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5. Kapitel

Am Abend desselben Tages kam Herr Kmiziz nach Wodockt, an der Spitze von hundert und einigen Leuten, welche er aus Upit mitgebracht hatte, um sie nach Kiejdan zum Großhetman zu schicken, da er selbst eingesehen hatte, daß in einer so kleinen Stadt nicht Platz für eine größere Anzahl Militär war und daß nach dem Aushungern der Bewohner die Soldaten zu Gewaltmaßregeln greifen mußten, besonders solche Soldaten, die nur durch die Furcht vor ihrem Führer im Zaum gehalten werden konnten. Es genügte, auf die Söldlinge des Herrn Kmiziz nur einen Blick zu werfen, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß eine schlimmere Sorte Menschen wohl schwerlich in der ganzen Republik zu finden sei. Und Kmiziz konnte auch keine anderen haben. Nach der Niederlage des Großhetman hatte der Feind des ganze Land okkupiert. Die Reste der regulären litauischen Truppen hatten sich auf eine zeitlang nach Birz und Kiejdan zurückgezogen, um sich dort zu erholen. Der Adel aus Smolensk, Witebsk, Polsk, Mschzislaw und Minsk war entweder dem Heere nachgezogen oder barg sich in den noch nicht okkupierten Wojewodschaften. Die Mutigeren unter ihnen sammelten sich in Grodno um den Herrn Schatzmeister Gosinoski, denn dort hatte man den Generalsammelpunkt für das allgemeine Aufgebot festgesetzt. Leider gab es wenig solche, welche dem allgemeinen Aufruf folgten, selbst diejenigen, welche der Stimme der Pflicht gehorchten, kamen so lässig, daß inzwischen thatsächlich niemand Widerstand leistete, ausgenommen Herr Kmiziz, welcher, mehr angespornt durch die eigene Kampflust als durch Patriotismus, den Krieg auf eigene Faust führte. Es war daher leicht begreiflich, daß er in Ermangelung regulärer Soldaten und des Adels, Leute nahm, wie er sie eben bekam – also solche, welche dem Hetman nicht verpflichtet waren und nichts zu verlieren hatten. Es sammelten sich also um ihn obdachlose Wegelagerer, Leute niederen Standes, Deserteure von den regulären Truppen, verwilderte Waldmenschen, Burschen aus den Städten oder von der Gerechtigkeit verfolgte Vagabunden. Diese alle glaubten unter der Fahne Schutz und Beute zu finden. Unter der eisernen Hand Kmiziz' verwandelten sie sich in mutige, bis zur Tollkühnheit mutige Soldaten, und wäre Herr Kmiziz selbst ein standhafter, ernster Mann gewesen, so hätten sie der Republik bedeutende Dienste geleistet. Aber Kmiziz war ein mutwilliger Mensch, mit heißem Blut; übrigens woher sollte er auch Proviant und Waffen nehmen, da er keine Inhabitorien besaß und aus der Schatzkammer der Republik keine Hilfe erwarten durfte. So nahm er denn mit Gewalt, was er brauchte, oft dem Feinde, oft aber auch von den eigenen Leuten. Widerstand vertrug er nicht und bestrafte ihn grausam.

Er war bei den fortwährenden Vorschüben, Kämpfen und Ueberfällen verwildert, an das Blutvergießen gewohnt, so daß selten etwas sein im Grunde gutes Herz zu bewegen vermochte. Er liebte zügellose Menschen, welche zu allem bereit waren. Sein Name hatte in kurzem eine unheilvolle Berühmtheit erlangt. Kleinere feindliche Abteilungen wagten sich in den Gegenden, wo der fürchterliche Partisan hauste, nicht aus den Städten oder dem Lager hervor. Aber selbst die vom Kriege hart mitgenommenen Bürger fürchteten seine Leute nicht weniger als den Feind, besonders da, wo Kmiziz sie nicht persönlich überwachte und sie unter dem Kommando der Offiziere standen.

Bei allen, Kokosinski, Uhlick, Kulwiez, Zend und vor allem bei dem wildesten und grausamsten von ihnen, dem aus vornehmem Blute stammenden Ranizki, konnte man immer fragen: »Sind das Beschützer oder Händelstifter?« Kmiziz strafte zuweilen, wenn er nicht bei Laune war, seine Leute ganz ohne Erbarmen; öfter jedoch stand er auf ihrer Seite, ohne auf das Rechtmäßige ihres Handelns oder die Thränen und das Leben der Menschen zu achten.

Diese Menschen, mit Ausnahme des Rekutsch, an welchem kein unschuldig vergossenes Blut klebte, stachelten noch immer den jungen Führer zu größerer Zügellosigkeit.

So also waren die Soldaten des Herrn Kmiziz. Eben nun hatte er seine Bande in Upit versammelt, um sie nach Kiejdan zu schicken. Wie sie jetzt vor dem Herrenhause in Wodockt hielten, erschrak Fräulein Alexandra, als sie sie durch das Fenster erblickte, so sehr glichen sie Straßenräubern. Jeder war anders bewaffnet, die einen trugen erbeutete Helme, die andern Kosakenmützen aus Pelz, oder Hüte; ein Teil trug von der Sonne verblichene Oberröcke, die andern Pelze. Die Waffen bestanden aus Schießgewehren, Spießen, Bogen; sie saßen auf mageren, struppigen Pferden mit polnischem, russischem und türkischem Zaumzeug. Olenka beruhigte sich erst, als Herr Andreas frisch und munter wie immer in die Stube sprang und ihr die Hände küßte.

