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In Uebereinstimmung mit den Wünschen seiner Offiziere machte General Miller nochmals den Versuch, die Mönche der Uebergabe der Veste geneigt zu machen. Er gebrauchte diesmal eine List, indem er einen polnischen Edelmann, der sich beim Heere befand, einen älteren, sehr redegewandten Herrn, zu den Vätern entsandte. Derselbe stellte sich gar nicht als Abgesandter vor, sondern erzählte, daß er die frommen Väter besuchen und ihnen einige Neuigkeiten aus der Welt bringen wolle, von denen sie in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit sicher nichts wußten.
Neugierig umringten ihn die Patres im Refektorium, wohin man den Gast geführt, und lauschten mit Schrecken und Staunen zugleich den fabelhaften Berichten, welche der alte Edelmann vor ihnen auskramte. Manches Herz wurde da von zagem Bangen ergriffen, wenn derselbe in bilderreicher Sprache, händeringend und wehklagend das fürchterliche Elend schilderte, welches über das Vaterland durch die Schuld Johann Kasimirs hereingebrochen war.
Nur Pater Kordezki heftete forschend den Blick auf den Alten, als er den Namen Johann Kasimirs nannte, und seine Lippen bewegten sich in heißem Gebet, während seine ganze Haltung die größte Seelenruhe verriet. Der alte Edelmann fühlte diesen forschenden Blick auf sich ruhen; er mußte zur Sache kommen, seinen letzten Trumpf ausspielen.
»Warum, ehrwürdige Väter,« sprach er, »widerstrebt ihr so sehr der Uebergabe des Klosters an die Schweden, da doch der König, an dem ihr mit so großer Treue festhaltet, euch, den Adel, das ganze Volk so schnöde verlassen hat, denn wißt, – Johann Kasimir – unser angestammter Herr und König hat seine Regierung niedergelegt und zu Gunsten Karl Gustavs abgedankt. Ich frage euch nun: Wollt ihr die Veste noch länger verteidigen und damit den Zorn eures neuen rechtmäßigen Königs, seine schwersten Strafen über euch heraufbeschwören, oder wollt ihr gehorsam seinen Befehlen dasselbe übergeben? Ich erwarte eure Antwort. Ich beschwöre euch, kommt zu euch und nehmt Vernunft an.« Bei diesen Worten fing er an zu weinen, sich hin und her zu winden und händeringend zu jammern.
Da richtete sich Pater Kordezki zu seiner ganzen Höhe auf und mit einer Stimme, in der volle Ueberzeugung lag, sprach er, wie einer, der in den Seelen der Menschen zu lesen vermag:
»Das, was ihr von der Abdankung Johann Kasimirs sagt, ist eine Lüge! Das Herz unseres landesflüchtigen Monarchen, hat nie mit mehr Fürsorge für sein Volk geschlagen, wie in dieser Zeit und nie hat er mühevoller an dessen Rettung gearbeitet, wie eben jetzt.«
Da ließ der Alte plötzlich die Maske fallen. Zorn und Enttäuschung entstellten sein Gesicht bis zur Häßlichkeit und wutschäumend rief er:
»Woher kommt euch denn diese Gewißheit? Woher?«
»Dorther!« antwortete Pater Kordezki mit würdevoller Ruhe, indem er mit der Hand auf das an der Wand hängende Kruzifix wies. »Geht! legt eure Finger an die Wundmale der Füße unseres Herrn Jesu Christi und wiederholt noch einmal, was ihr sagtet!«
Der Edelmann wand sich, wie unter dem Griffe einer eisernen Hand. Der Ausdruck des Zornes in seinem Gesicht wich demjenigen des Schreckens.
Pater Kordezki stand noch immer hochaufgerichtet vor ihm, die Hand nach dem Kruzifix ausgestreckt. Seine Augen schossen Blitze.
»Geht doch! Wiederholt mir eure Erzählung!« sprach er mit Donnerstimme, daß die Gewölbe des Refektoriums davon wiederhallten. »Geht doch! ... Wiederholt eure Worte! ...«
Eine lautlose Stille folgte diesem Zornesausbruch des Pater Prior; endlich ertönte leise die Stimme des Abgesandten, welcher sagte:
»Ich wasche meine Hände in Unschuld ...«
»Wie Pontius Pilatus,« vollendete der Prior.
