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Einunddreißigstes Kapitel.

Das Kabinett, in das sich die drei jungen Damen mit dem Oberst zurückgezogen hatten, war im neuesten französischen Geschmacke eingerichtet, so wie überhaupt in der Familie des Vizekönigs viel Französierendes, vielleicht aus eben dem Grunde vorherrschte, aus dem der Besiegte die Sitten und Gewohnheiten des Siegers dem seiner Landsleute vorzieht. Das einzige Spanische, das die stolze Bewohnerin des Appartements beibehalten hatte, war die Estrada, der erhöhte Hintergrund des Kabinetts, auf dessen einer Seite eine Ottomane sich herzog, hinter welcher reiche Gardinen ein üppig schwellendes Bett durchglänzen ließen. Vor den vergoldeten Löwentatzen des Bettes war ein mit breiten goldenen Tressen eingesäumter Teppich von Jaguarfellen ausgebreitet; sanfte Wohlgerüche durchdufteten das Zimmer, in dem eine pittoreske und zugleich gesuchte Anordnung durchschimmerte – hier eine Halskette, die ihr Lager auf einer Handzeichnung gefunden hatte, dort über einem Schirm ein kostbarer Cachemir; prachtvolle, in Gold gearbeitete, mexikanische Götzenbilder und Sträuße, aus dem glänzenden Gefieder der Vögel des Landes zusammengesetzt, künstliche Blumen und kostbare Vasen, mit den tausend Erfordernissen einer Damentoilette, lagen in reicher Verwirrung umher, den Geschmack ihrer Besitzerin, und vielleicht – die Zahl ihrer Verehrer gleich sehr beurkundend.

Sie selbst, ganz Grazie, ganz Anmut, war malerisch auf die Ottomane hingegossen, einen ihrer Arme um den Leib der Doña Inés, den andern um den Emanuelens geschlungen. Vor ihr, auf der Stufe der Estrade, lag auf einem Kissen der Oberst, im Anschauen und, wie es schien, in Entzücken verloren.

»Es hat uns sonach gefallen, meine gnädigen und hohen Herrschaften,« lispelte Doña Isabel, »in diesem Monate einen Ball zur Feier des Sieges, den wir«, sie richtete einen anmutig lächelnden Blick auf den Obersten, »durch unsere Tapfern zu erringen hoffen, zu beschließen.«

Es erfolgte eine Pause.

»Und auf diesem Ball,« fuhr sie fort, »zum Nutzen und Frommen des guten Geschmacks der sehr adeligen Stadt Mexiko, eine Quadrille, die, glänzend und auserwählt, in den Hofannalen der mexikanischen Terpsichore einige Anerkennung finden soll – –«

»Nicht zu zweifeln«, fiel ihr der Oberst ein.

Die Donna lächelte ihm graziös zu und winkte Stille.

»Eine Quadrille also soll diesen Ball verherrlichen, deren glückliche Auserwählte wir nun sofort bezeichnen wollen.«

»Ihre Herrlichkeit, Doña Emanuele Florentine Stephanie Vanegas de – –«

»Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen zu Füßen werfe«, lachte die Bezeichnete.

»Unsere liebe Inez. –«

»Ich küsse Ihnen die Hände« frohlockte Doña Inés.

»Isabel«, sprach die Doña stolz lachend.

»Wofür wir alle die Hände küssen«, riefen alle drei, und der Oberst hatte bereits die ihrige erfaßt.

»Doña Elvira Condessa –« Sie hielt inne. Der Oberst, den Mund auf ihre Hand gepreßt, hatte das Haupt gesenkt. »Condessa de Fogoa«, rief sie plötzlich, indem sie sich zugleich rasch herabbog und ihre Hand vom Gesichte des Obersten wegriß. Dieses war mit einer Flammenglut übergossen.

Sie warf einen durchbohrenden Blick auf ihn.