Sie aber, obgleich sie sich vorher vorgenommen hatte, ihn kühl und ernst zu empfangen, konnte die Freude, welche sein Anblick ihr bereitete, doch nicht verbergen. Vielleicht spielte auch die weibliche Schlauheit hierbei eine Rolle, denn sie mußte doch dem Herrn Andreas erzählen, daß sie seinen Gefährten die Thür gewiesen hatte, also wollte das durchtriebene Mädchen ihn erst durch Freundlichkeit gewinnen. Ueberdies begrüßte er sie so aufrichtig liebevoll, daß der Rest ihrer Verstimmung völlig verschwand.

»Ohne Zweifel, er liebt mich,« dachte sie.

Und er sagte: »Mir war so bange nach dir, daß ich ganz Upit verbrennen wollte, um so schnell als möglich zu dir zu eilen. Mag der Frost diese Kleinstädter ausrotten.«

»Ich war auch sehr unruhig, ob es dort zu einer Schlacht kommen würde. Gott sei Dank, daß ihr da seid.«

»O, was für eine Schlacht? Die Soldaten fingen an, die Städter etwas zu hecheln ...«

»Aber ihr habt doch gleich alles beruhigt?«

»Ich werde dir gleich alles erzählen, was geschehen ist, mein Kleinod, ich will mich nur etwas setzen, denn ich bin müde. O, hier ist es warm. Wie angenehm ist es in Wodockt, wie im Paradiese. Eine Ewigkeit möchte man hier sitzen bleiben, niemals fortgehen und immer in diese schönen Augen sehen. Es würde aber ein warmes Getränk gar nicht schaden, denn draußen ist es fürchterlich kalt.«

»Ich lasse euch gleich Wein mit Eiern heiß machen und werde ihn euch selbst bringen.«

»Ach, gieb auch meinen Galgenstricken einen Krug Branntwein und lasse sie etwas in die Ställe gehen, damit sie sich an den Ausdünstungen des Viehes erwärmen. Ihre Kleider sind mit Wind gefüttert und sie sind greulich erfroren.«

»Ich werde ihnen mit nichts kargen, denn es sind eure Soldaten.«

Indem sie dies sagte, lächelte sie in einer Weise, daß Kmiziz' Augen leuchteten, und schlich hinaus wie ein Kätzchen, um in der Gesindestube alles anzuordnen.

Kmiziz ging im Zimmer auf und ab, strich sich die Haare, drehte den Schnurrbart und überlegte, wie er ihr das erzählen sollte, was in Upit geschehen war.

»Ich werde ihr die reine Wahrheit bekennen müssen,« brummte er unter der Nase, »es wird nichts helfen, sollten auch die Gefährten lachen, daß ich hier schon so am Bändel geführt werde.«

Und wieder strich er sich über die Haare und lief hin und her, endlich wurde er ungeduldig, daß sein Mädchen so lange nicht kam.

Unterdeß hatte ein Bursche Licht gebracht. Er verbeugte sich tief und ging hinaus. Gleich darauf erschien die liebliche Wirtin; sie trug mit beiden Händen ein glänzendes zinnernes Tablett, darauf ein Töpfchen, welchem der wonnige Duft heißen Ungarweins entströmte, und ein Becher aus geschliffenem Glas mit dem Wappen der Kmiziz stand. Herr Billewitsch hatte ihn seinerzeit bei einem Besuche von dem Vater des Herrn Andreas bekommen.

Sobald Herr Andreas die Wirtin erblickte, sprang er zu ihr.

»He!« rief er, »die Hände sind beide nicht frei, du entkommst mir nicht.«

Er beugte sich über das Tablett, sie bog ihr blondes Köpfchen, nur vom heißen Dampf geschützt, zurück.

»Verräter! laßt sein, sonst lasse ich die Suppe fallen ...«

Aber ihn erschreckte die Drohung nicht; er rief:

»So wahr Gott im Himmel ist, man kann bei diesen Delicen den Verstand verlieren.«

»Ihr seid schon lange nicht bei Sinnen ... setzt euch, setzt euch.«

Er nahm gehorsam Platz; sie goß ihm den Becher voll.

»Erzählt jetzt, wie ihr in Upit die Schuldigen bestraftet.«

»In Upit? Wie Salomo!«

»Gott sei Dank! Es liegt mir am Herzen, daß die ganze Gegend euch für einen gesetzten und gerechten Menschen hält. Wie war es also?«

Kmiziz nahm einen tüchtigen Schluck Wein, verpustete sich erst, dann sagte er:

»Ich muß von Anfang anfangen. Es war so: Die Städter und der Bürgermeister verlangten die Anweisungen auf Proviant vom Großhetman oder Schatzmeister. Ihr seid Söldlinge, sagten sie zu den Soldaten, und könnt keine Kontribution anordnen. Die Quartiere geben wir aus Gefälligkeit und die Verproviantierung, sobald es sich zeigt, daß wir dafür bezahlt werden.«

»Hatten sie Recht oder nicht?«

»Sie hatten Recht nach dem Gesetz, aber die Soldaten hatten Säbel, und es ist von alters her so, daß, wer den Säbel hat, auch das bessere Recht hat. Sie sagten also den Bürgern: Wir werden gleich die Anweisungen auf euer Fell schreiben! Und sofort entstand Tumult. Der Bürgermeister verbarrikadierte sich mit den Bürgern in einer Straße und meine Leute stürmten sie; es ging nicht ohne Schüsse ab. Die armen Soldatenschelme zündeten, um die Bürger in Schreck zu jagen, ein Paar Scheunen an, brachten auch einige von ihnen zur Ruhe.«

