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In dem Dorfe Buschatz, welches an der Grenze der Wojewodschaft Podlachien in dem Ländchen Lukow gelegen war und zu jener Zeit den Skrzetuskis gehörte, saß im Obstgarten zwischen dem Herrenhause und dem Teiche auf einer Bank ein alter Mann, zu dessen Füßen zwei Knaben spielten. Der eine war fünf, der andere vier Jahre alt, beide schwarzhaarig und sonnenverbrannt wie kleine Zigeuner, rotbäckig und gesund. Der Alte sah ebenfalls noch frisch und gesund aus; das Alter hatte seinen Nacken noch nicht gebeugt, aus den Augen oder vielmehr aus dem einen Auge, denn das andere war am grauen Star erkrankt, blitzte ein gesunder Humor. Sein Bart war weiß, doch seine Bewegungen noch elastisch und das mit einer breiten Narbe über der Stirn geschmückte Antlitz, welche den Schädelknochen bloßlegte, glänzte im frischen Rot der Gesundheit.
Beide Knaben hatten die Henkel seines Stiefelschaftes gefaßt. Jeder zog nach einer anderen Seite daran. Der Alte aber blickte nach dem von der Sonne beschienenen Teich, in welchem sich dicht nach einander die Fische auf der glatten Oberfläche der Tiefe zu warfen.
»Die Fische tanzen,« murmelte er für sich. »Fürchtet euch nicht, ihr werdet bald besser tanzen, wenn der Teich abgelassen wird oder wenn euch die Köchin abschuppt.«
Dann wandte er sich zu den Knaben:
»Laßt den Schaft los, ihr Tölpel, denn reißt ihr einen Henkel ab, so reiße ich euch ein Ohr ab. Was seid ihr für lustige Hornissen! Geht, kugelt euch auf dem Rasen und laßt mir Ruhe! Ueber Longineck als den Jüngeren wundere ich mich nicht, aber Jaremka müßte schon verständiger sein. Ich werde bald einen von den Quälgeistern in den Teich werfen!«
Aber der Alte wurde von den Knaben augenscheinlich nicht respektiert; seine Drohung erschreckte keinen von ihnen. Statt dessen zog der ältere, Jaremka, noch heftiger an dem Schafthenkel, strampelte mit den Beinchen und rief:
»Großväterchen, ihr sollt Bohun sein und den Longineck rauben.«
»Fort mit dir, Mistkäfer, das sage ich dir. Du Windbeutel, du Quarkkäse!«
»Ihr sollt Bohun spielen, Großväterchen!«
»Ich werde dir den Bohun eintränken, warte nur, bis ich die Mutter rufe.«
Jaremka schielte nach der Thür, welche aus dem Hause in den Garten führte, aber als er sah, daß sie geschlossen blieb und die Mutter nirgends zu sehen war, wiederholte er zum dritten Male mit gespitztem Mäulchen:
»Ihr sollt Bohun spielen, Großväterchen!«
»Sie quälen mich zu Tode, diese Knoten, ich werde sie nicht los ... Gut, ich will Bohun sein, aber nur ein einziges Mal. Eine Strafe Gottes! Denke daran, du darfst dich nicht mehr aufdrängen.«
Indem er das sagte, seufzte der Alte leicht und erhob sich von der Bank. Plötzlich ergriff er den kleinen Longineck und floh, wilde Schreie ausstoßend, mit ihm dem Teiche zu.
Der Kleine fand aber einen tapferen Beschützer in der Person Jaremkas, welcher in diesem Falle nicht Jaremka, sondern Michael Wolodyjowski, Dragoner-Rittmeister, war.
Herr Michael also rannte, einen Lindenknüttel in der Hand, welcher bei plötzlichen Anlässen den Säbel ersetzen mußte, ungestüm auf den dicken Bohun zu, erreichte ihn bald und schlug unbarmherzig auf seine Füße ein.
