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In Litauen entbrannte jetzt ein Bruderkrieg, welcher neben den beiden Kriegen an der Grenze und den immer heftiger werdenden Streitigkeiten in der Ukraine das Maß des Elendes voll machte.
Obgleich das litauische Stammheer so schwach war, daß es keinem der beiden feindlichen Heere energischen Widerstand entgegensetzen konnte, teilte es sich doch in zwei Heerlager. Das eine, welches meist aus ausländischen Söldlingen bestand, hielt zu Radziwill; das andere, und zwar die Mehrzahl der Litauer, erklärten Radziwill zum Verräter und protestierten öffentlich gegen das Bündnis mit Schweden. Sie handelten jedoch planlos, ohne Einverständnis untereinander und ohne einen Führer. Wohl hätte der Herr Wojewode von Witebsk ein rechter Feldherr für sie werden können, er war jedoch augenblicklich zu sehr mit der Verteidigung Bychows und den verzweifelten kämpfen im Innern des Landes beschäftigt, als daß er sich sofort an die Spitze der Bewegung gegen Radziwill hätte stellen können.
Inzwischen begannen die Eindringlinge, welche ein jeder das ganze Land als sein persönliches Eigentum betrachteten, sich gegenseitig Drohbriefe zuzusenden. Dieser Umstand konnte ein Rettungsmittel für die Republik werden, aber ehe es zu offenbaren Feindseligleiten zwischen ihnen kam, herrschte in Litauen eine entsetzliche Verwirrung. Radziwill, der sich in seinem Vertrauen auf das Heer getäuscht sah, beschloß, dasselbe mit Gewalt zum Gehorsam zu zwingen.
Kaum also hatte Herr Wolodyjowski nach dem Gefecht bei Klewan Poniewiersch erreicht, als ihm die Nachricht überbracht wurde, daß der Hetman die Fahnen Mirskis und Stankiewitschs aufgerieben hätte. Ein Teil derselben war gewaltsam den Truppen Radziwills einverleibt, die anderen entweder erschlagen oder in alle vier Winde versprengt. Diese letzteren irrten einzeln oder in kleinen Häuflein durch die Wälder und Dörfer, ungewiß, wo sie ihre Häupter vor der Rache und Verfolgung des Fürsten bergen sollten.
Jeder Tag führte neue Flüchtlinge der Abteilung des Herrn Michael zu. Sie brachten die verschiedensten Neuigkeiten und verstärkten gleichzeitig seine Heeresmacht.
Die wichtigste von allen Neuigkeiten war die Nachricht von dem Aufstande der in Podlachien stationierten Mannschaften bei Bialystock und Tykozin. Diese sollten nach der Einnahme von Wilna durch die Russen denselben den Eintritt in die Kronenländer wehren. Als ihnen jedoch die Nachricht von dem Verrat des Hetman zugegangen war, hatten sie ein Bündnis geschlossen, an dessen Spitze die beiden Obristen Horotkiewitsch und Jakob Kmiziz, ein Ohm des Helfershelfers Radziwills, Andreas Kmiziz, standen.
Den Namen des Letzteren sprachen die Lippen der Soldaten nur mit Entsetzen aus. Er war es hauptsächlich gewesen, der die Niedermetzelung der beiden Fahnen Stankiewitschs und Mirskis veranlaßt hatte; er war es, der die gefangenen Gefährten ohne Erbarmen niederschoß. Der Hetman vertraute ihm blindlings und eben jetzt hatte er ihn gegen die Fahne Niawiarowskis ausgesendet, welche, dem Beispiel ihres Führers nicht folgend, ihm den Gehorsam gekündigt hatte.
