ritten also an das gegenüberliegende Ufer des Flusses und standen nun angesichts des Feindes, welcher immer näher kam und am Horizont eine dunkle Linie bildete wie ein frisch aus der Erde emporwachsender Wald. Die Regimenter der Infanterie und Reiterei entwickelten sich, einen immer größeren Raum beanspruchend.
Die Adligen erwarteten jeden Augenblick, daß die Tirailleurkolonnen des Feindes auf sie zusprengen würden, jedoch war nichts davon zu sehen. Dafür hielten auf den einige hundert Schritt entfernten Hügeln kleine Haufen, in welchen man Menschen und Pferde erkannte, welche sich auf derselben Stelle hin und her bewegten. Als Herr Skoraschewski das sah, kommandierte er unverzüglich: »Linksum – zurück!«
Aber das Kommandowort war noch nicht verhallt, als schon auf den Hügeln weiße Rauchwölkchen aufstiegen, etwas wie kleine Vögel sausend mitten in die Reihen der Adligen einschlug, dann ein Knall die Luft erschütterte und gleichzeitig das Geschrei und Stöhnen einiger Verwundeter hörbar wurde.
»Stillgestanden!« schrie Herr Wladislaus.
Wieder, zum zweiten- und drittenmal flogen die Vögel herüber – und wieder folgte dem Sausen Schmerzensgestöhn. Die Adligen hörten nicht mehr auf das Kommando des Führers; sie zogen sich, schreiend und die Hilfe des Himmels anrufend, immer schneller zurück, darauf zerstreute sich in einem Augenblick die ganze Abteilung über die Ebene und eilte in hastigen Sprüngen dem Lager zu. Herr Skoraschewski fluchte – es half nichts!
Nachdem Wittemberg die Plänkler so leicht vertrieben hatte, rückte er weiter vor, bis er endlich Uschz gegenüber, dicht vor den Schanzen, welche der Kalischer Adel verteidigte, stille stand. Sogleich begannen die polnischen Kanonen ihr Spiel, aber man beantwortete im Anfang diese Salven von Seiten der Schweden gar nicht. Der Rauch setzte sich ruhig bei der klaren Luft, zog in langen Strähnen zwischen beiden Heeren hin und durch die Lücken in denselben erblickten die Adligen die schwedischen Regimenter, welche sich, Infanterie sowie Reiterei, in für sie fürchterlicher Ruhe formierten, als wären sie des Sieges gewiß. Die Kanonen hatte man auf Erhöhungen gebracht und mit kleinen Schanzwällen umgeben, kurz, man sah, der Feind bereitete sich zum Kampfe, nicht zum mindesten der Kugeln achtend, welche ihn nicht erreichten und nur die an den Schanzen Arbeitenden mit Sand und Erde bewarfen.
Noch einmal führte Herr Skrzetuski zwei Fahnen Kalischer hinaus, um durch einen plötzlichen Ueberfall den Feind zu verwirren, allein sie gingen unlustig. Die Abteilung zerfiel bald in einen regellosen Haufen, da die Mutigen die Pferde spornten, während die Furchtsamen dieselben absichtlich zurückhielten. Zwei Reiterregimenter Wittembergs trieben nach kurzem Kampfe die Adligen vom Schlachtfelde und verfolgten sie bis an das Lager.
Inzwischen war die Dämmerung gekommen und machte dem blutigen Gefecht ein Ende.
Es wurde jedoch bis zur Nacht geschossen, dann erst verstummten die Schüsse. Im polnischen Lager aber entstand jetzt ein so großer Lärm, daß man ihn bis am jenseitigen Ufer der Netze hörte. Die Ursache desselben war zuerst, daß mehrere hundert Heerbannisten den Versuch machten, in der Dunkelheit aus dem Lager zu entfliehen. Andere, welche das bemerkten, hielten sie unter Drohungen zurück. Man griff zu den Säbeln. Die Worte: »Entweder alle oder niemand!« flogen wieder von Mund zu Mund. Aber jeder Augenblick machte es mehr zur Gewißheit, daß wohl alle gehen würden. Eine große Unzufriedenheit mit den Führern machte sich in Worten Luft. Die Heerbannisten riefen: »Man hat uns mit bloßen Leibern vor die Kanonen gestellt!«
Ebenso groß war die Entrüstung über Wittemberg, daß er, ganz entgegen dem Kriegsgebrauch, gegen Tirailleure nicht auch Tirailleure ausgesendet, sondern unvermutet mit Kanonenkugeln sie überschüttet. »Ein jeder handelt, wie es ihm bequemer,« rief man aus, »aber es ist nur Sitte bei Schweinehunden, nicht Stirn gegen Stirn zu kämpfen!« Andere gaben sich einer unverhehlten Verzweiflung hin. »Wir werden ausgeräuchert werden wie die Dachse im Bau!« jammerten diese. »Das Lager ist schlecht geschützt, die Schanzen schlecht aufgeschüttet, der Platz zur Verteidigung schlecht gewählt!« Von Zeit zu Zeit ließen sich Rufe vernehmen: »Brüder, rettet euch!« und andere schrieen: »Verrat! Verrat!«
Das war eine fürchterliche Nacht. Der Hader und die Verwirrung wuchsen von Minute zu Minute; niemand achtete der Befehle. Die ratlos gewordenen Wojewoden versuchten nicht einmal, die Ordnung wiederherzustellen. Ihre und des allgemeinen Aufgebotes Unzulänglichkeit trat jetzt klar zu Tage. Wittemberg hätte in dieser Nacht das Lager mit der größten Leichtigkeit aufheben können.