»Sie wissen doch, Graf,« fuhr sie nach einer Weile halb spöttisch fort, »daß die sehr adelige Stadt Mexiko diese Blume von Oaxaca seit drei Tagen in ihren Mauern besitzt, und daß die Condessa Elvira von einer Familie stammt, mit der allerdings auch wir in Berührung treten dürfen.«

»Zweifelsohne,« versetzte der Oberst, »und es wundert mich nur, wie Doña Isabel sich herablassen kann, Gründe da anzugeben, wo ihr bloßer Wille hinreicht.«

»Für welche loyale Submission Sie, Graf, sogleich belohnt werden sollen«, lächelte die Doña; »denn da die Quadrille«, fuhr sie mit lispelnder Stimme fort, »nun wohl nicht bloß von Damen allein aufgeführt werden kann, und Caballeros uns zur Vollendung des Rahmens einigermaßen notwendig sind, so haben wir in Huld und Gnaden beschlossen, vier Kavaliere insofern zu beglücken, als ihnen das beneidenswerte Los zuteil werden soll –«

»Oh, wie doch dieser schöne Mund so folternd sein kann!« seufzte der ungeduldige Oberst.

»Zuteil werden soll,« wiederholte Doña Isabel, »uns diese Quadrille mit aufführen zu helfen. Und zwar –« sie sah den Grafen lächelnd an.

»Graf Canegui.«

»Glücklicher Canegui!« rief der Oberst.

»Den General Grafen Cabeza.«

»Überseliger Cabeza!« seufzte er wieder.

»Graf Carlos de Fogoa.«

»O Schmerz, das ist ja ein Kreole!« riefen alle.

»Graf San Ildefonso.«

»Bravo! Bravo!« Der letzte Name entzückte wieder alle.

»Señorias!« sprach die Doña. »Ich glaube kaum bemerken zu müssen, daß diese Quadrille eine Überraschung sein soll für die sehr adelige Stadt Mexiko. Wir haben daher kaum nötig, zu erwähnen, daß alles mit einer gewissen Verschwiegenheit behandelt werden muß, die dem Ganzen ebensosehr Reiz verleiht, als die Spannung erhält.« Sie hielt inne.

»O fahren Sie doch fort!« riefen alle.

»Wir dürfen zugleich auch nicht vergessen,« bemerkte sie, »daß wir in einer verhängnisvollen Zeit leben –« sie hielt wieder inne, »und daß der Ball an eine Bedingung geknüpft ist –«

»An deren Erfüllung doch Señora Isabel nicht zweifeln wird?« sprach der Oberst mit dem stolzen Selbstgefühle eines jungen Kriegers.

»Gewiß nicht,« lächelte die Dame. »Immerhin jedoch hängen wir von der Erfüllung einer Bedingung ab.«

Gegen diese Behauptung protestierte der Oberst hitzig, indem er versicherte, daß an dem Siege über die Rebellen zu zweifeln ein Majestätsverbrechen gegen die spanische Ehre sei: eine Versicherung, die sich die Dame um so lieber gefallen ließ, als sie von dem Obersten mit einem Feuer ausgesprochen wurde, die ihm eine recht liebliche Nöte ins schöne Gesicht jagte.

»Da nun dieses glückliche Land« fuhr die Dame fort, »trotz der eminenten Wohltaten, die ihm unsere glorreichen Könige durch die Hand ihrer illustren Vireys zugewandt,« – ihr Gesicht verzog sich bei diesen Worten in ein unwillkürliches Hohnlächeln, »in demselben Zustande sich befindet, in dem unser Vaterland bald nach der Eroberung von Granada durch die hochherrliche Isabel war; wir meinen den zweiten Aufstand der Mauren, gedämpft von dem herrlichen Aquilar, dessen Nachkomme mütterlicherseits« – ihr Blick fiel mit einem Ausdrucke von Hoheit auf den Obersten – »sich unter uns befindet, so dürfte es allerdings genehm sein, Isabellen als Typus aufzustellen, und jenen berühmten Reigen zu wiederholen, in dem die siegenden Spanier und besiegten Mauren ihr, der Großen, der Erhabenen, vereint ihre Huldigungen darbrachten. Wir schlagen daher vor,« fuhr sie im positiven Tone fort, »den großen Triumphzug Isabellens nach der zweiten Mauren-Rebellion vorzustellen, und zwar auf eine möglichst brillante Weise vorzustellen, so, daß unserem Aufzuge ein Train von Pagen und reich gekleideten Gefangenen folgen soll, die dann am Tanze teilnehmen und überhaupt in ein Ganzes verschmelzen.«

»Die Idee ist wirklich herrlich!« rief der Oberst überrascht.