Der Edelmann stand auf und verließ die Versammlung. Er schlüpfte schnell durch den Klosterhof und als er sich hinter der Mauerpforte befand, da begann er zu laufen, als ob ihn jemand verfolge.
Unterdessen war Herr Samojski zu Herrn Tscharniezki und Kmiziz geeilt, welche nicht mit in der Versammlung waren, um ihnen zu erzählen, was vorgefallen war.
»Hat der Alte etwas Gutes gebracht?« frug Herr Peter, »er hatte ein ehrliches Gesicht ...«
»Gott bewahre uns vor solchen ehrlichen Gesichtern!« antwortete der Herr Schwertträger von Sieradz. »Er hat Zweifel und den Versucher in unseren Klosterfrieden gebracht.«
»Was sagte er? Wie sprach er?« frug Kmiziz, indem er die brennende Lunte etwas in die Höhe hob.
»Wie ein bezahlter Verräter.«
»Darum rennt er jetzt so davon,« sagte Herr Peter. »Seht nur, seht! Wie er bergab läuft ... Ei, fast möchte ich ihm eine Kugel nachjagen.«
»Das soll geschehen!« rief Kmiziz plötzlich. Und noch ehe jemand ihn hindern konnte, hatte er die Lunte an das Zündloch gebracht, der Schuß krachte.
»Um Gotteswillen!« schrie Samojski. »Was habt ihr gethan; ... er ist ja ein Gesandter.«
»Ich habe nicht recht gehandelt!« antwortete Kmiziz, »denn ich habe ihn gefehlt. Aber, Verzeihung Herr Schwertträger, ich hätte niemals einen Schweden, der als Gesandter kommt, in Lebensgefahr gebracht, doch dieser Verräter hätte uns nicht entkommen sollen.«
»Laßt in Zukunft solche Eigenmächtigkeiten. Uns muß viel daran liegen, Unterhandlungen einzuleiten und in die Länge zu ziehen; für uns bedeutet Zeit gewonnen, viel gewonnen, ihnen aber kann ein Verlust au Zeit andere große Verluste bringen.«
Damit ging er zurück in das Refektorium.
Ganz ohne schlimme Folgen für das Kloster war die Gesandtschaft des alten Edelmannes doch nicht geblieben. Seine Erzählungen von den Ausschreitungen und Grausamkeiten der Schweden hatten einen tiefen Eindruck hinterlassen. Sie hatten die ängstlichen Gemüter noch ängstlicher gemacht, man kam von verschiedener Seite mit Vorstellungen, um den Pater Prior zur Uebergabe der Veste zu bewegen, indem etliche besonders betonten, daß dieselbe doch höchstens drei bis vier Wochen gehalten werden könne und dann der Rachedurst der Schweden sich an den Heiligtümern und besonders an dem Gnadenbilde gütlich thun würde, was auf keinen Fall geschehen dürfe. Als endlich alle Vorstellungen nichts fruchteten, der Prior in unentwegtem Gottvertrauen und in dem Glauben an den Beistand der Allerheiligsten Jungfrau erklärte, die Veste halten zu wollen, da traten die Widersacher zusammen und bildeten eine Verschwörung, welche der ebenso diplomatische wie fromme Pater Prior mir mit großer Mühe zu unterdrücken vermochte. Er jagte die Rädelsführer alle aus der Festung, unbekümmert darum, was sie den Feinden über den Stand der Veste sagen konnten oder wollten. Dann erhöhte er der Besatzung die wöchentliche Löhnung um das Doppelte, indem er sie gleichzeitig vereidete, bis zum letzten Blutstropfen die Veste zu verteidigen.
Ferner verdoppelte er die Wachsamkeit, um dieselbe vor plötzlichen Ueberfällen zu sichern; er besichtigte alle seine Streitkräfte und verteilte sie so, daß immer zu geeigneter Zeit die Mannschaften abgelöst wurden, wodurch eine Uebermüdung der Truppen verhütet wurde.
Hierauf bestimmte er für jede Bastion zur dauernden Besatzung je einen Edelmann mit seinem mitgebrachten Ingesinde, für das er verantwortlich war; je zehn jüngere Mönche und zwei sichere Schützen als Kanoniere.
