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9. Kapitel

Herr Kmiziz wagte nicht von seinen Geleitscheinen an die schwedischen Kommandanten Gebrauch zu machen, um den kürzeren Weg mich Warschau einschlagen zu können, weil er vermutete, daß Fürst Boguslaw überallhin Boten gesandt haben werde, um dieselben vor ihm zu warnen. Darum hatte er den falschen Namen angenommen und die Verkleidung angelegt, und indem er Lomscha und Ostrolenka seitwärts liegen ließ, strebte er auf Umwegen mit seinen Begleitern Prschasnysch zu erreichen, von wo aus er über Pultusk ungefährdet nach Warschau zu gelangen hoffte.

Er machte daher einen Bogen über Wonsosch, Kolno und Myschyniez, an der preußischen Grenze entlang um so lieber, als die Kiemlitsche hier die Heide- und Waldwege genau kannten und außerdem die denselben befreundeten Kurpiows dort umher verstreut wohnten, deren Beistand sie jederzeit sicher waren.

Auch die Grenzlande waren zum größten Teil schon von den Schweden besetzt; sie begnügten sich aber mit der Besetzung der größeren Städte und wagten sich nicht ins freie Land hinaus, noch weniger in die Wälder, in welchen, wie sie recht gut wußten, die mit Waffen und Rüstzeug wohl versehenen Jäger und Imker hausten – ein wildes Volk, welches fast niemals aus dem Dunkel der Wälder herauskam und so wenig ein Eindringen von außen her in ihre Wildnis duldete, daß es erst seit einem Jahre etwa der Königin Ludowika gelungen war, eine kleine Kapelle in Myschyniez zu erbauen und ein paar Jesuitenpaters dort anzusiedeln, welche Kultur und Sitte unter die rauhen Waldbewohner tragen sollten.

»Je länger wir keinen Schweden zu sehen bekommen, desto besser,« sagte der alte Kiemlitsch.

»Einmal muß es endlich doch geschehen,« entgegnete Kmiziz.

»Wer sie in der Nähe größerer Städte oder Niederlassungen antrifft, dem geschieht nicht viel,« erzählte der Alte, »weil doch immer eine Gerichtsbarkeit dort zu finden ist, welche die Uebelthäter zur Verantwortung zieht. Ich habe auch gehört, daß der König von Schweden die Räubereien verboten hat, aber die Patrouillen, wenn sie weit von den Städten auf Streifzügen Reisende antreffen, machen sich nichts aus dem Verbot.«

So zogen sie also durch die Wälder, brachten die Nächte bei Theersiedern, in Kohlenmeilern und in Jagdhütten zu. Unter den Kurpiows kursierten, obgleich bisher noch keiner von ihnen einen Schweden gesehen hatte, die seltsamsten Gerüchte über dieselben. Man erzählte sich bei ihnen, daß ein Volk über das große Meer in das Land gekommen sei, welches nicht wie Menschen sprechen könne und weder an Christum noch die heilige Jungfrau, noch an die Heiligen glaube und furchtbar räuberisch sei. Die Eindringlinge seien besonders habgierig auf Rindvieh, Felle, Haselnüsse und getrocknete Pilze; sie verfielen in großen Zorn, wenn man ihnen die Herausgabe dieser Artikel verweigerte und steckten die Heide in Brand. Andere wieder protestierten gegen diese Angaben und erzählten dafür, daß sie Wolfsfleisch über alles liebten, das Menschenfleisch und besonders das Fleisch junger Mädchen als eine große Delikatesse schätzten. Infolge dieser Gerüchte begannen die Kurpiows sich in größeren Ansiedlungen zusammenzufinden, um gegenseitig das Gehörte auszutauschen. Diejenigen, welche Pottasche bereiteten, die Theersieder, Hopfenbauer, Holzschläger, die Vogelsteller, welche ihre Leimruten an den buschigen Ufern der Roßoga stellten, die Jäger, Imker und Biberfänger; sie alle kamen in jene Versammlungen, um an den Beratungen Teil zu nehmen, wie man diesen Feind bekämpfen und vertreiben könnte.