Longineck, welcher die Rolle der Mama spielte, schrie, Bohun schrie und Jaremka-Wolodyjowski schrie auch; bald aber trug die Tapferkeit den Sieg davon und Bohun eilte, sein Opfer zurücklassend, wieder unter die Linde, wo er arg stöhnend auf die Bank niedersank und fortwährend wiederholte:
»Hah, ihr Tölpel! ... Es wäre ein Wunder, wenn ich mich nicht verfangen habe ...«
Aber noch war seine Qual nicht zu Ende, denn einen Augenblick später stand Jaremka mit geröteten Wangen, fliegenden Haaren, weit aufgerissenen Nasenlöchern, einem hitzigen kleinen Raubvogel ähnlich, vor ihm und wiederholte noch energischer als vordem:
»Ihr sollt Bohun sein, Großväterchen!«
Nach langem Betteln und dem feierlichen Versprechen von Seiten beider Knaben, daß es jetzt wirklich das letzte Mal sein solle, wiederholte sich die vorige Szene noch einmal in allen Einzelheiten, worauf sie sich zu dreien auf die Bank setzten und Jaremka wieder zu betteln anfing.
»Großvater! sagt, wer war tapferer?«
»Du, du!« antwortete der Greis.
»Werde ich ein Ritter werden?«
»Gewiß wirst du einer, denn in deinen Adern fließt gutes Soldatenblut. Gott gebe, daß du deinem Vater ähnlich wirst, du wärest dann bei aller Tapferkeit nicht so aufdringlich ... verstehst du?«
»Sagt, wie viel hat Väterchen erschlagen?«
»Ich habe es euch wohl schon hundert Mal gesagt. Eher könntet ihr die Blätter dieser Linde zählen als alle die Feinde, welche wir beide, euer Vater und ich, getötet haben. Hätte ich so viel Haare aus dem Kopfe, wie ich ihrer allein erschlagen, die Haarabschneider im Lukowschen würden Vermögen machen nur mit dem Verkürzen einer Mähne. Ein Schelm will ich heißen, wenn ich lü...«
Hier fuhr es Herrn Sagloba – denn er war es – durch den Sinn, daß es nicht recht sei, in Gegenwart der Knaben sich zu verschwören oder zu fluchen, und obgleich er in Ermangelung anderer Zuhörer auch den Kindern gern von seinen früheren Thaten erzählte, so schwieg er diesmal doch still, besonders, da die Fische im Teich jetzt anfingen, sich in verdoppelter Menge zu werfen.
»Ich werde dem Gärtnerburschen sagen müssen, daß er die Reusen über Nacht aufstellt; es spielen eine Menge große Fische dicht am Ufer.«
In diesem Augenblick ward die Hausthüre, welche nach dem Garten führte, geöffnet, und in derselben erschien eine Frau, so schön wie die Mittagssonne. Sie war hoch gewachsen, kräftig von Gestalt, mit schwarzen Haaren, dunkelroten Wangen und Sammetaugen. Ein dritter Knabe, schwarz wie eine Achatkugel, hielt sich an ihrem Kleide. Sie legte die Hand über die Augen und blickte suchend nach der Richtung, wo die Linde stand.
Es war Frau Helene Skrzetuska, geborene Knäsin Bulyhuw-Kurzewitsch.
Als sie Herrn Sagloba mit Jaremka und Longineck unter der Linde erblickte, ging sie einige Schritte auf den mit Wasser angefüllten Graben zu und rief:
»Kommt einmal her, Jungens! Ihr plagt gewiß den Großvater.«
»Was sollten sie mich plagen,« antwortete Herr Sagloba. »Sie haben sich ganz anständig hier aufgeführt.«
Die Knaben sprangen zur Mutter hin und diese sagte:
»Was wollt ihr heute lieber trinken, Väterchen, Wein oder Met?« (Ein aus Honigwasser bereitetes, dem Champagner ähnliches Getränk.)