So war die nordöstliche Bastion mit dem Herrn Sygmunt Moschinski (demselben, welchem Gott sein Kindlein so wunderbar bewahrt) und dessen Ingesinde, samt dem Pater Hilarius Slawoschewski als Vorgesetzter der anderen Brüder, besetzt, während die südliche dem Pater Mielezki und dem schweigsamen, aber von unerschrockenem Mute beseelten Herrn Nikolaus Kschystoporski unterstellt wurde. Auf der südöstlichen Bastion regierte Herr Peter Tscharniezki mit Kmiziz und dem Pater Stypulski, welcher im Notfalle gern sein Habit aufschürzte und als Kanonier eintrat, vortrefflich zielte und sich aus dem Kugelregen so wenig machte, wie der alte Wachtmeister Soroka. Endlich waren für die südwestliche Bastion der adlige Herr Skorschewski und der Pater Daniel Rychtalski bestimmt, welcher die gute Eigenschaft besaß, unbeschadet seiner Gesundheit und Kräfte drei Nächte hintereinander wachen zu können.
Ueber die Wachen erhielten das Kommando die beiden Pater Dobrosch und Zacharias Malachowski. Wer zum Kämpfen unbrauchbar war, der wurde zur Instandhaltung der Dächer und Beseitigung der entstandenen Schäden bestimmt. Ueber die Waffenkammern und Kriegsgerätschaften erhielt Pater Lassota die Aufsicht. Dieser mußte auch das Amt des Feuerwerkers übernehmen. Nachts mußte er für die Beleuchtung der Mauern sorgen, damit der Feind nicht unbemerkt heranschleichen könne. Er brachte am Turme auch eiserne Leuchtkörbe an langen eisernen Stangen an, in welchen allnächtlich Pechfackeln und Kien brannten.
So leuchtete der Turm wie eine Riesenfackel, die eben so gut den Schweden als Zielscheibe dienen konnte, wie etwaigen nahenden Entsatztruppen als leuchtender Wegweiser. Ein Tag nach dem anderen verging. Zwar ruhten die Geschütze nicht, doch nahmen zwischendurch die Unterhandlungen lebhaften Fortgang. Die Belagerer machten keine Fortschritte, denn die Erde fror hart und das machte jede Erdarbeit auf den ohnehin steinigen Felsen unmöglich. Auf allen Lippen im Lager schwebte immer nur das eine Wort »Kapitulation,« während die Mönche unter dem Vorgeben, sich zu ergeben, die Verhandlungen bis ins Unendliche hinauszuziehen bemüht waren.
So kamen eines Tages die beiden Väter Marzellus Dobrosch und der Gelehrte Pater Sebastian Stawizki als Gesandte zu Miller. Diese machten dem General eine leise Hoffnung, daß die Kapitulation zustande kommen werde. Miller hätte die Friedensboten fast umarmt; er lud sie zu Tische, trank auf die Gesundheit des Pater Prior und des Herrn Samojski, beschenkte sie mit Fischen für das Kloster, und nachdem er ihnen, nach seiner Meinung sehr annehmbare Friedensbedingungen aufgesetzt hatte, entließ er sie.
Die Paters dankten höflich, nahmen die Papiere an sich und gingen. Miller zweifelte nicht länger an der Erfüllung seiner Wünsche; er machte in seiner Freude im Lager bekannt, daß am nächsten Morgen um acht Uhr die Uebergabe stattfinden werde, worauf die Soldaten die Arbeit auf den Schanzen liegen ließen und zu den Mauern liefen, um mit den Belagerten zu plaudern.
Aber statt dessen kam aus dem Kloster die Nachricht, daß in einer so wichtigen Angelegenheit der ganze Konvent entscheiden müsse und noch um einen Tag Frist gebeten werde.
Miller bewilligte dieselbe. Am folgenden Tage entsandte Pater Kordezki zwei andere Brüder; sie überbrachten die Nachricht, daß die Klostergemeinde so lange an die Regierung Johann Kasimirs glauben und an ihm, als ihrem Könige festhalten müsse, bis ihr der Kardinal-Primas – ihr Vorgesetzter – die Installierung Karl Gustavs als König von Polen bekannt gemacht habe.
