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Einundzwanzigstes Kapitel

»Gott!« seufzte Don Manuel. »Was hab' ich getan!«

»Jesu Maria! Was haben Sie getan, Señor!« stöhnte Alonso mit tränenschweren Augen. »Leib und Seele verloren, Landesverräter und Ketzer geworden in einer und derselben Stunde. Jesu! Was wird aus uns werden!«

Dem Jüngling wurde es düster vor Augen, sein Blick wurde wirr, seine Gestalt fing an zu zittern, seine Füße schienen ihm den Dienst versagen zu wollen, seine Knie schlotterten.

Die Szene hatte nun auf einmal einen Charakter angenommen, der, hätte ihn der Jüngling früher auch nur träumen können, ihn wahrscheinlich zu einer andern Handlungsweise bestimmt haben würde. Die Indianer, Mestizen und Zambos, denn aus diesen drei Menschenklassen bestand die ganze Abteilung der zusammengerafften Patrioten, waren nämlich kaum Meister des Schlachtfeldes geworden, als sie mit einer Gier über ihre toten und im Todeskampfe begriffenen Feinde herstürzten, die sie von Hunger verzehrten Raubtieren ähnlicher als Menschen darstellte. Einer der Halbmenschen riß die Beinkleider eines Dragoners an sich, die er statt einer Jacke anzog, ein zweiter hatte eine Jacke als Beinkleid anzuziehen sich bemüht; ein dritter sprang gleich einem Rasenden mit einem erbeuteten dreieckigen Hute und Stiefeln umher, und dazwischen erschallte ein Gelächter, so gellend, so unnatürlich, so höllisch, und ward wieder so grausig von den nahen Bergen zurückgeworfen, daß es wirklich den Anschein hatte, als ob die Geister der Hölle sich zu einem gräßlichen Rendezvous eingefunden hätten. Jago lehnte mittlerweile mit ungemeiner Ruhe und Behaglichkeit an der Felsenwand und trocknete sich die Stirn vom Blut und Schweiße, während zugleich ein Zambo den gebliebenen Major ausbeutete und ihm jedes Stück seiner Kleidung zur vorläufigen Untersuchung hinhielt. Der Capitán untersuchte die Garderobe des Majors mit augenscheinlicher Aufmerksamkeit, und erst nachdem er jedes Stück der Kleidung genau befühlte, gab er diese dem Zambo zurück.

»Ah, Gojo!« rief er, indem er den Rock anfühlte und aus der Tasche ein Portefeuille zog, das seine Gesichtszüge mit einem angenehmern Freudenblicke erfüllte, als es von einer anscheinend so rohen Natur zu erwarten gewesen wäre. Er hatte das Portefeuille geöffnet und begann, die Papiere, die darinnen enthalten waren, mit ungemeiner Aufmerksamkeit zu lesen. Er hatte sich alsbald so tief in das Lesen dieser Papiere, von denen die meisten versiegelt waren, vergessen, daß er weder Augen noch Ohren mehr für das Treiben seiner Leute zu haben schien, das nun immer rasender wurde.

Die Zambos waren, gleich den übrigen über die gefallenen Feinde hergestürzt; aber jeder Leichnam, den sie angefaßt hatten, war auch in demselben Augenblicke ein Zankapfel der Zwietracht geworden, ganz das Gegenteil von den Indianern, die ihre Wut nur an den lebenden Dragonern ausgelassen hatten und sich nun friedlich miteinander über die zurückgelassene Beute verständigten. Die Zambos, indem zwei und mehrere zugleich einen Körper anfaßten, schossen zuerst grimmige Blicke aufeinander und brachen dann in laute Drohungen aus, was ihnen, bei ihrer ungemeinen Zungenfertigkeit und ihren lebhaften Sprüngen, wieder das Aussehen von Affen gab, welche ihren Zeitvertreib mit einem toten Alligator haben.

Einer der Zambos hatte jetzt seinen Gegner mit dem rechten Arme umschlungen, und während sich seine Zähne giftig in dessen Nacken einbissen, stemmte er das Machetto gegen sein Knie und rannte es seinem Gegner in den Leib.

