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An diesem Tage zeigte sich der Fürst dem Adel nicht mehr vor dem Abend; er speiste mit den Gesandten und einigen Reichswürdenträgern, mit denen er vorher auch Rat gepflogen hatte. Es kam jedoch Befehl an die Offiziere, daß die Hofschwadronen der Radziwilischen Regimenter, besonders diejenigen, welche von ausländischen Offizieren befehligt wurden, sich zum Ausmarsch bereit halten sollten. Eine Kampfesschwüle lag in der Luft. Das Schloß war, obgleich nicht befestigt, doch so stark mit Truppen besetzt, als sollte unter seinen Mauern eine Schlacht geschlagen werden. Man erwartete den Marschbefehl bis spätestens am nächsten Morgen, denn alle Anzeichen sprachen dafür. Die fürstliche Dienerschaft war eifrig beschäftigt, Waffen, kostbare Geräte und die fürstliche Schatzkammer auf Wagen zu laden.
Harasimowitsch erzählte dem Adel, daß die Wagen nach Tykozin in Podlachien gehen sollten, da es gefährlich wäre, die Schatzkammer in dem unbefestigten Schlosse zu Kiejdan zurückzulassen. Man besorgte auch die Fouragewagen für die Soldaten, welche den Truppen folgen sollten.
Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß der Feldhauptmann Gosiewski deshalb verhaftet worden sei, weil er seine Fahnen, welche in Trocki standen, nicht mit denen Radziwills vereinen und auf diese Weise den ganzen Feldzugsplan vereiteln wollte. Uebrigens wurde durch die Vorbereitungen zum Ausmarsch, die Bewegung der Truppen und das Getöse, welche das Herausrollen der Kanonen aus dem Arsenal verursachte, sowie durch die Verwirrung, welche einem Ausmarsch vorausgeht, die Aufmerksamkeit von Herrn Gosiewski und dem Kavalier Judyzki augenblicklich abgelenkt.
Die in den riesengroßen unteren Sälen speisenden Adligen unterhielten sich von nichts anderem als dem Kriege, von dem Brande in Wilna, der nun schon, immer mehr sich ausbreitend, mehrere Tage währte, von den Nachrichten aus Warschau, dem Vorrücken der Schweden, von den Schweden selbst, gegen welche die Entrüstung, als gegen Wortbrüchige, die, entgegen den noch auf sechs Jahre geltenden Verträgen, den Nachbar überfielen, immer mehr sich steigerte. Die Nachricht von ihrem raschen Vordringen, von der Kapitulation in Uschz, der Besitznahme Großpolens und der Einnahme sämtlicher Städte dieser Provinz, die Gefahr des Einbruches in Masowien und die unvermeidliche Einnahme Warschaus erweckten in den Gemütern nicht nur keine Furcht, sondern feuerten den Mut und die Kampfeslust nur mehr an. Und das geschah deshalb, weil die Ursache ihres Vordringens ganz klar war. Bisher waren sie nicht ein einziges Mal weder mit einer regulären Truppe, noch mit einem echten Feldherrn zusammengestoßen. Radziwill war der erste handwerksmäßige Krieger, mit welchem sie sich messen sollten, welcher zudem das absolute Vertrauen des gesamten versammelten Adels besaß, um so mehr, da auch die Offiziere der Ansicht waren, daß die Schweden im offenen Felde geschlagen würden.
»Es kann nicht fehlen!« sagte Herr Michael Stankiewitsch, ein alter, erfahrener Krieger. »Ich erinnere mich früherer Kriege und weiß, daß die Schweden sich immer nur in Schlössern und befestigten Lagern verteidigten. Immer versteckt hinter Schanzen, wagten sie niemals, sich im offenen Felde zu stellen, da sie die polnische Reiterei entsetzlich fürchteten und stets, wenn sie auf ihre Uebermacht vertrauten, eine Schlappe davontrugen. Nicht der Sieg lieferte ihnen Großpolen in die Hände, sondern schnöder Verrat und die Unzulänglichkeit des allgemeinen Aufgebotes.«
»So ist es!« sagte Herr Sagloba. »Das ist ein schwaches Volk dort, denn ihr Boden ist unfruchtbar, sie haben kein Brot und mahlen Tannenzapfen, aus deren Mehl sie Begeisterungsflämmchen bilden, welche sämtlich nach Harz riechen. Andere nähren sich mit dem, was das Meer auswirft, und schlagen sich um diese Spezialitäten. Ein fürchterliches Gesindel wohnt dort, das auf fremdes Eigentum ganz versessen ist, weil sie nicht einmal, wie die Tartaren, sich nach Belieben an Pferdefleisch satt essen, sondern mitunter das ganze Jahr keinen Bissen Fleisch zu sehen bekommen und Hungers sterben, außer daß ein Fischzug reiche Beute abwirft.«
Hier wendete sich Sagloba an Herrn Stankiewitsch:
»Wann habt ihr denn mit den Schweden Bekanntschaft gemacht?«
»Unter dem Fürsten Krystof, dem Vater unseres Hetman.«
»Und ich unter Herrn Koniezpolski, dem Vater unseres Fähnrichs. Wir haben dem König Gustav Adolf mehrere Male gehörig zugesetzt und nicht wenig Gefangene gemacht. Dort habe ich sie und ihre Art durch und durch kennen gelernt. Unsere Jungens haben ihren Spaß mit ihnen gehabt, denn ihr müßt wissen, daß die Schweden, als ein Volk, welches immer im Wasser watet und aus dem Wasser den größten Nutzen zu ziehen versteht, exquisite Taucher sind. Wir ließen uns ihre Kunststücke vorführen, und was sagt ihr dazu, meine Herren: wirft man die Schelme in eine Wuhne, so schwimmen sie zur anderen wieder heraus und bringen noch dazu einen lebendigen Hering im Maule mit.«
»Um Gott! was sagt Ihr?!«
»Ich soll hier gleich tot niederfallen, wenn ich nicht an die hundertmal mit eigenen Augen dieses und andere ihrer Gebräuche mit angesehen habe. Auch daran erinnere ich mich wohl, daß sie am preußischen Brote sich dick gefressen hatten, so, daß sie nicht zurück wollten. Herr Stankiewitsch hat recht; sie sind keine besonderen Soldaten. Die Infanterie geht noch an, aber die Reiterei – daß sich Gott erbarme! Es giebt in ihrem Vaterlande keine Pferde, sie können also nicht von Jugend auf das Reiten erlernen.«
»Es heißt, wir sollen nicht zuerst gegen die Schweden ziehen,« sagte Herr Schzyt, »sondern erst Wilna rächen!«
»Es ist so,« antwortete Sagloba. »Ich selbst habe das dem Fürsten geraten, als er fragte, wie ich darüber denke. Sind wir erst mit dem einen fertig, so ziehen wir gegen die anderen los. Die Gesandten dort drinnen müssen gehörig schwitzen.«
»Man hat sie artig empfangen, aber die armen Kerle schaffen nichts; das beweisen am besten die Vorbereitungen zum Ausmarsch.«
»Lieber Gott! lieber Gott!« rief Herr Twarkowski, der Richter der Reußen, »wie doch mit der Gefahr der Mut wächst. Wir verzweifelten fast, da wir es mit einem Feinde zu thun hatten, nun nehmen wir es freudig mit zweien auf.«
»Das ist immer so,« entgegnete Stankiewitsch. »Man läßt sich zuweilen treten, bis endlich die Geduld reißt und der Mut und die Kraft sich finden, man weiß selbst nicht, woher. Haben wir denn nicht genug gelitten und getragen? ... Wir hofften auf den König und das Kronenheer, die eigenen Kräfte unterschätzend, bis endlich uns nur die Wahl bleibt, entweder beide Feinde zu schlagen oder mit Stumpf und Stiel zu Grunde zu gehen.«
»Gott wird uns helfen! Es ist genug des Zauderns!«
»Man hat uns das Messer an die Gurgel gesetzt!«
»So thun wir desgleichen, und zeigen wir dem Kronenheere, was wir hier für Soldaten sind. Ein Uschz soll sich hier nicht wiederholen, so wahr Gott im Himmel ist.«
Und mit der Zahl der Becher wuchs das Feuer und die Kriegslaune. So wird oft am Rande des Abgrundes erst an Rettung gedacht. Das war auch der Soldatenmenge und den Adligen klar, welche erst unlängst Johann Kasimir nach Grodno berufen hatte durch jenen verzweifelten Aufruf zum allgemeinen Aufgebot. Jetzt richteten sich alle Sinne und wendeten sich alle Herzen Radziwill zu. Alle Lippen wiederholten diesen drohenden Namen, der in einem Atem bis vor kurzem nur mit Siegen genannt wurde. Von ihm allein schien es abzuhängen, ob die zerstreuten und lässigen Streitkräfte gesammelt und unter seiner Autorität, welche allein genügte, den Ausgang beider Kriege zu entscheiden, dem Feinde entgegengeführt werden sollten.