»Was heißt zur Ruhe?«

»Wer mit dem Säbel eins über den Schädel bekommt, der wird still wie ein Toter.«

»Um Gotteswillen, das ist ja Totschlag!«

»Ich kam gerade dazu. Die Soldaten kamen mir gleich mit Klagen über ihre Notlage und erzählten, wie man sie hier verfolge: Unsere Magen sind leer, sagten sie, was sollen wir anderes thun? Ich ließ den Bürgermeister rufen. Er besann sich lange, endlich kam er mit drei anderen. Die fingen gleich an zu weinen: Wenn sie schon die Anweisungen nicht geben wollten, weshalb schlugen sie uns und setzten die Stadt in Brand? sagten sie. Essen und Trinken hätten wir ihnen für gute Worte gegeben; sie wollten aber Speck, Meth, Delikatessen, und wir sind arme Menschen, haben es selbst nicht. Das Recht wird uns schützen und Ew. Gnaden werden sich für eure Soldaten vor Gericht verantworten müssen.«

»Gott wird euch segnen,« rief Olenka, »wenn ihr, wie es sich gebührte, Gerechtigkeit geübt habt.«

»Wenn ich sie geübt habe?«

Hier wand sich Herr Andreas wie ein Schulknabe, welcher eine Schuld eingestehen soll, und strich sich die Haare in das Gesicht.

»Mein König!« rief er zuletzt in kläglichem Tone, »mein Kleinod! sei nicht böse auf mich.«

»Was habt ihr nur wieder gemacht?« fragte Olenka besorgt.

»Ich ließ dem Bürgermeister und den Ratsherren einem jeden hundert Stockschläge geben!« stieß in einem Atemzuge Herr Andreas hervor.

Olenka antwortete nichts, sie stützte nur die Hände auf die Kniee, ließ den Kopf auf die Brust sinken und versank in Stillschweigen.

»Schlage mir den Hals ab!« rief Kmiziz, »aber zürne mir nicht! ... ich habe noch nicht alles bekannt ...«

»Noch nicht?« stöhnte das Fräulein.

»Sie haben doch nach Poniewiersch um Hilfe geschickt. Es kamen hundert simple Burschen mit Offizieren. Diese habe ich auseinandergehetzt und die Offiziere ... um Gotteswillen zürne nicht ... die ließ ich nackend mit Kantschus auf dem Schnee umherjagen, gerade so, wie ich es einst mit Herrn Tumgrat in Orschan machte ...«

Das Fräulein Billewitsch hob den Kopf; ihre strengen Augen blickten zornig und Purpurröte stieg ihr ins Gesicht.

»Ew. Gnaden habt weder Scham noch ein Gewissen!« sagte sie.

Kmiziz sah sie verwundert an, schwieg eine Weile, dann fragte er in verändertem Ton:

»Sprichst du die Wahrheit oder thust du nur so?«

»Ich sage die Wahrheit, wenn ich sage, daß diese That eines Straßenräubers würdig ist – nicht eines Kavaliers! ... Ich sage die Wahrheit, weil mir eure Reputation am Herzen liegt, weil ich mich schäme, daß ihr, kaum hierher gekommen, schon vor der gesamten Bevölkerung als Gewaltthäter geltet und man mit Fingern auf euch zeigt.«

»Was kümmert mich eure Bevölkerung. Zehn Hütten werden von einem Hunde bewacht und auch der hat nicht einmal etwas zu thun.«

»Aber es giebt keine Schlechtigkeit unter diesen armen Bauern, rein von Schande ist jeder Name und niemand wird von den Gerichten verfolgt wie ihr!«

»Laß dir darüber den Kopf nicht schmerzen. Hier in unserer Republik ist jeder ein Herr, wer nur einen Säbel in der Hand hat und versteht, sich eine Partei zu gewinnen. Was können sie mir thun? Ich fürchte hier niemanden.«

»Wenn ihr niemanden fürchtet, so wisset, daß ich den Zorn Gottes ... und die Thränen der Menschen und das Unrecht fürchte! Und die Schande will ich mit niemandem teilen; obgleich ich nur ein schwaches Weib bin, so ist mir doch der gute Klang meines Namens lieber als manchem, der sich Kavalier nennt.«

»Um Gotteswillen, drohe nur nicht mit einem Korbe, denn du kennst mich noch nicht ...«

»O, ich glaube, daß auch mein Großvater euch nicht kannte!«

Die Augen des Herrn Kmiziz sprühten Zorn, aber auch in ihr regte sich das Blut der Billewitsch.

»Faßt mich doch an, knirscht doch!« fuhr sie dreist fort, »ich fürchte mich nicht, obgleich ich allein bin und euch eine ganze Fahne zu Gebote fleht. Meine Unschuld schützt mich! ... Denkt ihr, ich weiß nicht, daß ihr in Lubitsch die Ahnenbilder zerschossen und die Mägde geschändet habt? Ihr kennt mich schlecht, wenn ihr denkt, daß ich demütig schweige zu allem. Ich verlange Ehrenhaftigkeit von euch, und das zu verlangen, verbietet mir kein Testament ... im Gegenteil, der Wille meines Großvaters war der, daß ich nur die Frau eines Ehrenmannes werden solle.«

Kmiziz schämte sich sichtlich dieser Schelmenstücke in Lubitsch; mit gesenktem Kopf und leiserer Stimme fragte er:

»Wer hat dir von jenem Schießen erzählt?«

»Der ganze Adel der Umgegend spricht davon.«

»Ich werde diesen Grauröcken, diesen Verrätern, ihre Klatschsucht heimzahlen!« antwortete Kmiziz düster. »Aber das geschah in der Trunkenheit ... in Gesellschaft ... wo die Soldaten sich nicht zu beherrschen verstehen. Und was die Mägde betrifft, so habe ich sie nicht herzugezogen.«

»Ich weiß, daß jene Schamlosen, jene Mörder, euch zu allem aufhetzen ...«

»Sie sind keine Mörder, sie sind meine Offiziere ...«

»Ich habe diesen euren Offizieren die Thür gewiesen!«

Olenka erwartete einen Zornesausbruch, statt dessen sah sie erstaunt, daß die Nachricht von der Austreibung seiner Gefährten nicht den mindesten Eindruck auf ihn machte, ja sogar seine Laune aufzuheitern schien.