Der Morgen begann heraufzusteigen. Ein wolkiger, trüber Tag beschien dieses Menschenchaos, das, mutlos und wehklagend, zum großen Teil betrunken, eher zu einer Schandthat als zu offenem Kampfe fähig war. Um das Unglück voll zu machen, waren während der Nacht die Schweden bei Dziembowo über den Fluß auf die andere Seite der Netze gekommen und umringten jetzt das polnische Lager vollständig.
Auf dieser Seite waren fast gar keine Schanzen, hinter denen man sich hätte verteidigen können. Man mußte ungesäumt einen Wall aufschütten. Skoraschewski und Skrzetuski beschworen und baten, das zu thun, aber niemand wollte mehr etwas thun.
Die Führer und die Adligen hatten nur mehr das eine Wort auf den Lippen: »Verhandlungen!« Man sandte Parlamentäre aus. Als Erwiderung langte im Lager eine glänzende Kavalkade an, an deren Spitze Radziejowski und der General Wirtz, beide mit grünen Zweigen in den Händen, ritten. Sie bewegte sich dem Hause zu, in welchem der Wojewode von Posen wohnte. Auf dem Wege dorthin aber hielt Radziejowski mitten im Gedränge der Adligen sein Pferd an, winkte mit dem Zweige Grüße, lächelte, begrüßte Bekannte und sagte mit lauter Stimme:
»Meine Herren, geliebte Brüderchen! Aengstigt euch nicht! Wir kommen nicht als Gegner hierher. Von euch allein hängt es ab, daß auch nicht ein Tropfen Blutes mehr vergossen wird. Wenn ihr statt eines Tyrannen, welcher eure Freiheit beeinträchtigt, das absolute Regiment einführen will und das Vaterland an den Rand des Verderbens gebracht hat, wenn ihr, ich wiederhole es, statt dieses einen guten, edlen Herrn, einen mit unendlichem Ruhme bedeckten Krieger, dessen Name allein die Feinde der Republik mit Schrecken erfüllen wird, eintauschen wollt, so stellt euch in den Schutz Seiner Majestät des Königs Karl Gustav. Meine Herren, geliebte Brüder! Ich bringe euch die Zusicherung vollkommener Sorglosigkeit, vollkommener Freiheit auch in euren Religionsübungen. Von euch allein hängt eure Rettung ab ... Meine Herren! Seine Majestät der König von Schweden will es unternehmen, den Kosakenaufstand zu unterdrücken und dem litauischen Kriege ein Ende zu machen. Er allein ist im Stande, das zu thun. Erbarmt euch eures unglücklichen Vaterlandes, wenn ihr mit euch selbst kein Erbarmen habt ...«
Hier bebte die Stimme des Verräters wie von verhaltenen Thränen. Verwundert lauschte die Menge; hier und da wurden Rufe laut: »Es lebe Radziejowski, unser Kanzler!« und er ritt weiter, grüßte aufs neue die Menge und wieder hörte man seine tubaähnliche Stimme rufen: »Meine Herren, geliebte Brüder!« endlich verschwand er samt Wirtz und dem ganzen Gefolge im Hause des Wojewoden von Posen.
Die Menge drängte sich vor dem Hause so dicht zusammen, daß man über ihre Köpfe hinwegschreiten konnte, denn diese Männer alle fühlten nur zu gut, daß dort drinnen nicht nur um sie, sondern um das ganze Vaterland gefeilscht wurde. Jetzt kamen Diener des Wojewoden in purpurrote Farben gekleidet aus dem Hause und luden mehrere bedeutendere Persönlichkeiten in das Innere. Diese traten eilig ein, einige Geringere drängten ihnen nach, die übrigen standen vor der Thür, drückten sich an die Fenster, ja legten sogar die Ohren an die Wände. Rings herrschte tiefe Stille. Die in der Nähe der Fenster Stehenden vernahmen von Zeit zu Zeit lautes Stimmengewirr aus dem Innern des Gemaches dringend, wie das Echo von Disputen, Zänkereien und Streitigkeiten ... Eine Stunde nach der andern verrann – die Versammlung wollte kein Ende nehmen.