Als der Fürst von Hessen das hörte, lachte er laut auf. Sadowski maß den General mit spöttischen Blicken und Wrestschowitsch zauste an seinem Barte vor Aerger.
Miller wurde so wütend, daß er unverzüglich Befehl gab, die Gesandten einzusperren. Man führte die armen Brüder unter Schimpf- und Spottreden in eine Scheune. Unterdessen ließ Miller wieder die Kriegsdrommete erschallen und dem Konvent ankündigen, daß er die Gesandten gefangen gesetzt, und dieselben erst freigebe, wenn die Thore geöffnet seien.
Darauf erhielt er die Antwort, daß man die Unterhandlungen abbreche, weil man einem General, welcher Gesandte ihrer Freiheit beraube, nicht trauen dürfe, daß er die Friedensbedingungen halten wolle.
»Gut!« rief Miller, als er das hörte, »So sollen ihre Mönche aufgehängt werden.«
Als der Pater Prior die Kunde von diesem Entschlusse Millers erhielt, war er der Verzweiflung nahe. Kmiziz tobte umsomehr, da Miller auf Anraten Wrestschowitschs in Schlesien eingebrochen war, die siebenhundert Mann Fußsoldaten, welche der Herr Kastellan von Kijow dicht an der Grenze bereits aufgestellt hatte, um dieselben mit auf seinen Zug zum Entsatz Tschenstochaus zu nehmen, nachts überfallen und gefangen genommen hatte. Diese Gefangene ließ nun Miller um die Mauern der Veste führen, um den Belagerten klar zu machen, daß sie auf Entsatz nicht mehr zu rechnen hatten.
Angst und Schrecken begann in der Veste wieder Oberhand zu gewinnen. Verschiedene der Edelleute traten an den Pater Prior mit der Bitte um Erbarmen mit ihren Frauen und Kindern heran. Er war im Verein mit dem Herrn Samojski kaum imstande, den Aufruhr zu beschwichtigen. Und dem guten Pater Prior lag vor allem die Errettung seiner Klosterbrüder am Herzen. Gott half ihm auch das rechte Mittel finden.
Er schrieb dem General, daß er dem Wohle der Kirche die beiden Brüder gern zum Opfer bringe in der Ueberzeugung, daß diese ihr Martyrium um Christi Willen freudig auf sich nehmen werden. Die ganze Welt aber werde ihn richten und nun wissen, was sie von dem Worte eines Generals zu halten habe.
Es war im Quartier Millers, in Anwesenheit der Stabs- und sonstigen Offiziere, als den beiden Paters das Todesurteil verkündigt wurde. Aller Blicke waren neugierig auf die Gesichter derselben gerichtet, um den Eindruck zu erforschen, welchen diese Nachricht auf sie machen würde. Wie erstaunt aber waren die Offiziere und Miller selbst, als eine große, fast überirdische Freude ihnen aus den Gesichtern der beiden Verurteilten entgegenstrahlte. Ihre blassen Wangen röteten sich, die Augen glänzten und der Pater Malachowski sprach mit vor Rührung bebender Stimme:
»Ach! Warum sollen wir nicht sogleich sterben, wenn wir doch für Gott und den König unser Leben opfern wollen! ...«
Der General ließ die Gefangenen hinausführen, die Offiziere blieben allein zurück, aber keiner sprach ein Wort. Dieses Schweigen währte lange Zeit, eine drückende Schwüle herrschte im Gemach. Endlich wurde eine Stimme laut:
»Gegen solchen Fanatismus ist der Kampf ein vergeblicher!«
»Mit anderen Worten: einen so festen Glauben hatten nur die ersten Christen! ... Das wolltet ihr doch sagen?« sprach der Fürst von Hessen.
Dann wandte er sich an Wrestschowitsch.
»Ich möchte gern wissen, Herr Weyhard, was ihr über die Strangulierung dieser Mönche denkt.«
»Das Denken hat der Herr General schon besorgt; ich brauche mir über diese Angelegenheit den Kopf nicht zu zerbrechen,« antwortete Wrestschowitsch frech.
Da trat Sadowski dicht vor Miller hin.
»Ew. Liebden werden die Mönche nicht töten lassen!« sagte er befehlend.