»Wohl denn«, lächelte die Doña. »Wir sind sehr verbunden für dieses Kompliment, wo Komplimente so selten sind.«

»Aber die Ausführung, wenn Geheimnis die Bedingung sein soll?« fragte der Oberst. »Woher die Kostüme? Wir haben zwar auf einem unserer Familienschlösser der Sierra Nevada die Kostümes unserer Ahnen herab bis auf unsern leiblichen Vater; aber in diesem armseligen Mexiko, mit seinem neugebackenen Zwiebeladel, ohne Geschichte, ohne Erinnerung –«

»Wir,« lächelte die Doña schmachtend, »die wir den Knoten geschürzt haben, werden ihn auch zu lösen wissen. Zudem ist der Unterschied zwischen den heutigen Kostümen der mexikanischen Nobilitad und dem Adel Spaniens zur Zeit Isabellens nur geringe. Mit der gehörigen Rücksicht auf unsere Toilette wird es Ihnen schon jetzt leicht werden, die Ihrige anzugeben. Wir haben jedoch zum Überflusse Don – Dings – wie heißt er nur wieder? – den Direktor unserer Academia zu unserem Kamarillchen geladen, und ihm unsere Wünsche eröffnet, und er wird nicht säumen,« fügte sie etwas preziös hinzu, »Ihnen morgen die Zeichnungen einiger recht malerischen Kostümes zu liefern.«

»O schmähliche Egoistin!« scherzte der Oberst; »die schönen Künste auf diese Weise ihren Zwecken dienstbar zu machen.«

»Wozu sind sie sonst,« fiel ihm die Doña spitzig ein »als uns das Leben zu verschönern und allenfalls die müßigen Geister zu beschäftigen, und vom insidiösen Anschauen unserer selbst abzuhalten? Unsere Coiffüre« wandte sie sich wieder an die beiden Doñas in einem Tone, der, obwohl weniger preziös, doch wieder verriet, daß jene mit den schönen Künsten auf gleicher, wenn nicht höherer Rangstufe stand – »unsere Coiffüre wird recht artig ausfallen.«

»So herrlich!« versicherte der Oberst, ihre Hand erfassend, »daß wir, in demütiger Ferne folgend, unsere eigenen Kostüme bereits im Spiegel erblickt haben.«

»Ah, Graf, haben Sie, haben Sie – und wo waren Sie, als wir gezeichnet haben?« rief die Donna aufspringend.

»Bei meiner Ehre, Señora!« erwiderte der Jüngling mit einem Anfluge von Ernst. »Es fiel mir soeben bei, welche großartigen Wesen wir sind, und wie wir einst in der Geschichte glänzen werden, die wir uns über einen Ball so ruhig besprechen, in einem Zeitpunkte, wo ganz Neuspanien in Flammen auflodert.«

Die Dame schien frappiert über diese Bemerkung und sah ihm forschend ins Gesicht.

»Lassen Sie das gut sein, Graf. Ja, um so besser; ist Mexiko in Flammen, so brauchen wir keine Brasseros auf unserm siebentausend Fuß hohen Tale. Lassen Sie sie heranbrechen, diese Flammen!« rief sie stolz.

Der Oberst sah sie befremdet an. »Wunderbares Wesen!« rief er, wie vergessend seinen Arm um sie schlingend.

Sie stieß ihn zurück, sah ihn einen Augenblick mit blitzenden Augen an; dann warf sie ihren Arm in den seinigen und zog ihn mit sich fort durch die Gemächer, den Vorauseilenden Nichten nach.

