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8. Kapitel

Der Schwertträger von Reußen hatte einen schweren Stand mit Fräulein Alexandra gehabt, ehe sie einwilligte, zu dem Gastmahle zu gehen, welches der Hetman seinen Leuten gab. Er hatte das mutige, aber halsstarrige Mädchen fast weinend beschwören und ihr beteuern müssen, daß sein Kopf gefährdet sei, daß nicht nur alle Krieger, sondern auch alle Bürger, die in erreichbarer Nähe Kiejdans wohnten, unter Androhung des Zornes des Fürsten erscheinen mußten, und daß sie beide, welche sich auf Gnade und Ungnade in der Gewalt Radziwills befanden, bei Verlust des Lebens ihre Anwesenheit bei dem Gastmahle nicht verweigern durften.

Die Auffahrt war eine glänzende, denn der Fürst hatte den gesamten Kleinadel der Gegend mit ihren Frauen und Töchtern herbefohlen. Die Soldateska war in der Mehrzahl vertreten, besonders viele Offiziere ausländischer Truppengattungen, welche bei ihm verblieben waren. Der Fürst selbst zeigte seinen Gästen ein so heiteres Antlitz, als hätte nie eine Sorge seine Züge verdüstert; er wünschte gelegentlich dieses Gastmahls nicht nur in seinen Parteigenossen den kriegerischen Sinn zu beleben, sondern ihnen auch zu beweisen, daß das Volk im allgemeinen eines Sinnes mit ihm sei, und nur eine geringe Anzahl Uebermütiger sich gegen das Bündnis mit den Schweden auflehne. Er scheute also weder Mühe noch Kosten, um das Fest so glänzend als möglich zu gestalten, damit die Kunde davon weit, weit hinaus in das Reich dringe. Kaum also war das Abenddunkel hereingebrochen, so beleuchteten hunderte von Pechtonnen den Schloßhof und den Weg zum Schlosse, während von Zeit zu Zeit Kanonendonner ertönte und die Soldaten auf Befehl mit fröhlichen Willkommensrufen die Gäste begrüßten.

Ein Kutschwagen nach dem anderen brachte immer neue Gäste. Der Schloßhof füllte sich mit Wagen, Pferden und Dienern, die Säle mit in kostbare Kleider und Pelze gehüllten Männern und schönen Frauen. Im sogenannten »goldenen« Saal empfing der Fürst die Geladenen, strahlend im Glanze kostbarer Edelsteine, das sonst so düstere Antlitz von einem gnädigen Lächeln erhellt. Als er den Saal betrat, waren es die Offiziere, welche den Hetman zuerst mit dem einstimmigen Rufe begrüßten:

»Es lebe der Fürst-Hetman! Es lebe der Wojewode von Wilna!« Radziwill ließ mit Blitzesschnelle den Blick über die Versammlung schweifen, um sich zu überzeugen, ob dieser Vivatruf der Offiziere unter dem Adel einen Widerhall finden würde. Vereinzelt erschollen denn auch aus etlichen furchtsamen Kehlen die Begrüßungsworte, während der Fürst, sich lächelnd verneigend, für die ihm dargebrachte »einstimmige« Ovation dankte.

»Mit euch zusammen, meine Herren!« sprach er, werde ich bald mit denjenigen fertig werden, welche das Vaterland in Gefahr bringen! Gott vergelts! Gott vergelts!«

Er umschritt den Saal, hielt sich bei Bekannten länger auf, wobei er mit den Titulaturen »Herr Bruder« und »lieber Nachbar« nicht kargte. Manches ernste Gesicht heiterte sich auf unter dem Einfluß der warmen Strahlen fürstlicher Gnade.