»Warum nicht?«
»Weil dann von Unterhandlungen nicht mehr die Rede sein kann, weil der Rachegeist dort oben in der Veste seinen Einzug halten würde und die Belagerten eher einer auf den anderen tot hinfallen werden, ehe sie sich ergeben ...«
»Wittemberg sendet mir schwere Geschütze; sie sind schon unterwegs.«
»Ew. Liebden werden das nicht thun,« sprach Sadowski nochmals mit Nachdruck. »Die Mönche sind Gesandte, welche nicht an ihrem Vertrauen zu Grunde gehen dürfen.«
»Das sollen sie auch nicht; sie werden nicht an ihrem Vertrauen, sondern am Galgen aufgehängt werden.«
»Diese That wird das ganze Land in Aufruhr versetzen, aller Herzen uns abwendig machen.«
»Hört endlich auf mit euren Aufruhr! Ich habe das schon hundertmal gehört.«
»So thut es wenigstens nicht ohne Wissen Sr. Majestät.«
»Ihr habt kein Recht, mich an meine Pflicht zu erinnern!«
»Aber ich habe das Recht, um meine Entlassung zu bitten und die Gründe dafür selbst Sr. Majestät vorzulegen. Ich bin ein Soldat, kein Henker! ...«
Da trat der Fürst von Hessen auf Sadowski zu und sagte ostentativ:
»Gebt mir eure Hand, Herr Sadowski. Ihr seid ein edler, braver Mann!«
»Was ist das? Was soll das heißen?!« brüllte Miller, indem er aufsprang.
»General!« antwortete der junge Fürst kühl, »ich habe mir nur erlaubt zu konstatieren, daß der Herr Sadowski ein braver Mann ist; haben Ew. Liebden etwas dagegen?«
Miller unterdrückte den weiteren Ausbruch seines Zornes, konnte sich aber nicht versagen, zu wiederholen:
»Morgen sollen die Mönche gehängt werden.«
»Das ist eure Sache!« antwortete der Fürst. »Doch rate ich, zuvor die zweitausend Polen, welche sich in unserem Lager befinden, töten zu lassen, denn thut ihr das nicht, dann haben wir morgen die Rebellion im Lager.«
Damit ging er hinaus.
Unterdessen benutzten die schwedischen Soldaten den Waffenstillstand, um auf den Befehl Millers angesichts der Veste den Galgen für die beiden Paters herzurichten. Es hatten sich zu diesem Werke eine Menge Zuschauer eingefunden, welche in dichtgedrängten Haufen die Arbeitenden umstanden.
Da konnte Kmiziz nicht länger an sich halten; er richtete sein Geschütz gerade auf die Mitte des größten Haufens und feuerte los. Die Verheerung, welche das Geschoß anrichtete, war entsetzlich. Zudem schien dieser Schuß das Signal für die anderen Kanoniere zu sein, denn es donnerte von allen Seiten, und die Schweden, welche sich so plötzlich einem heftigen Feuer ausgesetzt sahen, mußten unter Zurücklassung vieler Toten in die Schanzen fliehen.
Herr Tscharniezki war beim Donner des ersten Schusses zu Kmiziz geeilt.
»Um Gotteswillen, was thut ihr? Wißt ihr, daß euch eine Kugel vor den Kopf gehört?« rief er entsetzt.
»Ich weiß! Mir ist alles einerlei!« antwortete der Ritter.
Er ahnte nicht, daß seine entschlossene That die beiden Paters vom Tode errettet hatte. Miller wußte recht gut, daß er es war, welcher durch das Todesurteil den Waffenstillstand zuerst gebrochen; daher wunderte ihn das Vorgehen der Belagerten nicht, er mußte ihnen im Stillen recht geben, und da er überzeugt war, daß im Falle der Vollstreckung des Urteils die Kanonade von der Veste Tag und Nacht nicht mehr aufhören werde, so entschloß er sich schnell. Er ließ die Mönche frei und sandte sie in das Kloster zurück, nachdem er sie zuvor zu Tische geladen und gut bewirtet hatte.