»Sie sind ein Verräter, Graf!« flüsterte sie ihm zu. »Ein Verräter!« Sie hielt ihn zurück und deutete auf die beiden Doñas, die in sorgloser Fröhlichkeit dem Saale zuhüpften und sich nur zuweilen mit jener naiven Schlauheit umsahen, mit der die jüngern Sprößlinge des schönen Geschlechtes die Herzensergießungen der ältern aufzuhaschen geneigt sind. »Ich sollte schweigen«, flüsterte sie kaum vernehmbar; »aber Isabella ist zu stolz. Hören Sie,« murmelte sie dem Jüngling zu. »Man nennt das, was Sie geäußert haben, liberale Gesinnungen, die jetzt in Spanien in der Mode sein mögen, hier aber –«

Der Oberst schüttelte unwillig den Kopf.

»Die Stützen des Staates und der Kirche sind morsch, fuhr sie fort – aber in ihrer Morschheit gefährlicher als je; merken Sie sich dies wohl. Kommen Sie nun und bewundern Sie meinen Mut, mit einem Liberalen Arm in Arm in die Gesellschaft Serviler zu treten.«

»Pah! Wir sind liberal, weil uns just die Lust kommt«, lachte der Jüngling; »wir sind geborener Aristokrat«, setzte er stolzer hinzu.

Arm in Arm traten sie von der einen Seite in den Saal, in den von der andern der Virey geeilt kam.

Sie warf einen Blick auf ihn, und ihre Miene verzog sich zum bittersten Hohne; doch ebenso schnell erstarrten die Züge dieses schönen Gesichtes wie zum leblosen Marmor. Mit dem Vizekönig war etwas Außerordentliches vorgegangen, das war klar; etwas, das selbst er, der Meister in der Verstellungskunst, nicht zu verbergen imstande war; etwas Furchtbares; denn die Adern auf der Stirne und den Schläfen waren geschwollen, seine Augen blitzten, und seine Züge kämpften sichtbar in der Anstrengung, die es ihm kostete, sie in einige Ruhe zu bringen und den innern Kampf zu verheimlichen. Es blitzte etwas wie höllischer Triumph und wieder eine gewisse Verlegenheit aus diesem Mienenspiele hervor, das ihn lange nicht zum Worte kommen ließ. Er schritt, eine Depesche in der Hand, einige Male im Salon auf und ab, zum Schrecken aller Anwesenden.

»Señor Vanegas!« jammerte die Gattin, die aufsprang.

»Liebe«, erwiderte der Gatte, sie zärtlich wehmutsvoll bei der Hand erfassend, und sie sanft zu ihrem Sitze führend.

»Exzelencia, Exzelentissimo Señor!« rief der Erzbischof.

»Exzelentissima, Graciosissima Señoria!« schrien die Präsidenten, Intendanten, Oidores und Generale.

»Und so ist denn,« hub nun der Mann an, dem es endlich gelungen war, sein Gesicht in die Falten zu legen, die eben so hohen Unwillen, als anständigen Schmerz ausdrücken sollten, – »so ist denn alle Loyalität, alle Treue, aller Glaube in diesem Lande verschwunden, und so hat sich denn das Verderben – das gräßliche – so tief eingenistet, daß selbst die harmlos scheinende Jugend ihn, den giftigen Wurm, im Busen trägt, unserer Milde, unserer Gnade, ja selbst unserer Erfahrung spottend! Es ist unglaublich, Señores,« rief der große Mann, die Depesche auf den Tisch mehr werfend, als legend, »und wenn nicht der offizielle Bericht eines der getreuesten Diener Sr. Majestät –«

»Exzelencia!« riefen die sämtlichen Anwesenden.

»Sie kennen, Señores, den Neffen desselben Grafen San Jago, über den zu klagen wir bereits der Ursachen so viele haben, und von dem besseres zu hoffen wir in der Milde unseres Herzens noch immer bewogen werden –«

»Mutter Gottes!« riefen alle.

»Nicht wiegend das Verbrechen, dessen sich der junge Mann gegen die geheiligte Person Sr. Majestät in einem so hohen Grade schuldig gemacht hat, daß er Pasquille und satirische Vorstellungen gegen die allerhöchste Person unseres angebeteten Monarchen angehört, haben wir, die Milde unseres allergnädigsten Herrn uns zu Gemüte führend, und die Jugend und Unerfahrenheit des Kulpaten in Anbetracht ziehend, die gerechte Strafe, der er anheimfallen sollte, gewissermaßen in eine Belohnung umzuwandeln uns bewegen gefühlt und ihn nach Spanien gewiesen, um durch würdige Taten in den Reihen der heiligen Kampfer für die erhabenen Rechte unseres Souveräns seine Schuld zu büßen.«

Der Mann hielt inne und holte tiefen Atem. Aller Blicke waren starr auf ihn gerichtet.