Am Nachmittage wurden nacheinander die Hauptleute zum Fürsten berufen. Zuerst Wirski, welcher die Panzerfahne des Hetman befehligte, später Stankiewitsch, Ganhof, Charlamp, Wolodyjowski und Sollohub. Die alten Krieger wunderten sich, daß sie einzeln und nicht gemeinschaftlich gebeten wurden; sie waren aber alle angenehm überrascht, denn ein jeder verließ den Fürsten mit irgend einer Auszeichnung, einem sichtbaren Zeichen seiner fürstlichen Huld. Dafür hatte der Fürst nichts von ihnen verlangt als Treue und Vertrauen, Dinge, welche ihm ohnehin mit Herz und Seele gehörten. Der Großhetman erkundigte sich auch angelegentlichst, ob Herr Kmiziz noch nicht zurück sei, und befahl, seine Rückkehr sogleich zu melden.
Endlich am späten Abend kam dieser. Die Säle waren schon erleuchtet, die Gäste sammelten sich bereits. Im Zeughause, wohin er kam, sich umzukleiden, traf er mit Herrn Wolodyjowski zusammen und wurde mit dessen Gefährten bekannt gemacht.
»Ich freue mich außerordentlich, daß ich euch und eure berühmten Freunde antreffe,« sagte er, die Hand des kleinen Ritters schüttelnd. »Ihr seid mir lieb wie ein leiblicher Bruder! Glaubt es mir, denn ich verstehe nicht zu schmeicheln. Habt ihr mir auch einstmals tüchtig den Kopf gewaschen, so habt ihr mir doch auch wieder aus die Beine geholfen, was ich euch zeitlebens nicht vergesse. Ich sage das vor allen diesen Herren, wäret ihr nicht gewesen, ich säße jetzt hinter Schloß und Riegel. O, wenn doch solche Menschen jeder Stein zeugte. Wer anders denkt als ich, der ist ein Narr, und der Teufel hole mich, wenn ich ihm nicht die Ohren verkürze.«
»Laßt das doch!«
»So wahr ich lebe, ich ginge durchs Feuer für euch. Wer es nicht glaubt, den fordere ich!«
Herr Andreas ließ dabei den Blick herausfordernd über die Offiziere gleiten, aber niemand widersprach ihm, denn alle liebten und schätzten den Herrn Michael, nur Sagloba sagte:
»Ihr seid ein Teufelskerl, zum Henker! Mir scheint, ich werde euch sehr lieb gewinnen für eure Zuneigung zu Herrn Michael. Mich müßt ihr fragen, was er wert ist.«
»Mehr als wir alle!« antwortete Kmiziz mit seiner gewohnten Schnelligkeit. Dann blickte er die Herren Skrzetuski und Sagloba an und setzte hinzu:
»Ich bitte die Herren um Vergebung; ich will niemandem zu nahe treten, denn ich weiß, ihr seid tugendhafte Männer und große Ritter. Zürnt mir nicht, denn ich möchte herzlich gern um eure Freundschaft werben.«
»Es schadet nichts, wenn man das Herz auf den Lippen trägt.«
»Gebt mir nur einen Schmatz!« sagte Herr Sagloba.
»Das braucht man mir nicht zweimal zu sagen!« Und sie fielen einander in die Arme. Danach rief Herr Kmiziz:
»Wir müssen uns heute betrinken! Das muß sein.«
»Das darf man mir nicht zweimal sagen,« echote Sagloba nach.
»Wir wollen uns zeitig nach dem Zeughause schleichen, für das Getränk will ich sorgen.«
Herr Michael zuckte die Lippen.
»Du wirst mit dem Fortschleichen keine Eile haben,« dachte er bei sich, indem er Kmiziz von der Seite anblickte, »wenn du erst siehst, wer heute dort in den Gemächern weilt.«
Schon öffnete er die Lippen, um ihm zu sagen, daß der Schwertträger von Reußen mit Olenka nach Kiejdan gekommen sei, es wurde ihm aber seltsam wehe ums Herz und er lenkte das Gespräch auf anderes.
»Wo habt ihr eure Fahne?« fragte er.
»Hier! vollständig in Bereitschaft! Harasimowitsch war bei mir und brachte den Befehl des Fürsten, daß um Mitternacht meine Leute zu Pferde sitzen sollen. Ich fragte, ob wir alle ausmarschieren würden, er sagte »nein!« Ich verstehe nicht, was das bedeutet. Von den anderen Offizieren haben einige denselben Befehl, die anderen nicht; nur die ausländische Infanterie hat ihn ebenfalls.«
»Vielleicht soll der eine Teil des Heeres während der Nacht, der andere morgen ausrücken,« sagte Skrzetuski.
»Auf jeden Fall trinken wir zusammen; die Fahne kann vorausgehen, in einer Stunde hole ich sie ein.«
In diesem Augenblick stürmte Harasimowitsch herein.
»Erlauchter Fahnenträger von Orschan!« rief er, noch in der Thüre, sich verneigend.
»Was giebt es? Brennt es? Hier bin ich!« sagte Kmiziz.
»Zum Fürsten! zum Fürsten!«
»Gleich, ich kleide mich nur an. Bursche! den Rock, den Gurt, schnell!«
Im Handumdrehen hatte der Bursche die Kleidungsstücke gereicht und gleich darauf eilte Kmiziz, geschmückt wie zu einer Hochzeit, zum Fürsten. Er strahlte vor Schönheit. Das Kamisol war aus Silberlahn mit hin und wieder verstreuten Sternen bedeckt, deren Glanz die ganze Gestalt verklärte, am Halse mit einem großen Saphir zusammengehalten. Darüber ein Oberrock von himmelblauem Sammet, ein Gurt von unschätzbarem Werte und solcher Feinheit, daß er durch einen Ring gezogen werden konnte; ein silberner, mit Saphiren eingelegter Säbel hing in seidenem Gehenke vom Gurt herab, im Gurt steckte der Stab, welcher die Rittmeistercharge bezeichnete. Dieser Schmuck kleidete den jungen Ritter wunderbar; ein schönerer Mann wäre wohl in der unendlichen Menge der hier in Kiejdan Versammelten schwer zu finden gewesen.
Herr Michael seufzte ihm nachblickend, und als Kmiziz das Zeughaus verlassen hatte, sagte er zu Herrn Sagloba:
»Mit einem solchen Manne läßt es sich schwer bei den Mädchen wetteifern.«
»Macht mich nur um dreißig Jahre jünger,« sagte Sagloba.
Der Fürst war ebenfalls schon angekleidet, als Kmiziz eintrat. Eben verließ der Kleideraufseher in Begleitung zweier Mohren das Gemach. Kmiziz war allein mit dem Fürsten.
»Gott gebe dir Gesundheit für die Eile, womit du zurückkehrtest!« sagte der Fürst.
»Zu euren Diensten, Durchlaucht.«
»Wo ist deine Fahne?«
»Des durchlauchtigsten Befehles gewärtig.«
»Sind es auch verläßliche Leute?«
»Sie gehen mit mir durchs Feuer, in die Hölle!«
»Das ist gut. Solche Leute kann ich brauchen und solche wie du – zu allem bereit ... Ich kann es nicht genug wiederholen, daß ich auf niemanden als auf dich zähle.«
»Durchlaucht, meine Dienste können sich mit denen alter Soldaten nicht messen, aber Gott weiß es, daß ich nicht zurückbleibe, wenn es gilt, dem Feinde zu begegnen.«
»Ich will die Dienste alter Soldaten nicht gering anschlagen, trotzdem können Gefahren, so schwierige Fälle eintreten, daß auch die Treuesten wanken dürften.«
»Wer Ew. Durchlaucht in gefahrvoller Stunde zu verlassen vermag, der soll elend umkommen!«
»Und du? ... wirst mich nicht verlassen?«
Der junge Ritter wurde blutrot.
»Durchlaucht! ...«
»Was willst du sagen?«
»Ich habe Ew. Durchlaucht alle meine Sünden gebeichtet und ihre Zahl ist so groß, daß nur das Vaterherz Ew. Durchlaucht mir verzeihen konnte. Aber unter all meinen Sünden fehlt eine – der Undank.«
»Und – die Wortbrüchigkeit. Du hast mir deine Sünden gebeichtet wie einem Vater und ich habe dir nicht nur wie ein Vater verziehen, sondern dich auch lieb gewonnen wie einen Sohn ... welchen mir Gott versagt hat. Es ist mir oft so schwer ums Herz – sei mir ein treuer Freund!«
Während der Fürst das sagte, streckte er ihm die Hand hin, welche der junge Ritter sogleich ergriff und küßte.
Sie schwiegen eine lange Weile. Plötzlich senkte der Fürst seinen Blick tief in die Augen Kmiziz' und sagte:
»Das Fräulein Billewitsch ist hier!«
Kmiziz erbleichte und stotterte etwas hervor.
»Ich habe sie holen lassen, damit die Uneinigkeit zwischen euch zu Ende geführt wird. Du wirst sie bald sehen, ihre Trauer um den Ahnen ist beendet. Auch habe ich heute, trotzdem mir der Kopf von der Arbeit zu springen drohte, mit dem Herrn Schwertträger von Reußen gesprochen.«
Kmiziz faßte sich am Kopfe.