Diese letzte Auseinandersetzung hörte Herr Wolodyjowski sehr aufmerksam an. Darauf wandte er sich an die zu einer Beratschlagung zusammengetretenen Gefährten und sagte:
»Was würdet ihr Herren dazu sagen, wenn wir, anstatt nach Bychow zum Wojewoden, lieber nach Podlachien zu jenen konföderierten Fahnen zögen?«
»Ihr habt mir das Wort vom Munde genommen,« sagte Sagloba. »Man kommt dort in die Nähe der Heimat und unter seinen Landsleuten lebt es sich froher.«
»Die Ueberläufer haben auch erzählt,« sagte Johann Skrzetuski, »daß sie erfahren, Seine Majestät der König habe mehrere Fahnen aus der Ukraine an die Weichsel berufen, um den Schweden entgegenzutreten. Wenn sich das bewahrheitet, würden wir uns dort unter alten Schwertgenossen wiederfinden, statt hier sich aus einem Winkel in den andern zu zwängen.«
»Wer soll denn jene Regimenter kommandieren? Wißt ihr es nicht, meine Herren?«
»Man sagt, der Herr Feldhauptmann,« entgegnete Herr Wolodyjowski, »aber das ist mehr eine Mutmaßung, als Gewißheit, da sichere Nachrichten darüber noch nicht hierher gelangt sein können.«
»Es sei, wie es sei!« sagte Sagloba, »ich rate, nach Podlachien zu gehen. Wir können dort die gegen Radziwill aufständischen Fahnen mit fortreißen und dem Könige zuführen, wofür der Lohn für uns gewiß nicht ausbleibt.«
»So sei es denn!« riefen Oskierko und Stankiewitsch.
»Es wird nicht leicht sein, sich nach Podlachien hindurchzustehlen,« sagte der kleine Ritter; »wir werden uns zwischen den Fingern des Hetman durchwinden müssen, aber wir wollen es versuchen. Wenn nebenher das Glück mir den Kmiziz irgendwo in den Weg führen wollte, würde ich ihm ein paar Worte zuflüstern, die ihm eine Gänsehaut über den Rücken treiben sollten.«
»Das wäre ihm schon recht!« sagte Mirski. »Denn daß einige alte Soldaten, welche ihr Leben lang den Radziwills gedient haben, es mit dem Hetman halten, kann man ihnen nicht verdenken, aber dieser Raufbold dient nur aus Eigennutz und Vergnügen am Verrat.«
»Auf also nach Podlachien?« fragte Oskierko.
»Nach Podlachien! nach Podlachien!« riefen alle zugleich.
Aber die Sache war nicht wenig schwierig, wie schon Herr Michael bemerkt hatte: denn um nach Podlachien zu gelangen, mußte man dicht bei Kiejdan, der Höhle des Löwen, vorbei.
Die Waldwege und Pfade waren in Radziwills Händen. Ein Stückchen Weges von Kiejdan fort stand Kmiziz mit seiner Reiterei, dem Fußvolk und den Kanonen. Auch hatte der Fürst schon die Flucht der Obristen erfahren, wußte von dem Aufstande der Fahne Wolodyjowskis, von dem Gefecht bei Klewan, und das letztere besonders hatte ihn in eine solche Wut versetzt, daß man für sein Leben fürchtete, denn ein schrecklicher Anfall von Asthma benahm ihm für längere Zeit den Atem.
Er hatte auch Grund genug, zornig zu sein, ja zu verzweifeln, da jenes Gefecht einen wahren Sturm der Schweden gegen ihn gerichtet hatte. Hier und da hatte man gleich nach demselben noch mehrere kleine Abteilungen Schweden überfallen. Einzelne Edelleute und die Bauern hatten dies auf eigene Hand unternommen, aber die Schweden setzten das auf die Rechnung Radziwills, besonders da der Offizier und die Soldaten, welche nach dem Gefecht nach Birz entlassen waren, dort dem Kommandanten gesagt hatten, daß eine Radziwillsche Fahne auf seinen Befehl sie überfallen habe.
Eine Woche darauf war ein Schreiben des Kommandanten von Birz und nach zehn Tagen eines von de la Gardie, dem schwedischen Ober-Kommandierenden selbst, bei dem Fürsten eingelaufen.