Plötzlich sprang die Eingangsthür geräuschvoll auf und Herr Wladislaus Skoraschewski stürmte heraus.
Die Anwesenden traten entsetzt zurück.
Dieser Mensch, sonst so sanft und ruhig, daß man von ihm sagte, jede Wunde heile unter seiner Hand, sah jetzt furchtbar aus. Seine Augen waren blutunterlaufen, der Blick irre, die Kleider auf der Brust aufgerissen. Mit beiden Händen hatte er seine Haare gefaßt, und während er so wie der Blitz unter die entsetzten Adligen fuhr, schrie er mit durchdringender Stimme:
»Verrat! Mord! Schande! Wir sind nicht mehr Polen, wir sind Schweden!«
Und darauf schrie er mit fürchterlichen Tönen in krankhaftem Weinen laut auf, raufte sich das Haar und geberdete sich wie einer, der den Verstand verliert. Dazu herrschte Grabesstille ringsumher. Eine gräßliche Angst hatte alle Herzen befallen. Plötzlich richtete sich Skoraschewski hoch in die Höhe, lief unter der Menge umher und begann in höchster Verzweiflung zu rufen:
»Zu den Waffen! Zu den Waffen, wer an Gott glaubt! Zu den Waffen! Zu den Waffen!« Da durchlief ein Flüstern plötzlich die Menge, erst kurz abgerissen, wie die ersten Windstöße vor dem Ausbruch des Unwetters. Die Herzen schwankten, die Sinne schwankten, und in dieses Wanken der Gefühle hinein tönte unaufhörlich der Ruf: »Zu den Waffen! Zu den Waffen!«
Bald gesellten sich noch zwei andere Stimmen diesem Rufe, diejenige Peter Skoraschewskis und Stanislaus Skrzetuskis; ihnen folgte der tapfere Rittmeister des Kreises Posen, Klodzinski.
Immer größer wurde der Kreis um die vier Männer. Ein drohendes Gemurmel wurde hörbar, Flammen zuckten über die Gesichter, blitzten aus den Augen, Säbel klirrten. Wladislaus Skoraschewski hatte die erste Erregung überwunden. Er fing an zu sprechen, indem er auf das Haus wies, in welchem Rat gehalten wurde.
»Hört ihr's, meine Herren? Dort verkaufen sie unser Vaterland und schänden es, wie Judas seinen Herrn verkauft hat. Wisset, daß wir nicht mehr zu Polen gehören. Es ist nicht genug, daß sie euch alle, das Lager, das Heer, die Geschütze dem Feinde überliefern, sie haben auch noch in ihrem und unserem Namen unterschrieben, daß wir jeder Gemeinschaft mit dem Vaterlande entsagen, unseren König verlassen, daß das ganze Land, die Höfe, die Befestigungen und wir alle auf ewige Zeiten zu Schweden gehören sollen. Es kommt wohl vor, daß das Heer sich ergiebt; aber wer hat ein Recht, seinem Vaterlande und seinem König zu entsagen?! Wer darf ganze Provinzen lostrennen, sie einem fremden Lande einverleiben, einer anderen Nation angehören wollen, das eigene Blut verleugnen? Meine Herren, das ist offenbare Schande, Verrat, Mord! ... Rettet das Vaterland, Brüder! Im Namen Gottes! Wer Tugend hat, rette unsere Muttererde! Laßt uns unser Leben, unser Blut hingeben! Wir wollen keine Schweden werden, wir wollen, wir wollen es nicht! ... Besser, der wäre nicht geboren, der jetzt sein Blut schont! Retten wir das Vaterland!«
»Verrat!« riefen verschiedene Männer. »Verrat! Schlagt sie nieder!«
»Zu uns, wer Tugend hat!« schrie Skrzetuski.
»Auf, gegen den Schweden! in den Tod!« setzte Klodzinski hinzu.
Und weiter schritten sie durch das Lager, rufend: »Zu uns! zu Haufen! Verrat!« und ihnen nach zogen schon mehrere hunderte Adliger mit gezogenem Säbel.
Aber die Mehrheit blieb doch zurück und auch diejenigen, welche mitzogen, fingen an, sich umzusehen, und, da sie merkten, wie wenige ihrer waren, zurückzubleiben.