»Wie soll ich Ew. Durchlaucht jemals danken? wie soll ich danken?«
»Ich habe dem Herrn Schwertträger gesagt, daß es mein ausdrücklicher Wille ist, euch so bald als möglich zu vermählen; er hat nichts dagegen. Er soll auf meinen Befehl das Mädchen allmählich vorbereiten. Wir haben hohe Zeit. Von dir hängt alles ab; ich werde glücklich sein, wenn du aus meiner Hand diesen und noch manchen anderen Lohn empfangen darfst, denn du sollst hoch steigen. Weil du jung warst, hast du gesündigt, aber auf dem Felde der Ehre hast du trotzdem Ruhm eingelegt, und die Jugend ist bereit, deinem Beispiele zu folgen. Bei Gott, du verdienst Hohes. Für einen, der solchem Geschlechte entstammt wie das deinige, taugen kleine Aemter nicht ... Weißt du auch, daß du den Kischkows verwandt bist und meine Mutter eine Kischkow war? ... Dir fehlt nichts als Vermögen, und dazu zu gelangen, ist die Heirat das beste Mittel. Nimm jenes Mädchen, wenn du sie liebst, und denke daran, wer sie dir giebt.«
»Ich werde wahnsinnig vor Glück! Mein Leben und Blut gehören Ew. Durchlaucht! ... Was soll ich thun, um dankbar zu sein? ... Sprechen, befehlen Ew. Durchlaucht, was soll ich thun?«
»Zahle Gutes mit Gutem! ... Glaube an mich, vertraue mir, daß alles, was ich thue, nur zum allgemeinen Besten geschieht. Verlasse du mich nicht auch, wenn du den Verrat und die Abtrünnigkeit anderer siehst, wenn die Bosheit siegt, wenn man mich selbst ...«
Hier brach der Fürst plötzlich ab.
»Ich schwöre,« sagte Kmiziz begeistert, »und setze meine Kavalierehre darein, bis zum letzten Atemzuge zu Ew. Durchlaucht, meinem Feldherrn, Vater und Wohlthäter, treu zu stehen.«
Während er so sprach, blickte er dem Fürsten mit flammenden Augen ins Gesicht und erschrak über die Veränderung, welche plötzlich in demselben vorging. Mit dick angeschwollenen Adern, dunkelrot, große Schweißtropfen auf der hohen Stirn, in den Augen einen ungewöhnlichen Glanz, so saß der Fürst da.
»Was fehlt Ew. Durchlaucht?« fragte der Ritter unruhig.
Radziwill stand auf, ging eiligen Schrittes zum Betschemel, und das Kruzifix von demselben reißend, sprach er gewaltsam mit heiserer Stimme:
»Schwöre auf dieses Kreuz, daß du mir bis in den Tod treu bleibst! ...«
Trotz aller Begeisterung und Entschlossenheit blickte Kmiziz den Fürsten einen Augenblick verwundert an.
»Auf den gekreuzigten Heiland ... Schwöre! ...« drängte der Hetman.
»Auf den gekreuzigten Heiland ... Ich schwöre!« sagte Kmiziz, die Finger auf das Kruzifix legend.
»Amen!« setzte der Fürst feierlich hinzu.
»Amen!« wiederholte vom Gewölbe des hohen Gemaches das Echo, dann folgte langes Schweigen. Man hörte nur das Atmen der mächtigen Brust Radziwills. Kmiziz konnte den verwunderten Blick von dem Hetman nicht losreißen.
»Jetzt bist du mein!« sagte endlich der Fürst.
»Ich habe immer zu Ew. Durchlaucht gehört,« entgegnete eifrig der junge Ritter, »aber möge Ew. Durchlaucht erklären, ich bitte, was im Werke ist? Weshalb zweifelten Durchlaucht an mir? Droht eurer hohen Person eine Gefahr? Was für ein Verrat, welche Machinationen sind entdeckt?«
»Die Zeit der Probe kommt,« sagte der Fürst düster, »und was die Feinde betrifft – du weißt doch, daß Herr Gosiewski, Herr Judyzki und der Wojewode von Witebsk mich in den tiefsten Abgrund der Hölle verwünschen. Es ist so! Die Feinde meines Hauses mehren sich, der Verrat breitet sich aus, das öffentliche Unglück wächst. Deshalb sage ich: die Probezeit kommt ...«
Der Fürst schwieg, aber seine letzten Worte erhellten das Dunkel nicht, welches Kmiziz' Sinne umfangen hielt, er fragte sich selbst vergebens, was den mächtigen Radziwill bedrohen könne? Stand er nicht gerade jetzt an der Spitze einer größeren Heeresmacht als jemals früher? In Kiejdan selbst und in dessen Umgegend standen so viel Soldaten, daß, wenn der Fürst nur eine annähernd so große Zahl bei Schklow gehabt hätte, der ganze Feldzug eine andere Wendung bekommen hätte. Und waren ihm auch Gosiewski und Judyzki feindlich gesinnt, so hatte er doch beide in Händen, und was den Wojewoden von Witebsk betraf, so war derselbe ein zu tugendhafter Mann und guter Staatsbürger, als daß er am Vorabend eines neuen Feldzuges denselben durch irgendwelche Machinationen gestört hätte.
»Weiß Gott, ich verstehe nichts!« rief Kmiziz aus, der seine Gedanken nicht mehr für sich zu behalten vermochte.
»Noch heute wirst du alles verstehen,« sagte der Fürst ruhig. »Jetzt gehen wir in den Saal.«
Und den jungen Ritter unter den Arm fassend, lenkte er seine Schritte der Thüre zu. Sie durchschritten mehrere Gemächer. Schon von weitem klangen ihnen aus dem riesengroßen Saal die Töne einer Musikkapelle entgegen, deren Dirigent, ein Franzose, direkt vom Fürsten Boguslaw hierher verschrieben war. Man spielte eben eine Menuette, welche damals am französischen Hofe gern getanzt wurde. Die sanften Weisen vermischten sich mit dem Summen vieler menschlicher Stimmen. Der Fürst Radziwill blieb stehen und lauschte.
»Wollte Gott,« sagte er nach einer Weile, »daß alle die Gäste, welche mein Dach beherbergt, morgen nicht schon zu meinen Feinden zählen.«
»Durchlaucht,« entgegnete Kmiziz, »ich hoffe, daß unter ihnen keine schwedischen Parteigenossen sich finden ...«
Radziwill erbebte und hielt plötzlich an.
»Was willst du sagen?«
»Nichts, Durchlaucht, nur daß dort brave Soldaten eine frohe Stunde feiern.«
»Gehen wir ... Die Zeit wird lehren und Gott richten, wer brav ist. Gehen wir!«
Dicht an der Saalthür standen zwölf Pagen, bildschöne Knaben, in Sammet und Federn gekleidet. Als sie den Hetman erblickten, bildeten sie zwei Reihen, der Fürst aber, als er sich näherte, fragte:
»Ist Ihre Durchlaucht die Fürstin schon im Saale?«
»Jawohl, Durchlaucht,« antworteten die Knaben.
»Und die Herren Gesandten?«
»Sind ebenfalls drinnen.«
»Oeffnet.«
Beide Thürflügeln flogen auseinander, ein Lichtmeer strahlte ihnen aus dem Saal entgegen und beleuchtete die Riesengestalt des Hetman, welcher, Herrn Kmiziz und den Pagen im Gefolge, der Estrade zuschritt, auf welcher Sessel für die vornehmsten Gäste ausgestellt waren.
Es entstand eine Bewegung im Saale, aller Augen richteten sich auf den Fürsten, dann entströmte den Lippen Hunderter von Rittern der eine Ruf:
»Es lebe Radziwill! Er lebe! Es lebe der Hetman! Er lebe!«
Der Fürst neigte dankend den Kopf, winkte mit der Hand, dann begrüßte er die auf der Estrade versammelten Gäste, welche sich bei seinem Eintritt erhoben hatten. Außer der Fürstin befanden sich als die Vornehmsten dort die beiden schwedischen Gesandten, der Gesandte Moskaus, der Wojewode der Wenden, der Bischof Partschewski, Probst Bialozow, Herr Komorowski, Herr Mierzjewski, Herr Hlabowitsch, der Starost von Smudz, Schwager des Hetman, einer der jungen Herren Paz, der Obrist Ganhof, der Obrist Mirski, Weisenhoff, der Gesandte des Herzogs von Kurland, und mehrere Damen aus der Umgebung der Fürstin.
Der Hetman fing, wie sich das für einen Gastgeber schickt, mit der Begrüßung der Gesandten an, mit welchen er einige artige Worte wechselte, dann begrüßte er die Uebrigen. Als er damit zu Ende war, setzte er sich auf den Sessel mit dem Hermelinbaldachin und blickte in den Saal, in welchem noch immer die Rufe fortdauerten:
»Er lebe! Er, unser Feldherr! er lebe! ...«
Kmiziz, vom Baldachin verdeckt, blickte ebenfalls auf die Menge. Er ließ das Auge von Gesicht zu Gesicht schweifen, unter ihnen die geliebten Züge derjenigen suchend, welche jetzt sein ganzes, wie ein Hammer klopfendes Herz und seine Seele erfüllte ...
»Sie ist hier! Bald werde ich sie sehen, mit ihr sprechen!« wiederholte er sich in Gedanken fortwährend ... Und er suchte immer hastiger, immer unruhiger. Da, dort! Ueber die Federn des Fächers hervor lugt eine weiße Stirn, ein Paar schwarze Wimpern und blondes Haar. Das ist sie!