Auf seinem Wege durch die Wälder traf Kmiziz oft genug auf größere und kleinere Trupps Männer, diesen Waldbewohnern angehörend, welche mit einem hänfenen Hemd und einem Fuchs-, Wolf- oder Bärenfell bekleidet waren. Es geschah nicht selten, daß man an Kreuzwegen oder engen Pfaden ihm und seinen Begleitern den Weg vertrat und frug:

»Wer bist du? Doch nicht etwa ein Schwede?«

Und wenn Herr Andreas dann verneinte, dann gaben sie den Weg frei und riefen ihm zum Abschied nach:

»Gott behüte dich!«

Mit Staunen und Neugier betrachtete Herr Andreas diese Menschen, welche das ganze Leben in diesen feuchten Wäldern zubrachten, deren Gesichter niemals von dem Lichte der Sonne verbrannt wurden. Er bewunderte ihren schönen Wuchs, die Ehrlichkeit, die aus ihren Augen strahlte, aus ihrer Rede floß und ihren durchaus natürlichen scharfen Verstand.

Die Kiemlitsche, welche sie lange kannten, versicherten dem Herrn Andreas, das; sie die besten Schützen der ganzen Republik seien. Er bemerkte auch, daß sie sämtlich gute deutsche Gewehre hatten, welche sie in Preußen eingetauscht hatten, und als er einmal ihre gerühmte Treffsicherheit prüfte, wurde er von Staunen ergriffen und dachte bei sich:

»Wenn ich in die Lage kommen sollte, mir eine Partei zu werben, würde ich hierher kommen.«

In Myschyniez fand er eine große Verwirrung. Ueber hundert Schützen hielten ununterbrochen Wache, weil man fürchtete, daß die Schweden hierher zuerst Vordringen würden, besonders auch darum, weil der Starost von Ostrolenka einen Weg durch den Wald hatte aushauen lassen, um den hier angesiedelten Geistlichen eine Verbindung mit der Außenwelt herzustellen.

Die Hopfenbauer, welche ihre Ware bis Prschasnysch, den dortigen berühmten Bierbrauern, brachten und aus diesem Grunde für weitgereiste Menschen galten, erzählten, daß in Lomscha, Ostrolenka und Prschasnysch alles von Schweden wimmelte und dieselben dort wirtschafteten, wie bei sich zu Hause.

Kmiziz redete den Schützen zu, das Eindringen der Schweden in die Heide nicht abzuwarten, sondern ihnen den Krieg zu erklären, indem sie Ostrolenka überfielen und sie hinaustrieben; er erbot sich, ihr Anführer zu sein. Sie zeigten auch nicht übel Lust ihm zu folgen, doch die Geistlichen hielten sie zurück, damit sie im Falle des Mißlingens, nicht die Rache der Schweden auf ihre Ansiedelung heraufbeschworen.

Herr Andreas verließ den Ort mit aufrichtigem Bedauern über das Mißlingen seines Planes. Der eine Trost blieb ihm aber – er hatte sich überzeugt, daß es nur des zündenden Funkens bedurfte, um die Flamme der Auflehnung gegen das Schwedenjoch zu entfachen.

»Wenn in anderen Gegenden die Stimmung die gleiche ist, dann kann es losgehen!« dachte er.