»Betrogener, der wir waren!« hob er aus voller Brust wieder an. »Nicht volle achtundvierzig Stunden hatte der junge Bösewicht der Hauptstadt den Rücken gekehrt, als er seinem verräterischen Triebe nicht mehr widerstehen konnte. Sie wissen, Señores!« er wandte sich zu den Generalen, »wir sandten ihn in der Begleitung des braven Major Ulloa ab, der einiges Raubgesindel unter der Anführung des berüchtigten Vincente Guerrero gefänglich einbringen sollte. Wir können noch immer nicht begreifen, wie es ihm gelang, die Wachsamkeit dieses braven Offiziers zu täuschen, und mit seiner Dienerschaft sich vom Korps des Majors zu trennen. Auf den Höhen der Kordillera, nördlich von der Barranca von Juanes, vereinigte er, ein mexikanischer Caballero, sich mit dem Räuber Vincente Guerrero; beide mit ihren Banden überfallen verräterischerweise die Eskadron während der Siesta und ermorden diese, samt allen Offizieren, und der Liebling unseres edlen Grafen San Jago, der unfern dieser gräßlichen Mordszene mit der ihm kurz zuvor anvertrauten Eskadron hält, kommt nun, um sich an den Raubmörder anzuschließen, nachdem der brave Ulloa mit all den Seinigen gefallen ist; und derselbe Graf Carlos zieht dann mit seinen Mordgefährten über die Kordillera herab gegen Mexiko, wo sie zwischen Rio Frio und Chalco die Hacienda eines achtbaren Gliedes des Consulado, des Bruders unseres sehr achtbaren Señor Pinto, plündern. Wirklich, wäre es nicht offizieller Bericht – und doch,« sprach der Mann stockend, »kaum, daß wir unsern eigenen Augen trauen mögen!«

Einige wenige schüttelten die Köpfe, die Mehrzahl schien jedoch entsetzt ob dieser Treulosigkeit, besonders war die Doña ergriffen, doch äußerte sich in diesen stolzen Zügen weniger Schrecken oder Entsetzen als bitterer Hohn. Sie warf dem Virey einen durchbohrenden Blick zu, und zog sich in die Fenstervertiefung zurück. »Ah, Señores,« fuhr der Virey fort, »dieser Graf Jago, den wir so hoch gehalten, dem wir so vielfältige Beweise unseres Wohlwollens gegeben – sehen Sie die Früchte der Grundsätze dieses Mannes.«

»Was den Grafen San Jago betrifft,« nahm der Fiskal der Audiencia das Wort, »so scheint dieser den frevelhaften, ungestümen Geist seines Neffen gekannt und richtig beurteilt zu haben, indem er sowohl seine stillschweigende Teilnahme an der hochverräterisch satirischen Pasquinade, wie die allzu gnädige Bestrafung, die ihm Euer Exzellenz zuerkannt, gewissermaßen in sofern gemißbilligt hat, als er eine Protestation oder Erklärung bei der hohen Audiencia niedergelegt, infolge welcher er sich gänzlich von dem jungen Caballero lossagt –«

»Und wer sagt dies?« fuhr die Exzellenz auf, und zwar mit einem Ungestüme, der mit dem sonst so gehaltenen Wesen des Mannes sehr wenig im Einklang stand.

»Wir, der Fiskal der höchsten Audiencia von Neuspanien, Euer Exzellenz untertänigst aufzuwarten«, erwiderte dieser mit einer Festigkeit, die wenigstens die tröstliche Versicherung gab, daß das höchste Gerichtstribunal einen festen Charakter zähle.

Die Exzellenz schritt rasch im Saale auf und ab.

