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Don Penafil, Alkalde des hochpreislichen Cabildo Stadtrat in Mexiko, hat die Kriminalgerichtsbarkeit. von Mexiko hatte soeben ein Glas mit Sangaree gefüllt zur Hand genommen, als der hastig eintretende Oberalguazil den Wunsch des Staatsrates verkündete. Er stellte sofort den Sangaree auf die Seite und sah den Botschafter forschend an.
»Also Seine Herrlichkeit wollen uns sprechen? Sie wollen uns sprechen? Werden zu Diensten sein, sobald wir mit der Cabuilla fertig sind. Wollen's kurz machen, Don Ferro,« wandte er sich zum Beisitzer, der emsig schrieb, »woran sind wir?«
»Nummer vier«, antwortete der Escribano mürrisch.
»Nummer vier herauf!« brüllte es aus der Tiefe des Gewölbes hervor, und ein rohes Gelächter wurde hörbar, ohne daß jedoch die Lachenden selbst zu sehen gewesen wären; denn der untere Teil des Gewölbes war dunkel und bloß durch Lampen erleuchtet, die an der entgegengesetzten Seite eines Pfeilers hingen und ein trübes, düsteres Licht über eine Gruppe von Menschen ausgossen, die, als scheuten sie jede nähere Beleuchtung, sich in die verschiedenen Vertiefungen des Gewölbes zurückgezogen hatten. Diese waren zahlreich und mit steinernen Bänken versehen, auf denen Schlafende wahrzunehmen waren, die, in Schafpelze gehüllt, laut schnarchten. Hie und da ragten eiserne Haken aus den massiven Mauern, von denen das Wasser in dicken Tropfen herabfiel; alles war trostlos, furchtbar! Auf den obern Teil des Gewölbes war mehr Sorgfalt verwendet. Er war durch Schranken von dem untern getrennt, und zwei Stufen über diesen erhöht; auch hatte diese Abteilung getäfelte Wände und Esteras mit gepolsterten Stühlen. Immerhin war der Gerichtssaal einer Höhle ähnlicher als dem Sitzungszimmer einer Magistratsperson; obwohl er, der spanischen Konsequenz Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, für die beiden Richter nicht übel paßte, deren mürrisch-verdrossene Gesichter die Höllenrichter der Alten recht füglich vorstellen konnten.
Während der Pause, die auf das ausgesprochene ›Vier‹ gefolgt war, hatte sich der Alguazil in eine kurze Unterhaltung mit dem Oberalkalden eingelassen, die seine Ungeduld um ein Bedeutendes vermehrte.
»Hölle und Tod!« schrie er heftig.
»Komme, komme!« antwortete eine Stimme herauf, und dann ließ sich Kettengerassel hören, und in Mitte zweier Henkersknechte schwankte eine Gestalt vor, die mehr tot als lebendig, sich nicht aufrecht zu halten vermochte, und nur durch die vereinten Bemühungen der Kerkerknechte bis vor die Schranke geschleppt werden konnte.
»Andrea Pachuca ist Ihr Name?« fragte der Alkalde verdrießlich.
Der Gefangene, ein Jüngling von etwa zwanzig Jahren, gab keine Antwort.
»Wird's werden, oder haben Sie etwa keine Zunge?« fragte der Alkalde rauh und mürrisch.
»Hatte Zunge genug in der Fonda de Traspaña,« lachte eine Stimme von hinten, »als er die Gesundheit des verfluchten Morelos ausbrachte.«
»Sie hören Ihre Anklage«, bemerkte der Alkalde, der, zu verdrossen, sie selbst zu stellen, die Worte des Polizeispions zur formellen Anklage erhob.
»Señor, um der Mutter Gottes willen, Barmherzigkeit!« flehte der junge Mann. »Bin verführt worden«.
»So sind es achtzigtausend und mehr«, versetzte der Alguazil mürrisch. »Nehmen Sie, Señor Ferro, sein Bekenntnis ad protocollum. Und ihr,« befahl er einem der Henkersknechte, »fort mit ihm in die Acordada.« Eines der drei Hauptgefängnisse.
»Aber oder unter der Erde?« fragte der Escribano.
»Wo Platz ist«, war die Antwort. – »Nummer fünf.«
Des jungen Mannes Knie schlotterten, und er fiel, wie ein vom Beil getroffenes Rind, zusammen.