»Du warfst sie hinaus?«

»So ist es!«

»Und sie gingen?«

»Sie gingen!«

»Bei Gott, in dir steckt Kavaliersmut. Das gefällt mir fürchterlich, denn es ist eine gefährliche Sache, mit solchen Menschen anzubändeln. Das hat schon mancher teuer bezahlt. Aber auch sie haben Respekt vor dem Kmiziz! ... Siehst du! ... Sie haben sich still und demütig wie Lämmer entfernt – siehst du! Und warum? Weil sie mich fürchten.«

Herr Andreas sah Olenka dabei hämisch an und drehte am Schnurrbart; diese plötzliche Laune jedoch raubte ihr vollends die Fassung und der unzeitige Hohn versetzte sie in noch größerem Zorn, sie sagte also mit erhobener Stimme und mit Nachdruck:

»Ihr müßt wählen zwischen mir und ihnen: es darf nicht anders sein!«

Kmiziz schien den Ernst und die Energie, mit der Olenka sprach, nicht bemerken zu wollen; er sagte wegwerfend, fast fröhlich:

»Wozu soll ich wählen, wenn ich dich habe und sie! Das gnädige Fräulein kann in Wodockt thun, was sie will, und wenn meine Kumpane hier kein Unrecht gethan haben und nicht übermütig waren, weshalb soll ich sie da fortjagen? Du verstehst nicht, was es heißt, unter einer Fahne zu dienen und gemeinschaftlich einen Krieg durchzumachen. Keine Verwandtschaft verbindet die Menschen so wie der gemeinschaftliche Dienst. Du mußt wissen, sie haben mir wohl tausendmal das Leben gerettet, und da sie Geächtete sind, so muß ich umsomehr ihnen Schutz bieten. Mit Ausnahme des Zend sind sie alle Altadlige und von guter Familie. Nur Zend ist von ungewissem Herkommen, aber einen solchen Kalfaktor wie ihn giebt es in der ganzen Republik nicht. Außerdem würdest du selbst ihn liebgewinnen, wenn du hören könntest, wie er alle Tier- und Vogelstimmen nachahmen kann.«

Hier lachte Herr Andreas laut auf, als hätte kein Zorn, keine Mißstimmung zwischen ihnen Platz gegriffen. Olenka aber rang die Hände als sie wahrnahm, wie diese Windhundsnatur sich mühte, ihr sozusagen unter den Händen zu entschlüpfen. Alles das, was sie ihm von der Meinung der Menschen, von der Notwendigkeit eines ernsteren Handelns und von der Schmach gesagt hatte, war an ihm abgeglitten wie der Wurfspieß am Panzer. Das schlafende Gewissen dieses Soldaten konnte ihre Entrüstung über jede Ungerechtigkeit, jeden schamlosen Uebermut nicht nachfühlen. Wie sollte sie dasselbe wecken, wie zu ihm sprechen?

»Es geschehe Gottes Wille,« sagte sie endlich. »Wenn ihr mich verschmäht, so geht eures Weges. Gott wird die Waise schützen!«

»Ich dich verschmähen?« fragte Kmiziz höchlichst verwundert.

»So ist es. Wenn nicht mit Worten, so doch mit Thaten. Und wenn ihr mich nicht verschmäht, so verschmähe ich euch, denn ich werde nicht die Frau eines Menschen, auf welchem Menschenthränen und Menschenblut lasten, auf welchen mit Fingern gezeigt wird, den sie einen Geächteten und Raubmörder heißen und für einen Verräter halten!«

»Für was für einen Verräter halten sie mich? Bringe mich nicht zur Raserei, damit ich nicht etwas thue, was ich später bereuen müßte. Mag mich gleich der Blitz treffen, mögen mich die Teufel heute noch zerreißen, wenn ich ein Verräter bin, ich, der ich dem Vaterlande beigestanden habe zu einer Zeit, wo alle die Hände in den Schoß legten!«

»Ihr steht dem Vaterlande bei und thut dasselbe, was auch der Feind thut, denn ihr tretet es mit Füßen, quält die Menschen und achtet weder die Gesetze Gottes, noch die der Menschen. Nein! Und wenn mir das Herz bräche, ich will euch nicht so, wie ihr seid, nicht so will ich euch! ...«

»Sprich mir nicht von einer Zurückweisung, sonst werde ich toll! Ihr Engel, rettet mich! Willst du mich nicht freiwillig, so nehme ich dich mit Gewalt, und wenn diese ganze Kleinadelsbande aus den Stellen, wenn Radziwill selbst oder der König in höchsteigener Person samt allen Teufeln mit den Hörnern den Zutritt zu dir wehrten, selbst wenn ich meine Seele dem Satan verkaufen müßte ...«

»Ruft nicht die bösen Geister, damit sie euch nicht hören!« schrie Olenka, beide Hände vor sich streckend.

»Was willst du von mir?«

»Seid rechtschaffen! ...«

Beide verstummten, Stille folgte. Man hörte nur die schweren Atemzüge des Herrn Andreas. Die letzten Worte Olenkas hatten den Panzer durchbrochen, welcher sein Gewissen umgab. Er wußte nicht, was er ihr antworten, wie er sich verteidigen sollte. Nachher fing er an, in der Stube mit schnellen Schritten auf und ab zu gehen; sie saß unbeweglich. Unfriede, Erbitterung und Schmerz war zwischen sie getreten. Es war ihnen drückend bei einander und das lange Stillschweigen wurde ihnen immer unerträglicher.