Seine heißblütige Natur drängte ihn zum schnellen Beginn des Verteidigungskrieges, der Verstand sagte ihm: »Die Kurpiows allein machen es nicht ... du mußt ein gut Stück Land durchreisen und beobachten, dann dem Befehle des Königs gehorchen.«

So ritt er weiter. Als er die Wildnis hinter sich hatte und in lichtere Waldgebiete kam, da bemerkte er überall ein reges Leben. Die Wege waren überall bedeckt mit reisenden Adligen, welche in Britschken, Kaleschen, Karossen oder zu Pferde den zunächst liegenden Städten und Städtchen zufuhren, um den Kommandanten den Eid der Treue für den neuen Herrn abzulegen. Sie erhielten dafür eine Bescheinigung, welche ihre Personen und ihr Vermögen vor den Uebergriffen der Schweden schützen sollte«. In den Hauptstädten der Wojewodschaften wurden Kapitulationen geschlossen, Proklamationen verlesen und Privilegien erteilt, welche dem Adel Freiheit der Bewegung und des Glaubens zusicherten.

Der Adel beeilte sich, den Pflichteid abzulegen, um nicht in den Verdacht der Widerspenstigkeit zu kommen, denn wie in Großpolen, so begann man auch hier schon, den Verdächtigen Daumschrauben anzulegen. Man erzählte sich sogar, daß gegen die Reichsten oft grundlos der Verdacht der Opposition erhoben wurde, um ihr Vermögen einziehen zu können.

Es war daher gefährlich, auf dem Lande zu bleiben. Die Reicheren zogen in die Stadt, um sich selbst unter die direkte Aufsicht der Kommandanten zu stellen und so vor Verdächtigungen sicher zu sein.

Herr Andreas lauschte aufmerksam den Aeußerungen des Adels, und obgleich man nicht viel Lust bezeigte, sich mit den Bauern zu unterhalten, so erriet er aus dem Gehörten doch, daß selbst die nächsten Nachbarn untereinander nicht das über die Schweden sprachen, was sie dachten. Man beklagte sich im allgemeinen über die »Requisitionen« und das mit Recht, denn kaum war die eine beendet, so wurde eine neue angeordnet. Wer aber nicht freiwillig gab, dem nahm man mit Gewalt dreimal mehr, als zu liefern befohlen war.

Die alte gute Zeit war vorüber. Ein jeder mußte sich einschränken wie er konnte, und entbehrte das Notwendige, um nur geben zu können, was gefordert wurde. Die Schweden vertrösteten die Bedrückten selbst aus jene Zeit, wo Johann Kasimir ihnen ganz Polen abtreten würde; dann müßte Ordnung einkehren und die Requisition aufhören.

So kam es, daß diejenigen, welche noch vor kurzem den guten Johann Kasimir einen Tyrannen geheißen und überall gegen seine Anordnungen Opposition gemacht hatten, sich schämten, jetzt auch über den Usurpator zu klagen. Hatten sie sich doch freiwillig von dem sogenannten Tyrannen losgesagt und ihrem Befreier, dem so sehnlich herbeigewünschten Karl Gustav zugewendet.

Darum aber auch sprachen sonst ganz vertraute Freunde nicht miteinander darüber, was sie über den Regierungswechsel dachten; sie liehen ein williges Ohr allen denjenigen, welche versicherten, daß die Requisitionen nur zeitweilig waren, und aufhören würden, sobald Karl Gustav sich den Thron gesichert hatte.

»Es sind schwere Zeiten, Herr Bruder!« sagte zuweilen ein Edelmann zu dem anderen, »aber wir müssen uns dennoch des neuen Herrn freuen. Er ist ein großer Potentat und Krieger; er wird die Kosaken und Türken im Zaume halten und die Septentrionäre aus den Grenzen des Reiches treiben, wir aber werden mit dein Schwedenreiche zugleich aufblühen.«

»Was sollte» wir aber auch thun, wenn wir uns nicht freuten? Wir sind dieser aufgehenden Sonne gegenüber machtlos.«

Zuweilen berief man sich auch auf den neuerdings geleisteten Eid und diese Redereien verdrossen Kmiziz so sehr, daß er eines Tages, als ein Edelmann in einem Gasthofe gleichzeitig mit ihm rastete und sich darauf berief, daß er demjenigen Treue halten müsse, dem er sie gelobt, nicht länger an sich halten konnte und diesen scharf tadelte.

