Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Kapitel

Als Herr Andreas vor das Herrenhaus in Lubitsch vorfuhr, sah er die Fenster hell erleuchtet und lautes Geräusch drang bis hinaus in den Hof. Das Gesinde eilte auf den Ton der Glocke herbei, um den Herrn willkommen zu heißen, denn seine Kumpane hatten ihnen gesagt, daß er kommen würde. Man begrüßte ihn demütig, ihm die Hände küssend und seine Füße umfassend. Der alte Vogt Snikis stand im Flur mit Brot und Salz und verneigte sich tief; alle blickten unruhig und neugierig zu dem künftigen Herrn hin, um zu sehen, wie er aussehe. Er warf einen Beutel voll Thaler auf das Tablett und fragte nach seinen Gefährten, erstaunt, daß keiner von ihnen seiner hausherrlichen Gnaden entgegen kam.

Sie konnten aber nicht herauskommen, denn sie saßen schon drei Stunden bei Tische und spielten so eifrig mit den Bechern, daß sie wohl das Klingen des Glöckleins überhört hatten. Als Kmiziz jedoch in die Stube trat, da empfingen sie ihn mit lautem Geschrei: » Haeres! haeres! er ist gekommen!« und alle sprangen auf und kamen ihm mit den Bechern entgegen. Er stemmte die Hände in die Seiten und lachte, da er sah, wie sie sich Rat gewußt, es sich in seinem Hause bequem gemacht, sogar sich schon gehörig vollgetrunken hatten, noch ehe er gekommen war. Immer lauter lachte er, da er sah, wie sie auf ihrem Wege zu ihm die Schemel umwarfen, mit der ganzen Gravität Betrunkener einhergingen. Allen voran schritt der riesenhafte Herr Jaromir Kokosinski, welcher den Pips im Wappen trug, ein tapferer Soldat und der berüchtigtste Händelstifter, mit einer fürchterlichen Narbe über Stirn, Auge und Wange, mit einem Schnurrbart, der auf einer Seite kürzer war als auf der anderen, Hauptmann und Freund des Herrn Kmiziz, »ein würdiger Kumpan«, im Smolenskischen verurteilt zum Verlust der Ehre und des Halses für Mädchenraub, Brandstiftung und Mord. Jetzt schützte ihn der Krieg und die Protektion des Herrn Kmiziz, welcher gleichalterig mit ihm war und dessen Besitzungen, ehe Herr Jaromir noch die seinen durchgebracht hatte, mit denselben grenzten. Jetzt kam er daher, mit beiden Händen einen gefüllten zweihenkligen Pokal haltend. Hinter ihm ging Herr Ranizki, vom Wappen der trockenen Gemächer, geboren in der Wojewodschaft Mschtschislaw, aus der er verbannt war, weil er zwei Erbgutsbesitzer erschlagen hatte. Den einen hatte er im Duell getötet, den anderen ohne Kampf aus dem Bogen erschossen. Er besaß nichts mehr, obgleich er stiefmütterliche Güter von seinen Vätern ererbt hatte. Ihn schützte der Krieg ebenfalls vor dem Henker. Er war ein geschickter Raufbold im Handgemenge. Der dritte in der Reihe war Rekutsch Leliwa, auf welchem keine Blutschuld lastete, höchstens Feindesblut. Dafür hatte er sein ganzes Vermögen im Würfelspiel verloren und vertrunken – seit drei Jahren hing er Herrn Kmiziz an. Mit ihm zugleich kam als vierter Herr Uhlick, ebenfalls aus Smolensk, für Auseinandersprengung des Tribunals zum Verlust der Ehre und zum Strange verurteilt. Herr Kmiziz unterhielt ihn, weil er schön auf dem Hakenstock spielte. Außer diesem gehörte noch Herr Kulwiez Hippocentaurus, so groß wie Kokosinski, aber stärker als er, und Zend, welcher die Stimmen aller Tiere und Vögel nachahmen konnte, zu den Kumpanen Kmizizs. Zend war ein Mensch von ungewissem Herkommen, obgleich er sich als kurländischer Edelmann ausgab; da er kein Vermögen hatte, so ritt er für Herrn Kmiziz die Pferde zu, wofür er ein Gehalt bezog.