»Der hat mehr denn genug«, riefen zehn Stimmen mit voller Zufriedenheit, ohne daß sich auch nur einer geregt hätte, um dem grausamen Kampfe Einhalt zu tun. Der Kapitän las ruhig fort, von Zeit zu Zeit hinüberschielend; der junge Kavalier war in düstere Verzweiflung versunken, und nach den Mienen der Diener und Arrieros zu schließen, ward dies eine Affäre, in die sich zu mengen ganz unter ihrer Würde lag. Von den Indianern standen zwanzig bis dreißig herum, wechselweise ihre neue Garderobe und die erbitterten Zambos anstierend; die übrigen trieben sich noch umher, ihren Anteil an der Beute zu suchen oder diesen zu vermehren.

» Déxalo!« brüllten wieder zwei, die sich auf Leben und Tod erfaßt hatten.

» Y basta!« herrschte ihnen Jago zu. »Hipólito,« rief er einen seiner Leutnants, »schaff Ruhe!«

Der Leutnant hatte sich mittlerweile, obwohl sichtlich ungern, in Bewegung gesetzt, um dem Befehle seines Chefs gemäß die Kämpfenden zu trennen, und als sein Aufruf kein Gehör fand, den Kolben seines Karabiners mit den Zambos in Berührung gebracht, ohne jedoch mehr als zwei gleichzeitige Ausfälle der beiden Negro-Indianer auf sich selbst zu bewirken.

»Hölle und Tod!« schrie der Kapitän, der nun die Papiere auf den Boden warf und wie der Blitz unter die Kämpfenden sprang, den einen mit der Muskete in den Leib stieß, daß er wie tot zur Erde sank, und den andern bei den Haaren ergriff und weit aus dem Kreise schleuderte. Die Zeugen des Kampfes zuckten jedoch schnell ihre Messer auf ihn, die ihnen aber ebenso schnell wieder entsanken. Einen Augenblick starrten sie ihn wie verwundert an, und dann, als sie ihn erkannten, liefen sie grinsend und zähnefletschend mit lautem Gelächter auseinander, ohne sich um die Beute auch nur im mindesten mehr zu bekümmern.

»Und nun Ruhe!« befahl Jago mit Donnerstimme.

Sein Machtwort bewirkte eine Stille, daß auch kein Atemzug mehr zu hören war. Der Mann trat an den Rand des dunkel werdenden Abgrundes, sandte einen Blick in diesen hinab, horchte aufmerksamer und zog sich dann schnell in den dichtesten Haufen seiner Leute zurück. Eine Minute war ein leises Geflüster zu hören, und dann stoben die Indianer auseinander, wie Hunde, die der Ruf ihres Herrn auf eine neue Fährte sendet. Jago selbst war wieder ganz gleichgültig an seinen früheren Posten getreten, hatte die Papiere aufgehoben, sie in seinen Busen gesteckt und war dann mit verschränkten Armen an den Rand der Barranca getreten.

Von den Indianern schlichen sich an vierzig nun wohlbewaffnet dem Schlünde der Barranca zu, die sie eilig hinabstiegen. Gleich Schlangen, die sich die steilsten Felsen hinan und wieder hinabwinden, trieben sich diese Menschen die beinahe senkrecht abfallenden Klippen hinab und verschwanden bald gänzlich in der Nacht des Abgrundes.

Die Zurückgebliebenen hatten eine Weile gleichgültig ihren Gefährten nachgesehen, und dann gingen sie, ohne Befehle zu erhalten oder abzuwarten, jeder seinen eigenen Weg. Die Hälfte der Rotte sammelte sich gleichsam wie gelegentlich am Rande des Hohlweges, und die übrigen zogen sich längs dem Dickicht hin, wo die Leute im Hinterhalte gelegen waren. So tückisch und hinterlistig geschahen diese Vorbereitungen, mit so wenig Geräusch und Anschein eines verborgenen Planes, daß die Diener des jungen Edelmannes, die kaum zwanzig Schritte von dem Schauplatze standen, in gänzlicher Unwissenheit über die unter den Patrioten eingetretenen Bewegungen blieben. Ein fernes Gemurmel, das der Südwind die Bergesschlucht heraufbrachte, untermischt mit einem dröhnenden Gerassel, ähnlich dem Klang der Waffen, rüttelte sie endlich aus ihren Träumen.

Zugleich wurden die Fußtritte von sich nahenden Bewaffneten hörbar.

»Jesu Maria! Das ist Graf Carlos«, stöhnte Alonso, der nun plötzlich aufmerksam wurde.

