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Siebzehntes Kapitel

Ungefähr eine Tagreise von der Hauptstadt erhebt sich die mächtige Bergkette, Sierra Madre genannt, welche, die Vulkane Mexikos mit denen von Puebla verbindend, sich weiter gegen Norden zu tiefer in das Land hineinwendet und bei Monte Real und Guanaruato jene unermeßlichen Schätze in ihrem Innern birgt, die das Staunen des Naturforschers in so hohem Grade erregen. Die bedeutendsten Berge Mexikos steigen bekanntlich aus dieser Kette empor und geben dem Lande einen Charakter, so neu, so großartig und wild pittoresk und wieder so heiter und lachend, so häuslich und heimisch, daß das Auge des Beschauers abwechselnd mit Staunen und Entzücken von einem Punkte zum andern schweift, vergeblich bemüht, diese wunderbaren Kontraste in einen Rahmen zu fassen. Die Bergrücken sind in ihrer Mitte mit hohen Eichen und Fichten bewachsen, weiter hinauf mit der Zwergeiche und der Mimosa, und von ihren Scheiteln herab starren kahle, aller Vegetation entblößte Basaltfelsen, deren schwarzbraune, düstre Massen, zerrissen durch gräßliche Schlünde, die auf allen Seiten herab gähnen, noch immer in jener furchtbaren Revolution begriffen zu sein scheinen, die diesem Lande seine merkwürdige Gestaltung gegeben hat. In den Niederungen wird das Auge wieder durch die Mannigfaltigkeit der exotischen Gewächse und deren prachtvolle Farbenmischung entzückt; auf den Abhängen der Berge wogen die herrlichsten Weizen- und Maisfelder, und tiefer hinab streckt die steife Agave ihre Riesenblätter gleich so vielen Schwertern empor, – während auf den Seiten dieser prachtvollen Felder Abgründe sich öffnen, die wunderbar schön dem Auge durch den Reichtum der tropischen Fruchtbarkeit erscheinen, welche in ihren Schlünden wuchert, und aus deren schattenreichen Tiefen tosende Waldströme heraufbrüllen, unsichtbar dem Auge, aber herrlich in ihren Wirkungen; denn jedes Fleckchen, wo sie vorbeistürzen, bringt einen Pflanzenreichtum hervor, den die glühendste Phantasie schwerlich schöner malen könnte. Jede Blume, jeder Strauch ist von zahllosen Schlingpflanzen umwoben, deren herrliche Blüten eine fortlaufende Blumengirlande bilden, die, von der Wurzel zur Krone emporsteigend, ihren Ranken zahllose Blüten entsenden und Tausende von Concontlis, Kardinalsvögeln und Madragadoren in ihren Gezelten verbergen.

Es war ein kühler, heiterer Nachmittag. Die Schneeregionen des gewaltigen Orizaba und des gewaltigeren Popokatepetl, bisher wie Massen gediegenen Silbers erleuchtet, fingen an ins Rosenrot zu schillern, das, auf der östlichen Seite in Goldgelb und Bronze wechselnd, jeden Augenblick eine andere Farbe zurückstrahlte. – Die Schatten des Malinche und seiner Zweige begannen sich gegen Tlaskala hinzustrecken. Tiefes Schweigen herrschte über der ganzen Gegend, bloß unterbrochen durch das Gekreisch des Ringadlers, der über den Abgründen schwebte, und einen fernher sumsenden Laut, der aus dem Innern des Waldes kam, dem entfernten, dumpf verhallenden Geheule der Wölfe nicht unähnlich.

Auf einem der Bergrücken, die sich östlich von San Martin erheben und über die einst Cortés auf seinem Eroberungszuge in das Tal Tenochtitlan drang, standen und lagen zwei Männer, ihre Rücken an einen beinahe senkrecht aufsteigenden Porphyrfelsen gelehnt, der sich zu oberst einer gräßlichen Barranco wie das Bruchstück eines massiven Schloßturmes erhob. Ihre straff herabhängenden Haare mit der rötlich-schwarzen Gesichtsfarbe verrieten Zambos. Sie hatten Schaffelle um ihre Schultern, die mit Riemen befestigt waren; darunter Fetzen eines schwarzwollenen, groben Zeuges, Panos genannt, die sich bis zu den Hüften verlängerten; ihre Kopfbedeckung bestand aus sogenannten Sombreros de petate (Strohhüte); in ihren Gürteln hatten sie Dolche, und lange, gewichtige Keulen lagen zu ihren Füßen. Beide schienen gleich düster und mürrisch zu sein; während der eine stand und in die weite Ferne hinausspähte, hatte sich der andere auf den Rasen niedergelegt und war so liegen geblieben, bis sein träger Gefährte ermüdet von der Wache sich hinstreckte, worauf der andere brummend wieder aufstand, um in derselben Aufgabe fortzufahren. So hatten sie es, ohne ein Wort zu wechseln, eine geraume Weile getrieben; ein Dutzend beschmutzter Karten, die auf dem Rasen lagen, deuteten an, daß sie sich auch in diesem Zeitvertreibe versucht hatten.