»Lebe wohl!« sagte Kmiziz plötzlich.

»Geht mit Gott und möge Gott euch mit anderen Gedanken erleuchten!« antwortete Olenka.

»Ich werde gehen! Bitter war mir dein Trank, bitter dein Brot! Mit Galle und Essig hat man mich hier getränkt!«

»Und ihr glaubt, daß ihr mir Süßigkeiten zu kosten gabt,« antwortete sie mit von Thränen zitternder Stimme.

»Lebe wohl!«

»Lebe wohl!«

Kmiziz schritt der Thüre zu, plötzlich kehrte er um, sprang auf sie zu, faßte sie bei beiden Händen und sagte:

»Bei den Wunden Christi! willst du, daß ich tot vom Pferde stürzen soll, unterwegs?«

Da brach Olenka in Thränen aus; er umarmte sie, und sie, die am ganzen Körper zitterte, in den Armen haltend, wiederholte er mit zusammengepreßten Zähnen:

»Schlage mich, wer an Gott glaubt! schlagt mich! schont mich nicht!«

Zuletzt platzte er aus:

»Weine nicht, Olenka! Um Gotteswillen, weine nicht! Was begehrst du von mir? Ich thue alles, was du willst. Jene treibe ich fort ... in Upit bringe ich alles in Ordnung ... ich will anders leben, denn ich liebe dich. Bei Gott! Das Herz springt mir ... ich will alles thun ... nur weine nicht ... und bleibe mir gut ...«

So suchte er sie zu beruhigen und zu trösten; sie aber, nachdem sie sich ausgeweint hatte, sagte:

»Geht jetzt! Gott wird Frieden zwischen uns stiften. Ich hege keinen Groll, fühle nur Schmerz im Herzen.«

Der Mond war schon hoch über die weißen Felder gekommen, als Herr Andreas zurück nach Lubitsch ritt. Hinter ihm her trotteten die Soldaten in Schlangenlinie auf der Landstraße. Sie ritten durch Wolmontowitsch, aber auf kürzerem Wege, denn der Frost hatte die Sümpfe zum Stehen gebracht, so daß man sicher hinüber konnte.

Der Wachtmeister Soroka näherte sich dem Herrn Andreas.

»Herr Rittmeister,« fragte er, »wo sollen wir in Lubitsch einkehren?«

»Scher' dich fort!« antwortete Kmiziz.

Und er ritt voraus, zu keinem ein Wort redend. Im Herzen wühlte ihm Schmerz, zuweilen Zorn, vor allem aber Zorn gegen sich selber. Es war die erste Nacht seines Lebens, wo er mit seinem Gewissen rechnete, und diese Rechnung drückte ihn wie ein Panzer. Er war in diese Gegend mit beflecktem Rufe gekommen, was hatte er gethan, ihn aufzubessern? Am ersten Tage erlaubte er das Schießen und die Tollheiten in Lubitsch und hatte sich eingeredet, daß er nichts damit zu thun hatte, und doch hatte er dazu gehört; später duldete er es alle Tage. Ferner: seine Soldaten hatten den Städtern Schaden zugefügt und er hatte dort das Maß der Schuld voll gemacht. Noch schlimmer! Er hatte das Poniewierscher Präsidium angegriffen, die Leute geschlagen, die Offiziere entblößt in den Schnee getrieben. Wenn sie ihm den Prozeß machten, so verspielte er ihn. Sie werden ihn zum Verlust des Vermögens, der Ehre und vielleicht des Halses verurteilen. Und er wird nicht, wie früher, eine bewaffnete Partei sammeln und des Gesetzes spotten können, denn er beabsichtigt, sich zu verheiraten, in Wodockt sich ansässig zu machen, nicht mehr auf eigene Faust, sondern in Gemeinschaft dem Vaterlande zu dienen; dort wird das Recht ihn finden und erreichen. Außerdem, wenn er auch straflos ausging, so war doch in seinen Thaten etwas Häßliches, etwas eines Ritters Unwürdiges. Vielleicht ließ der Uebermut sich wieder gutmachen, aber das Andenken daran blieb doch in den Herzen der Menschen, in seinem eigenen Gewissen und in dem Herzen Olenkas.

Als es ihm hier einfiel, daß sie ihn doch nicht ganz verstoßen hatte, daß er zuletzt noch Vergebung in ihren Augen gelesen hatte, erschien sie ihm so gut wie die Engel im Himmel. Und ihn erfaßte das Verlangen, zurückzukehren, nicht morgen, nein, gleich heute, jetzt, so schnell das Pferd ihn tragen konnte, ihr zu Füßen zu fallen und sie zu bitten, alles zu vergessen, ihre süßen Augen zu küssen, die Augen, welche heute sein Antlitz mit Thränen betaut hatten.

Er hätte laut weinen mögen und er fühlte, daß er dieses Mädchen liebe, wie er noch niemanden im Leben geliebt.

»Bei der heiligsten Jungfrau!« dachte er im Innern, »ich werde thun, was sie will; ich werde die Gefährten reich beschenken und sie bis an das Ende der Welt schicken, denn wahr ist es ja, daß sie mich zum Bösen verleiten.«

Hier fiel ihm ein, daß er, angekommen in Lubitsch, die Kumpane wohl betrunken oder mit den Mägden antreffen werde, und es erfaßte ihn eine solche Wut, daß er am liebsten mit dem Säbel dreingeschlagen hätte, gleichviel auf wen, und wäre es auf die Soldaten, die er führte, um sie zu Brei zu hauen ohne Barmherzigkeit.