Der junge Edelmann war gleich einem Verzweifelten gesessen; keines Wortes mächtig, seinen stieren Blick in die schwarze Nacht der weiten Ferne gerichtet, schien er Empfindung und Bewußtsein verloren zu haben. Das Wort ›Carlos‹ weckte ihn auf einmal aus seiner Bewußtlosigkeit.

»Carlos? – Wo ist er?«

»Señor, um Gotteswillen!« flüsterte ihm Alonso zu, ihn aus Leibeskräften rüttelnd und in den Abgrund hinabdeutend. »Graf Carlos – habt Ihr ihn ganz vergessen? Er kommt Señor Ulloa zu Hilfe. Er ist bereits nahe, seine Leute sind abgestiegen. Er ist verloren.«

Die Fußtritte schwer bewaffneter Dragoner waren nun so deutlich zu hören, daß an ihrer baldigen Annäherung und unausweichlichen Vernichtung gar nicht zu zweifeln war. Ihre schattenähnlichen Gestalten waren in dem Zwielichte des obersten Bergabsatzes, wenn sie auf den Felsenvorsprüngen von einem zaudernden Lichtstrahle erleuchtet wurden, deutlich zu sehen. Von den Indianern, die sich den steilen Abgrund hinab gestohlen hatten, offenbar um ihnen den Rückzug abzuschneiden, war auch keine Spur bemerkbar.

»Ladet alle Gewehre«, flüsterte der junge Edelmann seinen Dienern zu, und dann rasch vorspringend, schrie er mit der ganzen Kraft seiner Lunge: »Vigilancia Carlos! Vigilancia!«

»Bei allen Teufeln!« schnaubte ihn Jago an, der wie toll herangesprungen kam. »Seid Ihr närrisch geworden, Caballero?«

»Vigilancia Carlos!« schrie der Jüngling wieder.

»Bei der Mutter Gottes!« schrie Jago mit furchtbar bitterem Lachen. »Das heißt das liebe Mexiko und sein Volk recht kavaliermäßig behandeln. Beinahe sollte man glauben, Ihr seid selbst die geheiligte Majestät, die in allmächtiger Willkür heut Mexiko verschenkt und morgen Befehl gibt, alle diejenigen zu spießen, die seinen gestrigen Befehl in Ausübung zubringen suchten. Bei meinem Schutzpatron, Eure unberufene Mittlersrolle wird Euch niemand lohnen.«

»Silencio!« befahl der Jüngling, der wieder Vigilancia schrie.

»Der Hahn krähte auch Don Pedro dreimal, aber es war zu spät«, sprach Jago.

Und so war es. Die aus vier Mann bestehende Avantgarde der Eskadron des Grafen, die, wie zu erwarten stand, durch den gräßlichen Donner des im ganzen Gebirge widerhallenden Gewehrfeuers herbeigerufen, die Barranca bereits zur Hälfte erklommen hatte, als das Gefecht schon sein unglückliches Ende erreicht, war bereits am obersten Abhange des Plateaus angekommen, aber in einem Zustande, der sie zum Kampfe gänzlich unfähig machte. Sie hatten ihre Stiefel auf dem Rücken und schnappten nach Atem. Bald darauf wurde der junge Graf selbst sichtbar, der, leichter bewaffnet und gekleidet, an der Spitze seiner Mannschaft nachkam. Die Indianer hatten sich, gleich Tigern, die sich zum Sprunge rüsten, mit halbem Leibe aufgerichtet, und ihre Karabiner schußfertig haltend, stierten sie nun heißhungrigen Blickes in die Tiefe hinab.

»Señoria,« flüsterte Jago mit einem eigenen Lächeln, »es wäre grausam, Eurem gewesenen Busenfreunde und dem Lieblinge meines verehrten Grafen José so mitzuspielen wie diesem Hund von Gachupin,« er deutete bei diesen Worten auf den spanischen Major, »der die Unsrigen schlachtete wie die Cumanchees die wilden Büffel. Seid unbesorgt. Wir wissen mehr, als Ihr denkt, und wollen Euch dieses bald beweisen.« Und einige Schritte vortretend, rief er mit einer Stimme, die dem Gebrülle eines Büffelstieres wenig nachgab: »Habt Acht! Quartier! Es sind Freunde und Creolen!«

Der Aufruf des Mannes hatte zur Folge, daß sämtliche Patrioten ihre Gewehre absetzten und wie Hunde, denen der Herr das »Nieder mit euch!« zuruft, sich wieder in ihre vorige lauernde Lage warfen.


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