»Entweder haben Ew. Durchlaucht weder Macht noch Bedeutung,« schrieb der Letztere, »und in diesem Falle ist es unbegreiflich, wie ihr im Namen des ganzen Landes einen Vertrag schließen konntet – oder ihr wollt hinterlistig das königliche Heer ins Verderben stürzen! Wenn es so ist, so wendet sich die Gnade meines königlichen Herrn von Ew. Durchlaucht ab und die Strafe für eure Verräterei soll euch früh genug treffen, falls ihr nicht Reue zeigt und eure Schuld durch treue Dienste tilgt ...«
Radziwill sandte alsbald Boten mit einer Erklärung der Vorgänge ab, aber der Pfeil hatte sein stolzes Herz getroffen und die brennende Wunde begann immer mehr zu eitern. Er, dessen Wort noch unlängst dieses Land, welches größer war als ganz Schweden, in seinen Grundfesten erzittern gemacht hatte – er, der mit der Hälfte seiner Güter alle schwedischen Herrensitze aufkaufen konnte, er, der dem eigenen Könige die Stirn geboten, sich Monarchen gleichstellte, durch seine Siege einen Weltruhm sich erworben und im eigenen Stolze sich sonnte, mußte jetzt die Drohungen eines schwedischen Generals anhören und eine Lektion in Treue und Demut entgegennehmen. Wohl war dieser General der Schwager eines Königs, aber was war denn jener König selbst? Doch nur der Räuber eines Thrones, welcher von Rechts- und Geburtswegen dem Könige Johann Kasimir gehörte.
Vor allem aber richtete sich die Wut des Hetman gegen diejenigen, welche die Ursache jener Demütigung waren. Er verschwor sich, Herrn Wolodyjowski, die Hauptleute, welche bei ihm waren, die ganze Laudaer Fahne unter seine Füße zu treten, und zog zu diesem Zweck gegen sie zu Felde. Gleich wie der Jäger seine Netze im Walde ausstellt, um das Wolfsnest völlig auszunehmen, so umkreiste er sie und begann sie ohne Rast zu hetzen.
Inzwischen hatte er erfahren, daß Kmiziz die Fahne Niawiarowskis vernichtet hatte. Die Waffenbrüder waren entweder niedergehauen oder versprengt worden, die übriggebliebenen hatte er seiner eigenen Fahne einverleibt. Der Hetman befahl ihm demnach, einen Teil seiner Truppen ihm, dem Hetman, zuzuschicken, damit er um so sicherer vorschreiten konnte.
»Jene Männer,« schrieb der Hetman, »deren Leben Du so hartnäckig von Uns verlangtest, besonders aber Wolodyjowski und jener andere Hergelaufene, entflohen auf dem Wege nach Birz. Wir übergaben ihren Transport absichtlich Unserem dümmsten Offizier, damit sie ihn nicht umarbeiten konnten, aber auch er hat entweder Verrat geübt oder ist von ihnen ins Feld geführt worden! Heute hat Wolodyjowski die ganze Laudaische Fahne bei sich, welche durch die Ueberläufer verstärkt wird. Bei Klewan haben sie hundertundzwanzig Schweden niedergemetzelt und dann das Gerücht verbreitet, es wäre dies auf Unseren Befehl geschehen, was zwischen Uns und Pontus zu Mißverständnissen führte. Unser ganzes Werk kann an diesen Verrätern scheitern, denen wir ohne Deine Fürbitte, so wahr Gott lebt, die Hälse verkürzt hätten. So müssen Wir denn unsere Barmherzigkeit büßen, obgleich wir zu Gott hoffen, daß die Rache sie bald treffen soll. Wir haben auch in Erfahrung gebracht, daß in Billewitsche beim Schwertträger von Reußen der Adel sich sammelt und eine Verschwörung gegen Uns plant. Das muß verhindert werden. Du mußt Uns alsbald sämtliche Reiterei hersenden, das Fußvolk nach Kiejdan zum Schutze der Stadt und des Schlosses expedieren, denn von diesen Verrätern muß man auf alles gefaßt sein. Du selbst begieb Dich mit einigen hundert Reitern nach Billewitsche und bringe den Herrn Schwertträger mit seiner Verwandten nach Kiejdan. Es handelt sich nicht nur für Dich, sondern auch für Uns darum, denn wer sie in Händen hat, dem gehört die ganze Laudaer Gegend, deren Adel unter der Führung Wolodyjowskis sich gegen Uns zu empören beginnt. Den Harasimowitsch haben Wir, mit Instruktionen versehen, wie er sich gegen jene Konföderierten verhalten soll, nach Sabludowo geschickt. Dein Ohm Jakob hat großen Einfluß auf sie. Schreibe ihm, wenn Du glaubst, mit einem Schreiben etwas bei ihm auszurichten.