»Es gab heute Schweinefleisch zu Mittag; auf dieses schmeckt Met besser.«
»Ich schicke sogleich welchen. Aber schlummert nur nicht im Freien, denn ihr bekommt sicher das Fieber davon.«
»Es ist so warm heute, kein Lüftchen regt sich. Wo ist Johann, Töchterchen?«
»Er ist zu den Scheunen gegangen.«
Frau Skrzetuska sagte Väterchen zu Herrn Sagloba, und er nannte sie Töchterchen, obgleich sie gar nicht verwandt waren. Ihre Familie wohnte jenseits des Dniepr in der ehemaligen Herrschaft Wisniowiezki und er – Gott mochte wissen, wo seine Wiege gestanden, da er selbst es nicht recht wußte. Aber zur Zeit, da sie noch Jungfrau war, hatte Sagloba ihr wichtige Dienste geleistet, sie aus gräßlichen Gefahren errettet, und dafür wurde er von ihr und ihrem Manne wie ein Vater verehrt. Auch in der ganzen Gegend ehrten ihn alle, teils seiner Klugheit, teils der außerordentlichen Tapferkeit wegen, von welcher er in verschiedenen Kriegen, besonders in den Kosakenkriegen, zahlreiche Beweise geliefert hatte.
Sein Name war in der ganzen Republik bekannt; selbst der König hörte gern seine Erzählungen und liebte seinen Witz. Ueberhaupt sprach man mehr von ihm als selbst von Herrn Skrzetuski, obgleich dieser seinerzeit aus dem belagerten Sbarasch durch das ganze Kosakenlager sich hindurchgeschlichen hatte.
Eine kleine Weile nach dem Fortgehen der Frau Skrzetuska brachte ein Diener eine Flasche Wein und einen Becher unter die Linde. Herr Sagloba schenkte ein, dann kostete er mit geschlossenen Augen sorgfältig den Trank.
»Gott hat gewußt, wozu er die Bienen erschuf!« murmelte er für sich. Und nun fing er an ganz langsam zu trinken, indem er dabei tief seufzte und nach dem Teiche, ja weit bis hinter den Teich blickte, bis zu den dunklen und grauen Wäldern am jenseitigen Ufer. Es mochte die zweite Mittagstunde sein, der Himmel war ganz wolkenlos. Die Lindenblüte fiel lautlos zur Erde und eben summte zwischen den Blättern ein ganzer Bienenschwarm, von dem einzelne bald auf dem Rand des Bechers saßen und mit ihren rauhhaarigen Beinchen die süße Flüssigkeit fortnahmen.
Ueber dem großen Teiche stieg zuweilen aus dem Röhricht ein Flug Enten, Sonnenvögel oder wilde Gänse auf, im blauen Aether, umhüllt vom Nebeldunst der Entfernung, gleich schwarzen Kreuzchen hin- und herschiebend. Mitunter ward auch hoch oben am Himmel ein Zug laut schreiender Kraniche sichtbar. Sonst war es ringsum still und sonnig-freundlich, wie es oft in den ersten Augusttagen zu sein pflegt, wenn das Getreide schon reif ist und die Sonnenstrahlen wie ein Goldregen zur Erde sinken.
Der Blick des alten Mannes hob sich bald zum Firmament, um die Vogelscharen zu verfolgen, bald verlor er sich in der Ferne immer mehr traumverloren, in dem Maße, wie der Met in der Flasche abnahm, die Lider wurden immer schwerer, die Bienen summten ihr Lied in den verschiedensten Tonarten, als wäre es recht absichtlich ein Schlummerlied.
»Ja, ja, Gott hat eine schöne Erntezeit gegeben,« murmelte Herr Sagloba. »Auch das Heu ist gut eingekommen und die Ernte wird flott gehen ... ja, ja ...«
Hier fielen ihm die Augen zu. Darauf öffnete er sie noch einmal nur einen Augenblick und brummte leise:
»Die Rangen haben mich müde gemacht!«
Dann schlief er fest.
Er schlief lange, aber nach einer gewissen Zeit machte ihn ein leichter, kühlerer Hauch munter; gleichzeitig hörte er die Schritte und Stimmen zweier Männer, welche sich eilig der Linde näherten. Der eine von ihnen war Johann Skrzetuski, der berühmte Held von Sbarasch, welcher, etwa vor einem Monat aus der Ukraine von den Hetmanen heimgekehrt, jetzt zu Hause weilte und ein hartnäckiges Fieber, das ihn befallen, zu heilen versuchte. Den anderen kannte Herr Sagloba nicht, obgleich er an Gestalt und den Gesichtszügen dem Herrn Johann sehr ähnlich sah.