»Es ist kaum möglich,« sagten diejenigen, welche bisher unwillig die Handlungen des Fürsten mit angesehen hatten, »daß ein solcher Herr, ein so hoher Senator, dem Vaterlande nicht wohlwollen sollte,« oder »er konnte nicht anders handeln, wie er handelte,« oder »das ist nur eine listige Manipulation zum Nutzen der Republik.«

Doch auch solche befanden sich im Saale, die nur mit Blicken oder Kopfschütteln ihre Meinung tauschten, welche lautete: »Wir sind nur hier, weil man uns das Messer an die Kehle gesetzt hat!«

Diese schwiegen, während andere, eher zum Ausgleich geneigte, laut, so laut, daß der Fürst sie hören mußte, sagten:

»Es ist wohl besser, den Herrn zu wechseln, als den Untergang der Republik herbeizuführen.«

»Möge die Krone für sich, wir wollen für uns sorgen.«

»Es war doch Großpolen, welches uns durch sein Beispiel aufforderte, den Herrn zu wechseln!«

» Extrema necessitas, extremis nititur rationibus

» Tentana omnia

»Unser ganzes Hoffen beruht auf dem Fürsten, ihm wollen wir alles anvertrauen; er soll Litauen und die Gewalt in Händen behalten.«

»Er ist des einen so würdig, wie des anderen. Wenn er uns nicht retten will, sind wir verloren ... In ihm liegt die Hoffnung!«

»Er steht uns näher, als Johann Kasimir, denn er ist von unserem Blute!«

Mit gierigem Ohr fing Radziwill diese von Furcht und Schmeichelei diktierten Worte aus, nicht achtend, daß dieselben den Lippen schwacher Menschen entflossen, welche im Augenblick der Gefahr ihm zuerst den Rücken kehren würden, da sie der Welle glichen, die vom leisesten Windhauch hin und her bewegt wird. Er berauschte sich an diesen Aussprüchen und betäubte mit ihnen sich selbst oder sein Gewissen, indem er diejenigen Sätze, in welchen er die beste Entschuldigung für seine Thaten fand, sich wiederholte:

» Extrema necessitas, extremis nitibur rationibus

Als er zuletzt, an einer Gruppe Adliger vorübergehend, aus dem Munde des Herrn Jurschytz die Worte vernahm: »er steht uns näher als Johann Kasimir!« da hellte sich sein Gesicht vollends auf. Daß sein Name demjenigen des Königs gegenüber gestellt wurde, schmeichelte seinem Stolz, darum trat er an Herrn Jurschytz heran und sagte:

»Ihr habt recht, Herr Bruder, denn in den Adern Johann Kasimirs kommt auf jeden Garniez Garniez ein Maß, welches vier Quart enthält. Blut immer nur ein Quart litauisches, während in den meinigen Vollblut fließt ... Wenn also bisher das Quart den Garniez beherrschte, so liegt es nur an euch, meine Herren Brüder, die Sache umzukehren.«

»Wir sind bereit, aus einem Garniez das Wohl Ew. Durchlaucht zu trinken!« entgegnete Herr Jurschytz.

»O, das ist ganz nach meinem Sinn gesprochen,« versetzte Radziwill. »Seid fröhlich, meine Herren! Am liebsten hätte ich ganz Litauen zu mir geladen.«

»Dazu müßte Litauen doch ein wenig beschnitten werden,« sagte Herr Schzaniezki aus Dalnowo, ein furchtloser Edelmann mit scharfer Zunge und scharfem Schwert.

»Was wollt ihr damit sagen?« frug der Fürst ihn scharf anblickend.

»Daß das Herz Ew. Durchlaucht weit genug ist, um mehr zu umfassen, als Kiejdan.«

Radziwill lachte gezwungen und ging weiter.

In diesem Augenblick trat ihm der Marschall entgegen mit der Meldung, daß das Mahl bereit sei.

Die Menge der Gäste folgte dem Fürsten in denselben Saal, in welchem unlängst das Bündnis mit den Schweden proklamiert worden war. Dort plazierte der Marschall die Geladenen nach Rang und Würden, indem er sie bei ihren Namen aufrief. Jedenfalls hatte der Fürst auch in dieser Beziehung bereits im voraus Anordnungen getroffen, denn Kmiziz erhielt seinen Platz zwischen dem Herrn Schwertträger von Reußen und Fräulein Alexandra.