Alle diese also umringten den lachenden Herrn Andreas; Kokosinski hob den Henkelbecher in die Höhe und stimmte ein Lied an:

Trink aus mit uns, du lieber Wirt,
Den gold'nen Wein, den gold'nen Wein,
Damit du mit uns trinken kannst
Bis in das Grab hinein – hinein! ...

Die anderen wiederholten den Refrain, worauf Herr Kokosinski dem Herrn Kmiziz den Henkelbecher reichte, ihm selbst gab Zend gleich einen anderen.

Kmiziz hob den Becher in die Hohe und schrie:

»Die Gesundheit meines Mädchens!«

»Vivat! vivat!« schrieen alle, daß die Scheiben in ihrer bleiernen Fassung zitterten.

»Vivat! Die Trauer geht zu Ende, es giebt Hochzeit!«

Herr Andreas wurde mit Fragen bestürmt.

»Wie sieht sie aus? Ist sie sehr schön? Hast du sie dir so gedacht? Giebt es eine zweite solche in Orschan?«

»In Orschan?« rief Kmiziz, »die Mädchen dort sind, mit ihr verglichen, gut genug zum Kaminfutter! Hundert Blitze! Eine Zweite wie sie giebt es in der ganzen Welt nicht mehr!«

»Das wünschten wir stets für dich,« antwortete Herr Ranizki. »Wann ist die Hochzeit?«

»Wenn die Trauer vorüber sein wird.«

»Fort mit der Trauer. Kinder werden nicht schwarz, sondern weiß geboren.«

»Wenn Hochzeit sein wird, da giebt es keine Trauer mehr. Heh! Andreas, frisch drauf los!«

»Frisch drauf los, Andrusch!« riefen alle zusammen.

»Die kleinen Orschaner Fähnrichlein sehnen sich schon vom Himmel auf die Erde!« schrie Kokosinski.

»Laß die armen Dinger nicht zu lange warten!«

»Meine Herren!« sagte mit dünner Stimme Rekutsch Leliwa, »auf der Hochzeit betrinken wir uns unmenschlich.«

»Meine lieben Lämmchen,« entgegnete Kmiziz, »laßt ab von mir, oder besser gesagt, schert euch zu allen Teufeln, ich will mich in meinem Hause etwas umsehen!«

»Nichts da!« antwortete Uhlick. »Das kommt morgen, jetzt gehen wir gemeinschaftlich zu Tische; dort stehen noch einige Weinflaschen mit gefüllten Leibern.«

»Wir haben die Revision schon für dich abgehalten. Dieses Lubitsch ist ein goldener Apfel!« sagte Ranizki.

»Ein prächtiger Pferdestall ist auch hier!« schrie Zend, »es giebt da zwei dicke Klepper, zwei vorzügliche Husarenpferde, ein Paar Smudzer und ein Paar Kalmücken, und alles paarweise, wie die Augen im Kopfe. Morgen wollen wir die Viehherden ansehen.«

Hier wieherte Zend wie ein Pferd und die anderen wunderten sich, daß er das so gut machte, und lachten.

»Also solche Ordnung herrscht hier?« fragte hocherfreut Kmiziz.

»Und der Weinkeller läßt sich sehen,« pipste Rekutsch, »da sind verpichte Anker und verschimmelte Bouteillen aufgepflanzt, wie Fahnen in der Schlachtordnung.«

»So sei Gott gelobt! Setzen wir uns zu Tische.«

»Zu Tische! Zu Tische!«

Aber kaum hatten sie sich gesetzt und die Becher gefüllt, als Ranizki schon wieder aufsprang.

»Die Gesundheit des Unterkämmerers Billewitsch!«

»Dummkopf!« entgegnete Kmiziz. »Was heißt das? Du trinkst die Gesundheit eines Verstorbenen?«

»Dummkopf!« wiederholten die anderen. »Die Gesundheit des Wirtes!«

»Euer Wohl! ...«

»Möge es uns in diesen Räumen wohl gehen.«

Kmiziz sah sich unwillkürlich im Eßzimmer um und sah von der vom Alter geschwärzten Wand aus Lärchenholz eine Reihe streng blickender Augen auf sich gerichtet. Diese Augen schauten aus alten Porträts der Billewitsch, welche niedrig, etwa zwei Ellen vom Fußboden, hingen, da die ganze Wand niedrig war. Ueber den Bildern, in einförmiger Reihenfolge, waren Totenköpfe, Bison-, Reh-, Hirsch- und Elennsköpfe, noch mit der Krone ihres Geweihes, angebracht, manche schon geschwärzt vom hohen Alter, andere noch weiß glänzend. Alle vier Wände waren gleich bedeckt.