Kmiziz hielt den Atem an, als ob er fürchtete, die Erscheinung würde verschwinden; doch da bewegen sich die Federn, das Gesicht wird enthüllt – nein, das ist nicht Olenka, nicht die Liebste, Beste! Der Blick schweift weiter, umfängt liebliche Gestalten, gleitet über Federn, Atlas, welke Blumengesichter hinweg und täuscht sich alle Augenblicke. Nicht sie und immer wieder nicht sie! Bis endlich, weit hinten, in der Tiefe des Saales, in einer Fensternische, etwas Weißes auftaucht. Dem Ritter dunkelt es vor den Augen – das ist sie, Olenka, die Liebste, die Beste ...
Die Kapelle beginnt wieder zu spielen, die Menschenmasse wogt hin und her; Damen ziehen vorüber, geputzte Kavaliere, er aber ist blind und taub für alles, er sieht nichts, nur sie, als sähe er sie zum ersten Mal. Das ist scheinbar dieselbe Olenka aus Wodockt und doch eine andere. In dem großen Saal, unter dieser Menge erscheint sie kleiner, das Gesicht zarter, fast wie ein Kindergesicht. Man könnte sie auf den Arm nehmen und herzen. Und dennoch, so verändert, ist sie doch dieselbe. Das sind dieselben Züge, der süße Mund, die Augenwimpern, welche die Wangen so tief beschatten, die freundliche, ruhige, so geliebte Stirn. Hier kommen die Erinnerungen Herrn Kmiziz mit blitzesartiger Schnelle. Jene Gesindestube in Wodockt, wo er sie zuerst gesehen, jene stillen Gemächer, in denen sie beisammen gesessen. Wie süß selbst die Erinnerung daran! ... Und die Schlittenfahrt nach Mitrun, während welcher er sie geküßt! ... Später fingen schon die Menschen an sie zu trennen, ihren Zorn gegen ihn zu schüren.
»Daß doch ein Donnerwetter dreinschlüge!« dachte Herr Kmiziz bei sich. »Was habe ich besessen und was verlor ich! Wie war sie mir so nahe und wie ist sie jetzt so weit! Da sitzt sie nun wie eine Fremde von weitem und weiß nicht einmal, daß ich hier bin.«
Zorn und zugleich eine unendliche Wehmut befällt Herrn Andreas, für welche er keine Worte finden kann als nur den aus tiefster Seele kommenden Ausruf: »O du, Olenka, o du! ...«
Herr Andreas hatte sich oft schon selbst so sehr über seine Missethaten gegrämt, daß ihn die Lust anwandelte, sich von seinen Leuten hundert Peitschenhiebe aufzählen zu lassen, aber niemals hatte ihn ein solcher Zorn gegen sich selbst erfaßt wie heute, da er sie nach langer Trennung wiedersah, schöner noch als früher, ja schöner, als er sich hätte träumen lassen. In dieser Stunde hätte er sich aus das grausamste quälen wollen, aber da er unter Menschen, in glänzender Gesellschaft sich befand, preßte er die Lippen aufeinander und sagte sich in Gedanken nur, wie um sich größere Qualen zu bereiten: »Es ist dir recht geschehen, du Narr!«
Unterdessen waren die Klänge der Musik verrauscht und statt ihrer hörte Herr Andreas die Stimme des Hetman sagen:
»Komm mit mir.«
Kmiziz fuhr wie aus dem Traume empor.
Der Fürst verließ die Estrade und mischte sich unter die Gäste. Das sanfte, gutmütige Lächeln, welches sein Antlitz verschönte, schien die Majestät seiner Erscheinung nur zu erhöhen. Es war dies derselbe prächtige Herr, welcher seinerzeit die Königin Marie Louise in Nieporent mit Bewunderung erfüllt und die französischen Höflinge nicht nur an Prunk, sondern mehr noch durch die Feinheit seiner Sitten übertroffen hatte; derselbe, welchen Jean Laboureur in seinem Reisebericht als so verehrungswürdig erwähnt hatte. Jetzt hielt er also oft bei älteren Damen oder vornehmen Matronen an, sprach mit den vornehmeren Adligen, den Offizieren und hatte für Jeden ein gnädiges Wort. Er setzte die Anwesenden durch sein gutes Gedächtnis in Verwunderung und gewann aller Herzen im Fluge. Die Augen folgten ihm, wohin er sich wandte; er aber lenkte seine Schritte allmählich dorthin, wo der Schwertträger von Reußen, Billewitsch, saß und sagte:
»Ich danke dir, alter Freund, daß du gekommen, obgleich ich Ursache hätte, dir zu zürnen. Die Entfernung zwischen Kiejdan und Billewitsche beträgt keine hundert Meilen und doch bist du ein so seltener Gast meines Hauses.«
»Wer Ew. Durchlaucht Zeit beansprucht, schädigt das Vaterland,« entgegnete der Schwertträger, sich tief verneigend.
»Und ich gedachte schon Rache zu nehmen und dich in Billewitsche zu überrumpeln. Du würdest doch wohl den alten Lagerkumpan freundlich empfangen haben?«
Als der Schwertträger das hörte, machte ihn das Glück erröten. Der Fürst fuhr fort:
»Nur die Zeit, die Zeit reicht niemals aus! ... Aber wenn du deine Verwandte, die Enkelin des seligen Herrn Heraklins, verheiraten wirst, dann komme ich sicher zur Hochzeit, denn ich bin dir und ihm das schuldig.«
»Dann wolle Gott das recht bald geschehen lassen!« rief der Schwertträger.
»Unterdessen stelle ich dir hier den Herrn Kmiziz, Fähnrich von Orschan, vor, von der Linie jener Kmiziz, die mit den Kischkows und durch die Kischkows auch den Radziwills verwandt sind. Du hast den Namen sicher schon von Heraklius gehört, denn er liebte die Kmiziz wie seine Brüder ...«
»Zu dienen! zu dienen!« sagte der Schwertträger, welchem die hohe Geburt des jungen Kavaliers, die Radziwill selbst betonte, nicht wenig imponierte.
»Ich begrüße den Herrn Schwertträger und empfehle mich ihm zu Diensten,« sagte dreist und nicht ohne einen gewissen Stolz Herr Andreas. »Der Herr Obrist Heraklius war mir ein Vater und Wohlthäter, und obgleich später seine Bestimmungen zu Schanden wurden, so habe ich doch nicht aufgehört, alle Billewitsch zu lieben, als flösse gleiches Blut in unseren Adern.«
»Insbesondere,« sagte der Fürst, indem er seine Hand vertraulich auf den Arm des Jünglings legte, »hat er das Fräulein Billewitsch nicht zu lieben aufgehört, wie er mir erst unlängst bekannte.«
»Und einem jeden offen bekennen will!« versetzte feurig Herr Kmiziz.
»Langsam, langsam!« entgegnete der Fürst. »Du siehst, mein lieber Schwertträger, das ist ein Mensch, dem flüssiges Feuer durch die Adern rollt, was auch die Ursache von manchem seiner Vergehen sein mag. Aber da er jung ist und unter meinem besonderen Schutze steht, so hoffe ich, daß, wenn wir zu zweien bitten werden, von jenem lieblichen Mädchenmunde wohl die Zurücknahme des Urteils zu erreichen sein wird.«
»Ew. Durchlaucht gelingt jedes Unternehmen,« antwortete der Schwertträger. »Das unglückselige Mädchen wird, wie jene heidnische Priesterin einst dem großen Alexander, euer Durchlaucht zurufen: »wer könnte dir widerstehen, Herr!«
»Und wir wollen, wie jener Makedonier, es bei dieser Redensart bewenden lassen,« sagte lachend der Fürst. »Aber genug! Führe uns jetzt zu deiner Verwandten, denn auch ich möchte sie gern sehen. Wir wollen den Bestimmungen des Herrn Heraklius wieder zu ihrem Rechte verhelfen.«
»Zu dienen, Durchlaucht, das Mädchen sitzt dort unter dem Schutze der Frau Woynillowitsch, unserer Verwandten. Ich bitte nur um Vergebung, wenn Olenka verlegen wird, denn ich hatte noch nicht Zeit, sie vorzubereiten.«
Diese Voraussicht des Schwertträgers war nicht unbegründet. Zum Glück hatte Olenka nicht erst in diesem Augenblick den Herrn Andreas an der Seite des Hetman erblickt, sie hatte sich schon etwas erholt; aber da sie ihn zuerst sah, verlor sie fast die Besinnung. Sie erbleichte wie frisches Linnen, die Füße zitterten unter ihr und sie starrte den jungen Ritter an, als sei er ein Wesen aus jener Welt. Lange wollte sie ihren Augen nicht trauen. Hatte sie doch fest geglaubt, daß dieser Unglückselige entweder, wie ein von der Gerechtigkeit gehetztes Wild, verlassen von allen, ohne Dach und Fach in der Wildnis umherirre oder hinter dicken Mauern, zwischen eisernen Gittern hindurch den verzweifelten Blick zum Himmel empor sende. Gott allein wußte, welch grenzenlosen Schmerz sie oft um diesen Verlorenen empfunden hatte – und nun befand er sich hier in Kiejdan, schritt frei und stolz, geschmückt mit Sammet und Silberlahn, an der Seite des Hetman daher, das Abzeichen eines höheren Offiziers im Gurt, mit hocherhobener Stirn und befehlendem Gesichtsausdruck, und der Hetman, Radziwill selbst, legte ihm vertraulich die Hand auf den Arm. Wunderlich gemischte Gefühle durchzogen die Seele des Mädchens; eine gewisse Erleichterung, als wäre sie einer drückenden Last ledig geworden, Wehmut, daß so viel Leid umsonst getragen, so viel Thränen umsonst geflossen waren, ein Gefühl der Enttäuschung, welches jede edle Seele empfindet in dem Bewußtsein, daß so schwere Sünden und Vergehen straflos ausgingen, endlich eine große Freude und ein Gefühl der eigenen Schwäche, gemischt mit Bewunderung und Angst um den jungen Krieger, welcher aus allen Gefahren unbeschadet hervorgegangen war.