»Indem Wir Dich Unserer unveränderlichen Gnade versichern, empfehlen Wir Dich dem Schutze Gottes.«
Nachdem Kmiziz diesen Brief gelesen hatte, freute er sich im Grunde seiner Seele, daß es den Offizieren gelungen war, den Händen der Schweden zu entschlüpfen, und wünschte im Stillen, daß es ihnen gleichfalls gelingen möchte, den Schlingen Radziwills zu entgehen. Dennoch erfüllte er genau alle Befehle des Fürsten, sandte ihm seine Reiterei, setzte die Fußsoldaten in Kiejdan fest, ja begann sogar um die Stadt und das Schloß Schanzen aufzuschütten, und beschloß, gleich nach Beendigung dieser Arbeit nach Billewitsche zu gehen und den Herrn Schwertträger und sein Mädchen herzuholen.
»Gewalt will ich nicht anwenden,« sagte er sich, »höchstens nur im äußersten Notfälle, am allerwenigsten ihr ein Leid anthun. Im übrigen gilt hier nur der Wille des Fürsten. Sie wird mich nicht freundlich empfangen, das weiß ich: so Gott will, wird aber die Zeit sie von der Ehrlichkeit meines Handelns überzeugen und sie belehren, daß ich nicht gegen das Vaterland, sondern im Dienste Radziwills nur für dasselbe kämpfe.«
Während sich die Gedanken so bei ihm durcheinanderdrängten, arbeitete er emsig an der Befestigung Kiejdans, welcher Ort ja bald der Wohnsitz Olenkas werden sollte.
Inzwischen floh Herr Wolodyjowski vor dem Hetman und dieser verfolgte ihn ergrimmt. Es wurde Herrn Michael bald recht heiß bei dieser Hetze, denn von Birz her zogen zahlreiche Abteilungen des schwedischen Heeres südlich heran, der Osten war von den Heerscharen des Zaren besetzt und auf der Heerstraße nach Kiejdan zu lauerte der Hetman.
Herr Sagloba war mit diesem Stand der Dinge gar nicht zufrieden und wandte sich immer öfterer an Herrn Wolodyjowski mit der Frage:
»Um Gottes Willen, Herr Michael, sagt mir doch, werden wir uns durchhauen oder nicht?«
»Von einem Durchhauen kann hier die Rede nicht sein!« antwortete der kleine Ritter. »Ihr wißt sehr gut, daß ich kein Feigling bin und selbst den Teufel nicht fürchte ... Gegen den Hetman aber komme ich nicht auf, mit ihm kann ich mich nicht messen! Ihr selbst verglichet uns ja mit dem Peisker, ihn mit dem Hecht. Nun wohl! Ich werde mein möglichstes thun, daß der Peisker dem Hecht entwischt. Kommt es aber zu einem Gefecht zwischen uns, so muß ich offen bekennen, daß er uns mausetot schlägt.«
»Und dann, nicht wahr, läßt er unsere Leiber in Stücken hauen und wirft sie seinen Hunden vor. O Gott! Nur in Radziwills Hände laß uns nicht fallen! Wäre es da nicht besser, gleich zu Herrn Sapieha zurückzukehren?«
»Dazu ist es zu spät. Die Schweden und das Bundesheer versperren uns bereits den Weg.«
»Der Teufel hat mich geneckt, als ich die Skrzetuskis überredete, zu Radziwill zu gehen,« rief Sagloba voller Verzweiflung.