»Eine Kopie dieser Erklärung«, sprach der Präsident des Consulado, »hat der Graf auch bei unserem Cuerpo niedergelegt. Sie ist in sehr ehrfurchtsvoll loyalem, aber zugleich auch in zuversichtlich starkem Tone abgefaßt. Auch bitten wir Euer Exzellenz, nicht zu vergessen, daß die Anklage zwei der mächtigsten Familien des Landes zugleich trifft, und daß der Graf ein ebenso geachtetes als einflußreiches Glied des Consulado ist.«

»Und der durch sein Benehmen bei der heutigen Anleihe nur zu sehr bewiesen hat, wieviel ihm am Wohlgefallen Seiner Majestät gelegen sei.«

Selbst mehrere der trocknen Spanier konnten das Lächeln über diese Substituierung des Wohlgefallens der Majestät, für das des Repräsentanten, nicht ganz unterdrücken.

»Wir bitten um Vergebung, Exzelenzia,« fuhr der Präsident des Consulado fort, »wenn wir die Eurer Exzellenz beigebrachten Vorstellungen über die heute stattgehabten Vorfälle im Hause des Grafen von San Jago dahin berichtigen, daß wir versichern, der edle Graf habe wirklich nicht das mindeste getan oder gesprochen, was Seiner Majestät hohen Regierung in diesem Reiche präjudizierlich sein könnte; im Gegenteile, er habe alles versucht, um günstigere Resultate zu erlangen, die jedoch bei dem Umstände, daß die Sicherheiten für Kapital und Interessen die letztern nicht einmal hinlänglich deckten, absolut unmöglich wurden.«

»Es ist doch merkwürdig,« rief die Exzellenz, »und beinahe sollten wir glauben, daß der Graf San Jago, ein Kreole,« er betonte dieses Wort scharf, »und seine beiden kreolischen Neffen, wohl getan, und wir übel im Dienste Seiner Majestät. Kaum, daß wir unsern Ohren trauen können! Und wir können uns kaum überreden, daß Don Estevan der Chef des nämlichen Consulado ist, das noch erst vor zwei Jahren die ebenso patriotische, als in gegenwärtigen Zeitverhältnissen weise Deklaration erließ, über dieselben Kreolen erließ, die nun uns gleichgestellt werden sollen. Merken Sie aber wohl, Señores! Der innigen Vereinigung aller rechtgläubigen Spanier unter der Ägide Seiner Majestät Regierung verdanken wir es, daß wir Mexiko noch immer unser nennen. Wir wollen es behaupten für Seine Majestät den König, unser Vaterland, und für uns und unsere Kinder. Ob wir es vermögen werden, wird von Ihnen abhängen. Merken Sie ferner wohl! Ein zweiter Fehltritt der Art, wie er heute geschehen, dürfte gefährlichere Folgen haben.«

Als er so gesprochen, ging er einige Male im Saale rasch auf und nieder.