Inzwischen war die Thür des Rathauses wieder geöffnet worden und heraus traten der Wojewode von Posen, Krystof Opalinski, zu seiner Rechten der General Wirtz, zur Linken Radziejowski. Hinter ihnen kamen Andreas Karl Grudzinski, der Wojewode von Kalisch, Maximilian Miaskowski, Kastellan von Kriewen, Paul Gembizki, Kastellan von Meseritz, und Andreas Slupski.
Krystof Opalinski hielt in der Hand eine Pergamentrolle mit herabhängenden Siegeln. Er trug den Kopf hoch, doch war sein Antlitz bleich, der Blick unsicher, obgleich er sich bemühte, fröhlich zu scheinen. Er ließ das Auge über die Menge schweifen – und während Todesstille herrschte, begann er mit lauter, wenn auch etwas heiserer Stimme:
»Meine Herren! Mit dem heutigen Tage haben wir uns unter das Protektorat des Allerdurchlauchtigsten Königs von Schweden begeben. Es lebe der König Karolus Gustavus!«
Tiefes Schweigen war die Antwort auf die Rede des Wojewoden. Plötzlich rief eine einzelne Stimme:
»Veto!«
Der Wojewode richtete den Blick nach der Richtung, woher die Stimme kam, und antwortete:
»Es giebt hier keine Landtagssitzung, das Veto ist also nicht am Platze. Und wer hier Einspruch erheben will, der gehe den auf uns gerichteten Kanonen entgegen, welche in einer Stunde das ganze Lager in einen Trümmerhaufen verwandeln können.«
Hier schwieg er; nach einer Weile fragte er:
»Wer rief das »Veto«?«
Niemand antwortete.
Der Wojewode nahm wieder das Wort und sagte noch nachdrücklicher:
»Dem Adel und der Geistlichkeit werden alle Freiheiten zugesichert, die Steuern werden nicht erhöht und in derselben Weise erhoben wie bisher. Niemandem soll ein Unrecht widerfahren, auch darf nicht geplündert werden. Den Truppen Seiner Königlichen Majestät steht bei Beziehung von Standquartieren auf den adligen Gütern, sowie bei Eintreibung von Lebensmitteln kein anderes Recht zu wie dasjenige, welches den Linientruppen der polnischen Fahnen zustand ...«
Hier hielt er inne und horchte gespannt auf das Murmeln der Adligen, gleichsam als wollte er dessen Bedeutung erraten. Dann winkte er mit der Hand.
»Außerdem haben wir das im Namen des Königs gegebene Ehrenwort und Versprechen des Generals Wittemberg, daß, sobald das ganze Reich unserem erlösenden Beispiele folgt, das schwedische Heer nach Litauen und der Ukraine aufbrechen und nicht eher ruhen wird, bis alle verlorenen Ländereien und Schlösser der Republik zurückgegeben sind. Vivat Carolus Gustavus Rex!«
»Es lebe der König Karl Gustav!« tönte es immer deutlicher vom Lager zurück. Jetzt wandte sich angesichts aller der Wojewode von Posen, Radziejowski zu und umarmte ihn herzlich, worauf er das Gleiche mit Wirtz that. Hierauf folgte eine allgemeine Umarmung. Die Adligen folgten dem Beispiel der Würdenträger, die Freude wurde allgemein. Die Vivatrufe wurden bald so laut, daß ihr Echo in der ganzen Gegend widerhallte. Aber der Wojewode von Posen bat die geliebten Brüder noch um einen Augenblick Gehör und sagte in herzlichem Tone:
»Meine Herren! Der General Wittemberg ladet uns zu einem Gastmahl in sein Lager, damit wir bei den Bechern den Bruderbund mit diesem tapferen Volke besiegeln.«
»Es lebe Wittemberg! Er lebe! Er lebe!«
»Und dann, meine Herren,« setzte der Wojewode hinzu, »gehen wir nach Hause und begehen mit Gottes Hilfe das Erntefest in dem frohen Gedanken, daß wir am heutigen Tage das Vaterland gerettet haben.«
»Spätere Jahrhunderte werden uns Gerechtigkeit widerfahren lassen,« sagte Radziejowski.
»Amen!« endete der Wojewode von Posen.
Da bemerkte er, daß die Augen der adligen Menge sich auf ihn richteten, daß sie etwas betrachteten, was, etwas höher als er, über seinem Kopfe geschah.
Er wandte sich um und erblickte seinen Narren, welcher, auf den Fußspitzen stehend, mit einer Hand an den Thürpfosten sich klammernd, mit einem Stück schwarzer Kohle auf die Wand des Rathauses, gerade über der Thür, die Worte schrieb:
»Mene – Tekel – Fares«.
Die Welt ward plötzlich dunkel, der Himmel bezog sich mit dichten Wolken – ein Sturmwetter zog herauf.