Der Pater Prior brach in Freudenthränen aus beim Anblick seiner lieben Brüder, die von allen umarmt wurden. Wie aber staunten die Belagerten, als die beiden Zurückgekehrten ihnen sagten, daß sie nur der Kanonade ihr Leben zu danken hätten. Der Pater Prior rief Kmiziz zu sich und sprach zu ihm:
»Ich war sehr erzürnt auf dich, weil ich glaubte, du hättest ihren Tod beschleunigt. Dich hat jedenfalls die Allerheiligste Jungfrau erleuchtet, denn deine Entschlossenheit ist die Ursache ihrer Befreiung geworden. Betrachte das als einen Beweis ihrer Gnade und freue dich! ...«
»Treuester, bester Vater, wollen wir noch kapitulieren?« frug Kmiziz, indem er dem Prior die Hand küßte.
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da ertönte das bekannte Trompetensignal an der Pforte – ein neuer Abgeordneter aus dem Schwedenlager meldete sich an.
Er hieß Kuklinowski, und war Hauptmann der Volontarier, welche überall sich den Schweden anschlossen. Er hatte ein bewegtes Leben hinter sich, war in allen Teilen der Republik als Raufbold wohlbekannt und einer der gewissenlosesten und gefürchtetsten Männer.
Er selbst hatte sich zum Vermittler zwischen dem Lager und dem Kloster angeboten, teils um der Ehre willen, teils, um zu spionieren und möglichst Böses zu säen. Da er dem Herrn Tscharniezki persönlich bekannt war, so begehrte er bei ihm Einlaß, doch weil dieser gerade schlief, empfing Kmiziz ihn, als dessen Vertreter.
Kuklinowski betrachtete mit Kennerblicken die ausfallend schöne Gestalt und militärische Haltung des Ritters.
»Der echte Soldat erkennt sogleich den echten Soldaten,« sagte er, indem er die Hand salutierend an den Kolpack legte. »Ich vermutete nicht, daß die Mönche so artige Offiziere in ihren Diensten haben. Wie ist euer Name, bitte?«
»Ich bin Babinitsch, früher Hauptmann im litauischen Heere, jetzt Volontarier im Dienste der Allerheiligsten Jungfrau.«
»Und ich bin Kuklinowski, ebenfalls Hauptmann, von welchem ihr sicher gehört haben müßt, denn ich bin in der ganzen Republik bekannt. Also ihr seid aus Litauen? ... Auch dort giebt es tapfere Krieger, das wissen wir genau ... Kanntet ihr einen gewissen Kmiziz?«
Die Frage kam so plötzlich und unerwartet, daß Kmiziz wie angewurzelt stand.
»Warum fragt ihr nach ihm?« sagte er schnell.
»Weil ich ihn liebe, obgleich ich ihn nicht kenne. Wir gleichen uns wie ein Stiefel dem anderen, ich habe es immer gesagt: es giebt in der Republik (mit Verlaub, ich möchte euch ausschließen) nur zwei wirkliche Soldaten – in Kronpolen ich – in Litauen Kmiziz ... die reinen Täubchen, wie?! Kanntet ihr ihn persönlich?«
»Nein!« antwortete Kmiziz ruhig, eingedenk der Würde des Gesandten, als welcher dieser hierher gekommen war. »Aber bitte, tretet dort ein, man erwartet euch bereits.«
Dabei wies er auf eine Thür, aus welcher soeben ein Pater trat, um den Abgeordneten zu empfangen. Kuklinowski wandte sich noch im Fortgehen um und rief Kmiziz zu:
»Es wäre mir angenehm, Herr Kavalier, wenn ich euch auf dem Rückwege noch einmal sprechen könnte.«
»Ich werde euch hier erwarten,« entgegnete Kmiziz.
Als Herr Andreas allein war, bäumte sich seine ganze Seele auf bei dem Gedanken, daß dieser sich erdreistet hatte, ihn als seinen Bruder, einen Gleichgesinnten und Genossen, zu bezeichnen. »Das Pech klebt nicht so fest an den Kleidern, wie die Unehre an einem Namen; jeder Galgenstrick darf sich mit mir messen. O, ich will dich lehren!« dachte er.
Die Sitzung der Versammlung dauerte lange. Es wurde dunkel. Kmiziz wartete noch immer; endlich erschien Kuklinowski. Kmiziz konnte seine Gesichtszüge nicht mehr erkennen, aus der Erregung aber, welche man ihm anmerkte, schloß Herr Andreas, daß der Erfolg der Verhandlungen nicht nach seinem Geschmack war; er hatte sogar die Lust verloren, sich zu unterhalten. Um den Sachverhalt zu erfahren, beschloß Kmiziz, ihm Teilnahme zu heucheln.