Herr Michael aber verlor den Mut noch nicht, da der Kleinadel und die Bauern überall ihm alle Bewegungen des Hetman hinterbrachten. Sie alle verabscheuten den Verräter von Herzen und hatten sich von ihm abgewandt. Er wand sich also durch, so gut er es verstand, und er verstand es meisterhaft. War er doch fast von Kindesbeinen an die Plänkeleien mit den Tartaren und Kosaken gewöhnt. Auch hatte ihm schon früher im Heere des Fürsten Jeremias seine Fähigkeit, unbemerkt bis dicht an die Vorhut des Feindes zu schleichen, dieselbe plötzlich zu überfallen und dann blitzschnell den Rückzug anzutreten, viel Ehren eingetragen.
Gegenwärtig stand er zwischen Upit und Rogowo einer- und Riewiarz andererseits auf einem Raume von wenigen Meilen eingeengt. Er bemühte sich unaufhörlich, einen Zusammenstoß zu vermeiden, beunruhigte zuweilen einzelne kleine Abteilungen des Hetman, verwischte ihnen eins, gerade so, wie der gehetzte Wolf oft ganz in der Nähe der Schützen durchschleicht und der verfolgenden Meute, wenn sie ihm zu nahe kommt, die Zähne weist.
Als nun zuletzt noch die Reiterei unter Kmiziz zugezogen war, da besetzte der Hetman jeden noch so kleinen Durchschlupf, er selbst befand sich im Zentrum, um genau zu überwachen, daß der Kreis um den kleinen Ritter sich schloß. Es blieb kein Loch offen, durch welches Herr Wolodyjowski hätte entfliehen können, nur die Furt zwischen dem sumpfigen Fluß war offen. Jenseits des Flusses aber standen zwei Regimenter Schotten, zweihundert Radziwillsche Kosaken und sechs kleine Feldgeschütze, deren Mündungen direkt auf die Furt gerichtet waren.
Der Ring war im Begriff sich zu schließen. Mitten darin befand sich der Hetman. Zum Glück für Herrn Wolodyjowski war die Nacht finster und stürmisch. Ein Gewitterregen unterbrach den feindlichen Vormarsch. Dafür aber blieben ihm nur einige Quadratruten Wiese mit Erlenbüschen bewachsen zwischen dem Halbkreis der Feinde und dem Fluß zum Verweilen.
Am folgenden Morgen, der Tag graute kaum, zog sich der Kreis vollends zusammen bis dicht an den Fluß. Sprachlos vor Staunen sahen die Heerführer einander an: Herr Wolodyjowski war samt seinen Leuten verschwunden. Es war, als hätte die Erde oder der Fluß ihn verschlungen.
Der Hetman wetterte und wütete über die Offiziere, welche ihn hatten entschlüpfen lassen. Ein Anfall von Asthma bedrohte wiederum sein Leben, doch der Zorn überwand selbst diesen. Er erteilte Befehl, zwei Offiziere, welche die Wache am Fluß gehabt hatten, zu erschießen, und nur mit vieler Mühe erbettelte Ganhof endlich vom Hetman den Befehl, zuerst zu untersuchen, auf welche Weise das Wild dem Jäger entwischt sein konnte.
Man fand nun, daß Herr Wolodyjowski die finstere, regnerische Nacht benutzt hatte, um mit seiner ganzen Abteilung den Fluß seinem Laufe nach zu durchschwimmen und zu durchwaten. Er hatte sich auf diese Weise an dem rechten Flügel des Radziwillschen Heeres, welcher dicht am Flußbett lag, vorbeigeschlichen. Einige bis an die Leiber im Schlamme steckende Pferde zeigten noch die Stelle an, wo er das rechte Flußufer wieder betreten hatte.