»Es muß vortreffliche Jagdgründe hier geben, denn ich sehe hier einen Reichtum von Wild!« sagte Kmiziz.

»Morgen wollen wir gleich zur Jagd, oder übermorgen,« entgegnete Kokosinski. »Wie glücklich bist du, Andrusch, daß du dein Haupt hier niederlegen kannst.«

»Nicht so wie wir!« seufzte Rekutsch.

»Trinken wir uns zum Trost,« sagte Ranizki.

»Nein, nicht zum Trost!« antwortete Kulwiez Hippocentaurus, »aber noch einmal die Gesundheit unseres geliebten Rittmeisters Andrusch! Er ist es, werte Herren, welcher uns hier in Lubitsch Obdach giebt, uns armen Geächteten, die kein Dach über dem Haupte haben.«

»Er hat Recht!« riefen einige Stimmen. »Kulwiez ist nicht so dumm, wie er aussieht.«

»Unser Geschick ist schwer,« pipste Rekutsch. »Auf dir beruht unsere ganze Hoffnung, wir denken doch, du wirst uns arme Waisen nicht hinter die Thür setzen?«

»Laßt das!« sagte Kmiziz, »was mein ist, ist auch euer!«

Alle standen auf und einer nach dem anderen umarmte ihn. Thränen der Rührung flossen über ihre rohen, versoffenen Gesichter.

»Auf dir beruht unsere ganze Hoffnung, Andrusch!« rief Kokosinski. »Laß uns bei dir ausruhen, und sei es nur auf Erbsenstroh, vertreibe uns nicht.«

»Laßt das doch!« wiederholte Kmiziz.

»Vertreibe uns nicht, man hat uns alte Adlige ohnehin vertrieben!« rief Uhlick wehmütig.

»Zum Kuckuck! wer vertreibt euch denn; eßt und trinkt, was zum Teufel wollt ihr denn?«

»Streite nicht, Andrusch,« sagte Ranizki, auf dessen Gesicht Punkte hervortraten wie auf einem Luchsfell, »streite nicht, Andrusch, wir sind mit Haut und Haar verloren ...«

Hier stockte er, legte den Finger an die Stirn, als ob er nachdenken wollte, dann fuhr er plötzlich fort, indem er die Anwesenden blöde anblickte:

»Außerdem, das Glück wendete sich!«

Und alle schrieen laut im Chor:

»Was sollte sich nicht ändern!«

»Wir werden unsere Schuld noch auszahlen.«

»Und zu Gelde kommen.«

»Und zu Ehren!«

»Gott segnet die Unschuldigen, das Recht ist auf unserer Seite, geehrte Herren!«

»Unsere Gesundheit!« rief Kmiziz.

»Heilig sei dein Wort, Andrusch!« entgegnete Kokosinski, indem er ihm seine Pausbacken zum Kusse hinhielt. »Auf daß es besser mit uns werde!«

Die Gesundheiten wurden im Kreise herum getrunken, die Schöpfe rauchten. Alle sprachen durcheinander und jeder hörte nur sich selbst, ausgenommen Herr Rekutsch, denn dieser ließ den Kopf auf die Brust fallen und schlief. Nach einer Weile fing Kokosinski an zu singen: »Sie wandelte den Flachs in Mandeln!« Als dies Uhlick hörte, langte er nach seinem Hakenstock und fing an, ihn zu begleiten, und Herr Ranizki, ein großer Fechtmeister, begann mit bloßen Händen und mit unsichtbaren Gegnern zu fechten, indem er halblaut wiederholte:

»Du so, ich so! Du schlägst, ich stoße! Eins! zwei! drei! – Schach!«

Der riesenhafte Kulwiez Hippocentaurus glotzte eine zeitlang aufmerksam nach Ranizki hin, endlich winkte er mit der Hand und sagte:

»Du bist ein Narr. Stoße mit Gesundheit. Mit Kmiziz kannst du es sowieso auf Säbel nicht aufnehmen.«

»Weil es mit ihm niemand aufnimmt, aber versuche du es mit mir.«

»Auch mit mir gewinnst du auf Pistolen nicht.«

»Wetten wir auf den Schuß einen Dukaten.«

»Einen Dukaten! Aber wo ist das Ziel?«

Ranizkis Blick schweifte umher, endlich wies er auf die Totenköpfe und rief aus:

»Zwischen die Hörner! Um einen Dukaten!«

»Um was?« fragte Kmiziz.