Währenddem hatten der Fürst, der Schwertträger und Kmiziz ihr Gespräch beendet und näherten sich. Das Mädchen senkte die Lider und zog die Schultern in die Höhe, als wollte sie den Kopf zwischen ihnen verbergen. Sie fühlte, daß die Herren zu ihr kamen. Mit geschlossenen Augen sah und fühlte sie sie immer näher kommen und dann vor ihr stillstehen. Sie war dessen so sicher, daß sie mit gesenkten Lidern plötzlich aufstand und sich tief vor dem Fürsten verneigte.
Und da stand der Fürst auch schon leibhaftig vor ihr und sprach sie an:
»Beim Leiden Christi! Jetzt begreife ich den Jüngling, denn diese Blume ist wunderbar schön erblüht ... Ich grüße dich, Mädchen, heiße dich von Herzen willkommen, dich, die liebe Enkeltochter meines Billewitsch. Erkennst du mich denn?«
»Ich erkenne Ew. Durchlaucht,« antwortete das Mädchen.
»Aber ich hätte dich nicht erkannt, denn ich sah dich zum letzten Mal als unentwickeltes Kind, nicht im Schmuck solcher Schönheit wie du ihn heute trägst ... Hebe doch einmal die seidenen Wimpern von deinen Augen ... Bei Gott, glücklich der Taucher, der aus ihren Tiefen die Perle der Liebe holt, unglückselig, wer sie besaß und wieder verlor ... Sieh hier, vor dir steht ein solch Unglückseliger in der Person dieses Kavaliers ... Erkennst du auch ihn?«
»Ich erkenne ihn,« flüsterte Olenka mit gesenktem Blick.
»Er ist ein großer Sünder und ich bringe ihn dir zur Beichte ... Lege ihm eine noch so schwere Buße auf, nur verweigere ihm die Lossprechung nicht, damit die Verzweiflung ihn nicht noch größere Sünden begehen läßt.«
Jetzt wandte sich der Fürst an den Schwertträger und die Frau Woynillowitsch.
»Ueberlassen wir die Beiden sich selbst, denn es schickt sich nicht, einer Beichte als Zeuge beizuwohnen, zudem verbietet mir das mein Glaube.«
Bald darauf befand sich Herr Andreas dem Fräulein allein gegenüber. Ihr klopfte das Herz in der Brust wie einer Taube, über welcher der Aar seinen Flügel spannt, und auch er war bewegt. Die gewohnte Dreistigkeit und sein Selbstbewußtsein hatten ihn verlassen. Lange Zeit schwiegen beide. Endlich begann er zuerst mit tiefer, gedrückter Stimme:
»Du hast nicht erwartet, mich zu sehen, Olenka?«
»Nein,« flüsterte das Mädchen.
»Ich glaube, wenn ein Tartar hier neben dir stände, du wärest weniger ängstlich. Fürchte dich nicht! Sieh', wie viele Menschen um uns sind; dir wird nichts geschehen. Auch wenn wir allein wären, hättest du nichts zu fürchten, denn ich habe mir selbst geschworen, dich zu ehren. Habe Vertrauen zu mir!«
Einen Augenblick erhob sie die Augen und sah ihn an.
»Woher soll mir das Vertrauen kommen?«
»Es ist wahr, ich habe gesündigt, aber das ist vorbei und wird sich nie wiederholen ... Als ich nach jenem Zweikampf mit Wolodyjowski auf dem Lager lag, den Tod vor den Augen, da sagte ich mir: Du willst sie nicht mit Gewalt, mit Feuer und Schwert nehmen, sondern durch edle Thaten sie verdienen und ihre Verzeihung gewinnen! ... Auch ihr Herz ist nicht von Stein, der Haß wird vergehen, wenn sie meine Besserung sieht, wird sie vergeben! So habe ich mir denn Besserung gelobt und werde es halten ... Gott hat mich auch gleich darauf gesegnet, denn Wolodyjowski kam und brachte mir den Aufgebotsbrief. Das ist ein edler Mensch; er brauchte mir den Brief nicht zu geben und gab ihn doch! Dadurch entging ich den Gerichten, denn ich kam unter des Fürsten Botmäßigkeit. Ich beichtete dem Fürsten alle meine Sünden wie einem Vater und er verzieh nicht nur, sondern versprach, alles ins Gleiche zu bringen und mich gegen die Gehässigkeit der Menschen in Schutz zu nehmen, Gott segne ihn! Ich werde kein Ausgestoßener sein, Olenka, werde mich mit den Menschen versöhnen, die Ehre zurückgewinnen, dem Vaterlande dienen und das Unrecht gut machen ... Olenka! Was sagst du dazu? ... Hast du kein gutes Wort für mich?«
Er sah sie bittend an und faltete die Hände, als wolle er sie anbeten.
»Darf ich es denn glauben?« antwortete das Mädchen.
»Du darfst es, so war ich Gott liebe, du mußt es!« entgegnete Kmiziz. »Sieh, auch der Fürst, auch Herr Wolodyjowski glauben daran. Alle meine Thaten sind ihnen bekannt und sie vertrauen mir dennoch ... Siehst du! ... Warum solltest du allein mir nicht glauben?«
»Weil ich die euretwegen vergossenen Thränen der Menschen und die Gräber gesehen habe, die noch frisch sind ...«
»Es wird Gras darüber wachsen und die Thränen werde ich selbst trocknen.«
»So thut das zuerst.«
»Laß mir nur die Hoffnung, daß, wenn ich es thue, auch deine Liebe mir wieder wird ... Du hast gut sagen: »Thue das zuerst!« Wenn du aber währenddem einen Anderen freist? Gott bewahre mich davor, denn ich würde wahnsinnig. Im Namen Gottes bitte ich dich, gieb mir die Gewißheit, Olenka, daß ich dich nicht verliere, ehe ich mit eurem Adel dort zum Frieden komme. Weißt du nicht? Du selbst hast es mir ja geschrieben. Diesen Brief bewahre ich, und wenn es mir schwer ums Herz wird, so lese ich ihn. Ich will nichts weiter, nur wiederhole es mir, daß du warten willst, und keinen Andern nimmst.«
»Ihr wißt, daß mir das laut Testament nicht erlaubt ist, daß ich mich nur in ein Kloster flüchten darf.«
»O, das wäre das allerletzte! Beim lebendigen Gotte, schlage dir das Kloster aus dem Sinne, mich überläuft es bei dem bloßen Gedanken. Laß den Gedanken fahren, Olenka, oder ich falle dir hier in Gegenwart aller zu Füßen und flehe dich an, daß du nicht ins Kloster gehst. Den Herrn Wolodyjowski hast du abgewiesen, ich weiß es, denn er hat es mir selbst gesagt. Er war es auch, der mich ermutigte, dich durch gute Thaten wiederzugewinnen ... Aber was nützte mir das alles, wenn du ins Kloster gehen wolltest. Du wirst sagen, man muß die Tugend der Tugend wegen üben ... und ich sage dir wieder, daß ich dich wahnsinnig liebe und nichts weiter hören will. Du hattest Wodockt kaum verlassen, da erhob ich mich vom Krankenlager und fing an, dich zu suchen. Ich sammelte meine Fahne, hatte keinen Augenblick Zeit, aß und schlief nicht, stellte aber meine Nachforschungen nicht ein. Es war so weit, daß ohne dich das Leben kein Leben war. Ruhelos nur an dich denkend, lebte ich. Endlich erfuhr ich, du seiest in Billewitsche bei dem Herrn Schwertträger. Ich plagte mich mit Gedanken ab, sollte ich hin oder nicht? Aber ich wagte es doch nicht, um nicht Schmähungen zu ernten. Endlich sagte ich mir, ich habe noch nichts Gutes vollbracht, ich kann nicht vor sie hintreten ... Da erbarmte sich der Fürst, mein geliebter Vater, meiner und ließ euch nach Kiejdan bitten, damit meine Augen am Anblick meines Liebsten auf Erden sich erquickten, ehe ich in den Krieg ziehe. Ich verlange ja nicht, daß du morgen mich ehelichst ... wenn ich nur ein gutes Wort von dir zu hören bekomme, nur Gewißheit erlange, da wird mir leichter werden ... Meine geliebte Seele! ... Ich möchte nicht sterben, aber im Kampfe kann das jedem begegnen, denn ich werde mich nicht hinter andere verstecken ... Du sollst mir also vergeben, wie man einem Sterbenden vergiebt.«
»Gott behüte und erhalte euch,« entgegnete das Mädchen mit weicher Stimme, welcher Herr Andreas sogleich anhörte, daß seine Worte nicht ohne Eindruck geblieben waren.