Beiden pochte das Herz gewaltig, als sie ihre Namen zusammen nennen hörten; beide zauderten einen Augenblick, doch mochte beiden zugleich die Erkenntnis kommen, daß ein längeres Zaudern die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sie lenken mußte. Es wurde ihnen schwer und unbehaglich zu Mute. Herr Andreas beschloß, gleichgültig zu bleiben, wie wenn er neben einer ihm völlig Fremden zu sitzen gekommen wäre. Doch nur zu bald fühlte er, daß ihm weder gleichgültig zu bleiben möglich, noch sie ihm so fremd geworden war, daß er keine der gewöhnlichen Unterhaltungen führen konnte, wie sie bei Gelegenheit solcher Feste geführt wurden. Sie wußten beide, daß inmitten dieser Menschenmenge, inmitten all dieser Gedanken, Gefühle, Ansichten und Angelegenheiten der einzelnen, seine Gedanken nur ihr, die ihrigen nur ihm gehörten, und dieser Umstand machte ihnen das Beisammensein schwer; denn keiner konnte offen und ehrlich mit dem anderen über das sprechen, was sie auf dem Herzen hatten. Sie hatten wohl eine gemeinsame Vergangenheit, doch in Zukunft gingen ihre Wege auseinander. Die frühere Zuneigung, das Vertrauen, ja, die intime Bekanntschaft zwischen ihnen war verworren worden, sie hatten nichts mehr gemeinsam miteinander, als das Gefühl gegenseitiger Täuschung und des Schmerzes. Wäre auch diese Gemeinschaft zu beseitigen gewesen, dann hätten sie sich freier gefühlt; doch hier konnte nur die Zeit Heilung und Vergessen bringen, gegenwärtig waren die Wunden noch zu frisch.

Dem Herrn Andreas war so schlimm zu Mute, daß er Qualen litt; dennoch hätte er um alles in der Welt, den Platz nicht hergegeben, den der Marschall ihm bestimmt hatte. Er lauschte auf das Knistern ihres Kleides und achtete, obgleich er that, als sähe er nichts, auf jede ihrer Bewegungen; er fühlte die Wärme, die von ihr ausging, und alles das erfüllte ihn mit einem schmerzlichen Wonnegefühl.

Nach einer Weile bemerkte er, daß auch sie ihn beobachte, obgleich auch sie that, als sähe sie ihn nicht. Ein unüberwindliches Verlangen, sie anzusehen, packte ihn; er schielte seitwärts unter den Wimpern hervor, bis er ihre weiße Stirn, dann die gesenkten dunklen Wimpern und zuletzt das ganze bleiche Antlitz erblickte, welches, entgegen den Gewohnheiten anderer Damen, weder gepudert noch geschminkt war.

Dieses Antlitz hatte immer etwas Anziehendes für ihn gehabt. Auch jetzt bebte der arme Kavalier bis ins Innerste vor Wehmut und Schmerz. »Wer hätte gedacht, daß bei so engelhafter Schönheit ein Starrsinn zu finden wäre!« dachte er bei sich. Aber er war zu tief verletzt, deshalb sagte er sich nach kurzer Erwägung: »Du gehst mich nichts an, möge denn ein anderer dich nehmen!«

Aber plötzlich ertappte er sich auf dem Gedanken, daß, wenn »ein anderer« von dieser seiner Erlaubnis Gebrauch machen würde, er ihn zu Brei hauen würde. Dieser Gedanke machte ihn sehr zornig; er beruhigte sich erst, als er bedachte, daß ja er selbst es sei, welcher neben ihr sitze und daß bis zu diesem Augenblick niemand daran gedacht, sich um sie zu bemühen.

»Ich will sie noch einmal ansehen,« dachte er, »dann mich von ihr abwenden.«

Und wieder schielte er zu ihr hinüber und gerade jetzt that sie dasselbe, ihre Blicke begegneten einander und schnell schlugen beide die Augen verschämt nieder, wie wenn sie auf einer bösen That ertappt worden wären.