»Ihr müßt zwei verschiedene Zungen haben,« sagte er, »eine, welche wahrhaftig, und eine, welche falsch schwört, denn ihr habt doch auch dem Johann Kasimir Treue gelobt.«

Es befanden sich außer ihm und dem Edelmann noch eine Menge anderer Adliger in dem Gasthofe. Als diese nun die Worte Kmiziz's hörten, kam eine große Bewegung in die Gesellschaft. Die einen bewunderten die Dreistigkeit des jungen Mannes, die anderen wurden verlegen. Endlich ergriff einer der älteren Herren das Wort und sagte:

»Niemand hat dem früheren Könige den Eid der Treue gebrochen. Er selbst hat uns davon entbunden, indem er das Land verließ und es nicht nötig fand, demselben seinen Schutz angedeihen zu lassen.«

»Daß euch doch der Tod den Mund stopfe!« rief Kmiziz zornig. »Mußte nicht auch der König Lokietek wiederholt notgedrungen das Land verlassen? Und warum kehrte er immer wieder zurück? Weil sein Volk ihn nicht verließ, weil die Gottesfurcht noch in aller Herzen lebte! Nicht Johann Kasimir hat sein Volk verlassen, sondern umgekehrt, die der Bestechung nur allzu bereitwillig Empfänglichen, die haben ihn verlassen und schieben ihm nun die Schuld in die Schuhe, um hinter ihren Spottreden vor Gott und der Welt die eigene Schuld zu bemänteln!«

»Ihr sprecht dreist, junger Mann. Woher seid ihr, daß ihr es wagt, uns, die Eingesessenen, Gottesfurcht zu lehren? Seht euch vor, daß die Schweden euch nicht hören!«

»Gern will ich eure Neugier befriedigen. Ich komme aus Kurpreußen und bin ein Unterthan des Kurfürsten ... Doch von sarmatischer Abstammung, regt sich in mir das Mitleid und die Liebe zum alten Vaterlande und ich schäme mich der Hartherzigkeit dieses hartherzigen Volkes.«

Da vergaßen die Adligen ihre Entrüstung; sie umringten Kmiziz und überschütteten ihn mit neugierigen Fragen:

»Also aus Preußen kommt ihr? ... Erzählt schnell, was ihr wißt! Was macht der Kurfürst? Wird er uns bald aus unserer Notlage befreien?«

»Aus welcher Notlage? ... Ihr freut euch doch des neuen Herrn, wie könnt ihr da von Notlage reden? Wie ihr euch bettet, so werdet ihr schlafen.«

»Wir müssen uns doch freuen, weil wir nicht anders können. Das Schwert hängt über unserm Haupte. Ihr aber sprecht doch; thut als ob wir uns nicht freuten.«

»Gebt ihm zu trinken; das wird ihm die Zunge lösen! Sprecht offen, es giebt keine Verräter unter uns.«

»Alle seid ihr Verräter!« schrie Herr Andreas sie an. »Ich will nicht mit euch trinken, ihr Schwedenknechte!«

Indem er das sagte, ging er aus der Stube und schlug die Thüre ins Schloß, daß sie krachte. Die Zurückbleibenden verharrten schweigend in Scham und Verwunderung. Keiner griff nach dem Säbel, keiner wagte ihm nachzueilen, um die angethane Schmach zu rächen.

Herr Andreas aber befand sich gleich darauf auf dem Wege nach Prschasnysch. Etliche Gewände vor dieser Stadt wurde er von einer schwedischen Patrouille aufgegriffen und auf die Kommandantur geführt. Es waren nur sechs Reiter und ein Offizier. Soroka und die drei Kiemlitsch betrachteten dieselben wie der Wolf die Schafe; sie richteten fragende Blicke auf Kmiziz, ob sie wohl über sie herfallen sollten.