»Ich werde es ihnen schon geben!« brummte er, den Bart zausend, »sie haben mich so noch nicht gesehen, wie sie mich sehen werden ...«

Er gab dem Pferde die Sporen, zauste es an der Trense und warf es hin und her, daß das Roß fast toll wurde, und Soroka, der das sah, murmelte den Soldaten zu:

»Der Rittmeister ist wütend. Gott bewahre jeden, der jetzt unter seine Hände gerät ...«

Herr Andreas war wirklich wütend. Ringsum herrschte tiefer Frieden. Der Mond schien klar, der Himmel war mit Sternen bedeckt, auch nicht die leiseste Luft bewegte die Aeste an den Bäumen – nur im Herzen des Ritters stürmte es. Der Weg nach Lubitsch dünkte ihm länger als jemals. Eine ihm bisher unbekannte Furchtsamkeit wehte ihm aus der Dämmerung, der Tiefe der Wälder und den mit dem grünlichen Mondlicht übergossenen Feldern entgegen. Endlich ermüdete Herr Andreas, denn um die Wahrheit zu sagen, hatte auch er die ganze vorige Nacht in Upit durchschwelgt. Aber er wollte Böses mit Bösem vertreiben und so rief er, seine Unruhe abschüttelnd, den Soldaten im Kommandoton zu:

»Vorwärts!«

Wie ein Blitz flog er dahin, seine Abteilung hinterher. Und so flogen sie durch diese Wälder, durch die wüsten Felder wie jener Höllenzug der Kreuzritter, von dem die Menschen in Smudz erzählten, daß er in mondhellen Nächten erscheine und durch die Luft jage, ungewöhnlich harte Kriege und Hungersnot verkündend. Das Getrappel tönte hinter und vor ihnen; die Pferde dampften, und erst als die beschneiten Dächer von Lubitsch in Sicht waren, ritten sie langsamer. Sie fanden den Thorweg weit geöffnet. Kmiziz wunderte sich darüber, daß Niemand herauskam, während der Hof sich mit Menschen und Pferden füllte, um nachzusehen, oder zu fragen, wer da sei. Er hatte erwartet, die Fenster erleuchtet zu finden, die Töne von Uhlicks Hakenstock, die Fiedel, oder fröhliches Geschrei zu hören. Statt dessen blinkte nur schwach aus zwei Fenstern der Eßstube ein ungewisses Licht, sonst war alles dunkel und still wie ausgestorben. Der Wachtmeister Soroka sprang zuerst vom Pferde, um dem Rittmeister den Steigbügel zu halten.

»Geht schlafen!« sagte Kmiziz, »wer in der Gesindestube Platz hat, der schlafe dort, die anderen in den Ställen. Die Pferde stellt in die Ställe und Scheunen und bringt ihnen Heu vom Heuboden.«

»Ich gehorche!« entgegnete der Wachtmeister.

Kmiziz stieg vom Pferde. Die Thür zum Flur stand ebenfalls angelweit offen, der Flur war durchkältet.

»Heh dort! ist niemand da!?« rief Kmiziz.

Keine Antwort kam.

»Hey dort!« rief er lauter.

Stillschweigen.

»Sie sind betrunken,« brummte Herr Andreas.

Und eine solche Raserei befiel ihn, daß er laut mit den Zähnen knirschte. Unterwegs hatte ihn der Zorn geschüttelt bei dem Gedanken, daß er sie bei einem Saufgelage antreffen würde, jetzt erbitterte ihn die tiefe Stille noch mehr.

Er trat in die Eßstube. Mitten auf dem großen Tische stand ein eisernes Feuerbecken, in welchem Talg mit rotem, schwelendem Licht brannte. Die aus dem Flur hineindringende Zugluft machte die Flamme hin und her flackern, so daß Herr Andreas eine Zeit lang garnichts sehen konnte. Erst als das Flackern aufhörte, erblickte er eine Reihe Gestalten, welche in gleicher Linie an der Wand lagen.

»Sie haben sich wohl auf den Tod betrunken, oder was sonst?« brummte er unruhig.

Ungeduldig näherte er sich der zunächst liegenden Gestalt. Das Gesicht derselben lag im Schatten, deshalb konnte er es nicht sehen, aber an dem breiten weißen Gurt und der weißen Scheide für den Hakenstock erkannte er Herrn Uhlick und stieß ihn sehr unzeremoniell mit dem Fuße an.

»Steht auf, ihr Hundesöhne! steht auf!« Aber Herr Uhlick lag unbeweglich, mit schlaff an den Seiten herabhängenden Armen, und hinter ihm lagen alle die anderen; keiner atmete, keiner zuckte, keiner wachte auf oder gab einen Laut von sich. In diesem Augenblick sah Herr Kmiziz, daß sie alle in derselben Stellung auf dem Rücken lagen, und eine fürchterliche Ahnung packte ihn. Er sprang zum Tische, faßte mit zitternder Hand das Feuerbecken und leuchtete ihnen ins Gesicht.

Ein so gräßlicher Anblick bot sich ihm, daß sein Haar sich sträubte. Den Uhlick allein erkannte er an dem weißen Gurt, denn Kopf und Gesicht bildeten eine einzige formlose Masse, blutig, gräßlich, ohne Auge, Nase und Mund – nur der kolossale Schnurrbart starrte aus dieser Blutlache hervor. Herr Kmiziz leuchtete weiter. Gleich als Nächster lag Zend, zähnefletschend, mit herausgetretenen Augen, in denen sich noch die Todesangst widerspiegelte. Der Dritte, Ranizki, hatte die Augen geschlossen und das Gesicht voll von weißen, dunklen und blutigen Flecken. Herr Kmiziz leuchtete weiter. Der Vierte der Daliegenden war Herr Kokosinski, der liebste seiner Gefährten, weil sein früherer Nachbar. Dieser schien ruhig zu schlafen, nur von der Seite im Halse sah man eine große Stichwunde. Der Fünfte in der Reihe lag der Riese Herr Kulwiez Hippocentaurus, mit auf der Brust zerrissenem Oberrock und mit dichten Wunden bedecktem Gesicht. Herr Kmiziz brachte die Flamme jedem Gesicht nahe und als er endlich dem Sechsten, Herrn Rekutsch, hineinleuchtete, schien es ihm, daß die Augenlider desselben etwas zuckten.