Fräulein Alexandra hatte unterdessen auch mit sich gekämpft. Aus allem, was vorgegangen, aus dem Verhalten Kmiziz' in Billewitsche, aus den Worten Saglobas und Skrzetuskis, hatte sie entnommen, daß Kmiziz wohl gefehlt hatte, daß er aber nicht so schuldig war, nicht so sehr verachtet und verdammt zu werden verdiente wie sie vorher geglaubt. Hatte er doch jenen edlen Männern das Leben gerettet und war er doch erhobenen Hauptes, ohne ein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, dem Tode entgegen gegangen, obgleich er den Brief in der Tasche trug, welchen er nur vorzuzeigen gebraucht hätte, um sich zu befreien.

Olenka, die von einem alten Krieger erzogen worden war, welcher die Todesverachtung an die Spitze aller Männertugenden stellte, verehrte persönlichen Mut viel zu sehr mit ganzem Herzen, als daß sie dieser krausen, ritterlichen Gesinnung Kmiziz', die nun einmal nicht von seiner Person zu trennen war, die vollste Bewunderung hätte versagen sollen.

Sie begann auch zu begreifen, daß, wenn Kmiziz dem Radziwill diente, er das mit vollem Glauben an die für ihn gerechte Sache that. War es da nicht ein großes Unrecht, ihn direkt des Verrates zu beschuldigen? Sie aber war die erste gewesen, weiche ihm dieses Unrecht angethan hatte, welche ihn mit Schimpfworten und Verachtung gestraft und ihm selbst angesichts des Todes nicht hatte vergeben wollen.

»Mache das Unrecht gut!« sprach ihr Herz. »Ist auch alles aus zwischen euch, so ist es doch deine Pflicht, einzugestehen, daß du ungerecht gegen ihn warst, das bist du dir selbst schuldig.«

Der weibliche Stolz und vielleicht auch ein wenig Gehässigkeit flüsterten ihr aber zu: »Wer weiß, ob ihm noch etwas an solcher Genugthuung liegt,« und tiefe Röte überzog bei diesem Gedanken ihr Gesicht.

»Wenn ihm doch nichts daran liegt, so schweige ich lieber!« sagte sie sich im Stillen.

Nun begann ihr Gewissen sich zu regen. »Ob dem Geschädigten an der Ehrenerklärung liegt oder nicht – mahnte dasselbe – sie gebührt ihm dennoch!«

Und der Stolz war sogleich mit neuen Gegenargumenten zur Hand:

»Wenn er, was wohl sein könnte, mich nicht anhören wollte, hätte ich umsonst mich bemüht und müßte die Scham über die Abweisung hinunterschlucken. Ob mit Absicht, oder in der Verblendung schuldig, das ist einerlei; wahr bleibt es doch, daß er zu den Feinden des Vaterlandes, zu den Verrätern gehört. Dem Vaterlande ist es einerlei, ob ihm der Verstand zur Erkenntnis fehlt oder die Rechtlichkeit.«

Heftiger Zorn übermannte das Fräulein; die Wangen brannten ihr.

»Ich will schweigen!« sagte sie sich. »Mag er leiden, wie er es verdient. So lange ich keine Reue bei ihm sehe, so lange habe ich das Recht, ihn zu verurteilen ...«

Hier war es, daß sie den Blick Kmiziz zuwandte, wie um sich zu überzeugen, ob die Reue schon Spuren in sein Antlitz gezeichnet, hier geschah es, daß ihre Blicke sich begegneten und gleich darauf verschämt wieder senkten.

Dennoch hatte Olenka entdeckt, daß zwar nicht Reue, aber Schmerz und große Mattigkeit starke Furchen in die Züge des Herrn Andreas gezogen hatten; sein Gesicht sah blaß und müde aus, wie nach einer schweren Krankheit. Ein tiefes Mitleid bemächtigte sich ihrer, sie konnte den Thränen nicht wehren und sie neigte sich noch tiefer über den Tisch, um ihre Rührung zu verbergen.

