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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Das düstere Gewölbe, in welches die Doña mit ihren Begleitern durch die Öffnungen des Drahtgitters nun schaute, ruhte auf einem ungeheuern Pfeiler, der aus der Mitte emporstieg. Die Seiten desselben waren, sowie die Wände des Gemaches, mit Holz getäfelt, das ursprünglich rot gewesen, aber durch Zeit und Feuchtigkeit ganz schwarz gefärbt war. Es hatte mehrere Türen, aber kein Fenster, und war mit Teppichen belegt; am Pfeiler war ein Brasero mit glühenden Kohlen angebracht; längs der einen Seite der Wand zog sich ein mit grünem Tuch behangener Tisch hin, worauf ein Kruzifix mit zwei Armleuchtern; vor dem Tische standen vier Sessel mit gewaltig hohen Lehnen; auf einem Seitentische ein Waschbecken mit Gießkanne und einer Bouteille Wasser, auf einem zweiten Zitronen, Rum und eine Schachtel mit Zigarren.

Vor dem Brasero lehnte ein kleiner Mann, mit einem weiten blauen Mantel Der blaue Mantel wurde von den Adeligen, der braune von den unteren und Mittelklassen in Mexiko getragen. um die Schultern, der abwechselnd den linken und dann wieder den rechten Fuß über die glühenden Kohlen hielt, und mit der einen Hand sich an den Pfeiler stützte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, während er mit der andern seine Zigarre anzuzünden im Begriffe stand, zu welchem Behufe ihm ein zweiter den Armleuchter hielt. Dieser zweite hatte den Hut abgenommen, während das kleine Männchen ihn fest auf die Stirn gedrückt behielt.

»Danke, danke, Señoria! Bitte um ein Röllchen Papier; sind kein Raucher; Zigarren dürfen nie an Wachs oder Spermacetti oder noch viel weniger an Unschlitt angezündet werden. Merken sich Señoria das – verlieren den ganzen Geschmack – Kohlen oder Papier – Kohlen oder Holz oder Papier.«

Diese Worte waren mit einer gellend kreischenden, aber freundlichen Stimme gesprochen, und der Sprecher, der während der Pause seine Zigarre in Rauch gebracht und die Füße hinlänglich gewärmt hatte, wandte sich nun gegen den gefälligen jungen Mann, und ließ, auf kastanienbraunem Grunde, die olivengrünen Züge Señor Pintos, des Oidors, mit den kleinen feurigen Rattenaugen schauen, die Señor Ruy Gomez, den Geheimsekretär, allmählich weniger freundlich anzublitzen geneigt schienen.

»Ja, ja, wir werden Sr. Exzellenz Befehlen nachzukommen trachten, Señor Ruy Gomez, obwohl, obwohl – – –«

»Se. Exzellenz, weit entfernt, zu befehlen,« erwiderte der Geheimsekretär mit vieler Geschmeidigkeit, »haben vielmehr bloß hohe Wünsche geäußert und uns ausdrücklich aufgetragen, dieselben mit Höchstdero Wünschen bekannt zu machen: sagen Sie Sr. Herrlichkeit, bedeuteten uns Höchstdieselben, es sei unser Wunsch, durch dessen Erfüllung uns Señor Pinto um so mehr verbinden wird, als – – –«

»Als Se. Exzellenz geruhen, Hochdero eigenen Kopf so viel als möglich aus der Schlinge zu halten«, ergänzte der Oidor im trockenen Tone, mit welchem trockenen Tone das ganze Wesen des Männchens auf eine so auffallende Weise harmonierte, daß auch kein Zug von der Ehrfurcht oder Geschmeidigkeit zu sehen war, die er während der Kamarilla an den Tag zu legen sich so sehr beflissen hatte.

Es war nicht bloß das mürrische Wesen eines alten Mannes, der sich aus seiner Nachtruhe aufgestört findet und, Rheumatismen im Hintergrunde sehend, den Ruhestörer seinen Unwillen entgelten läßt; es lag eine schwere Wolke über die niedrige Stirne hingebreitet, die das Männchen auch nicht im mindesten zu verhehlen trachtete.