»Mein echtes Gold! Habe Dank auch dafür. Und wirst du nicht ins Kloster gehen?«
»Ich werde noch warten.«
»O, Gott segne dich für diesen Entschluß!«
Und wie im Frühling der Schnee taut, so schmolz auch allmählich das Mißtrauen zwischen ihnen, sie fühlten sich einander näher als vor einer Weile. Ihre Herzen wurden leichter, die Augen heller. Und doch versprach sie ihm nichts weiter und er war so verständig, nichts weiter zu verlangen. Sie fühlte selbst, daß sie ihm den Weg zur Besserung, von welchem er so aufrichtig sprach, nicht erschweren dürfe. An der Aufrichtigkeit seiner Gesinnung zweifelte sie keinen Augenblick weiter, denn er war ein Mensch, welcher nicht zu simulieren verstand. Doch war der Hauptgrund, warum sie ihn nicht von neuem zurückstieß und ihm Hoffnung ließ, der, daß sie den Jüngling noch immer von ganzem Herzen liebte. Alle Bitterkeit, Enttäuschung und Schmerz unterdrückten diese Liebe, aber sie lebte, war bereit, zu glauben und zu verzeihen ohne Ende.
»Er ist besser als seine Thaten«, dachte das Mädchen, »und diejenigen, welche ihn zu den Ausschreitungen bewogen haben, sind nicht mehr, er würde höchstens aus Verzweiflung sich zu neuen Tollheiten hinreißen lassen, so möge er denn niemals verzweifeln.«
Und ihr braves Herz erfreute sich an der eigenen That der Vergebung, Ihre Wangen röteten sich wie Rosen unter dem frischen Morgentau, die Augen glänzten mild und freundlich, so daß sie hell durch den Saal leuchteten. Die Vorübergehenden bewunderten das schöne Paar, denn zwei herrlichere Gestalten wie diese beiden waren wohl auch im ganzen Saale nicht zu finden; sie bildeten die Blüte des Adels.
Dazu waren beide wie auf Verabredung ganz gleich gekleidet, denn auch sie trug ein Kleid aus Silberlahn, mit einem Saphir zusammengehalten, und ein Ueberkleid aus venetianischem himmelblauen Sammet. »Das ist wohl Bruder und Schwester!« sagten die, welchen sie unbekannt waren, aber andere machten sogleich die Gegenbemerkung: »Das kann nicht sein, denn der Blick seiner Augen ist zu strahlend auf sie gerichtet.«
Jetzt hatte der Marschall das Zeichen gegeben, daß es Zeit sei, zu Tische zu gehen, und alsbald entstand eine ungewöhnliche Bewegung. Der Graf Löwenhaupt, ganz in Spitzen gehüllt, führte den Vortritt mit der Fürstin, deren Mantelschleppe zwei schöne Pagen trugen. Dann kam Baron Schitte mit der Frau Hlebowitsch und dicht hinterdrein der Bischof Partschewski mit dem Archidiakon Bialozow, welche beide aussahen, als seien sie bekümmert und vergrämt. Der Fürst Janusch, welcher im Zuge den Gästen den Vortritt ließ, aber bei Tische neben der Fürstin den höchsten Platz einnahm, führte die Frau Wojewodin Korf, welche schon seit einer Woche in Kiejdan weilte. So reihte sich Paar um Paar dem Zuge ein, der gleich einer buntschillernden Schlange sich dehnte und fortbewegte. Kmiziz führte Olenka, welche ihre Schulter leicht an die seinige lehnte; er dagegen schaute von der Seite in ihr feines Antlitz, glücklich, wie eine Fackel strahlend, der reichste unter all diesen Magnaten, weil seinem größten Schatze nahe.
So betraten sie, immer vorwärts geschoben, unter den Klängen der Kapelle den Speisesaal, welcher aussah wie ein ganz besonderer Bau. Die Tafel war in Hufeisenform aufgestellt, für dreihundert Personen gedeckt und bog sich fast unter der Schwere des Goldes und Silbers. Fürst Janusch, einen Teil der königlichen Majestät repräsentierend und dem Könige verwandt, nahm den höchsten Platz neben der Fürstin ein, die übrigen verbeugten sich im Vorüberschreiten tief vor ihm und setzten sich nach Rang und Würde um die Tafel. Doch der Fürst dachte sicherlich daran, daß dies das letzte Mahl vor dem Ausbruch eines schrecklichen Krieges sei, welcher das Los zweier mächtiger Reiche entscheiden sollte, denn die Anwesenden bemerkten deutlich eine große Unruhe in dem Antlitz des Fürsten.
Er lachte und scherzte wie in fieberhafter Erregung; zuweilen umwölkte sich seine Stirn drohend und die zunächst Sitzenden sahen, daß dieselbe mit dichten Schweißtropfen bedeckt war. Dann wieder flog sein Blick schnell über die Gesichter der Versammelten und blieb prüfend an denjenigen der verschiedenen Offiziere hängen und dann wieder zogen sich die mächtigen Brauen zusammen wie im Zorn oder einem verhaltenen Schmerz. Und wunderbar, auch die Reichswürdenträger neben dem Fürsten, die Gesandten, der Bischof, der Archidiakon, Bialozow, Herr Komorokowski, Herr Mierzejewski, Herr Hlebowitsch, der wendensche Wojewode und andere waren auch zerstreut und unruhig. Die beiden Flügel der Tafel hallten schon von fröhlichen Gesprächen und dem bei jedem Festessen stattfindenden Summen wider, während an der Spitze derselben noch düsteres Schweigen herrschte, nur hier und da ein Flüsterwort fiel oder zerstreute und ängstliche Blicke gewechselt wurden.
Das war aber auch kein Wunder, denn am unteren Ende der Tafel saßen Offiziere und Ritter, die in dem bevorstehenden Kriege nichts weiter zu verlieren hatten als das Leben. Es ist aber leichter, auf dem Schlachtfelde zu fallen, als die Verantwortung für den ganzen Feldzug zu tragen. Der Soldat, dessen durch das vergossene Blut von aller Schuld entsühnte Seele zum Himmel entflieht, ist aller Sorgen bar, nur der senkt den gedankenschweren Kopf, nur der rechnet mit Gott und seinem Gewissen ab, welcher am Vorabend eines entscheidenden Tages nicht weiß, ob das Vaterland siegen oder untergehen wird.
Auf diese Weise erklärte man sich die Unruhe des Fürsten.
»Er ist immer so vor jeder Schlacht, als ob er mit der eigenen Seele Zwiesprache hält,« sagte der alte Obrist Stankiewitsch zu Herrn Sagloba, »aber je finsterer er dreinschaut, desto schlimmer für den Feind, denn dann ist er am Tage der Schlacht heiter.«
»Auch der Löwe brüllt vor dem Kampf,« entgegnete Herr Sagloba, »um eine größere Abneigung gegen den Feind in sich zu erwecken. Jeder große Held hat seine eigne Manier. Hannibal spielte Würfel vor der Schlacht, Scipio der Afrikaner deklamirte, Herr Koniezpolski der Vater sprach nur von jungen Mädchen und ich schlafe gern ein paar Stunden oder verschmähe auch einen Becher in Gesellschaft guter Freunde nicht.«
»Bemerkt ihr Herren, daß auch der Bischof Partschewski weiß wie ein Blatt Papier ist?« fragte Herr Stanislaus Skrzetuski.
»Das kommt daher, weil er bei einem Calvinisten zu Gaste sitzt und leicht etwas Unreinliches verschlucken könnte,« erklärte Herr Sagloba mit leiser Stimme. »Alte Leute sagen, daß der Böse über die Getränke keine Macht hat, deshalb kann man überall trinken, aber vor dem Essen, besonders vor Suppen, soll man sich hüten. So war es auch zur Zeit, als ich in der Kirim in Gefangenschaft saß. Die tartarischen Pfaffen verstanden das Hammelfleisch so mit Knoblauch zuzubereiten, daß, wer davon kostete, gleich bereit war, seinen Glauben zu verleugnen und zu ihrem nichtsnutzigen Propheten zu schwören.«
Sagloba dämpfte seine Stimme noch mehr.
»Ich will dem Fürsten nichts Böses zumuthen, aber ich rate euch, das Essen zu bekreuzigen, denn den Vorsichtigen schützt Gott.«
»Was ihr da redet, Herr! ... Wer sich Gott vor dem Essen empfiehlt, dem kann nichts geschehen. Bei uns in Großpolen giebt es Lutheraner und Calvinisten in Menge, aber ich habe noch nie gehört, daß sie das Essen behexen können.«
»Weil es bei euch in Großpolen so viele Lutheraner giebt, deshalb haben sie auch gleich mit den Schweden berochen und sind gute Freunde geworden. Ich würde an Stelle des Fürsten auch diese Gesandten dort mit Hunden vom Schloßhofe hetzen, anstatt ihnen mit Leckereien den Magen zu füllen. Seht nur diesen Löwenhaupt. Er frißt, als sollte er nach einem Monat an der Leine zu Markte geführt werden. Er füllt noch für Weib und Kinder die Taschen mit Näschereien ... Da habe ich doch vergessen, wie der andere Ausländer heißt. Daß dich doch ...«
»Fragt Herrn Michael darum, Vater,« sagte Johann Skrzetuski.