Alle waren betroffen; denn so groß die Macht der drei Interessen – des Handelsstandes, der Priesterschaft und der Beamtenwelt – die gewissermaßen in den Anwesenden repräsentiert waren, auch sein mochte, unbedingter Gehorsam unter den Willen der Exzellenz war die Hauptbedingung, das Lebensprinzip, das jedem Spanier zur heiligsten Pflicht gemacht worden. Und so konnte, ja durfte die Wendung, durch welche der Hofmann die beiden Kavaliere nun in jenes tief begründete Interesse verflocht, und an den – Jahrhunderte hindurch gewurzelten, und so gewissermaßen legitim gewordenen Haß der Spanier gegen die Eingeborenen appellierte, nicht ihre Wirkung verfehlen. Alle schwiegen, und es herrschte für einige Minuten eine Todesstille. Die Kamarilla, die sich unter so fröhlichgeistreichen Auspizien eröffnet, hatte auf einmal einen ernst feierlichen Ton angenommen, den der Hofmann mit seiner wirtlich bewundernswerten Gewandtheit noch höher zu spannen nicht säumte. Fest und rasch begann er allen die Notwendigkeit unveränderlichen Zusammenwirkens recht dringlich ans Herz zu legen. Einige Winke von Opfern, die fallen müßten, um die Ruhe des Landes wiederherzustellen, wurden hingeworfen, und vom Erzbischof fromm, bereitwillig, mit biblischen Sentenzen belegt: »Wenn dein Auge dich schmerzt, so reiße es aus«, und »So hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn dahingab, auf daß keiner, der an ihn glaubt, verloren gehe«, wobei er seufzend bemerkte, daß ja der Sohn Gottes selbst um hoher Interessen willen sich geopfert habe, wofür ihm der Vizekönig wieder in huldreicher Demut dankte. Dann suchte der Mann sich von dem Vorwurfe zu reinigen, als wenn er, der Repräsentant der Majestät, aus persönlichen Rücksichten handelte; er, der nur für den Dienst der Majestät und der Kirche lebe und bereits so viele Beweise von Milde und Versöhnlichkeit gegeben, die aber alle verkannt worden. Als Zwischenspiel wandte er sich wieder an die einzelnen anwesenden Generale, denen er seine Zufriedenheit für die bei dem heutigen Tumulte getroffenen kräftigen Vorkehrungen zu erkennen gab, dann wieder an die Glieder der Audiencia, versicherte ihnen, wie er nur Gerechtigkeit und nichts als Gerechtigkeit wünsche, daß aber – in der gegenwärtigen außerordentlichen Lage auch außerordentliche Maßregeln und Rücksichten genommen werden müßten, und stimmte so allmählich die ganze Gesellschaft dahin, daß ihm alle den absolutesten Gehorsam gegen seine hohen Winke und Gebote zusicherten, zugleich beteuernd, daß nur durch diesen blinden Gehorsam gegen die Exzellenz das Land vom Untergange gerettet werden könne. Und nachdem der hohe Mann seine Gäste in so weit bearbeitet, daß sie ihm alle unbedingte Folgeleistung zugesichert hatten, und der Endzweck der Kamarilla so erreicht war, ließ er die schmeichelhafte Hoffnung fallen, daß seine liebe, teure Schwägerin ihm bald wieder das Vergnügen, das seltene, das herrliche, verschaffen werde, sich ihrer Gegenwart zu erfreuen, ein Wink, den alle benutzten, um sich unter vielfältigen Bücklingen aus dem Saale zu entfernen.

Bloß der Oberst war zurückgeblieben. Die jüngere der beiden Töchter, mit der er bisher getändelt hatte, kam nun in harmlosem Entzücken auf den Papa zugehüpft.

»Der Jungfrau sei gedankt,« frohlockte sie, »daß unsere lieben Gäste gegangen! Bald hätten sie uns, die wir zuvor eine so deliziöse Stunde hatten, doch so ernst gestimmt. Wissen Sie aber, Papa, daß Sie gar nicht aimable sind – welch ein finsteres Gesicht!«

»Ach, teures Kind!« sprach der zärtliche Vater mit einem schmerzlichen Lächeln. »Ich bin schon glücklich, wenn ich nur euch froh und in so lieber Gesellschaft weiß wie die unseres teuren Grafen und Obersten. Ach, Sie sind doch«, er wandte sich vertraulich an diesen, »einer der wenigen Freunde, die treu aushalten. Wie glücklich sind wir in Ihrer Freundschaft. Auch ich habe eine Bitte,« sprach er im süßen Tone, »und da Sie gegen die Meinigen so freigebig gewesen sind, so hoffe ich nicht minder glücklich zu sein.«

»Euer Exzellenz haben zu befehlen«, sprach der Oberst.

»Ohne Komplimente, Lieber! Seien Sie ganz zu Hause bei uns; wir müssen Sie für ein halbes Stündchen in Anspruch nehmen. Ja, ja, wir tun es nicht anders. Wir wollen nur zuvor ein kleines halbes Stündchen mit unserer Familie verschwinden, und dann wieder zurück sein. Es ist ein drückender Zwang, in dem wir leben«, klagte er mit seufzender Stimme. »Keinen unserer Lieben an unserem häuslichen Tische bewirten zu dürfen. Es ist jedoch seit Jahrhunderten geheiligte Sitte, und wohl sollten alle Sitten geehrt werden. Nicht durch uns soll das erste Beispiel leichtsinniger Hintansetzung statuiert werden, so drückend uns auch diese Sitte sein mag.«

Diese Worte waren wieder in einem ungemein gerührten und beinahe salbungsvollen Tone gesprochen.