Auch Herr Andreas fühlte sich dazu versucht, besonders da die Wengierka mit ihren dicht mit Schilf bewachsenen Ufern in der Nähe war. Aber er bezähmte sein Gelüste und ließ sich ruhig zum Kommandanten führen.

Dort erklärte er, wer er sei, daß er aus Kurpreußen komme und alljährlich mit Pferden zu Markte nach Sobota ziehe. Da die Kiemtitsche sich in Lyck ebenfalls mit Legitimationspapieren versehen hatten, machte ihnen der Kommandant, welcher auch deutscher Preuße war, keine Schwierigkeiten, frug nur eingehend, was für Pferde sie hatten und verlangte dieselben zu sehen.

Als man sie ihm vorführte, betrachtete er sie genau und sagte dann:

»Ich kaufe euch die Pferde ab. Einem anderen würde ich sie wegnehmen, doch einen Landsmann will ich nicht zu Schaden bringen.«

Kmiziz wurde etwas besorgt, denn wenn er die Pferde verkaufte, viel jeder Vorwand zur Weiterreise fort, und er mußte zurückkehren. Er forderte daher eine so hohe Summe für die Tiere, daß dieselbe ihren Wert um das Doppelte überstieg. Aber der Offizier wurde weder ärgerlich, noch handelte er.

»Gut,« sagte er. »Führt die Pferde in jenen Schuppen; ich bringe euch gleich das Verlangte dafür.«

Die Kiemlitsche freuten sich innerlich über das gute Geschäft, Herr Andreas aber wurde sehr zornig und fluchte weidlich. Es blieb ihm kein Ausweg; er mußte die Pferde hergeben, wollte er nicht den Verdacht erregen, daß er nur zum Scheine Pferdehandel trieb.

Unterdessen war der Offizier zurückgekehrt; er reichte dem Herrn Andreas ein Stückchen beschriebenes Papier.

»Was ist das?« frug Kmiziz.

»Geld, oder so gut als Geld. Es ist eine Anweisung.«

»Und wo habe ich die vorzuzeigen?«

»Im Hauptquartier!«

»Wo befindet sich dasselbe?«

»In Warschau,« antwortete der Offizier mit boshaftem Lächeln.

»Wir geben unsere Ware nur gegen Barbezahlung ... Was soll das heißen? ... Wie?« jammerte der alte Kiemlitsch. »Pforte des Himmels!«

Kmiziz aber warf ihm einen drohenden Blick zu, welcher ihn verstummen machte und sagte:

»Mir gilt das Wort des Herrn Kommandanten gleich Geld. Wir werden gern nach Warschau reisen, denn wir können dort für das erhaltene Geld sogleich von den armenischen Handelsleuten Waren eintauschen, welche man uns in Preußen gut bezahlen wird.«

Als der Offizier fortgegangen war, tröstete Herr Kmiziz den Alten bald, indem er ihm sagte:

»Stille, Schelm! Diese Anweisung ist für uns der beste Geleitschein, mittels welchem wir dreist bis Krakau vordringen können, indem wir klagen, daß man uns nicht bezahlen will. Es wird nämlich leichter werden, einen Stein zu Käse zu pressen, als den Schweden einen Groschen abzudrücken ... Aber gerade das brauche ich ... Die Pluderhose glaubt uns überlistet zu haben; er ahnt nicht, welchen unschätzbaren Dienst er uns geleistet hat. Euch werde ich die Pferde aus eigener Tasche bezahlen, damit ihr nicht zu Schaden kommt.«

Der Alte atmete auf. Trotzdem hörte er gewohnheitsmäßig nicht auf zu schelten:

»Sie haben uns betrogen, ins Elend gebracht!«

Herr Andreas aber war hocherfreut, da er die Wege vor sich so unerwartet geebnet fand; er war überzeugt, daß man ihn weder in Warschau noch sonstwo bezahlen werde. So konnte er weiter wandern von Ort zu Ort, scheinbar sein Recht suchend, bis zum Könige vordringend, welcher vor Krakau mit der Belagerung der früheren Reichshauptstadt beschäftigt war.