»Ich stelle euch meinen Vetter, Herrn Stanislaus Skrzetuski aus Skrzetuschewo, Rittmeister von Kalisch, vor, Väterchen,« sagte Johann.
»Ihr seht dem Johann so ähnlich,« entgegnete Sagloba, mit den Augen zwinkernd und den Rest Schlaf aus den Lidern schüttelnd, »daß, wenn ich euch irgendwo träfe, ich sogleich sagen würde: »Ein Skrzetuski!« Ha, welch ein Gast ins Haus!«
»Es ist mir angenehm, eure Bekanntschaft zu machen, mein Herr,« antwortete Stanislaus, »um so mehr, da mir euer Name gut bekannt ist. Die Ritterschaft der ganzen Republik erwähnt ihn mit Ehrfurcht und stellt euch als Beispiel auf.«
»Ohne mich selbst zu loben, man that, was man konnte, solange man Kraft in den Knochen spürte. Ich möchte noch jetzt etwas Krieg mitmachen, denn die Gewohnheit ist zur zweiten Natur geworden. Aber weshalb sehen die Herren so bekümmert aus? Johann ist ordentlich bleich geworden.«
»Stanislaus hat schreckliche Nachrichten gebracht,« antwortete Johann. »Die Schweden sind in Großpolen eingebrochen und haben die Provinz schon ganz besetzt.«
Herr Sagloba sprang von der Bank auf, als wäre er plötzlich vierzig Jahre jünger geworden, riß die Augen weit auf und tastete mechanisch nach der Seite, als wollte er den Säbel ziehen.
»Wie?« rief er, »wie? sie haben es ganz besetzt?«
»Der Wojewode von Posen und andere haben Großpolen bei Uschz in die Hände des Feindes geliefert,« entgegnete Stanislaus Skrzetuski.
»Um Gotteswillen! ... Was sagt ihr? ... Sie haben sich ergeben?«
»Sie haben sich nicht nur ergeben, sondern auch einen Vertrag unterschrieben, in welchem sie vom Könige und der Republik abzufallen erklären. Von jetzt ab ist dort schon Schweden, kein Polen mehr.«
»Um Gottes Barmherzigkeit! Bei den Wunden des Gekreuzigten! ... Was höre ich? ... Das ist der Welt Ende! ... Wir sprachen noch gestern mit Johann von der drohenden Gefahr, denn wir hatten Nachricht, daß die Schweden im Anzuge seien, aber wir waren beide sicher, daß das nur Wind sei, daß die ganze Geschichte mit der Verzichtleistung unseres königlichen Herrn Johann Kasimir auf den Titel eines Königs von Schweden ihr Ende nehmen würde.«
»Und nun hat sie mit dem Verlust einer Provinz begonnen und wird mit wer weiß was enden.«
»Hört auf, Herr, sonst rührt mich der Schlag ... Wie? ... Ihr waret bei Uschz? ... Ihr sahet das alles mit eigenen Augen? ... Das ist ja der schmählichste, in der Weltgeschichte unerhörteste Verrat.«
»Ich war dort und sah alles, und ob es Verrat war, das könnt ihr selbst beurteilen, wenn ihr alles gehört habt. Wir standen bei Uschz, das allgemeine Aufgebot, die Hufensoldaten, zusammen etwa fünfzehntausend Mann, und hatten die Pässe an der Netze ab incursione hostili besetzt. Es ist ja wahr, Militär war wenig dort, und ihr, Herr, als erfahrener Soldat, wißt am besten, ob das allgemeine Aufgebot dieses zu ersetzen vermag, insbesondere das Großpolens, wo der Adel vom Kriege ganz entwöhnt ist. Dennoch, hätte sich ein Führer gefunden, so hätte man nach altem Brauch dem Feinde einen Schreckschuß eingejagt und zum mindesten ihn aufgehalten, bis die Republik irgend welche Hilfe gesendet hätte. Aber sobald Wittemberg sich sehen ließ, fing man gleich die Verhandlungen an, noch ehe ein Tropfen Bluts geflossen war. Dann kam Radziejowski und brachte mit seinen Reden das zustande, wovon ich sprach, das ist – Unglück und Schande, wie sie bisher noch nicht dagewesen.«