»Euer Herrlichkeit sind gänzlich im Irrtume,« bemerkte Don Ruy Gómez, einen Schritt vor- und wieder zurücktretend, »wenn Dieselben glauben, daß Se. Exzellenz – da doch Se. Exzellenz – Höchstdieselben wünschen nur – daß – weil, nach Höchstdero Ermessen, Gefahr im Verzuge haftet – und es allerdings rätlich ist, daß in solchen delikaten Fällen in aller Stille vorgeschritten werde – – –«

»Mein lieber Señor Ruy Gomez,« erwiderte Don Pinto mit einem mitleidigen Achselzucken, »bemühen Sie sich nicht, uns die weisen Absichten Sr. Exzellenz eines weitern auseinander zu setzen; wir kennen dieselben und bedauern, daß in aller Stille vorgeschritten sein muß. Wir dienten bereits unter Graf Gálvez; der schritt nicht in aller Stille vor, der tat seine Sachen öffentlich, begnadigte öffentlich, ließ aber auch Köpfe abschlagen, wenn er wollte. Freilich war Don Gálvez einigermaßen – aber basta –«

»Es ist sehr bedauerlich – sehr bedauerlich,« fiel ihm der Geheimschreiber ein, »um so mehr, als die öffentliche Volksstimmung sich sehr laut gegen öffentliche Hinrichtungen äußert; der Zartsinn Seiner Exzellenz hat daher in diesem Punkte –« Der Mann hielt in sichtlicher Verlegenheit inne.

»Señor Ruy Gómez, verstehen Sie mich wohl? Wir haben gar nichts gegen den Zartsinn Seiner Exzellenz einzuwenden, nichts gegen die Art und Weise einzuwenden, wie Seine Exzellenz ihre weisen Pläne in Vollführung bringen. – Seine Exzellenz sind Virey von Neuspanien; Virey, mit sehr ausgedehnten Vollmachten, sehr – sehr ausgedehnten Vollmachten. – Wir haben keinen Herrn, Señor Ruy Gomez, keinen Herrn, verstehen Sie; denn der Herr, unser König, ist vom gottlosen Napoleon in Gefangenschaft gehalten; aber wir haben zweihundert Majestäten in Kadix und die Majestäten haben der Exzellenz sehr ausgedehnte Vollmachten erteilt; verstehen Sie; und was sie nicht erteilt, das wissen Seine Exzellenz, sich erteilen zu lassen. Aber dessenungeachtet, Señor, dessenungeachtet haben wir vieles hin und wieder einzuwenden, und zwar, weil wir als Oidor uns des Rechts erfreuen, Einwendungen machen zu können.«

»Ohne jedoch den Gehorsam verweigern zu dürfen«, bemerkte der Geheimsekretär etwas spitzig.

»Das ist der Punkt, Señor!« sprach der Oidor.

»Seine Exzellenz haben in ihrer Machtvollkommenheit eine Kommission niedergesetzt, die bestimmt ist, Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates zu richten, eine Kommission, von welcher sie uns zum Referenten und Präsidenten ernannt.«

»Und von der General Concha und Major –«

»Mitglieder sind«, fiel ihm der Oidor ein. »So ist es; nun diese Kommission, die bereits den Ehrennamen der blutigen erhalten –«

»Aber Seine Exzellenz wünschen ja nur für diesesmal, daß Sie Ihren Namen –« der Geheimsekretär behielt das letzte Wort für sich. »Und dann ist ja das Verbrechen des Rebellen durch das Verhör des Alkalden so ganz außer allem Zweifel –«

»Ei, Don Penafil – ja, Don Penafil – das Verhör des Alkalden, der die Ehre hatte, Livreebedienter des Camarero des Mayordomo Seiner gewesenen Hoheit des Principe de Paz zu sein. Ei, Don Ruy Gómez – dieser Alkalde – nun, er ist noch nicht der schlechteste Alkalde; aber nichtsdestoweniger scheint es uns doch nicht so ganz geraten, unsern Namen in seine Verwahrung dadurch zu geben, daß wir ungesehen ein Urteil unterschreiben, das er gefällt –«