»Ihr kehrt wohl auch unverrichteter Sache zurück ...« frug er. »Unsere Paters sind eigensinnige Köpfe und unter uns gesagt, – hier dämpfte er seine Stimme – sie thuen übel daran, denn ewig können wir uns doch nicht verteidigen.«
Kuklinowski zupfte ihn am Aermel.
»So, meint ihr, daß sie übel thun? Ihr seid verständig,« sagte er. »Sie wollen den Kuklinowski nicht hören, so sollen sie sein Schwert fühlen.«
»Seht!« begann Kmiziz wieder. »Ich mache mir aus den Mönchen nichts! Mir ist es nur um den heiligen Ort zu thun, und je später die Uebergabe stattfindet, desto grausamer wird man ihm mitspielen ... Oder, ist es wahr, was man erzählt, daß im Lande Unruhen entstehen, daß man sich gegen die Schweden aufzulehnen beabsichtigt, der Chan Hilfe verspricht? Dann freilich müßte Miller weichen.«
»Ich will es euch im Vertrauen sagen: Ja, es ist wahr! Aber Miller wird nicht weichen. Wir bekommen in einigen Tagen Festungsgeschütze und Sprengstoffe, dann graben wir die Füchse aus; geschehe, was da wolle! ... O, ihr seid verständig!«
»Da, hier ist die Pforte; hier muß ich euch verlassen. Oder soll ich euch ein Stück den Berg hinunter führen?«
»Wenn es euch beliebt – ich hätte noch mit euch zu reden.«
»Und ich mit euch! Gut!«
Sie traten aus der Pforte und tauchten in das Dunkel der Nacht.
»Ihr seid ein so verständiger Kavalier,« begann Kuklinowski wieder. »Dieses Haus – er wies hinter sich auf das Kloster – dieses Haus brennt ... und dumm ist derjenige, welcher ein brennendes Gebäude nicht verläßt; er kommt um darin ... Fürchtet ihr etwa den Namen Verräter? Ei, speit auf diejenigen, die euch so nennen. Ich, Kuklinowski, rate euch das. Sie alle, die bei den Schweden dienen, halten sich für tugendhaft, warum sollt ihr es nicht? Sapieha ist der einzige, welcher den Radziwill verfolgt.«
Kmiziz horchte auf.
»Ihr sagt, der Sapieha verfolgt den Radziwill?« frug er.
»Jawohl! Er hat den Fürsten in Podlachien tüchtig verbläuet, jetzt belagert er ihn in Tykozin und wir stören ihn nicht dabei.«
»Wie? ihr duldet es?«
»Dem König von Schweden wäre es recht, wenn sie sich gegenseitig auffräßen. Radziwill spielt immer ein doppeltes Spiel; er denkt bei allem zuerst an sich ... Jetzt scheint er aber aus dem letzten Loche zu pfeifen, denn wenn einer es erst zur Einschließung kommen läßt, dann steht es schlecht um ihn, dann ist er schon halb verloren.«
»Und die Schweden helfen ihm nicht?«
»Wer sollte es thun? Der König ist in Preußen, denn seine Anwesenheit ist dort nötig, in Großpolen ist die Revolution entbrannt, Wittemberg wird in Krakau gebraucht, Douglas hat vollauf mit den Bergbewohnern zu thun, da haben sie den Fürsten sich selbst überlassen ... Mag Sapieha ihn verschlingen! Auch an ihn wird die Reihe kommen, wenn unser Karlchen in Preußen fertig sein wird; vorläufig wollen wir nicht mit ihm anbinden, denn ganz Litauen steht bei ihm.«
»Und Smudz?« frug Kmiziz.