» Maldita cosa« fing endlich der Stehende an: »Bei der heiligen Jungfrau von Guadalupe! wenn das noch so eine Woche fortdauert: gehetzt und wieder gehetzt wie Jaguare; keine Ruhe, keine Rast. – Mögen mich alle siebzehn Höllen kriegen, – ich –«

»Ich?« fragte der andere.

»Sage Euch Adíos, und sollte der Teufel die Freiheit Mexikos holen.«

»Glück auf die Reise, Euer Gnaden,« meinte der zweite gähnend, »die warten auf Sie.« Er deutete bei diesen Worten auf eine Schar Zepilots oder mexikanischer Raben, wie diese Raubvögel, mit scharfen Klauen und hakenförmigen Schnäbeln, uneigentlich genannt werden, von denen sich eine Unzahl soeben über ihren Häuptern auf dem Felsen niedergelassen. » Caramba,Calleja würde Sie zum Caballito machen, ehe Sie eine Zigarre anstecken oder eine Pinte Pulque leeren können.«

»Larifari,« entgegnete der andere, »mein Unglücksstern ist noch nicht gekommen, und meinethalben mag er noch lange wegbleiben.«

»Wenn er aber doch kommt, oder Sie Señor Bustamente in die Klauen zu fallen das Mißgeschick haben sollten, dem Sie, soviel wir uns zu erinnern wissen, zehn seiner besten Maultiere reisen lehrten, ohne ihre Ladung zu vergessen-«

»Basta,« rief der erste, der nun an der Unterhaltung satt zu haben schien und zur Abwechslung ein Stück schmutziges Papier aus dem Gürtel nahm, eine winzige Dosis fein geschnittenen Tabaks darein rollte und ihm so die Form einer Zigarre gab. Nachdem er diese auf allen Seiten mit seinem Speichel begeifert, zog er sein Messer, legte dieses auf die Zigarre und entfernte sich gegen das Gestrüppe zu, das unter dem Felsenabhange anfing.

Sein Gefährte hatte sehnsüchtig die Vorbereitungen zu einem Mahle angesehen, das dem Mexikaner mehr Bedürfnis als sein tägliches Brot geworden ist, und kaum hatte der erstere den Rücken gewendet, als er zwei Stücke Achiote-Holzes aus seiner Tasche nahm, und diese, mit einer wunderbaren Behendigkeit aneinander reibend, ebenso schnell in Flammen setzte, als dieses auf die gewöhnliche Weise mittelst Feuersteins und Schwamm hätte geschehen können. Die Zigarre anbrennend, fing er eben an, den Rauch mit dem Hautgout eines Kenners einzuschlürfen, als der andere aus dem Dickicht hervortrat.

» Maldito perro! Verdammter Spitzbube!« schrie dieser, der nun, mit zwei Stücken dürren Holzes zurückkehrend, seine letzte Zigarre im Munde seines Gefühlten sah. Der Rauchende hatte jedoch zur Vorsicht den Dolch seines Gegners in Verwahrung genommen und fing an, sich schnell in Bewegung zu setzen, um der Wut seines Kameraden zu entgehen.

»Geduld, gnädiger Herr,« rief er, nach Atem schnappend: »Zehn, hundert, tausend Zigarren sollen Ihre sein, sobald wir in deren Besitz gelangen.«

Fluchend faßte der Beraubte seinen Knittel und eilte dem Räuber nach.

Die beiden waren bereits einige Male um den Porphyrkegel herumgerannt, und es hatte allen Anschein, daß der Zigarrendieb seine Liebhaberei mit seinem Leben werde bezahlen müssen, als ein »Halto!« aus dem Gebüsche donnerte.

Die beiden standen bei diesem Rufe wie eingewurzelt.