»Wie? War denn niemand dagegen? ... Hat denn niemand protestiert, niemand diesen Schelmen das Wort »Verräter« ins Antlitz geworfen? Haben denn alle in den Hochverrat und den Verkauf des Vaterlandes gewilligt?«
»Die Tugend stirbt aus und mit ihr die Republik – fast alle willigten darein ... Ich, zwei Herren Skoraschewski, Herr Ziswitzki und Herr Klodzinski thaten alles, was wir vermochten, um den Adel zum Widerstand anzuspornen. Herr Wladilaus Skoraschewski war fast wahnsinnig; wir rannten durchs Lager von Kreis zu Kreis, und weiß Gott, wir sparten keine Bitten, keine Beschwörungen. Es half nichts, denn die Mehrzahl ging lieber mit den Löffeln zum Bankett, welches Wittemberg versprach, statt mit den Säbeln zur Schlacht. Als das die Tapferen sahen, gingen sie alle auseinander; die Einen zogen nach Hause, die Anderen nach Warschau. Die Herren Skoraschewski eben gingen nach Warschau und werden die Ersten sein, welche dem Könige die Nachricht von dem Geschehenen bringen, und ich – nun, ich habe weder Weib noch Kinder, so kam ich denn zum Verwandten in dem Gedanken, daß wir zusammen gegen den Feind ziehen werden. Ein Glück, daß ich die Herren daheim traf.«
»Ihr kommt also direkt aus Uschz?«
»Direkt von dort. Ich rastete unterwegs nur so viel, als die Pferde nötig hatten, eines fiel ohnedies vor Ermüdung. Die Schweden müssen schon in Posen sein und werden von da aus bald das ganze Land überschwemmen.«
Jetzt schwiegen alle still. Johann stützte die Hände auf die Kniee, hielt den Blick zu Boden gesenkt und dachte nach. Herr Stanislaus seufzte und Herr Sagloba, welcher noch nicht zu sich kommen konnte, starrte stieren Blickes bald den einen, bald den anderen an.
»Das sind böse Zeichen,« sagte endlich Herr Johann düster. »Früher kam auf zehn Siege erst eine Niederlage und die Welt staunte unsere Tapferkeit an. Jetzt kommen nicht nur Niederlagen, sondern Verrätereien, und nicht blos einzelner Menschen, sondern ganzer Provinzen vor. Gott erbarme sich des Vaterlandes!«
»Bei Gott,« sagte Herr Sagloba, »ich habe viel in der Welt gesehen, ich höre, verstehe und dennoch kann ich nicht glauben ...«
»Was gedenkst du zu thun?« fragte Stanislaus.
»Das ist gewiß, daß ich nicht zu Hause bleibe, obgleich das Fieber mich noch schüttelt. Weib und Kinder werde ich irgend wohin in Sicherheit bringen müssen. Herr Stabrowski, mein Verwandter, ist Jägermeister des Königs in der Bialowics-Heide und wohnt in Bialowics. Und sollte die ganze Republik in Feindeshand fallen, dorthin finden sie sich nicht. Gleich morgen schicke ich Weib und Kinder fort.«
»Und das ist keine übertriebene Vorsicht,« sagte Stanislaus, »denn wenn auch Großpolen weit von hier liegt, so kann doch die Kriegsfackel leicht bis hierher dringen.«
»Wir müssen den Adel benachrichtigen, daß er sich sammle und an die Verteidigung denke; hier weiß noch niemand etwas.«
Hier wandte er sich an Herrn Sagloba.