»Seid kein Narr!« raunte ihm der Henkersknecht lachend in die Ohren. »Ihr habt die Gesundheit Morelos in Xerez und Sangaree getrunken, zur Abwechslung werdet Ihr sie nun in frischem Tezcuco-Wasser trinken. Es ist, wie Ihr wißt, ein wenig salzig; aber es liegt sich weich in diesem Wasser, wenn Euch die Krebse und Axelotes, die Euch ihren Besuch abstatten werden, ruhen lassen. Das heißt, wenn Ihr in eines der untersten Kabinette kommt, wo mancher es ein halbes Jahr ausgehalten. Wenn Ihr aber dem Maestro ein gutes Wort gebt, versteht Ihr mich, ein gutes goldenes oder silbernes Wort, so legt er Euch bloß die fünfzigpfündigen Ketten an, und die schneiden Euch erst die zweite Woche ein wenig ins Fleisch.«
Mit diesem Troste ward der Unglückliche aus dem Gewölbe gezerrt, und ein anderer, der mit Nummer fünf bezeichnet worden, trat an seine Stelle. Er war ebenfalls noch sehr jung und mochte das zwanzigste Jahr noch nicht lange zurückgelegt haben.
»Elmo Hernández,« hob der Alkalde wieder an, »Sie sind beschuldigt, Seine Exzellenz, unseren Hochgebietenden Virey, verwünscht und verfluchter Fremdling! wie auch Tod den Spaniern! in dem Quartier Traspanna geschrien zu haben; ferner nieder mit der Jungfrau der Gnaden!, Verbrechen, die sowohl die Sicherheit des Staates als die der alleinseligmachenden Kirche verletzen. Was haben Sie gegen diese Anklagen zu erwidern?«
»Señor!« sprach der gefaßtere junge Mann, »ich mußte zusehen, wie meine einzige liebliche Schwester zur Heirat mit einem Leutnant Garcia gezwungen wurde, wie mein Erbteil mir entrissen, wie diese Schwester durch diesen Fremdling um ihre Gesundheit –«
»Leutnant Garcia ist ein viejo cristiano, und wenn Ihre Schwester – Sie sind ein Unzufriedener, ein Criollo, y basta.«
Der junge Mann knirschte mit den Zähnen, schwieg aber.
»Sie sind ein Unzufriedener«, donnerte der Alkalde. »Ein Unzufriedener aber hat ein unzufriedenes Gemüt, und ein unzufriedenes Gemüt ist ein rebellisches Gemüt, und ein rebellisches Gemüt ist ein Rebell. Folglich sind Sie ein Rebell und basta. Señor Ferro, nehmen Sie es ad protocollum.«
Nachdem der Alkalde diese richtige Schlußfolge gezogen, nahm er einen Schluck Sangaree und wandte sich zum Escribano.
»In die Cordelada, und zwar unter die Erde – Fesseln des zweiten Grades.«
»Ihr habt dreißig Pfund schwerer zu tragen«, raunte ein Scherge dem Schlachtopfer zu; »das heißt wenigstens achtzig Pfunde. Macht Euer Gewissen rein, Ihr kommt in eine Hölle.«
Der Unglückliche knirschte nochmals mit den Zähnen, schüttelte seine Kette und ging dann ab.
»Verdammter Rebell«, brummte ihm der Alkalde nach.
»Die übrigen sind alle gente irrazionale«, bemerkte Don Ferro, der Schreiber.
»Um so besser, Nummer zwölf bis Nummer einundzwanzig«, schrie der Alkalde.
Eine Minute hindurch herrschte eine tiefe Stille, die bloß durch das Gekritzel des Schreibenden und das Schnarchen der Schlafenden unterbrochen wurde; dann nahte Kettengerassel, begleitet von einem dumpfen Gemurmel, das unheimlich im großen Gewölbe widerhallte, und aus der Tiefe der Höhle traten dunkle Gestalten hervor, deren feurige, rabenschwarze Augen in der Dunkelheit glühten.
Es waren zehn verzweifelt aussehende Menschen, die jetzt vor die Schranken kamen, ebensowenig gebeugt durch die bereits ausgestandenen Leiden, als sie wegen ihres künftigen Schicksals besorgt schienen. Einige waren von riesigem Körperbau, und die Fragmente ihrer Kleidung verrieten Indianer aus dem Baxio.
Sie traten vor, mit unbezwingbarem Trotz im Gesichte und tief versteckter Tücke in den schief auseinanderstehenden Augen.
»Wegen Aufruhrgeschrei und Aufwiegelung der Leperos verhaftet und einer derselben der Zerreißung der Banda der hohen Audiencia angeklagt«, bemerkte der Escribano.
»Welcher ist es?« fragte der Alkalde.
»Dieser da«, sprach eine Stimme, und der Zambo trat vor und deutete auf einen alten Indianer, den Vater Ixtla.
»Also die Gachupins sind die Piques, die ihre Eier in das Fleisch von Mexiko gelegt haben?« fragte der Richter, der die Angabe des Polizeispions aus dem Papiere las.