Inzwischen wollte Kmiziz in Prschasnysch übernachten, um den müden Pferden einen Ruhetag zu gönnen und seinem äußeren Menschen wieder das frühere Aussehen zu geben, aber den falschen Namen nicht ablegen, sondern weiterführen. Er hatte nämlich die Erfahrung gemacht, daß er als Bauer vielmehr den Insulten aller Reisenden ausgesetzt war, als ein anständig gekleideter Mann vom Stande. Im Pelzrock konnte er sich auch nicht so bequem unter die Begüterten des Adels mengen, um ihre Gesinnung zu erforschen.

So legte er denn seine früheren Kleider wieder an und trat unter die Schenkkränze, um sich mit den Standesgenossen zu unterhalten. Aber ihn freute nicht, was er zu hören bekam. Man trank auf die Gesundheit Karl Gustavs, stieß mit den schwedischen Offizieren an und lachte, wenn jene über Johann Kasimir und Tscharniezki spotteten. Nur eins erfüllte ihm mit Befriedigung – man duldete keinen Spott über die Religion.

Da traf plötzlich durch einen Eilboten die Nachricht ein, daß Krakau sich ergeben habe, daß Herr Tscharniezki gefangen sei und nun der letzte Widerstand gegen die Schweden gebrochen war.

Im ersten Augenblick waren die Adligen starr vor Schrecken. Dafür waren die Schweden um so heiterer; sie ließen Vivatrufe erschallen, in der Kirche vom heiligen Geist und in der erst kürzlich von der Frau von Mostowska neuerbauten Bernhardinerkirche die Glocken läuten, die Soldaten auf dem Ringe aufmarschieren und Gewehrsalven abgeben. Darauf wurden Tonnen voll Met, Bier und Branntwein herausgewälzt, Pechtonnen angezündet, dann geschwelgt bis tief in die Nacht. Die Schweden holten die Bürgertöchter aus den Häusern, um mit ihnen zu tanzen, ihr Spiel mit ihnen zu treiben. Zwischendurch schlenderten alle die adligen Herren, tranken mit den Reitern und heuchelten Freude über den Fall Krakaus.

Kmiziz wurde von Ekel gepackt; er zog sich in sein Quartier zurück, aber er konnte nicht einschlafen. Zweifel und Angst peinigten ihn. Er fürchtete, daß seine Umkehr zu spät sein könne, da das ganze Land bereits in den Händen der Schweden war. Nach dem hier Gesehenen und Gehörten war alles verloren, die Republik war außerstande, sich wieder zu erheben.

»Das ist nicht mehr ein unglücklicher Krieg, welcher mit Verlust einer Provinz zu Ende geführt werden kann,« dachte er bei sich, »nein, das ist des Reiches Untergang, denn die ganze Republik ist nunmehr mir noch eine schwedische Provinz ... Ach, und wir haben das selbst verschuldet und keiner so sehr wie ich.«

Dieser Gedanke zermarterte sein Gehirn, das Gewissen peinigte ihn. Der Schlaf floh ihn ... er wußte nicht mehr, was er thun sollte: Weiterreisen, hier bleiben, oder umkehren? Sollte er eine Schar Freiwilliger werben und mit ihnen gegen die Schweden losziehen? ... Ach, man würde ihn verfolgen, wie einen Räuber behandeln, nicht wie einen Soldaten. Dazu war er fremd hier in dieser Gegend, wer würde sein Anhänger werden wollen. In Litauen war das anders, da standen alle Tapferen zu ihm, denn sein Name galt dort viel. Hier galt der Kmiziz für einen Verräter, der Babinitsch aber war ein Fremder, dem man nicht vertrauen konnte.