»Zwischen die Horner, um zwei, drei Dukaten! Her die Pistolen!«

»Einverstanden!« rief Kmiziz. »Es sei um drei! Zend! Die Pistolen!«

Alle fingen immer lauter an zu schreien und miteinander zu handeln; unterdeß war Zend in den Flur gegangen und mit Pistolen, einem Beutel Kugeln und dem Pulverhorn nach einer Weile zurückgekehrt. Ranizki griff nach der Pistole.

»Ist sie geladen?« fragte er.

»Ja.«

»Um vier! fünf Dukaten!« schrie der betrunkene Ranizki.

»Stille! Du fehlst, du fehlst!«

»Ich treffe, seht zu! ... dort! jenen Kopf zwischen die Hörner ... eins, zwei ...«

Alle wendeten die Augen nach einem mächtigen Elennkopfe, welcher gerade gegenüber Ranizki hing; er selbst streckte den Arm aus, die Pistole zitterte ihm in der Hand.

»Drei!« rief Kmiziz.

Der Schuß knallte, die Stube war mit Pulverdampf angefüllt.

»Er hat gefehlt! seht, wo das Loch ist!« sagte Kmiziz, mit der Hand nach dem dunklen Wandgetäfel zeigend, aus welchem die Kugel einen hellen Span herausgerissen hatte.

»Der zweite Schuß gilt erst!«

»Nein! laßt mich!« rief Kulwiez.

In diesem Augenblick stürzte die erschreckte Dienerschaft herein, welche den Schuß gehört hatte und nach der Ursache sehen wollte.

»Fort! fort!« schrie sie Kmiziz an; »eins! zwei! drei! ...«

Wieder knallte ein Schuß. Diesmal flogen Knochensplitter umher.

Auf einmal riefen alle zusammen: »Gebt uns auch Pistolen!«

Und aufspringend schlugen sie mit den Fäusten auf die Rücken der Diener los, um sie zur Eile zu treiben. Ehe eine Viertelstunde verflossen war, donnerte die ganze Stube von Schüssen; der Pulverdampf verhüllte das Licht der Kerzen und die Gestalten der Schießenden. Den Knall der Schüsse begleitete die Stimme Zends, welcher krächzte wie ein Rabe, zwitscherte wie ein Falke, heulte wie ein Wolf und brüllte wie ein Auerochs. Alle Augenblicke unterbrach ihn das Pfeifen der Kugeln; Späne aus den Wänden, Knochensplitter aus den Köpfen und Stücke aus den Rahmen der Bilder flogen umher. In dem Wirrwarr schoß man auch nach den Billewitsch, und Ranizki, welcher wütend geworden war, hieb mit dem Säbel auf sie ein. Das erstaunte und erschreckte Gesinde stand wie betäubt, mit stieren Augen diesem Vergnügen zusehend, welches einem Ueberfall der Tartaren glich. Die Hunde heulten und bellten. Das ganze Haus war in Aufruhr. Auf dem Hofe sammelten sich Menschen in Haufen an. Die Hofmägde liefen unter die Fenster, und indem sie an den Fensterscheiben die Nasen platt drückten, sahen sie dem Treiben in der Stube zu.

Herr Zend erblickte sie plötzlich; er pfiff so durchdringend, daß allen die Ohren gellten und schrie:

»Meine Herren! Unter den Fenstern stehen Mägde!«

»Mägde! Mägde! Hinaus zu ihnen,« riefen mehrere Stimmen.

Die betrunkene Schar stürmte durch den Flur in den Hof. Die Mägde zerstreuten sich laut schreiend im ganzen Hofe. Die Männer aber machten Jagd auf sie und führten eine jede, die sie erhascht hatten, in die Stube. Nach einer Weile begannen sie zwischen den Trümmern, inmitten des Dampfes, um den Tisch zu tanzen, auf welchem der vergossene Wein einen See bildete.

So belustigten sich in Lubitsch Herr Kmiziz und seine wilden Kumpane.

.

 << zurück weiter >>