Inzwischen hatte sich die Unterhaltung bei Tische belebt. Anfangs hatte augenscheinlich über allen der Bann des Ungewöhnlichen gelegen, doch in dem Maße, wie die Zahl der geleerten Gläser sich mehrte, in dem Maße nahm die Heiterkeit und das Summen im Saale zu.

Endlich erhob sich der Fürst. »Meine Herren, ich bitte um das Wort!« sagte er laut.

»Der fürstliche Gebieter will sprechen ...,« rief man von allen Seiten.

»Den ersten Toast bringe ich auf das Wohl des Allerdurchlauchtigsten Königs von Schweden, welcher uns gegen unsere Feinde beisteht, und gegenwärtig dieses Land beherrscht mit dem festen Willen, dasselbe nicht eher zu verlassen, bis Ruhe und Frieden wieder vollständig darin hergestellt sind, sprach Radziwill. Erhebt euch, meine Herren, denn dieses Wohl muß stehend getrunken werden.«

Ausgenommen die Frauen, erhoben sich die Schmausenden alle und leerten ihre Becher, jedoch ohne laut in den Toast einzustimmen. Herr Schzaniezki aus Dalnowo flüsterte seinen Nachbarn etwas zu, worauf diese an ihren Schnurrbärten kauten, um nicht lachen zu müssen.

Erst, als der Fürst den zweiten Toast auf das Wohl seiner »lieben Gäste« ausbrachte, welche bis aus weiter Entfernung nach Kiejdan gekommen waren, um Zeugnis abzulegen, für das Vertrauen, welches man in die Pläne des Fürsten setzte, erschollen lebhafte Zurufe:

»Wir danken, wir danken von Herzen!«

»Es lebe unser fürstlicher Herr! Unser litauischer Hektor!«

»Er soll leben. Es lebe der Fürst-Hetman, unser Wojewode!«

Plötzlich rief Herr Jurschytz, welcher schon etwas angeheitert war, so laut er konnte:

»Es lebe Janusch der Erste, Großherzog von Litauen!«

Radziwill errötete wie ein junges Mädchen, dessen Schönheit man schmeichlerisch lobt. Als er aber gewahrte, daß niemand von den Anwesenden in diesen Ruf einstimmte und aller Blicke sich verwundert auf ihn richteten, sagte er schnell:

»Daß ich es werde, liegt in eurer Hand; ihr gratuliert mir vorzeitig, Herr Jurschytz!«

»Es lebe Janusch der Erste, Großherzog von Litauen,« wiederholte Herr Jurschytz mit der Hartnäckigkeit eines Betrunkenen.

Da erhob sich Herr Schzaniezki, ergriff seinen Becher und rief mit lautschallender Stimme ganz kaltblütig:

»Sei es so! Großherzog von Litauen, König von Polen und Kaiser von Deutschland.«

Eine Totenstille trat ein. – Plötzlich aber brachen alle Anwesenden in ein schallendes Gelächter aus. Die Bärte der Männer zuckten, die Augen quollen aus den geröteten Gesichtern hervor, das lange verhaltene Lachen schüttelte ihre Körper, brach mit doppelter Gewalt los und hallte schallend von den Wänden wieder. Doch, so schnell es losgebrochen, so schnell verstummte es wieder beim Anblick des fürstlichen Antlitzes, in welchem der Zorn in allen Farben des Regenbogens sich spiegelte.

Radziwill bemühte sich aber, den furchtbaren Zorn, der ihn gepackt, zu unterdrücken, indem er sagte:

»Ein Scherz ist erlaubt, Herr Schzaniezki.«

Der Edelmann spitzte die Lippen und fuhr unbeirrt fort:

»Und der Kurfürstenhut! Mehr kann man Ew. Durchlaucht nicht wünschen. Wenn Ew. Durchlaucht als Edelmann König von Polen werden kann, so ist es durchaus nicht unmöglich, als deutscher Fürst auf den Kaiserthron erhoben zu werden. Das eine liegt so nahe wie das andere, und wer Ew. Durchlaucht das nicht wünscht, der erhebe sich von seinem Sitz, mein Säbel soll ihn mores lehren.«

Hier wandte er sich zu den Versammelten:

»Wer dem Herrn Wojewoden von Wilna die deutsche Kaiserkrone nicht wünscht, der stehe auf.«

Selbstverständlich blieben alle sitzen. Man lachte auch nicht mehr, denn in der Rede und dem Tonfall des Herrn Schzaniezki lag so viel unverfrorene Bosheit, daß ein jeder beunruhigt der Dinge harrte, die da kommen würden.