Sollte er noch zum Könige? War es nicht zu spät dazu? Nach Podlachien zurück? Nein! Dort hielten ihn die Konföderierten für einen Schuft, in Litauen herrschte Radziwill, da hatte er nichts zu suchen. O, wer doch sterben könnte! – Aber sterben! Nein, nicht ohne vorher die Schuld gesühnt zu haben, denn vor dem himmlischen Richter gab es kein Erbarmen für diejenigen, welche so schuldbeladen waren wie er. Kmiziz litt Folterqualen, viel schlimmere als damals in der Waldhütte der Kiemlitsche.

Er fühlte sich stark, thatkräftig, unternehmungslustig, ach – und alle Wege zur Sühne waren verschlossen, keine Rettung, keine Hoffnung für ihn.

Nachdem er sich die ganze Nacht ruhelos auf dem Lager gewälzt, sprang er mit dem Morgengrauen auf, weckte seine Leute und ritt mit ihnen fort. Er schlug den Weg nach Warschau ein, warum, wußte er selbst nicht. Am liebsten wäre er nach Sitsch geflohen, doch die Zeiten hatten sich geändert. Dort hatte Chmielnizki mit Buturlin den Kronenhetman geschlagen und streckte jetzt seine habsüchtigen Krallen nach Lublin aus.

Auf dem Wege nach Pultusk traf Kmiziz überall auf schwedische Abteilungen, welche Wagen, beladen mit Getreide, Brot, Bier, und Viehherden aller Art eskortierten. Nebenher gingen ganze Scharen Landleute weinend und wehklagend, weil man sie unter allerlei Vorspiegelungen meilenweit hergeholt. Diejenigen konnten sich glücklich schätzen, welchen man gestattete, mit ihren leeren Wagen wieder nach Hause zu fahren; in der Regel hielt man die Männer zurück, um sie zur Ausbesserung der Schlösser und zum Aufbauen von Schuppen und Ställen anzutreiben.

Je weiter Kmiziz kam, desto mehr drängte sich ihm die Wahrnehmung auf, daß die Schweden grausam mit den Menschen umgingen. Einer der Edelleute, die er darum befragte, antwortete ihm auf seine Frage:

»Je näher nach Warschau zu, desto grausamer werden sie. Wo sie als Neulinge hinkommen, da verfahren sie anfangs milde und gütig. Wenn sie sich aber eingelebt haben, dann ist ihnen nichts heilig; sie werden wortbrüchig, nehmen auf nichts Rücksichten, berauben die Kirchen und schänden die Klosterfrauen. Doch das alles ist kein Vergleich zu dem, was in Großpolen geschieht ...«

Und nun erzählte der Edelmann Greuelthaten, bei denen den Zuhörern die Haare zu Berge stiegen.

»Sie werden es mit der Zeit überall so treiben,« endigte der Edelmann seine Erzählung. »Gott straft uns ... Das letzte Gericht ist nahe ... Es wird schlimmer und schlimmer und nirgends ist Rettung! ...«

»Mich wundert nur,« sagte Kmiziz, »daß die Menschen hier sich alles so geduldig gefallen lassen. Ich bin nicht aus dieser Gegend und kenne die Stimmung der Menschen hier nicht, aber ritterliche und edle Männer müssen doch auch bei euch wohnen.«

»Womit sollen wir uns wehren, womit?« entgegnete der Edelmann. »Die Schlösser, Vesten, Kanonen, Pulver, Musketen, alles ist in ihrem Besitz, nicht einmal die Vogelflinten haben sie uns gelassen. Unsere einzige Hoffnung beruhte noch auf der Person Tscharniezkis, aber – wenn er nun gefangen sitzt und der König in Schlesien ist, wer sollte da noch an Widerstand denken? ... Wohl sind Hände genug da, aber das Haupt fehlt ...«

»Und die Hoffnung fehlt,« sprach Kmiziz dumpf.

