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»Oheim!« rief das schöne Kind, das nun, den Schleier weit zurückgeworfen, dem Grafen in unsäglichem Schmerze an den Hals flog.
Niña,« bat der Graf mit zärtlicher Stimme, sich liebevoll herabneigend. »Niña, meine Niña, was ist?«
»Oheim! Oheim!« rief sie wieder, ungestümer schluchzend, indem sie seine Hände erfaßte. »Ist es wahr? Verloren auf ewig?« stöhnte sie. »Unglückliche Elvira!«
Der Conde wandte sein Gesicht in sprachlosem Schmerze weg.
»Verloren auf ewig! Auf ewig!« rief sie wild, und mit einem Risse war der Schleier von ihrem Haupte, die Geschmeide vom Hals, Arm und Haupt, das herrliche Geschöpf tobte in seiner lieblich wilden Raserei.
»Niña!« rief der Graf im sanft verweisenden Tone, »fasse dich!«
Sie warf sich wieder an seinen Hals, sah ihn starr an; dann ließ sie einen Arm sinken, ihr Köpfchen fing an, sich zu neigen, ihre Gestalt senkte sich – Das wunderliebliche Wesen konnte kaum mehr als dreizehn Jahre zählen, aber in diesem zarten, jugendlichen Busen wohnte bereits die süße Empfindung mit aller Stärke südlicher Glut. Ihre Frauen hatten einen Kreis um sie gebildet, der Mayordomo die sämtliche Dienerschaft zurückgeschoben, der Graf sie erfaßt und, unterstützt von ihren Dienerinnen, in eines der anstoßenden Gemächer getragen, wo er sie auf eine Ottomane niederließ. Das holde Geschöpf ließ alles mit sich geschehen; erst als sie auf dem Sofa halb lag, halb saß, rief sie schluchzend, ihre tränenschweren Augen auf den Conde gerichtet:
»Oheim!«
»Niña!«
»Oh, ich wußte es!« lispelte sie in jener süßen, unendlich reizenden Vergessenheit der Töchter ihres Landes: »Niña wußte es! Er liebt sie, sie ist sein Herz, die Morgenröte seiner Hoffnung«.
»Wen liebt er?« rief der Graf heftiger. »Niña, um Gottes willen! Sage!«
Das Mädchen blickte ihn erschrocken an, und, als wäre sie von einem Fieberschauer ergriffen, rief sie, am ganzen Körper zitternd: »Nein, nein, Elvira will ihn nicht verraten! Er liebt sie! Heilige Jungfrau! Seine Liebe selbst ist Verrat!« murmelte sie leiser.
»Ich weiß, wen er liebt. Ich weiß, wer ihn liebt«, sprach der Graf, der wechselweise zur Condessa herangetreten und wieder ungestüm im Kabinette auf- und abgeschritten war. »Ruhig, Niña! Ruhig, Condessa! Tochter meines teuersten Freundes! Tor und Elender!« fuhr er mit unterdrückter Stimme fort, »da seine Hoffnungen dort fußen wollen, wo Mexikos Fluch anhebt und endigt! Nein, Elvira«, sprach er, sich stolz erhebend, »die herrliche Tochter eines der edelsten Mexikaner soll nur einen Mexikaner glücklich machen! Niña, ruhig! Ich bitte dich! So er deiner würdig ist, so soll ihn dir die Macht der Hölle selbst nicht entreißen; hat er aber Mexiko verraten, hat er sich mit den unversöhnlichen Feinden Mexikos zu seinem Verderben ins Bündnis begeben, dann, dann wird«, rief er mit heftiger Stimme »ihn auch Condessa Elvira zu verachten wissen!«
Der Graf hatte in der heftigen Bewegung die Hand des Mädchens erfaßt; sie sah ihn mit tränenschweren Augen an.
»Verachten?!« sprach sie leise. »So magst du den Popocatepetl verachten, weil er sein Haupt stolz über die Berge Tenochtitlans erhebt? Manuel verachten, den ersten der Söhne Mexikos? Unglückliche Elvira! Wenn du dies könntest, wie müßte dein Herz für alles Edle, Große, Ritterliche erstorben sein! Beweinen will ihn Elvira, beweinen!« schluchzte sie.
»Niña!« rief der Graf böse.
Sie hörte nicht, sie sah nicht. Sie bemerkte nicht, daß ein Indianer in das Zimmer getreten war.
Der Graf, erstaunt über diese Erscheinung, war einen Schritt zurückgetreten.
»Gott segne Euch, Graf San Jago, für die Worte, die Ihr soeben gesprochen«, sagte der Indianer mit einer ernsten, feierlichen Stimme.
»Wer bist du, Vater?« fragte der überraschte Graf mit einigem Unwillen und in heftigem Tone.
Eine zweite Gestalt trat aus demselben verborgenen Gemache.
»Jago!« rief der Graf im Tone des höchsten Erstaunens, »Jago, und du wagst es – –«
»Nach Mexiko zu kommen, Graf«, sprach Jago mit Würde, »und daß ich es wage, bürgt Euch für den hohen Preis, den wir auf Euch setzen; doch, wir haben keine Minute Zeit«, und mit diesen Worten nahm er von dem Kopfe des Indianers die Perücke von langen, straffen, indianischen Haaren, hob die Larve von seinem Gesichte weg und zeigte dem Grafen in dem Indianer einen alten, aber äußerst würdevollen Mann, dessen feuriger Flammenblick mit dem tiefen, wehmütigen Ernst des Gesichtes eine der schönsten Physiognomien bildete.
Der Graf trat zwei Schritte zurück: »Mor –!«
»Ja«, sprach der Greis, »der bin ich; gekommen, um Graf Jago im Namen des unglücklichen Mexiko um seinen Beistand, seinen Rat, seine Hilfe zu bitten«.
Es wurden draußen Fußtritte hörbar. Der Graf faßte die beiden Männer, riß die Türe des verborgenen Kabinettes auf und schob sie rasch hinein.