»Sie bleiben demnach, Guter! Unsere liebe, liebe Schwägerin lassen wir zurück, und geben ihr einen halbstündigen Hausarrest. Fürwahr, wir beneiden unsere belle-sœur um diese kleine Tertullia, diesen Genuß. Ja, so, in einer kleinen halben Stunde sind wir wieder bei ihnen. Wüßten Sie nur, lieber Graf und Oberster, wie gut wir Ihnen alle sind. – Es ist uns Staatsmännern so selten vergönnt, ein vertrautes Wort in einen freundlichen Busen fallen zu lassen. Ach, mein Gott! Sie haben sie ja gesehen, diese Stützen des Staates, diesen Chef unseres Consulado, diesen Fiskal unserer Audiencia; und doch leben wir in einer Zeit, wo Zusammenwirken zum Großen, zum Guten, zum Herrlichen nur, wenn mit Festigkeit gepaart, hoffen darf, die Saat des Bösen zu meistern.«

Alles dies war mit einer ungemeinen Geläufigkeit, aber wieder mit einer so bewundernswerten Modulation der Stimme gesprochen, daß der Oberst, trotz dem aristokratischen Hohn, der um seinen Mund spielte, den Mann mit einiger Verwunderung ansah.

»Ja, Conde und Oberster! Wir müssen ein halbes Stündchen zusammen plaudern, uns verständigen zum gemeinsamen, hohen Interesse; ganz ohne Scheu, ohne Zurückhaltung wollen wir uns einander aufschließen. Zurückhaltung, Lieber, würde da ganz am unrechten Orte sein, wo die Interessen dieselben sind, und haben wir nicht ganz dieselben Interessen? Ihre Familie ist eine der ersten Spaniens, im Besitze bedeutender Domänen in Mexiko. Muß Ihnen nicht alles daran gelegen sein, diese edelste Perle Spaniens, diese kostbarere Perle als Spanien selbst, in der Treue und dem Gehorsam gegen den legitimen Beherrscher zu erhalten, durch welche Allerhöchstderselbe allein in den Stand gesetzt wird, die große Rolle unter den Monarchen der Welt zu spielen, wozu er seit Jahrhunderten berufen ist? Ah, Graf, Sie selbst, den seine hohen Verbindungen dazu bestimmen – vielleicht sehr bald unser Nachfolger.«

»Exzellenz scherzen«, fiel ihm der Oberst etwas trocken und in höherer Betonung ein. »Eben weil unsere Familie eine der ersten, dürfen wir nie hoffen, daß die Politik unseres Hofes sich bis zu uns versteige, da sie sich mit geringern Materialien zu ihren Bauten befriedigen kann –«

Er hielt inne, denn des Vizekönigs Freundlichkeit war einigermaßen lauernd geworden.

»Wir Granden«, beschloß er, »sind nun schon einmal bestimmt, bloße Camareros der Majestäten zu sein.«

»Wir werden mehr über diesen Punkt sprechen«, fiel ihm der Vizekönig etwas hastig ein; »aber glauben Sie, mein Lieber, die Cortes werden aufräumen, die durchlauchtige Majestät der Cortes wird ihre Gewalt zu benutzen wissen, und auch in dieser Hinsicht viel Gutes bewirten. Ha, ha! Ja, ja! – Nun wollen wir Sie einstweilen unserer lieben belle-sœur zur Disposition überlassen, Ihre Unterhaltung wird zweifelsohne – doch adios, lieber Graf und Oberster!«

Und mit dem bezauberndsten Lächeln und einem Händedrucke, der so lange dauerte, daß der hohe Mann sich gewissermaßen nicht mehr trennen zu können schien, und mit dem süßest gelispelten Adios, glitt er halb schwebend, halb sich bei jedem Schritte wiegend, aus dem Salon, um unter dem Vortritte des diensttuenden Camarero und Pagen sich in sein Appartement zu begeben.


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