Unter solchen Gesprächen waren sie allmählich nach Pultusk gekommen. Man berief Kmiziz sogleich in den bischöflichen Palast, welcher zur Kommandantur umgewandelt war, damit er sich legitimiere.

»Ich liefere Sr. Majestät dem Könige von Schweden Pferde,« meldete Herr Andreas, »und habe die Anweisung an das Hauptquartier, mit welcher ich nach Warschau reise, um mein Geld zu holen.«

Der Hauptmann Israel – so hieß der Platzkommandant von Pultusk – lachte in seinen Bart hinein und sagte:

»O, dann beeilt euch nur, nach Warschau zu kommen und nehmt für den Rückweg einen Wagen, auf welchem ihr das Geld heimfahren könnt.«

»Ich danke für den Rat,« antwortete Herr Andreas, »denn ich verstehe wohl, daß Ew. Liebden mich verspotten ... Dennoch werde ich mein Recht suchen und sollte ich bis zu des Königs Majestät selbst reisen müssen.«

»Thut das nur, schenkt das Eurige nicht fort!« sagte der Schwede. »Es ist ein artiges Sümmchen, das wir euch schulden.«

»Die Zeit wird auch kommen, wo ich zu dem Gelde komme!« entgegnete Kmiziz, indem er zur Thüre hinausschritt.

In der Stadt selbst kam er wieder mitten in den Festtaumel hinein, denn das Freudenfest über die Einnahme Krakaus sollte drei Tage währen. Hier erfuhr er, daß man in Prschasnysch die Erzählung von dem Triumph der Schweden übertrieben hatte. Der Herr Kastellan von Kijow war nicht gefangen genommen; er hatte freien Abzug für sich und die Besatzung in Waffen und mit brennenden Lunten an den Geschützen ausgewirkt. Man sagte, er habe sich nach Schlesien begeben. Das war ein Trost wenigstens, wenn auch ein sehr geringer.

In Pultusk wimmelte es von Soldaten, da von allen Seiten Streitkräfte herbeizogen, welche unter der Oberleitung Israels an die preußische Grenze gehen sollten. Zum ersten Male sah Kmiziz hier Soldaten in der Kirche lagern. Alle Vorstädte, die innere Stadt und das sehr geräumige Schloß waren mit Truppen überfüllt, so hatte man, da keine Unterkunft mehr zu finden war, die herrliche Kathedrale mit deutschen Infanteristen belegt. Das Innere derselben war hell erleuchtet, denn auf den steinernen Fliesen des Fußbodens brannten helle Lagerfeuer, über welchen dampfende Kessel hingen. Rings um große Biertonnen drängten sich fremdartige Gestalten, die, wie es schien, nicht zum ersten Male ein solches Quartier bezogen hatten. Lauter Lärm erfüllte die Räume des Gotteshauses. Rauhe Kehlen sangen Lagerlieder und das Gelächter von leichtfertigen Weibern, welche mit den Kriegern überall umherzogen, schallte von den Wänden wieder.

Kmiziz stand in der offenen Thür. Er sah durch den rötlichen Rauch der Lagerfeuer die vom Trunke geröteten bärtigen Gesichter der Landsknechte, welche auf Tonnen saßen und Bier tranken, sich mit Karten- oder Würfelspiel die Zeit vertrieben. Welche von ihnen versteigerten die kostbaren Ornate und Meßgewänder, während andere mit den Dirnen scherzten und kosten, die in Kleidern von grellen Farben steckten. Der Lärm nahm von Minute zu Minute zu. Kmiziz schwindelte; er wollte seinen Augen nicht trauen, der Atem stockte ihm. Ein Blick in die Hölle hätte ihn nicht mehr mit Entsetzen erfüllen können.

Endlich raufte er sich das Haar und rannte davon, indem er wie im Irrsinn immer wiederholte:

»Gott, nimm du dich unser an! Gott strafe! Gott rette!«

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