Er stellte das Feuerbecken auf den Boden und schüttelte den Verwundeten leicht.

»Rekutsch, Rekutsch!« rief er. »Das bin ich, Kmiziz!«

Das ganze Gesicht fing an zu zucken, Augen und Mund öffneten und schlossen sich abwechselnd.

»Das bin ich!« sagte Kmiziz.

Auf einen Augenblick öffneten sich die Augen des Rekutsch ganz – er erkannte das Gesicht des Freundes und stöhnte leise:

»Andrusch! ... Den Geistlichen! ...«

»Wer hat euch geschlagen?!« schrie Kmiziz, sich die Haare raufend.

»Die Bu–trym–s,« sagte die Stimme leise, kaum hörbar.

Dann reckte sich Rekutsch, wurde steif, die Augen starr und gläsern – er starb.

Kmiziz trat schweigend an den Tisch, stellte das Feuerbecken darauf, setzte sich auf einen Stuhl und rieb sich mit den Händen das Gesicht wie einer, der eben aus dem Schlaf erwacht und selbst nicht weiß, ob er schon wacht oder noch Traumbilder sieht. Später sah er wieder nach den im Düstern liegenden Körpern. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, die Haare standen ihm zu Berge und plötzlich schrie er so gräßlich, daß die Scheiben zitterten:

»Komme her, wer da lebt! Kommt!«

Die Soldaten, die es sich in der Gesindestube bequem gemacht hatten, hörten diesen Schrei und stürzten eilig herbei. Kmiziz zeigte mit der Hand nach den an der Wand liegenden Leichen.

»Erschlagen! Erschlagen!« wiederholte er mit heiserer Stimme.

Sie eilten hin, zu sehen; einige kamen mit Kien herbei und leuchteten den Toten ins Gesicht. Nach dem ersten Schrecken entstand Verwirrung und Gemurmel. Es kamen auch diejenigen herbei, die sich in den Ställen schlafen gelegt hatten. Das ganze Haus war bald erleuchtet, mit Menschen angefüllt, und mitten in diesem Wirrwarr, diesem Hin- und Wiederfragen lagen nur die Erschlagenen still und stumm, gleichgiltig gegen alles und ganz gegen ihre Natur ruhig. Die Seelen hatten sie verlassen und die toten Körper konnte weder die Kriegstrompete, noch festliches Gläserklingen mehr erwecken.

Unterdeß hörte man aus dem Getöse, welches die Soldaten machten, immer mehr Drohungen und Wutgeschrei heraus. Kmiziz, welcher bisher wie geistesabwesend dagesessen hatte, sprang plötzlich auf und rief:

»Zu Pferde!«

Alles, was nur lebte, drängte nach der Thür. Noch keine halbe Stunde war verflossen, da sprengten schon über hundert Reiter über Hals und Kopf den breiten, schneebedeckten Weg dahin und allen voran jagte Herr Andreas, ohne Mütze, den blanken Säbel in der Hand, wie vom bösen Geist besessen. Durch die nächtliche Stille tönte wildes Geschrei.

»Schlagt tot! ... Schlagt tot!«

Der Mond hatte eben den Zenith erreicht, als sein Glanz sich mit einem rosigen Lichte zu mischen und zusammenzufließen begann, welches unter der Erde hervorzukommen schien. Allmählich rötete der Himmel sich immer mehr, wie von heraufziehendem Morgenrot, bis endlich ein blutroter Feuerschein die ganze Gegend erhellte. Ein Feuermeer wogte über den Stellen der Butryms und die wilde Soldateska Kmizizs mordete mitten in Rauch und Funken, die in Säulen emporstiegen, die entsetzte und von der Angst sinnlose Bevölkerung.

Die Bewohner der benachbarten Stellen fuhren aus dem Schlafe auf. Größere und kleinere Haufen der Gostschiewitsch, Dymnych, Stajkanows, Gaschtowts und Domaschewitsch sammelten sich an den Wegen, vor den Häusern, und nach der Richtung der Feuersbrunst hinsehend, sandten sie von Mund zu Mund die furchtsame Vermutung: »Der Feind muß eingebrochen sein und die Butryms in Brand gesetzt haben ..., das ist keine gewöhnliche Feuersbrunst!«

Büchsenknalle, welche von Zeit zu Zeit herüberdrangen, bestärkten sie in dieser Vermutung.

»Gehen wir ihnen zu Hilfe!« riefen die Mutigeren, »lassen wir die Brüder nicht umkommen.«

Und als die Aelteren das sagten, setzten die Jüngeren, welche des winterlichen Ausdrusches wegen nicht nach Reußen gegangen waren, sich zu Pferde. In Krakinow und Upit wurden die Kirchenglocken geläutet.

In Wodockt weckte ein leises Klopfen an die Thür das Fräulein Alexandra.

»Olenka! steh' auf!« rief Fräulein Franziska Kulwiez.

»Kommt doch herein, Muhme! Was geht denn vor?«

»Wolmontowitsch brennt!«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

»Man hört die Schüsse bis hier, es wird eine Schlacht geschlagen dort! Gott erbarme sich unser!«

Olenka schrie laut auf, sprang aus dem Bett und warf sich eiligst die Kleider über. Ihr Körper flog wie im Fieber. Sie allein erriet sofort, welcher Feind die unglückseligen Butryms überfallen hatte.