Herr Michael saß in der Nähe, aber er sah und hörte nichts, denn er saß zwischen zwei Damen. Zur linken Seite hatte er das Fräulein Elisabeth Sielawska, eine ehrbare Jungfrau von etwa vierzig Jahren, zur rechten Olenka Billewitsch, hinter welcher Kmiziz saß. Fräulein Elisabeth schüttelte das federngeschmückte Haupt über dem kleinen Ritter, während sie ihm sehr lebhaft etwas erzählte. Er sah sie von Zeit zu Zeit wie geistesabwesend an, antwortete alle Augenblicke: »Ja, gnädiges Fräulein, so wahr ich lebe!« und verstand kein Wort von dem, was sie sagte, denn seine ganze Aufmerksamkeit war nach der anderen Seite gerichtet. Er lauschte der Stimme Olenkas, hörte das Knistern ihres Kleides und zuckte so schmerzvoll die Lippen, als wollte er Fräulein Elisabeth damit zurückschrecken.
»O, dieses wunderbare Mädchen! diese Schönheit!« dachte er bei sich. »Herr, erbarme dich meines Elendes, denn niemand ist so verlassen wie ich. Die Seele verzehrt sich vor Sehnsucht, ein eigenes geliebtes Weib zu besitzen, doch auf welches Mädchen ich auch mein Augenmerk richte, eine jede ist bereits versagt. Wo finde ich armer Wanderer Ruhe? ...«
»Und was gedenkt ihr nach dem Kriege zu thun?« fragte plötzlich Fräulein Elisabeth Sielawska, indem sie den Mund spitzte und sich eifrig Luft zufächelte.
»Ins Kloster zu gehen!« entgegnete der kleine Ritter barsch.
»Wer redet dort vom Kloster während eines Gastmahls?« rief Kmiziz heiter, sich herüberneigend. »Ei, das ist ja Herr Wolodyjowski.«
»Das wäre nicht nach eurem Sinn? O ich glaube es!« sagte Herr Michael. Da tonte Olenkas süße Stimme an sein Ohr:
»Auch ihr werdet das nicht nötig haben, Gott wird euch nach eurem Sinn eine liebe, edle Frau geben, so edel, wie ihr selbst seid.«
Der gute Herr Michael antwortete gleich gefühlvoll:
»Eure Worte klingen lieblich wie Musik!«
Das an der Tafel immer lauter werdende Geräusch unterbrach die fernere Unterhaltung. Man war bei den Bechern angelangt. Die Stimmung wurde eine immer gehobenere. Die Offiziere disputierten vom bevorstehenden Kriege, stirnrunzelnd und feurigen Blickes.
Herr Sagloba erzählte über den Tisch hinweg von der Belagerung Sbaraschs und den Zuhörern stieg das Blut ins Gesicht vor Erregung, in den Herzen stieg die Begeisterung und der Mut. Man konnte meinen, der Geist des unsterblichen »Jarema« sei herniedergestiegen und erfülle die Seelen dieser Krieger hier mit Heldenmut.
»Das war ein Feldherr!« rief der bekannte Obrist Mirski, welcher sämtliche Husaren Radziwills befehligte. »Ich sah ihn nur einmal, aber bis zu meiner Sterbestunde vergesse ich seiner nicht.«
»Jupiter, den Blitz in der Hand, war er!« rief der alte Stankiewitsch. »Es wäre mit uns nicht so weit gekommen, wenn er lebte! ...«
»Gewiß nicht! Er ließ hinter Rumno durch die Wälder einen Weg zu den Feinden bahnen.«
»Er war die Veranlassung zu dem Siege bei Bereschtez.«
»Gott nahm ihn uns in der schwersten Zeit ...«
»Gott nahm ihn uns,« sagte mit gehobener Stimme Johann Skrzetuski, »aber sein Vermächtnis blieb den künftigen Feldherren, den Reichswürdenträgern und der ganzen Republik – das Vermächtnis, mit keinem Feinde Verhandlungen einzugehen, sondern alle zu besiegen!! ...«
»Nicht paktieren! Zuschlagen!« wiederholten mehrere kräftige Stimmen. »Siegen! Siegen!«
Die Hitze im Saale war groß, die Gemüter der Krieger erregt, die Schöpfe dampften und vielsagende Blicke wurden gewechselt.
»Unser Fürst, unser Hetman, wird dieses Testaments Vollstrecker werden!« sagte Mirski.
In diesem Augenblick begann die große Uhr am oberen Ende des Saales die Mitternachtsstunde zu schlagen. Gleichzeitig erbebten die Mauern, die Scheiben klirrten leise vom Donner eines Kanonenschusses, welcher auf dem Schloßhofe abgefeuert wurde.
Die Reden verstummten, tiefe Stille trat ein.
Plötzlich entstand am oberen Ende der Tafel eine Bewegung. Man rief: »Wasser! Seine bischöfliche Gnaden sind ohnmächtig geworden!«
Viele standen auf, um besser sehen zu können, was vorging. Der Bischof war nicht ohnmächtig, nur sehr schwach geworden, so daß der Marschall ihn stützen mußte, während die Frau Wojowodin ihm Wasser in das Gesicht spritzte.
Jetzt machte der zweite Kanonenschuß die Fensterscheiben erzittern, gleich darauf ein dritter und vierter ...
»Vivat die Republik! pereant hostes!« schrie Sagtoba.
Weitere Schüsse unterbrachen die begonnene Rede. Der Adel fing an zu zählen:
»Zehn, elf, zwölf ...«
Die Scheiben antworteten jedesmal mit wehklagenden Tönen. Die Flammen der Lichter flackerten von der Erschütterung.
»Dreizehn! vierzehn! Seine erzbischöfliche Gnaden können den Donner nicht vertragen ... Durch seine Aengstlichkeit hat der Bischof das Fest gestört, den Fürsten besorgt gemacht ... Seht, wie verstimmt er ist ... Fünfzehn, sechzehn ... Ha! sie donnern wie zum Gefecht! Neunzehn, zwanzig!«
»Still dort! Der Fürst will sprechen!« rief es plötzlich an verschiedenen Ecken der Tafel.
»Der Fürst will sprechen!«
Es wurde ganz still; aller Augen richteten sich auf Radziwill, welcher hoch aufgerichtet mit dem Becher in der Hand dastand. Aber welcher Anblick wurde den Festteilnehmern.
Das Gesicht des Fürsten war in diesem Augenblick schrecklich anzusehen: es war bläulich angelaufen und von einem krampfhaften Lächeln verzerrt, welches der Fürst mit Anstrengung festzuhalten suchte. Sein ohnehin kurzer Atem war noch kürzer geworden, die Brust hob sich mühsam unter dem Goldbrokat, die Augen waren durch die Wimpern halbverdeckt und jene eisige Starrheit lag über den Zügen ausgebreitet, welche der Vorbote des herannahenden Todes zu sein pflegt.
»Was fehlt dem Fürsten? was geht hier vor?« flüsterte man ringsumher unruhig. Eine böse Ahnung beschlich die Herzen aller; ängstliche Erwartung malte sich auf den Gesichtern.
Unterdessen hatte der Fürst zu sprechen angefangen, in kurzen, abgerissenen Worten:
»Meine Herren!« sagte er. »Viele unter euch wird der Toast, den ich aus ... bringen will ..., in Verwunderung ... oder sogar in ... Schrecken versetzen ..., aber ... wer mir vertraut und glaubt ..., wer wahrhaft das Wohl ... des Vaterlandes ... erstrebt ..., wer ein treuer Freund ... meines Hauses ..., der wird fröhlich mit einstimmen ... in den Ruf: Vivat Carolus Gustavus rex ... von heute an unser gnädiger Herrscher!«
»Vivat!« wiederholten die beiden Gesandten Löwenhaupt und Schitte, nebst mehreren fremdländischen Offizieren.
Aber im Saale blieb es totenstill. Die Offiziere und der Adel sahen einander entsetzt an, als wollten sie fragen, ob der Fürst etwa den Verstand verloren. Endlich ertönten von verschiedenen Stellen zugleich die Rufe:
»Hören wir recht? Was soll das bedeuten?«
Dann folgte wieder Totenstille. Verwunderung und sprachloses Entsetzen malte sich in den Gesichtern. Aller Augen richteten sich wiederum auf Radziwill, welcher noch schwer keuchend dastand, als wollte er eine unerträgliche Last von seiner Brust wälzen. Allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück, er wandte sich an Herrn Komorowski und sagte:
»Es ist an der Zeit, den Vertrag zu veröffentlichen, welchen wir heute unterzeichnet haben, damit die Herren erfahren, um was es sich handelt. Lest, ich bitte!«
Komorowski erhob sich, entrollte das vor ihm liegende Pergament und begann den gräßlichen Vertrag vorzulesen, welcher also anfing:
»Da wir bei dem jetzigen drohenden Stand der Dinge, bei der gänzlichen Hoffnungslosigkeit auf die Hilfe unseres allergnädigsten Königs nicht besser und einsichtsvoller zu handeln vermögen, so stellen wir Herren und die Stände des Großherzogtums Litauen uns, von der Notwendigkeit gezwungen, unter den Schutz des allergnädigsten Königs von Schweden unter folgenden Bedingungen:
1. Daß wir gemeinschaftlich gegen unsere gemeinsamen Feinde – ausgeschlossen den König und die Krone Polens – in den Kampf ziehen wollen.