»Und ihr, Vater; wollt ihr mit uns gehen oder Helene in die Heide begleiten?«
»Ich?« antwortete Herr Sagloba, »ob ich mitgehe? Meine Füße müßten denn Wurzeln in die Erde getrieben haben, daß ich nicht mitkönnte, und auch dann würde ich jemanden bitten, mich loszulösen. Ich habe Appetit auf Schwedenfleisch wie der Wolf auf Hammelbraten! Ha! Die Schelme, Pludermichel, Strumpfträger ... Die Flöhe machen Exkursionen auf ihren Waden, deshalb fühlen sie solchen Kitzel, daß sie es zu Hause nicht aushalten können, sondern in fremde Länder kriechen ... Ich kenne diese Hunde, denn ich habe schon unter Koniezpolski mich mit ihnen geneckt. Und wollt ihr wissen, wer Gustav Adolf gefangen nahm, so fragt Herrn Koniezpolski. Ich sage nichts weiter! ... Ich kenne sie, aber sie kennen mich auch ... Es ist nicht anders; die Schelme haben erfahren, daß Sagloba alt geworden ist. So wartet nur! Ihr sollt ihn noch sehen! Allmächtiger Gott! warum hast du diese unglückselige Republik so schlecht umfriedet, daß alle Nachbarschweine einbrechen können und die schönsten drei Provinzen jetzt zerwühlen! Seht, wie es zugeht! Bah! aber wer ist schuld daran, wenn nicht die Verräter. Die Pest hat einen Fehlgriff gethan, sie packte die Braven und ließ die Verräter laufen. Gott lasse die Pest noch einmal über die Wojewoden von Posen und Kalisch und besonders über Radziejowski und seine Sippschaft kommen. Und willst du der Hölle noch mehr Bewohner zuführen, so schicke alle diejenigen hin, welche bei Uschz kapituliert haben. Sagloba ist alt geworden? alt? Nun, ihr sollt sehen! Johann, beraten wir schnell, was zu thun ist, denn ich möchte bald einen Pferderücken unter mir fühlen!«
»Gewiß müssen wir darüber ratschlagen, wohin wir uns wenden sollen. In die Ukraine zu den Hetmanen wird schwer zu gelangen sein. Der Feind hat sie von der Republik abgeschnitten und sie haben nur freien Weg nach der Krim. Ein Glück, daß wir jetzt die Tartaren auf unserer Seite haben. Nach meinem Verstande müssen wir nach Warschau aufbrechen, den geliebten König zu schützen.«
»Wenn es noch Zeit dazu ist,« antwortete Stanislaus. »Der König muß Hals über Kopf seine Fahnen sammeln und, ehe wir hinkommen, gegen den Feind ausgezogen sein. Vielleicht hat dann sogar schon ein Treffen stattgefunden.«
»Das kann schon sein.«
»Gehen wir also nach Warschau, aber eilig,« sagte Sagloba. »Hört, meine Herren ... Es ist ja wahr, daß unsere Namen den Feinden Schrecken einjagen, aber wir dreie allein schaffen doch nichts. Rufen wir daher aus dem Adel Freiwillige auf, um eine Fahne wenigstens dem Könige zuzuführen! Wir werden sie leicht dazu bewegen können, denn sie müssen doch gehen, wenn das Aufgebot sie ruft, es ist ihnen also gleich, und wir wollen ihnen sagen, daß, wer vor dem Aufgebot kommt, dem Könige eine Gefälligkeit erweist. Mit einer Anzahl Kämpfer richten wir eher etwas aus und werden mit offenen Armen empfangen.«
»Laßt euch meine Antwort nicht wundern,« sagte Herr Stanislaus. »Nach dem, was ich vom allgemeinen Aufgebot gesehen, habe ich einen solchen Abscheu davor, daß ich lieber allein gehe, als mit einer Menge Menschen, die nichts vom Kriegshandwerk verstehen.«
»Dann kennt ihr unseren Adel nicht. Hier findet ihr nicht einen, der nicht im Heere gedient hätte. Es sind alles erfahrene Leute und tüchtige Krieger.«
»Das müßte denn sein.«
»Wie sollte es anders sein? Aber wartet einmal! Johann weiß schon, daß, wenn ich einmal zu kalkulieren anfange, es mir an Mitteln nicht fehlt. Deshalb lebte ich auch in so großer Freundschaft mit dem Wojewoden von Reußen, dem Fürsten Jeremias. Johann mag bezeugen, wie oft dieser größte Kriegsheld der Welt meinem Rate folgte und gut dabei wegkam.«
»Sagt nur, Vater, was ihr sagen wolltet, denn die Zeit ist kostbar,« sagte Johann.