»Darüber hält Pontus de la Gardie seine Tatzen und – die sind schwer; ich kenne sie.«
»Soweit also ist es mit dem Fürsten Janusch gekommen,« sagte Kmiziz nachdenklich. »Gottes Wege sind wunderbar!«
»Sagt lieber, das Kriegsglück ist wandelbar! Doch, wie ist es, habt ihr euch entschlossen? Wollt ihr meinen Antrag annehmen oder nicht? Es muß ja nicht heute sein.«
»Ihr zieht mich auf die schwedische Seite, weil ihr schwedischer Abgeordneter seid,« sagte Kmiziz, »und nicht anders könnt. Wer kann wissen, wie ihr denkt; es giebt manchen, der den Schweden dient, sonst aber ihnen den Tod wünscht.«
»Auf Ehrenwort! ich spreche, wie ich denke. Hier, hinter dem Thore, hört meine Gesandtschaft auf; hier spreche ich als Privatmann.«
»Wirklich? Als Privatmann?«
»Selbstverständlich.«
»Und ich darf euch auch als Privatmann antworten?«
»Selbstverständlich.«
»So hört, Herr Kuklinowski,« hier bückte Herr Andreas sich und blickte seinem Begleiter ins Gesicht. »Ihr seid ein Schelm, ein Verräter, ein falscher Hund! Habt ihr genug oder soll ich euch noch ins Gesicht speien?«
Kuklinowski war so erschrocken, daß er eine Zeitlang kein Wort hervorbringen konnte. Endlich stammelte er:
»Wie? Was? ... Höre ich recht?«
Er wollte seinen Säbel ziehen, doch Kmiziz packte ihn mit seiner eisernen Faust, drehte ihm den Arm fast aus, entriß ihm den Säbel und warf ihn fort. Darauf schlug er, ehe Kuklinowski noch zur Besinnung kam, ihm von jeder Seite eine schallende Maulschelle, drehte ihn auf dem Absatz herum, versetzte ihm einen Stoß, daß er ein Stück fortflog, und rief ihm nach: »Das dem Privatmanne, nicht dem Gesandten! ...«
Kuklinowski kugelte wie ein Stein den Berg hinunter, Herr Andreas kehrte ruhig in das Kloster zurück. An der Pforte erwartete ihn schon der Pater Kordezki, welcher ihn schnell beiseite zog und frug:
»Was hattest du so lange mit Kuklinowski zu thun?«
»Ich habe Freundschaft mit ihm geschlossen,« antwortete Kmiziz.
»Was hat er dir erzählt?«
»Er sagte mir, daß die Sache mit dem Chan ihre Richtigkeit hat.«
»Gelobt sei Gott, welcher vermag, die Herzen der Heiden zu rühren und aus Feinden Freunde zu machen,« versetzte der Prior.
»Er erzählte auch, daß in Großpolen der Aufstand ausgebrochen ist ...«
»Gott sei Dank!«
»Daß die Linientruppen nicht mehr gern bei den Schweden stehen, daß in Podlachien der Herr Wojewode von Witebsk, Sapieha, den Verräter Radziwill geschlagen hat, daß er die dortigen edlen Bürger auf seiner Seite hat und daß ganz Litauen zu ihm steht, ausgenommen Smudz, welches Pontus besetzt hält ...«
»Gott sei Dank! Habt ihr nichts weiter gesprochen?«
»O, doch! er redete mir sehr zu, zu den Schweden überzugehen.«
»Das dachte ich mir!« sagte Pater Kordezki, »er ist ein böser Mensch ... Was hast du geantwortet?«
»Ja, seht, lieber, ehrwürdiger Vater, er sprach so zu mir: ›Hier hinter dem Thore hört meine Gesandtschaft auf; hier spreche ich als Privatmann.‹ Ich aber frug ihn der Sicherheit halber, ob ich ihm als Privatmann antworten darf. ›Selbstverständlich!‹ sprach er. Da ...«
»Nun? Da ...«
»Da schlug ich ihn in das Gesicht, daß er den Berg hinabkugelte.«
»Um Gotteswillen!«
»Seid nicht böse, Vater ... Ich habe das sehr fein angestellt, und daß er kein Wort davon verlauten läßt, das ist sicher!«
Der Prior schwieg ein Weilchen.
»Du hast das aus Entrüstung gethan, das weiß ich!« sagte er endlich. »Mich grämt nur, daß du dir einen neuen Feind geschaffen hast ..., denn er ist ein schrecklicher Mensch.«
»Ach, einer mehr oder weniger! Was thut das?« sprach Kmiziz. Dann neigte er sich schnell zum Ohr des Priors und flüsterte hinein:
»Der Fürst Boguslaw ist wenigstens ein Gegner! So ein Kuklinowski ist nicht der Rede wert.«