Aber es geschah nichts Besonderes. Nur die fröhliche Stimmung war gestört. Umsonst füllten die Diener die Becher immer aufs neue, der Wein vermochte nicht, die düsteren Gedanken zu zerstreuen, die sich unwillkürlich aller Anwesenden bemächtigt hatten. Radziwill schluckte mit Mühe seinen Zorn hinunter, denn er fühlte nur zu gut, daß der Toast des Edelmannes, gleichviel ob mit oder ohne Absicht, sein Ansehen verringert hatte. Er war lächerlich gemacht worden, während das Gastmahl doch den Zweck haben sollte, sein Ansehen zu erhöhen, und die Sinne der Zweifelnden seinen Plänen geneigt zu machen. Am meisten aber fürchtete Radziwill, daß dieses Lächerlichmachen seiner stolzesten Hoffnungen eine abkühlende Wirkung auf die in seine Pläne eingeweihten Offiziere ausüben könnte, denn auch auf ihren Gesichtern drückte sich bereits ein gewisser Unmut aus.

Ganhof stürzte einen Becher Wein nach dem anderen hinunter und vermied dabei, den Fürsten anzusehen, während Kmiziz gar nicht trank und nur finster vor sich hinstarrte, als grübele er über etwas, oder kämpfe einen Kampf mit sich aus. Radziwill bebte vor dem Gedanken, daß diesem Feuerkopfe plötzlich ein Licht ausgehen und die nackte Wahrheit ihm aus dem Dunkel, womit der Fürst ihn umgeben, hervortreten könnte. Dann war das letzte Band zerrissen, welchem den Rest des polnischen Häufleins Verbündeter an ihn fesselte, dann war er allein.

Kmiziz war dem Fürsten längst eine Last. Wenn nicht der Lauf der Ereignisse der Persönlichkeit des jungen Ritters eine so eigentümliche Bedeutung verliehen hätte, wäre er längst ein Opfer seiner Verwegenheit und des Zornes des Fürsten geworden. Doch der Fürst irrte, wenn er Kmiziz gegenwärtig wegen aufwieglerischen Gedanken verdächtigte, denn die Gedanken des Kavaliers waren einzig und allein mit Olenka und dem tiefen Riß beschäftigt, welcher ihn von ihr trennte.

Er liebte das Mädchen, neben welchem er saß, mehr als die ganze Welt und dennoch flammte ein glühender Haß momentan in ihm auf; er hätte sie töten mögen, sie – und sich.

Die düstere, unruhvolle Stimmung der Tafelrunde reizte und verstimmte ihn aufs höchste; die Situation wurde ihm geradezu unerträglich.

Das Gastmahl nahm seinen Verlauf, während die Unterhaltung immer eintöniger wurde und zuletzt ganz verstummte. Den Gästen war zu Mute, als säßen sie unter einem Dache von Blei, welches herabzusinken und sie alle zu erdrücken drohte.

Da betrat ein neuer Gast den Saal. Als der Fürst ihn gewahrte, rief er erfreut aus:

»Da ist ja Herr Suchaniez, vom Vetter Boguslaw! Bringt ihr Briefe?«

Der Angekommene verneigte sich tief:

»Jawohl, Durchlaucht! Ich komme direkt aus Podlachien.«

»Gebt mir die Briefe und nehmt Platz am Tische. Die Herren werden entschuldigen, wenn ich das Lesen nicht für später lasse, es könnten Neuigkeiten von Wichtigkeit darunter sein, welche ich euch mitteilen will. Herr Marschall bitte, versorgt unseren lieben Boten.«

Während er so sprach, hatte der Fürst ein Päckchen Briefe aus der Hand des Herrn Suchaniez genommen und begann nun eilig das Siegel des zu oberst liegenden Schreibens zu erbrechen.