»Aber es hat ja Don Ferro, der Escribano –«

»Ja, ja, Don Ferro, der Escribano. Sehen Sie, Señor! Nach dem, was Sie gesagt, gehört der Fall eigentlich vor das Militärgericht, und dies wäre der beste und kürzeste Weg, um so mehr, als unsere Jurisdiktion sich nur auf Zivilfälle innerhalb des Sprengels von Mexiko beschränkt; aber Seine Exzellenz sind Herr, und haben viel Zartsinn, und wollen ohne Zweifel ihre gewohnte Delikatesse«, bemerkte der Oidor einlenkend. »Wir wollen Seiner Exzellenz Befehlen nachkommen, und – – –«

»Auch werden Eure Herrlichkeit beliebig in Erinnerung bringen, daß Seine Exzellenz als der Alter ego der Majestät –«

»Als der Born und die Quelle aller Hulden und Gnaden erscheinen muß, und deshalb nicht anstehen darf, ihre Mitbeamten in Ungnade zu bringen«, versetzte der Oidor in demutsvoller Bitterkeit. »Wir wissen, wir wissen, und bedauern, ja bedauern, daß unser allergnädigster Herr, Fernando VII. – verstehen Sie, Señoria? – Wir fürchten nicht die Ungnade irgend jemandes, aber wir fürchten die Ungnade der Majestät, hoffen jedoch, daß dieser Kasus nicht einer der Kasus sein wird – wir hoffen –«

Der Geheimsekretär schwieg.

Don Pinto sah den jungen Mann forschend an. »Wir hoffen, der Kasus wird keiner dieser Fälle sein, verstehen Sie, Señor.« Seine kleinen funkelnden Rattenaugen schienen dem Geheimsekretär in die Seele bohren zu wollen. »Verstehen Sie, Señor, wir tun und erfüllen gerne unsere Pflicht gegen Seine Exzellenz; aber es dürfte Fälle geben, wo selbst Seine Exzellenz es bedauern dürften, sich eines Mitgliedes der hohen Audiencia als Werkzeug bedient zu haben.«

»Allerdings«, bemerkte der Geheimsekretär. »Eure Herrlichkeit können sich jedoch darauf verlassen, daß der gegenwärtige Fall um so weniger Besorgnisse einzuflößen geeignet ist als der Gegenstand ein Criollo.«

»Ein Kreole sagen Sie, namens Cosmo Blanco; kennen den Namen nicht, aber nichtsdestoweniger hielten wir es für unsere Schuldigkeit, zu sehen – zu sehen – – –«

»Seine Exzellenz werden gewiß diese Pünktlichkeit und Unermüdlichkeit, –« bemerkte der Geheimsekretär, der ein Blatt auf den Tisch legte und sich verbeugte.

»Adios, Señor. Wir wollen Seiner Exzellenz Befehlen nachkommen«, bedeutete der Oidor dem sich Entfernenden.

»Mutter Gottes!« brummte der Mann, der nun im Gemache hastig auf- und abschritt. »Diese Exzellenz verdirbt uns so sicherlich, als Amen im Vater Unser steht. Alles verwirren und in der Verwirrung obenauf schwimmen. – Da sind wir nun eine Kommission von dreien niedergesetzt, Casus und Crimina laesae Majestatis zu richten, in letzter Instanz zu richten, und, einige Hunderte gente irrationale ausgenommen, waren noch nicht drei Urteile zur Bestätigung uns vorgelegt, deren Schicksale nicht bestimmt gewesen wären, ehe wir sie noch sahen oder einen Buchstaben ihres Verhöres. Mich sollte es wundern, wenn der arme Teufel nicht bereits erdrosselt ist – aber dann!« – Das Männchen zuckte die Achseln, zog den Rauch seiner Zigarre stärker, und blies einige gewaltige Rauchwolken. Nachdem er einige Minuten geraucht, warf er die Zigarre in die Kohlen, zog die Klingel und brannte eine frische an.