»Was gibt's?« rief die Stimme.

»General, nein, Vergebung, Kapitän, er hat meine Zigarre!«

»Muchachos,« versetzte die Stimme, und der Kapitän selbst trat gravitätisch aus dem Dickicht auf den Zigarrendieb zu, nahm diesem die halb konsumierte Zigarre aus dem Munde, und nachdem er sie in den seinigen versetzt, trat er vorwärts an den Rand des Abgrundes, horchte einige Augenblicke, und, in die gräßliche Tiefe deutend, zog er sich schnell wieder zurück.

Die beiden waren zugleich herbeigesprungen, und, ihre Hälse weit vorstreckend, stierten sie eine Weile in die Wendungen der Barranca hinab, in denen die alte Cortésstraße sich gegen Cholula hinüberzieht, und dann sprangen sie mit dem Ausrufe: »Maulesel und Treiber!« zurück.

Durch die erwähnten Windungen der kaum für Maultiere gangbaren Straße und durch Schluchten und über Felsenvorsprünge und grauenvolle Abgründe hörte man einzelne Glocken- oder Schellentöne, deren auf der Bergeshöhe verhallende Klänge wunderbar anheimelnd die Stille der luftigen Höhe unterbrachen, und bald darauf sah man auch die Maultiere, kaum größer als Hunde, langsam den engen Felsenpfad emporklimmen, an den steilen Klippen niedersteigen und sich wieder emporarbeiten; dann ließ sich der rauhe, einfache Gesang der Arrieros mit seinen langen Kadenzen hören, und endlich bekam man auch die leichte Gestalt der Arrieros selbst in ihrem phantastischen Aufzuge, mit ihren fünfhundert Knöpfen und dem bunten, malerischen Kopfschmucke der Maultiere, mit ihren wollenen Federbüschen und Troddeln und ihren vielfarbigen Satteldecken und dem Trabuco Stutzen mit einer weiten Mündung. hinter den Sätteln, zu sehen. Es lag etwas ungemein Pittoreskes in diesem malerischen Zuge, als er sich die himmelhohen Felsen emporwand und der rauhe, kräftige, sonore Gesang, begleitet von dem Glöckchenschalle, im Luftzuge die Bergeshöhe herauf schallte. Zu gleicher Zeit sonderte sich eine Gestalt von dem Zuge ab, die mit außerordentlicher Schnelle und Behendigkeit vorsprang; sie hatte den schon an sich gefährlichen Felsenpfad verlassen und war an dessen Rand fortgeklettert. Von Klippe zu Klippe springend, schien sie Vergnügen an diesem halsbrecherischen Zeitvertreibe zu finden und war auf diese gefährliche Weise an dem zweiten Absatze der Barranca angelangt. Es war ein Jüngling, wie man nun, nachdem er die Manga abgelegt, sehen konnte. Hoch über seinem Haupte schwebte ein riesiger Adler, der königliche genannt, der kreisend ihn umflog, herabschoß, wieder aufflog, gleichsam spielend mit seiner gehofften Beute. Der kühne Felsenkletterer schöpfte einige Sekunden Atem, warf einen Blick auf den gewaltigen Raubvogel, und, seine Manga vor sich hinwerfend, setzte er mit einem kecken Sprunge über den Abgrund. Rasch sich nochmals aufraffend, sprang er von Felsen zu Felsen und langte endlich gegenüber dem Plateau selbst an, von dem er bloß durch einen gewaltigen Felsensprung getrennt wurde. Den Stamm einer Zwergeiche erfassend, schwang er sich auf diesen, kletterte dann behend hinan und sprang vom Baume auf das Plateau selbst.

» Diablo!« zischten die beiden Zambos, die mit jener stummen Teilnahme dem kühnen Waghalse zugesehen hatten, die körperliche Stärke oder Behendigkeit immer in dem rohen Naturmenschen zu erwecken pflegt. »Teufel!« brummte der eine, »er hat mehr Leben als eine Katze«, und dann verlor er sich im Dickicht.