2. Das Großherzogtum Litauen wird Schweden nicht einverleibt, es soll jedoch in dem Verhältnis mit Schweden verbunden sein, wie es bisher mit der Krone Polen verbunden war, das heißt Volk und Volk, Senat und Senat, Ritterschaft und Ritterschaft soll nebeneinander mit gleichem Recht in allem bestehen.
3. Die Freiheit des Wortes in den Landtagen bleibt unverwehrt.
4. Die Freiheit in der Ausübung der Religion soll nicht angetastet werden.«
Und so fort las Herr Komorowski, während Totenstille und sprachloses Entsetzen ringsum herrschte, bis er zu den Worten kam: »... Diesen Akt bestätigen wir und geloben, ihn zu halten, mit unseren Unterschriften für uns und unsere Nachkommen!«
Da erhob sich plötzlich ein Flüstern, wie der erste leise Windhauch vor dem Ausbruch des Unwetters, aber ehe noch das Unwetter losbrechen konnte, nahm der greise Herr Stankiewitsch das Wort und fing an flehentlich zu bitten:
»Durchlaucht! Bei den Wunden Christi! Wir trauen unseren Ohren nicht! Soll denn das Werk Wladislaus' und Sigismund Augusts so zu Grunde gerichtet werden? Kann man, darf man die Brüder so verlassen, das Vaterland preisgeben und sich dem Feinde verbinden? Durchlaucht! Gedenkt des Namens, den ihr tragt, der Verdienste, die ihr um das Vaterland erworben, der jungfräulichen Ehre eures Geschlechts und zerreißt dieses schändliche Dokument, tretet es mit Füßen! Ich bitte nicht allein im eigenen Namen darum, sondern im Namen aller hier Anwesenden, der Soldaten und des Adels. Auch uns steht das Recht zu, über unser Schicksal zu entscheiden! Durchlaucht! Noch ist es Zeit! Thut es nicht! ... Erbarmt euch über euch selbst, über uns und erbarmt euch über die Republik!«
»Thut das nicht! Erbarmen! Erbarmen!« riefen Hunderte von Stimmen.
Und alle Offiziere erhoben sich von ihren Plätzen und drängten sich um ihn und der greise Stankiewitsch kniete mitten im Saale zwischen den beiden Flügeln der Tafel nieder und immer mächtiger tönte es ringsum:
»Thut es nicht! Erbarmt euch über uns!«
Radziwill richtete den mächtigen Kopf auf, Zornesblitze funkelten in seinen Augen; plötzlich stieß er hervor:
»Also ihr seid es, welche zuerst das Beispiel des Ungehorsams gebt? Die Soldaten wollen den Feldherrn, ihren Hetman, verlassen und gegen seinen Willen Protest erheben? Ihr wollt mein Gewissen sein? Ihr wollt mich lehren, wie man für das Wohl des Vaterlandes handelt? Hier ist kein Landtag und man hat euch nicht gerufen, eure Meinung zu hören, und vor Gott trage ich die Verantwortung allein!«
Und er schlug mit der Faust gegen die breite Brust, sah mit sprühenden Augen die Offiziere an und schrie nach einer Weile:
»Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich! Ich kannte euch, wußte, was kommen würde! ... Und ihr wisset, das Schwert hängt über euren Häuptern! ...«
»Durchlaucht! Unser Hetman!« flehte der alte Stankiewitsch. »Erbarmen mit uns und euch!«
Sein Flehen wurde von Herrn Stanislaus Skrzetuski unterbrochen, welcher, sich mit beiden Händen die Haare raufend, in verzweifelten Tönen ausrief:
»Bittet nicht, es nützt nichts! Er hat diesen Verrat längst still im Herzen genährt! ... Wehe der Republik! Wehe uns allen!«
»Zwei der größten Würdenträger verkaufen an den Grenzen der Republik das Vaterland!« ries Johann Skrzetuski. »Fluch diesem Hause! Schande und der Zorn Gottes möge es treffen!«
Und Herr Sagloba schüttelte, da er das hörte, seine Erstarrung ab und brach los:
»Fragt ihn doch, welchen Verräterlohn er von Schweden empfängt?! Wie viel hat man ihm schon ausgezahlt? Was hat man ihm noch versprochen? Meine Herren! Seht, dort steht Judas Ischariot. O, daß du doch in deinen Sünden dahinfahren mögest! Daß dein Stamm erlösche! Daß der Teufel deine Seele hole! ... Verräter! Verräter! dreifacher Verräter!«
Und Stankiewitsch zog in der Erregung der größten Verzweiflung das Abzeichen seiner Obristenwürde aus dem Gurt und warf den Stab klirrend zu den Füßen des Fürsten. Ihm nach thaten dasselbe Mirski, Josefowitsch, Hoschtschytz und bleich wie der Tod, Herr Wolodyjowski und Oskierko. Und so, wie die Obristenstäbe in dieser Höhle des Löwen auf dem Fußboden umherflogen, so tönten gleichzeitig in die Ohren des Löwen immer zahlreicher und lauter die Worte:
»Verräter! Verräter! ...«
Alles Blut stieg dem stolzen Magnaten zu Kopfe: er wurde blaurot im Gesicht, es sah aus, als sollte er augenblicklich tot zu Boden fallen.
»Ganhof! Kmiziz! zu mir! ...« brüllte er mit schrecklicher Stimme.
Und in demselben Augenblick thaten sich die in den Saal führenden Flügelthüren lärmend auf und die Abteilungen der schottischen Leibwachen traten drohend, schweigend, mit den Büchsen in der Hand, ein. Von dem Haupteingange her führte sie Ganhof herein.
»Stillgestanden!« rief der Fürst.
Dann wandte er sich an die Offiziere:
»Wer mit mir ist, der trete auf die rechte Seite des Saales.«
»Ich bin ein Soldat und diene dem Hetman! ... Möge Gott mich richten!« sagte Charlamp, auf die rechte Seite tretend.
»Auch ich!« setzte Mieleschko hinzu. »Die Sünde fällt nicht auf mich!«
»Ich protestiere als Bürger, als Soldat habe ich zu gehorchen,« sagte als dritter Niewiarowski, welcher das Abzeichen seiner Würde ebenfalls weggeworfen hatte, jetzt aber ersichtlich sich vor Radziwill fürchtete. Ihm folgten noch einige andere Offiziere und ein ziemliches Häuflein Adel. Mirski jedoch, im Range der Höchste, Stankiewitsch, der Aelteste, Hoschtschytz, Wolodyjowski und Oskierko blieben auf ihren Plätzen, mit ihnen die beiden Skrzetuskis, Herr Sagloba und die große Mehrzahl teils Waffenbrüder der verschiedenen leichten und schweren Truppengattungen wie auch des Adels.
Die Schotten umringten sie wie eine Mauer.
Kmiziz war gleich im ersten Augenblick, da der Fürst die Gesundheit Karl Gustavs ausgebracht, mit den Anderen aufgesprungen und hatte, starren Blickes, wie versteinert bis jetzt dagestanden und mit bleichen Lippen fortwährend die Worte gestammelt:
»Gott! ... Gott! ... mein Gott! ... was habe ich gethan?«
Da flüsterte eine leise, aber für sein Ohr deutlich vernehmbare Stimme neben ihm:
»Herr Andreas! ...«
Er griff sich mit beiden Händen in die Haare.
»Ich bin verdammt auf ewig! ... O, könnte ich in die Erde versinken! ...«
In das Gesicht des Fräulein Billewitsch trat dunkle Röte; sie schien mit den hellen Augen Kmiziz durchbohren zu wollen.
»Schande denen, welche zum Hetman stehen! ... Wählt! ... Allmächtiger Gott! ... Was thut ihr? ... Wählt! ...«
»Jesus! Jesus!« schrie Kmiziz auf.
Unterdessen erdröhnte der Saal von den Rufen der Anderen, die Abzeichen der Obristen flogen dem Fürsten zu Füßen, aber Kmiziz rührte sich nicht von der Stelle, er blieb auch dann noch stehen, als der Fürst schrie: »Ganhof und Kmiziz, zu mir!« und auch dann noch blieb er unbeweglich, verzweifelt, vom Schmerz zerrissen, mit bleichen Lippen und irrem Blick auf seinem Platze, als die Schotten schon den Saal betreten hatten.
Plötzlich wandte er sich dem Fräulein zu und streckte die Arme nach ihr aus.
»Olenka! Olenka!« wiederholte er in schmerzlichem Stöhnen, wie ein Kind, dem ein Unrecht zugefügt wird.
Sie aber wandte sich entsetzt und mit Abscheu im Antlitz von ihm ab.
»Fort ... Verräter!« antwortete sie mit klarer Stimme.
In diesem Augenblick kommandierte Ganhof: »Vorwärts!« Die Schotten, welche die Gefangenen führten, marschierten der Thüre zu.
Kmiziz bewegte sich mit ihnen fort wie besinnungslos, ohne zu wissen, wohin und wozu er gehe.
Das Gastmahl war zu Ende ...