»Ober-Alguazil Giro!« sprach er sichtlich erheitert, als er des Eintretenden ansichtig ward. »Habt Ihr den Dienst?«

Dieser, einen Stab in der Hand, näherte sich ehrfurchtsvoll dem Oidor, neigte den Stab, und antwortete: »Aufzuwarten, Euer Herrlichkeit. Wollte die Jungfrau, wir wären verschont geblieben! Aber zwei unserer Leute sind vor einer halben Stunde eingebracht worden.«

»Wie soll ich dies verstehen?«

»Antonio wurde bei dem Palaste der Bergwerksgesellschaft niedergestoßen, dafür, daß er den Herrn einbrachte; Pablo, dicht an der Münze, weil er den Diener eingefangen.«

»Wie, was?« fragte der Oidor, der wechselweise den Sprecher und wieder das Blatt ansah, das der Geheimsekretär auf dem Tische zurückgelassen hatte. »Was habt ihr denn eigentlich für Gefangene, wegen dieses da sind doch nicht zwei Alguazils erdolcht worden?« Er deutete bei diesen Worten auf das Papier.

»Dies ist nicht die Person,« versetzte der Alguazil, der einen Blick in das Papier geworfen hatte, »obwohl er uns wirklich den Pablo kostet.«

»Und?« fragte der Oidor.

Der Alguazil zuckte die Achseln. »Euer Herrlichkeit scheinen nicht zu wissen. Dieser da ist bloß der Diener.«

»Der Diener?« fragte der Oidor. »Von wem?«

Der Alguazil schüttelte den Kopf. »Er ist vor einer halben Stunde eingebracht worden, und liegt in Nummer 9, ohne daß er bisher ins Protokoll gekommen wäre; aber sein Herr ist von Don Penafil und Don Ferro verhört worden, und zwar im geheimen verhört worden, hier verhört worden in diesem Gemache.«

Der Oidor sah den Alguazil sprachlos an.

Dieser fuhr leise fort. »Die Verhaftung dieses Cosmo Blanco gab bloß die Veranlassung, daß der junge Kaballero den Namen erhielt. Sein Name ist übrigens bekannt genug.«

»Es ist?« fragte der Oidor.

Der Ober-Alguazil flüsterte ihm diesen in die Ohren.

Der Oidor sprang zurück. »Teufel! Was sagt Ihr?« rief er, die Zigarre in den Brassero schleudernd.

Der Alguazil zuckte die Achseln.

Der Staatsrat rannte hastig ein paarmal durch das Gemach, und sah den Alguazil starr an. Dieser stand wie eine bronzene Statue, ohne eine Miene zu verziehen.

»Mann!« sprach er mit einer Donnerstimme, »hast du dich nicht geirrt?«

Der Alguazil schüttelte den Kopf. Der Oidor raffte das Papier vom Tische, und begann zu lesen. »Wegen offenbarer Rebellion – geständig derselben – und die Waffen gegen Major Ulloa ergriffen zu haben. – Sprecht, Alguazil«, wandte er sich an diesen. »Ihr seid vor Oidor Pinto.«

»Er hat mehr gestanden, als zehn Leben nehmen würde,« versetzte der Alguazil, »tausend Leben. Und doch, Señoria! Es war kein Geständnis, es war Wahnsinn, Raserei. Er bat, er beschwor Señor Penafil, ihm das Leben zu nehmen. Er war selbst gekommen – zur Hinterpforte, um –«

»Um?« fragte der Oidor.