»Was ich sagen wollte? Seht, das wollte ich sagen: nicht der schützt das Vaterland und den König, der sich an die Rockflügel des Königs hält, sondern der, welcher den Feind schlägt, und der schlägt ihn wiederum am besten, der unter einem großen Kriegsherrn dient. Wozu sollen wir aufs Ungewisse nach Warschau gehen, während der König schon nach Krakau, nach Lemberg oder nach Litauen marschiert. Ich rate den Herren, daß wir uns ohne Verzug zu den Fahnen des Großhetmans von Litauen, zum Fürsten Janusch Radziwill, begeben. Das ist ein ehrlicher und kriegerischer Herr. Wenn man ihn auch hochmütig nennt, so wird er mit den Schweden gewiß nicht kapitulieren. Das ist wenigstens ein Hetman und Führer, wie er sein muß. Wir kommen dort zwar ins Gedränge, denn dort giebt es mit zwei Feinden zu thun, aber dafür bekommen wir auch Herrn Wolodyjowski zu sehen, welcher im litauischen Stammheere dient, und werden wie in alten Zeiten zusammenhalten. Wenn mein Rat nicht gut ist, so mag der erste Schwede mich gefangen nehmen.«
»Wer weiß? wer weiß?« antwortete Johann lebhaft. »Vielleicht ist es so am besten.«
»Wir können dann Halschka (Kosename für Helene) mit den Kindern unterwegs abführen, denn unser Weg führt gerade durch die Heide.«
»Und wir werden in einer regulären Truppe, nicht unter Heerbannisten dienen,« setzte Stanislaus hinzu.
»Und werden kämpfen, nicht Reden halten, und in den Dörfern weder Hühner noch Quark fortessen.«
»Ich sehe – ihr seid nicht nur ein Krieger, sondern auch ein Ratgeber ersten Ranges,« sagte Herr Stanislaus.
»In der That, in der That!« sagte Johann. »Das ist der beste Rat. Wir werden nach alter Weise mit Michael zusammengehen. Du wirst den größten Soldaten der Republik kennen lernen, Stanislaus, meinen aufrichtigen Freund und Waffenbruder. Wir wollen jetzt zu Halschka, um ihr zu sagen, daß sie sich reisefertig macht.«
»Weiß sie denn schon vom Kriege?« fragte Herr Sagloba.
»Sie hat davon gehört, denn Stanislaus hat in ihrer Gegenwart zuerst davon erzählt. Die Aermste schwimmt in Thränen ... Als ich ihr aber sagte, daß ich fort müsse, sagte sie gleich: Geh'!«
»Ich möchte gleich morgen fort!« rief Sagloba aus.
»Wir gehen auch morgen – und das mit Tagesanbruch,« sagte Johann. »Du, Stanislaus, mußt nach dem langen Wege sehr ermüdet sein, bis morgen mußt du ausruhen, so gut es geht. Ich will heute noch Pferde mit sicheren Leuten bis Biala, Loschitz, Drohatschin und Bielsk vorausschicken, damit wir überall Vorspann haben. Hinter Bielsk fängt gleich die Heide an. Die Wagen mit dem Gepäck müssen auch noch heute fort. Es ist bitter, den liebgewordenen Winkel zu verlassen und in die Welt zu ziehen, aber Gottes Wille geschehe! Mich tröstet nur, daß Weib und Kinder auch in Sicherheit kommen, denn die Heide ist die beste Veste der Welt. Kommt jetzt ins Haus, es ist Zeit, an die Arbeit zu gehen.«
Herr Stanislaus, der sehr müde war, ging gleich, nachdem er gegessen und getrunken, zu Bett, während Herr Johann mit Herrn Sagloba sich mit dem morgigen Aufbruch zu thun machten. Da in der Wirtschaft des Herrn Johann die größte Ordnung herrschte, so konnten die Wagen und die Leute schon am selbigen Abend auf die Nacht zu aufbrechen und am folgenden Tage folgte ihnen der Kutschwagen, in welchem Helene mit den Kindern und einem alten Fräulein, der Wirtschaftsvorsteherin, saß. Herr Stanislaus und Herr Johann begleiteten zu Pferde mit fünf Pagen den Wagen. Der ganze Zug bewegte sich schnell vorwärts, denn überall in den Städten standen frische Pferde bereit.