»Ixtla hat das nicht gesagt«, sprach der alte Indianer; »dieser Hund von einem Negro hat es gesagt.«
»Du lügst«, schrie der Zambo giftig.
»Und die Spanier, die da sind die Söhne Jagos, haben die Söhne Esaus, die da sind die gente irrazional, um ihr Erbteil gebracht?« fragte der Alkalde wieder.
Der Indianer schwieg.
Der Richter hielt einen Augenblick inne, dann rief er: »Verdugo!«
Es trat ein riesiger Mann mit einem gräßlichen, eisgrauen Barte vor, und in einer Kleidung, die, sonderbar genug, ganz aus blauen und weißen Weiß und blau die Farbe der Patrioten und der alten Mexikaner. – Die Spanier hatten ihre Henker in diese Farben gekleidet. Flecken zusammengesetzt war. Der Mann sah einen Augenblick den Richter erwartend an, und auf einen Wink von diesem warf er dem Indianer eine Schlinge um den Hals und zog ihn durch das Gewölbe fort, so wie der Jäger den im Lasso gefangenen wilden Stier mit sich fortschleift.
»Nummer dreizehn bis einundzwanzig,« hob wieder der Alkalde an, »wegen Aufruhr beschuldigt, und Anstiftung der Leperos, und Auszugs aus der Hauptstadt, und Einverständnisses mit den Cavecillas. Sind von Zitacuaro und Guanaxuata, das heißt Rebellen.«
Die neun Indianer wurden nun in einer Reihe vor den Schranken aufgestellt. Es waren junge und alte Leute.
»So ruft einmal des Spaßes wegen: »Tod dem Verräter Vincente Guerrero!« redete sie der Alkalde an.
Die Elenden sahen den Mann starren Blickes an.
»Habt die Stimme verloren?« sprach der Richter. »Wollen es umkehren; ruft: »Tod dem Verräter Morelos!« Vielleicht geht das besser.«
Keiner der Indianer gab einen Laut von sich.
»Vielleicht könnt ihr Es lebe der König! schreien?« meinte lächelnd der Richter.
»Noch immer keine Antwort«, sprach er kopfschüttelnd »Nehmt sie denn alle hin.«
Und kaum waren die Worte ausgesprochen, als von den Steinbänken und aus den Vertiefungen ein halbes Dutzend Henkersknechte hervorsprangen, Lassos durch die Halsringe der Indianer zogen und diese nun mit sich fortrissen, wie Kälber, die, bereits von Hunden zerfleischt, vom wilden Metzgerknechte mit fortgerissen und auf die Schlachtbank gezerrt werden.
»Machen Sie es kurz, Señor Ferro«, bemerkte Don Penafil verdrossen. »Je kürzer desto besser, Seine Herrlichkeit warten auf uns. Sie wissen, daß man oben kein langes Federlesen macht, sehen es schon daraus, daß die Sentenzen vollzogen sein müssen, ehe noch die Unterschrift beigesetzt ist.«
Der Escribano hatte den Rat befolgt und gab dem Alkalden das Verhör zur Unterschrift.
Dieser unterfertigte es mit dem Oberalguazil.
»Carracco!« dehnte und streckte er sich. »Wieder etwas vorüber, um morgen dasselbe Spiel wieder von vorn anzufangen. Wohl, beten wir, Señores.«
Und mit diesen Worten erhob sich der Mann und trat zu einem Seitentische, auf welchem ein Waschbecken mit Gießkanne sich befand, und nachdem alle drei sich die Hände gewaschen, traten sie zum Tische, nahmen das Kruzifix und das Standbild der Jungfrau der Gnaden samt den Lichtern, stellten es auf einen Betschemel, der an der Wand stand, knieten nieder und beteten mit lauter Stimme: » Ave Maria, Regina Coeli, audi nos peccatores.«
Alle noch im Gewölbe Zurückgebliebenen stimmten in das Gebet mit jenem feierlichen Ernste ein, mit dem der Spanier jede seiner Andachtsübungen verrichtet. Nachdem das Gebet vorüber war, erhob sich der Alkalde, nahm die Papiere und schritt, begleitet vom Escribano und dem Oberalguazil, zur Türe hinaus.
Die wenigen, die noch zurückgeblieben waren, folgten den Magistratspersonen, bis auf einen, dessen weiß und blau gestreifte Kleidung gleichfalls einen Verdugo verriet. Diesem hatte der Oberalguazil bei seinem Austritte etwas in die Ohren geflüstert, das den Mann stutzen machte. Er löschte die Lichter auf dem Tische aus, hüllte sich in einen Schafspelz und streckte sich auf eine der Steinbänke nieder.