Weitere bemerkbare Spuren deuteten darauf hin, daß er in vollem Galopp die Richtung nach Kiejdan zu eingeschlagen hatte. Der Hetman erriet hiernach sofort die Absicht des Herrn Michael, nach Podlachien zu Horotkiewitsch und Jakob Kmiziz zu gelangen.
Es fragte sich nun, ob er wohl im Vorüberziehen die Stadt Kiejdan niederbrennen und das Schloß plündern würde?
Den Hetman packte eine fürchterliche Angst. Im Schlosse befand sich der größte Teil seines Barvermögens und eine Menge Kostbarkeiten. Wenn Kmiziz nicht eine größere Abteilung Fußsoldaten dort zurückgelassen hatte, so konnte das unbewachte Schloß leicht dem waghalsigen Hauptmann zur Beute fallen. Radziwill zweifelte gar nicht daran, daß er Mut genug besitze, um einen Ueberfall auf die Residenz Kiejdan zu wagen. Auch an Zeit dazu fehlte es ihm nicht, denn da er bei Beginn der Nacht schon entschlüpft war, so hatte er einen Vorsprung von sechs Stunden gewonnen.
Jedenfalls also mußte man zum Entsatz Kiejdans eiligst aufbrechen. Der Fürst ließ also die Infanterie zurück und eilte mit der Reiterei davon.
In Kiejdan angelangt, fand er alles in schönster Ruhe und Ordnung. Die Umsicht, mit welcher Kmiziz durch das Aufschütten kleiner Schanzen und das Aufstellen von Feldgeschützen für die Verteidigung seiner Residenz gesorgt hatte, flößte dem Fürsten eine wahre Hochachtung vor dem jungen Krieger ein. Noch an demselben Tage besichtigte er mit Ganhof alle diese Schutzvorrichtungen genau. Darauf äußerte er gegen diesen:
»Das hat nun dieser junge Mann ganz aus sich selbst heraus geschaffen, ohne meinen Rat einzuholen. Er hat die Sache so vortrefflich gemacht, daß man sich hier sogar gegen einen Angriff mit Geschützen längere Zeit zu halten vermöchte. Wenn dieser Mensch nicht schon frühzeitig den Hals bricht, dann kann er zu hohen Ehren gelangen.«
Es gab aber noch einen, bei dessen Gedenken sich der Hetman einer gewissen Hochachtung nicht erwehren konnte, nur daß hier die Bewunderung mit einer an Raserei grenzenden Wut sich mischte. Dieser eine war Wolodyjowski.
»Wie schnell würde ich mit den Aufständischen fertig werden,« sagte er zu Ganhof, »wenn ich diesen auch zu meiner Verfügung hätte. Kmiziz ist wohl noch feuriger als Wolodyjowski, aber jener hat vor diesem die Erfahrung voraus: er ist am Dniepr, ein Schüler des Fürsten Jeremias, groß gewachsen.«
»Befehlen Durchlaucht nicht, ihn zu verfolgen?« fragte Ganhof.
Der Fürst blickte ihn nachdenklich an, dann erwiderte er mit Nachdruck:
»Dich würde er schlagen, mir entgehen.«
Nach einer Weile fügte er stirnrunzelnd hinzu:
»Hier herrscht jetzt Ruhe und Frieden. Bald aber heißt es, nach Podlachien aufzubrechen, um mit jenen ein Ende zu machen.«
»Durchlaucht,« warf Ganhof ein, »sobald wir von hier aufbrechen, würden alle zu den Waffen gegen die Schweden greifen.«
»Was heißt das, alle?«
»Der Adel, die Bauern. Sie werden sich nicht allein mit den Schweden begnügen, sondern sich auch bald gegen die Dissidenten wenden. Unseren Glaubensgenossen allein schreiben sie die Schuld zu, daß wir zum Feinde übergegangen sind, ja, daß wir den ganzen Krieg entfacht haben.«
»Ich bange für meinen Bruder Boguslaw. Ich weiß nicht, ob er allein in Podlachien den Konföderierten wird Stand halten können.«
»Vor allem handelt es sich doch darum, Litauen im Gehorsam für den König von Schweden zu erhalten,«
Der Fürst schritt unruhig im Gemach auf und nieder.