»Sein Strich«, wisperte der Alguazil, mit kaum vernehmlicher Stimme, »führte ihn diesen Weg zur –«

»Zur?«

»Königin des Palastes, wie sie sich gerne nennen hört.«

»Silencio!« bedeutete ihm der Oidor. »Solche Reden sind gefährlich, weil sie nicht zur Sache gehören.«

»Señoria«, sprach der Ober-Alguazil. »Es ist dieses eine furchtbare Geschichte in gegenwärtiger Krisis, die, wenn sie in Mexiko bekannt würde –«

»Teufel!« rief der Oidor. »Teufel!« Er rannte wie rasend im Gemache auf und ab. »Das wäre ein Fall, der Señor Pinto, ja die ganze Audiencia, um ihren Kredit bringen könnte.«

»Und tausend Dolche für sie spitzen würde«, fügte der Alguazil bei.

»Habt ein Auge auf den Gefangenen«, sprach der Oidor mit leiser Stimme. »Ich besorge nicht, daß sie, ehe wir das Urteil unterschreiben, etwas tun. Habt jedoch ein Auge auf ihn – und stille.«

Er warf wieder einen Blick auf das Papier.

»Wie kommt es aber, daß General Concha bereits unterfertigt?«

»Das können wir nicht sagen«, entgegnete der Alguazil. »Wahrscheinlich hat ihn Don Ruy Gómez zu Hause besucht.«

»So wie er es bei uns getan«, murmelte der Oidor. »Ja, ja, so ist es. Und Don –«

»Ist nirgends zu finden, war jedoch vor zwei Stunden hier und klagte über schlaflose Nächte. Seine Herrlichkeit, der Major Don Agostin Iturbide, waren sehr erbittert, und meinten, das Rebellengeschmeiß könnte nicht schnell genug aus dem Weg geräumt werden.«

»Und haben sich doch unsichtbar gemacht«, bemerkte der Oidor.

»Seine Herrlichkeit sind ein Kreole«.

»Vor dem sich die Exzellenz wohl in acht nehmen mag«, versetzte Von Pinto.

»Señoria«, hob der Alguazil wieder an. »Um der Mutter Gottes willen! Señoria, tun Sie etwas in dieser Angelegenheit. Seit vierzehn Tagen sind siebzehn Alguazils erdolcht worden. Wir machen uns kein Gewissen, ja, sicherlich, kein Gewissen. Wir sind ein geborener Spanier, der seinen Kopf gerne für des Königs Majestät, ja, sein Gewissen in die Schanze schlägt, – aber sechs Zoll kalten Stahl für –«

»Ihr seid ein getreuer Diener«, sprach der Oidor; »aber stille.«

»Es ist dies eine Familienaffäre,« sprach der Alguazil, »die, so wahr wir Abasalo Giro heißen, mit der Rebellion nichts gemein hat.«

»Stille!« mahnte der Oidor wieder. »Was gibt es weiter?«

»Nichts Besonderes«, rapportierte der Ober-Alguazil, der nun wieder den ehrfurchtsvollen Subalternenton annahm. »Fünf Criollos, zwei davon, signalisiert von der Hand Seiner Exzellenz, sind wegen aufrührerischer Reden eingebracht, neun ditto Italiener. Señor Penafil sind am dritten Kreolen.«

Er überreichte mit diesen Worten dem Staatsrate einen beschriebenen Bogen.

»Sie sind also verhört bis auf drei?« fragte der Oidor.

»Würden bereits alle fertig sein, wenn uns der Kaballero nicht so viele Mühe gemacht hätte.«

»Also der Diener ist nicht verhört?«

»Diesen hat man vergessen.«

»Weiß Don Ruy Gómez, daß er eingebracht ist?«

»Nein, Señoria. Er kam erst später, als sein armer Herr bereits in Nummer 9 deponiert war.«

»Geht und tut, wie gesagt«, bedeutete ihm der Oidor.

Der Alguazil hatte kaum die eine Türe hinter sich, als es an einer andern leise klopfte, und die Worte: »Gutfreund« zu hören waren.

Der Oidor öffnete.

»Hochherrlicher Kollega,« redete der Eintretende unsern Oidor an, dessen Stirne sich bei dieser Erscheinung gewaltig gerunzelt hatte, »Hochherrlicher Kollega vergeben unsere Zudringlichkeit; aber da Gefahr im Verzug obwaltet, konnten wir nicht anstehen, uns selbst in dieser Stunde zu denselben zu verfügen, hoffend, wir würden nicht zu spät kommen. Wirklich, Señoria, wir hoffen –«

Der Oidor war seinem Kollegen entgegengekommen und führte ihn mit echt spanischer Grandezza zu einem Sessel.