Die Anwesenden hefteten ihre Blicke neugierig auf das Antlitz des Lesenden und bemühten sich, aus dem Ausdruck desselben Schlüsse auf den Inhalt des Schreibens zu ziehen. Der erste Brief schien nichts Angenehmes zu enthalten, denn das Blut stieg dem Fürsten in den Kopf und aus seinen Augen sprühte wilder Zorn.

»Meine Herren Brüder!« sagte der Hetman. »Der Fürst Boguslaw schreibt mir, daß diejenigen, welche es vorzogen, eine Konföderation zu schließen, anstatt gegen den Feind nach Wilna zu ziehen, gegenwärtig meine Güter in Podlachien verwüsten. Es ist freilich leichter, mit alten Weibern Krieg zu führen! ... Würdige Ritter das! ... das muß man sagen! ... Nun, der Lohn wird ihnen nicht entgehen! ...«

Er entsiegelte den zweiten Brief, aber kaum hatte er einen Blick in denselben geworfen, so hellte sich sein Gesicht auf und ein Lächeln des Triumphes und der Freude überzog dasselbe.

»Die Wojewodschaft Sieradz hat sich den Schweden ergeben,« rief er aus, »sie hat, dem Beispiele Großpolens folgend, die Oberherrschaft Karl Gustavs angenommen.«

Ein Weilchen später fuhr er fort:

»Da, diese letzte Nachricht! Sie bringt uns ebenfalls Gutes, meine Herren! Johann Kasimir ist bei Widawa und Sarnowo geschlagen! ... Das Heer verläßt ihn! er zieht sich nach Krakau zurück, die Schweden folgen ihm. Der Vetter schreibt mir, daß auch Krakau fallen muß!«

»Freuen wir uns, meine Herren!« sprach Herr Schzaniezki mit eigentümlicher Betonung.

»Ja, freuen wir uns,« wiederholte der Hetman, indem er die Betonung nicht zu bemerken schien.

Freude strahlte von der ganzen Gestalt des Hetman aus; er schien sich zu verjüngen; seine Augen leuchteten, während er mit vor Freude zitternden Händen das Siegel des letzten Briefes erbrach und gleich darauf glückstrahlend verkündete:

»Warschau ist genommen! ... Es lebe Karl Gustav!«

Hier bemerkte er plötzlich, daß der Eindruck, welchen diese Nachrichten auf die anderen ausübten, ein vollständig anderer war, als er ihn empfand. Die Anwesenden saßen stumm mit niedergeschlagenen Augen da, oder blickten unsicher um sich: welche von ihnen runzelten die Stirn, andere bedeckten ihr Gesicht mit den Händen. Selbst die Höflinge des Fürsten, schwachherzige Männer, vermochten nicht die Freude desselben zu teilen darüber, daß Warschau gefallen war, daß Krakau fallen mußte, und daß eine Wojewodschaft nach der anderen freiwillig sich den Schweden ergab. Zudem lag in der Genugthuung, mit welcher der oberste Führer der Hälfte des Heeres der Republik, der höchste Senator derselben, die Niederlage des Vaterlandes verkündete, etwas ungemein Widerwärtiges. Der Fürst fühlte, daß dieser Eindruck abgeschwächt werden müsse.

»Meine Herren,« sprach er deshalb. »Ich wäre der erste, der um euch weinen würde, wenn die Republik aus diesen Ereignissen einen Schaden davontragen müßte, aber das ist nicht der Fall; sie wechselt nur den Herrn. An die Stelle des unglückseligen Johann Kasimir tritt ein großer und von Erfolgen gekrönter Krieger. Ich sehe bald alle Kriege beendet, unsere Feinde geschlagen ...«

»Ew. Durchlaucht haben Recht!« warf hier Herr Schzaniezki ein.