Es war Don Manuel, der so verwegen und, wie es schien, auch so unnötigerweise seine Fertigkeit im Bergklettern hier zur Schau gestellt hatte, die wirklich einige Anerkennung verdient haben dürfte, da seine reiche und phantastische Reiterkleidung dieser gymnastischen Übung nichts weniger als förderlich gewesen war. Er trug nämlich einen sogenannten Guadalaxara-Hut, mit seinem sechs Zoll breiten und ganz mit Goldtressen besetzten Rande, einer niedrigen Krone, über der die blutrote Kokarde der königlich gesinnten Mexikaner prangte; seine Jacke war gleichfalls mit Goldtressen besetzt; seine Beinkleider von scharlachrotem Tuche, am Knie offen und in zwei Spitzen von gelber und grüner Farbe endigend; das Ganze mit massiven silbernen Knöpfen und dicken Goldschnüren besetzt, und die Knie durch braungelbe, gleichfalls in Guadaxarara verfertigte, lederne Bottinas oder Gamaschen geschützt, die, statt der Knöpfe mit bunten seidenen Bändern befestigt, bis zu den Knien reichten und sich in ein paar seltsam gestalteten Flügelschuhen verloren. Nur die Sporen mangelten zum vollständigen Kavaliersaufzuge, der, mehr reich als geschmackvoll, offenbar noch dem vorletzten Jahrhunderte angehörte. Seine Manga von der Erde aufraffend und sich nachlässig in diese hüllend, übersah er den zurückgelegten halsbrecherischen Weg einen Augenblick und wandte sich dann, um die prachtvolle Fernsicht zu betrachten, die vor seinem Blicke sich aufrollte.

Vor ihm lagen die malerischen Fluren von Cholula und weiter hin von Puebla, mit ihren unabsehbaren Weizen-, Mais- und Agavepflanzungen, durch pittoreske Hecken und Alleen von Kaktusstauden getrennt und mit einer Menge malerischer Indianer-Ranchos übersät. Rechts, mitten aus den schroffen, waldbekränzten und wieder nackten Basaltgebirgen, mit ihren in der Nachmittagssonne erglühenden Kuppen, erhob sich der Itztaccihuatl mit seinem schneeigen Haupte, eine solche Flut von Licht und Glanz in seiner isolierten Herrlichkeit ausströmend, daß das Auge den Schimmer nicht auszuhalten vermochte. Weiter links ragte der Riese der mexikanischen Berge, der Popokatepetl, weit über die ganze ihn umgebende Welt empor, einen Wolkenflor um seinen ungeheuren Kegel ziehend, und weiter südöstlich stieg der Stern der mexikanischen Berge, der Orizava, gleich einer Geistergestalt in die Lüfte, die, rein und azurblau, die Riesenberge in ihren zitternd elastischen Vibrationen mit jedem Augenblicke näher zu bringen schienen. Im Rücken endlich verglomm der waldbekränzte Malinche mit seinem hehren Baumwuchse und seinen grandiosen Barrancas in die matte Dunkelheit.

Die außerordentlichen Kontraste der herrlichen, nun in der Februarfrische grünenden und blühenden Vegetation, mit den großartigen Bildern der erhabensten Alpenwelt, hatten für einige Minuten den Jüngling in sprachlosem Dahinstarren festgehalten; ein leichtes Geräusch hinter seinem Rücken weckte ihn aus seinen Betrachtungen und er versuchte einen Satz, der weniger halsbrecherische Behendigkeit als seine früheren Sprünge, aber ungleich mehr Geistesgegenwart verriet. » Pícaro!« schrie der Mestize, dessen Messer statt der Brust des Jünglings dessen Manga durchbohrt hatte.

» Maldito Cachupín!« fiel der andere ein, der seine Keule gleich vergeblich geschwungen hatte.

Der Angriff der beiden Gauner war so unerwartet geschehen, daß unser Don kaum Zeit gehabt hatte, auf die Seite zu springen. Mit bewundernswürdiger Fassung jedoch, seine Manga preisgebend, sprang er auf den Felsen zu und warf seine beiden Hände so schnell und entschlossen vorwärts, daß der erste der Desperados den zweiten beinahe über den Haufen gerannt hätte. Ein Paar gespannte Pistolen, die der Jüngling während seines Sprunges aus der Pelzjacke gezogen, hatten diesen plötzlichen Rückzug bewirkt. Eine Weile sah er den beiden Banditen, die sich lachend im Dickicht verloren, nach, und dann seine Manga aufhebend, näherte er sich dem Rande der Barranca, von dem die Maultiere nicht mehr sehr entfernt waren. Kein Wort war ihm entfallen, und nach der Gleichgültigkeit zu schließen, mit der der Jüngling sich bei dem ganzen Vorfalle benommen hatte, schien er darin eben nichts sehr Außerordentliches zu sehen.


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