Auf diese Weise ohne Aufenthalt, sogar während der Nächte reisend, langten sie am fünften Tage in Bielsk an. Am sechsten tauchten sie schon in die Heide von der Hajnowschen Seite.
Das Dunkel des Riesenwaldes umfing sie sogleich. Dieser Wald bedeckte zu jener Zeit eine Fläche von mehreren Quadratmeilen, indem er sich von einer Seite ununterbrochen bis weithin an die Zielonka- und Rogowska-Heide hinzog, von der anderen Seite sich an die preußischen Wälder anschloß.
Noch nie hatte der Fuß eines Feindes diese finsteren Gründe betreten, in denen der Fremdling, der sie nicht kannte, sich verlaufen und darin umherirren mußte, bis die Kräfte ihn verließen oder er Raubtieren zum Opfer fiel. Des Nachts hörte man hier das Gebrüll des Bison und des Bären zugleich mit dem Heulen der Wölfe und dem heiseren Blöken der Luchse. Unsichere Wege führten durch das Dickicht oder über die Blößen des Waldes, an Steinhügeln, Erdhaufen, Sümpfen und schreckenerregenden stillen Wassern vorbei zu den verstreut liegenden Hütten der Büdner, Theerbrenner und Kolonisten, welche oft genug zeitlebens nicht aus der Heide herauskamen. Nach Bialowicz allein führte eine breitere Landstraße, durchschnitten von einem trockenen Wege, auf welchem die Könige zur Jagd ritten. Diesen Weg kamen auch Skrzetuskis von Bielsk und Hajnow daher.
Herr Stabrowski, der königliche Jägermeister, ein alter Einsiedler und Kavalier, welcher wie ein Bison immerwährend in der Heide steckte, empfing sie mit offenen Armen; die Kinder küßte er faßt zu Tode. Er lebte nur unter Kolonisten; ein adliges Gesicht bekam er nur dann zu sehen, wenn der Hof zur Jagd kam.
Er beaufsichtigte das gesamte Jagdwesen und alle Theeröfen der Heide. Die Kriegsnachricht, welche er erst von Herrn Skrzetuski erfuhr, bekümmerte ihn sehr.
Es kam nämlich häufig vor, daß in der Republik die Kriegsfackel brannte, der König starb, ohne daß die Bewohner der Heide etwas davon erfuhren. Erst der Herr Jägermeister brachte zuweilen Neuigkeiten mit, wenn er vom Schatzmeister Litauens wiederkehrte, dem er einmal jährlich Rechnung über die Heidewirtschaft legen mußte.
»Die Zeit wird euch hier lang werden, sehr lang!« sagte Herr Stabrowski zu Helene, »aber sicher seid ihr, wie nirgends in der Welt. Kein Feind hat je diese Wände durchbrochen, und sollte er es versuchen, so würden die Kolonisten seine Leute im Fluge wegschießen. Es ist leichter, die ganze Republik mit Krieg zu überziehen, was Gott verhüten möge, als in diese Heide einzudringen. Ich lebe nun schon zwanzig Jahre hier und kenne sie noch nicht ganz, denn es giebt Stellen, die der menschliche Fuß nicht betreten kann, wo nur das wilde Getier oder gar böse Geister ihre Ruheplätze haben, zu welchen sie sich vor dem Geläut der Kirchenglocken flüchten. Aber wir leben in Gottesfurcht. Im Dörflein ist eine Kapelle, welche der Probst aus Bielsk alljährlich einmal besucht. Ihr werdet euch wie im Himmel fühlen, wenn die Langeweile euch nicht plagt. Dafür fehlt es uns nie an Brennholz ...«
Herr Johann freute sich von ganzer Seele, daß er einen solchen Unterschlupf für seine Frau gefunden. Aber umsonst versuchte Herr Stabrowski ihn länger zu halten und zu bewirten.
Nachdem sie übernachtet hatten, zogen die Ritter mit dem Morgengrauen des folgenden Tages durch die Pfade des Waldlabyrinths von Führern geleitet, welche der Herr Jägermeister gestellt hatte, ihres Weges.