»Genau dasselbe sagten Radziejowski und Opalinski bei Ujschtsch ... Freuen wir uns, meine Herren! ... Tod und Verderben unserem Johann Kasimir! ...«

Indem er das sagte, schob Herr Schzaniezki seinen Stuhl mit Vehemenz zurück und verließ geräuschvoll den Saal.

»Die besten Weine aus dem Keller herauf!« befahl der Fürst.

Der Marschall stürzte hinaus, den Befehl zu erfüllen. Im Saale summte es wie in einem Bienenstock. Nachdem der erste Eindruck vorüber war, begannen die Adligen die Nachrichten zu besprechen. Man befrug den Herrn Suchaniez über Einzelheiten aus Podlachien und dem benachbarten Masowien, welche schon von den Schweden okkupiert waren.

Bald darauf wurden schwere verpichte Anker in den Saal gewälzt; mit großen Nägeln wurden Oeffnungen hineingeschlagen. Die Stimmung begann sich zu heben; sie wurde animierter. Immer häufiger hörte man die Rufe: »Es ist geschehen und nicht mehr zu ändern!« »Vielleicht werden sich die Zeiten bessern! Man muß sich mit dem Geschick abfinden!« »Der Fürst wird uns kein Unrecht zufügen!« »Wir sind besser dran als die anderen!« ... »Es lebe Janusch Radziwill, unser Wojewode, Hetman und Fürst!«

»Großherzog von Litauen!« schrie wieder Herr Jurschytz.

Und diesesmal wurde dieser Ausruf nicht mit Stillschweigen übergangen, noch verlacht, sondern ein Paar heisere Stimmen brüllten dazwischen:

»Wir gratulieren dazu! Von Herzen und ganzer Seele! Er soll leben! Er soll regieren!«

Der Magnat erhob sich. Sein Gesicht war purpurrot.

»Ich danke euch, ihr Herren Brüder! ...« entgegnete er ernst und würdevoll.

Im Saale wurde es heiß und schwül von den Ausdünstungen der Menschen und der Wärme, welche die Kerzen ausstrahlten.

Fräulein Alexandra lehnte sich über Kmiziz hinweg nach dem Schwertträger hin.

»Mir wird schwach,« sagte sie, »gehen wir fort.«

Ihr liebliches Gesicht war kreideweiß, auf ihrer Stirn perlten Schweißtropfen.

Doch der Schwertträger warf nur einen ängstlichen Blick zu dem Hetman hinüber, als wolle er ergründen, ob ihr Verlassen der Tafel nicht den Unwillen des Gastgebers erregen würde. Er war im Felde zwar ein tapferer Soldat, doch den Hetman fürchtete er mit ganzer Seele.

Um das Unheil zu vollenden, sagte in diesem Augenblick der Hetman:

»Wer mit mir bei den Toasten, die ich ausbringe, den Becher nicht bis auf den Boden leert, der ist mein Feind, denn ich will fröhlich sein!«

»Hast du gehört?« flüsterte der Schwertträger.

»Ich halte es nicht länger aus, Ohm! Mir ist so schwach!« flehte Olenka.

»So entferne dich allein,« entgegnete der Schwertträger.

Das Fräulein erhob sich, um unbemerkt zu entschlüpfen, doch die Kräfte gingen ihr aus, sie mußte sich an der Lehne des Stuhles festhalten. Plötzlich umfaßten zwei ritterliche Arme und unterstützten die Taumelnde.

»Ich will euch hinausführen!« sagte Herr Andreas.

Und ohne um Erlaubnis zu fragen, umfaßte er ihre Gestalt wie mit eisernen Klammern. Sie lastete immer schwerer auf seinen Armen und noch ehe sie die Thür erreicht hatten, lehnte sie ohnmächtig an seiner Schulter.

Da hob er sie in die Höhe und trug sie hinaus, so leicht, wie man ein kleines Kind trägt.

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