»Wenn ich nur dem Horotkiewitsch und Jakob Kmiziz auf irgend welche Art beikommen könnte,« sagte er. »Die werden dort meine Güter total ruinieren; nicht einen Stein auf dem anderen werden sie dort lassen.«
»Dann müßte man sich mit dem General Pontus verständigen. Er müßte während unserer Abwesenheit mit einer starken Heeresmacht hier Ordnung halten.«
»Mit Pontus? Niemals!« rief Radziwill aus, während ihm eine starke Blutwelle das Antlitz dunkelrot färbte. »Wenn schon mit jemandem, dann dürfte nur mit dem Könige selbst eine Verständigung herbeigeführt werden. Ich brauche nicht Diener zu Verbündeten, wo ich Verbündeter eines Königs bin. Wenn der König den Befehl an Pontus ergehen ließe, mir mit zweitausend Reitern zur Hand zu sein, dann wäre das etwas anderes. Den Pontus darum bitten? Niemals. Es wird hohe Zeit, mit dem Könige selbst in Unterhandlungen zu treten.«
Das hagere Gesicht Ganhofs überzog eine leichte Röte, die Augen leuchteten begehrlich.
»Wenn Ew. Durchlaucht befehlen ...«
»So würdet ihr zum Könige gehen, nicht wahr? Es fragt sich nur, ob ihr ihn finden würdet. Ihr seid ein Deutscher. Einem Fremden aber wird die Reise durch ein vom Kriege in Aufruhr gesetztes Land immer gefährlich. Wer kann zudem wissen, wo des Königs Person sich gegenwärtig befindet, wo er in einem halben, in einem ganzen Monat sein wird. Mein Bote müßte das ganze Land durchqueren ... Ueberdies ... nein das geht nicht ... Ew. Gnaden reist nicht. Dorthin ziemt es mir, nur einen der Unsrigen, einen meiner Verwandten zu senden, damit Seine Majestät der König sich überzeuge, daß nicht der gesamte Adel mich verlassen hat.«
»Ein unerfahrener Abgesandter kann aber viel Schaden dort anrichten,« warf Ganhof zaghaft ein.
»Der Gesandte wird dort nichts weiter zu thun haben, als meine Briefe abzugeben und mir die Antwort zu überbringen. Und dem Könige zu sagen, daß nicht ich den Befehl zur Schlacht mit den Schweden bei Klewan gegeben habe, das wird jeder Mann können.«
Wieder durchmaß der Fürst mit unruhigen Schritten das Gemach. Man merkte ihm an, daß er einen harten Kampf mit sich auskämpfe. Seit dem Vertrage mit den Schweden hatte er noch nicht einen Augenblick Ruhe gefunden. Sein Stolz fraß an ihm, sein Gewissen bedrängte ihn, der unerwartete Widerstand des Volkes und des Heeres beängstigte ihn und vor der Ungewißheit der kommenden Zeiten befiel ihn die Furcht. Während der schlaflosen Nächte quälten ihn die trübsten Gedanken. Seine Gesundheit verfiel, die Augen sanken tief in ihre Höhlen zurück; das einst so frische Antlitz begann fahl auszusehen und fast stündlich mehrte sich in Haar und Bart der graue Schimmer. Er lebte ein qualvolles Dasein und seine Gestalt bog sich unter der Last, die er trug.
Ganhof folgte ihm unablässig mit den Augen. Er hoffte noch immer, daß der Fürst ihn zum Könige senden würde. Plötzlich hielt dieser in seinem Gange inne und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
»Zwei Abteilungen Reiter sollen sofort aufsitzen!« rief er. »Ich selbst führe sie.«
Verwundert fragte Ganhof:
»Eine Expedition, Durchlaucht?«
»Fort! Schnell!« befahl der Fürst. »Wollte Gott, daß es noch nicht zu spät ist.«