Bald stürzten die erweckten Frauen aus dem ganzen Hause unter Weinen und Schluchzen in das Gemach. Olenka sank in die Kniee vor einem Heiligenbild; alle folgten ihrem Beispiel und alle fingen laut die Litanei für die Verstorbenen zu beten an.

Kanin hatten sie jedoch die Hälfte gebetet, als ein gewaltiges Klopfen die Flurthür erschütterte.

»Macht nicht auf! Macht nicht auf!«

Das Klopfen wurde stärker wiederholt, als sollte die Thür aus den Angeln gehoben werden. Kostek, der Bursche, platzte mitten unter die versammelten Frauen herein.

»Fräulein,« rief er, »es klopft jemand; soll ich öffnen oder nicht?«

»Ist er allein?«

»Ganz allein.«

»Geh', öffne!«

Der Bursche sprang fort, sie griff nach dem Licht, ging hinüber in die Eßstube, ihr folgten Fräulein Franziska und alle Spinnerinnen.

Sie hatte kaum Zeit, das Licht auf den Tisch zu stellen, als im Flur das Rasseln eines Säbels, das Geräusch der geöffneten Thür hörbar geworden war und vor den Augen der Frauen Herr Kmiziz auftauchte, von Rauch geschwärzt, blutbefleckt, erschöpft, mit irren Blicken.

»Das Pferd ist mir hinter dem Walde gefallen!« rief er. »Sie verfolgen mich! ...«

Fräulein Alexandra sah ihn fest an:

»Ihr habt Wolmontowitsch in Brand gesteckt?«

»Ich, ich! ...«

Er wollte weiter sprechen, aber eben kam von der Richtung des Weges und des Waldes her Pferdegetrappel und Geschrei, welches sich ungewöhnlich schnell näherte.

»Die Teufel kommen nach meiner Seele! ... gut!« schrie wie im Fieber Kmiziz.

Fräulein Alexandra drehte sich im Augenblick zu den Spinnerinnen:

»Wenn sie euch fragen, so sagt ihr, daß niemand hier ist; jetzt in die Gesindestube und Licht hierher! ...«

Dann zu Kmiziz gewendet:

»Ihr dahinein!« sagte sie, nach der Nebenstube zeigend.

Und mit fast übermenschlicher Kraft ihn durch die geöffnete Thür hineinstoßend, schloß sie dieselbe sofort.

Unterdessen hatten Bewaffnete den Hof angefüllt und im nächsten Augenblick stürzten die Butryms, Gostschiewitsch, die Domaschewitsch und andere in das Haus. Als sie das Fräulein sahen, blieben sie in der Eßstube stehen, Olenka aber mit dem Licht in der Hand verstellte ihnen den Weg zu der andern Thür.

»Leute! – was ist geschehen? – was wollt ihr hier?« fragte sie, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken vor den drohenden Blicken und dem unheilverkündenden Blitzen der blanken Säbel.

»Kmiziz hat Wolmontowitsch in Brand gesteckt!« schrie der Klein-Adel im Chor. »Er mordete Männer, Weiber und Kinder! Kmiziz hat das gethan! ...«

»Wir haben seine Leute erschlagen!« ließ sich die Stimme Jozwa Butryms hören, »und jetzt wollen wir seinen Kopf!«

»Seinen Kopf! Blut! Haut den Mörder in Stücke!«

»Verfolgt ihn!« rief eilig das Fräulein. »Was steht ihr hier! Jagt ihn!«

»Hat er sich hier nicht versteckt? Wir haben sein Pferd hinter dem Walde gefunden.«

»Hier nicht! Das Haus war geschlossen. Sucht in den Scheunen und Ställen.«

»Er ist in den Wald entkommen!« rief einer vom Adel. »Haida, ihr Herren Brüder!«

»Schweigt!« schrie mit mächtiger Stimme Jozwa Butrym.

»Fräulein,« sagte er, »versteckt ihn nicht. Er ist ein verfluchter Mensch.«

Olenka schlug beide Hände über dem Kopfe zusammen.

»Ich fluche ihm, wie ihr ihm fluchet ...«

»Amen!« schrie der Adel. »In die Wirtschaftsgebäude und in den Wald! Wir finden ihn! Heissa, auf den Mörder! Heissa, Heissa!«

Säbelklirren und Stampfen schallte von neuem durch die Nacht. Der Adel stürzte vor den Gang (Vordach mit darunter fortlaufendem Gange, welcher sich an alten polnischen Herrenhäusern befindet) und setzte sich sofort zu Pferde. Ein Teil desselben suchte noch eine Weile in den Wirtschaftsräumen, den Viehställen, dem Heuschuppen, dann entfernten sich die Stimmen immer mehr nach dem Walde zu.

Fräulein Alexandra horchte so lange, bis sie völlig verhallt waren, dann klopfte sie fieberhaft an die Thür des Gemaches, in welchem sie Kmiziz versteckt hatte.

»Es ist niemand mehr hier! Kommt heraus!«

Herr Kmiziz wankte aus der Stube wie ein Betrunkener.

»Olenka!« fing er an.

Sie schüttelte den Kopf mit den aufgelösten Haaren, welche ihren Rücken wie ein Mantel bedeckten.

»Ich will euch nicht sehen, nicht kennen! Nehmt ein Pferd und flieht von hier!«

»Olenka!« stöhnte Kmiziz mit vorgestreckten Händen.

»Es klebt Blut an euren Händen, wie an Kains Händen!« schrie sie und sprang zurück, wie beim Anblick einer Schlange. »Fort, auf ewig! ...«

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