»Ganz Mexiko ist wieder auf,« fuhr dieser halb atemlos fort, »und zwar auf, wie wir es nie gesehen haben. Diese Aufläufe nehmen alle Farben des Regenbogens an, aber der gegenwärtige ist einer der stillen, tiefen, lauernden, und er gefällt mir gar nicht.«

»Wir hoffen, ein Auflauf wird doch Euer Herrlichkeit nicht aus –«

»Dem Bette gebracht haben, Señoria«, ergänzte der Kollega. »Nein, das hat er nicht; aber unsere Dienerschaft hat uns aufgescheucht. Es heißt, daß ein junger Kaballero vom höchsten Range, ein viejo Christiano –«.

»Wir wissen von keinem, ausgenommen fünf Criollos und einem Sechsten, dessen Verhör hier vorliegt, und Eurer Herrlichkeit zur Einsicht offen steht. Der junge Mann, von dem die Rede, ist von Don Penafil verhört worden, und geständig offenbarer Rebellion. Señoria mögen lesen.«–

Der Kollega nahm das Papier zur Hand und las eine Weile, schüttelte jedoch stärker und stärker den Kopf. »Selbstgeständig der Rebellion; – bittet um der Jungfrauen und aller Heiligen willen, das Urteil möge so schnell als möglich vollzogen werden, fühlte tief das entsetzliche Vergehen, gegen die allerhöchste Majestät die Waffen ergriffen zu haben. – Señoria!« sprach er, das Papier auf den Tisch fallen lassend. »Seine Exzellenz haben derlei Märchen in die Zeitung setzen lassen von Hidalgo und seinen Cavecillas, obwohl wir des Gegenteiles versichert waren. Cosmo Blanco also ist der Name des jungen Kaballero. Fürwahr, wir sind seit zwei Fahren Oidor, und wir kennen, oder glauben doch alle spanischen Familien dem Namen nach zu kennen, um derentwillen die Dienerschaft der Hauptstadt sich in Bewegung setzen würde, aber von einem Cosmo Blanco haben wir wahrlich in unserem Leben nicht gehört.«

»Wir haben den jungen Mann nicht selbst examiniert, und Seine Exzellenz haben besonders wichtige Gründe –«

»Woran wir nicht zweifeln, Señoria!« bemerkte der Kollega. »Seine Exzellenz haben immer sehr wichtige Gründe; Seine Exzellenz haben auch die Macht, ihren Gründen Wirkung zu geben, aber als Kollega und Oidor hoher Audiencia erklären wir hiermit, daß wir gegen das Verfahren Seiner Exzellenz protestieren, aber um so mehr protestieren, als dadurch das Ansehen eines Mitgliedes der Audiencia –«

»Señoria!« fiel ihm Don Pinto ein.

»Kompromittiert wird«, beschloß der Kollega. »Wir legen hiermit unsere Protestation ein.«

»Mit welcher Protestation wir vollkommen einverstanden sind, Señoria!« bemerkte Don Pinto. »Nur bitten wir zu bemerken, daß wir als Präsident dieser Kommission nicht protestieren dürfen, sondern richten müssen, und daß unser Vorrecht uns zwar erlaubt, zu protestieren, nicht aber den Beschluß zu verhindern oder außer Kraft zu setzen.«

»Kennen Euer Herrlichkeit die Familie des jungen Menschen?« fragte nach einer langen Pause der Kollega.

»Wir kennen sie«, erwiderte Don Pinto. »Es ist eine Kreolenfamilie.«

»Kreolen!« versetzte der Kollega. »Kreolen!« wiederholte er im Tone der wegwerfendsten Verachtung.

»Kreolen«, versicherte Don Pinto.

»Dann«, grinste der Wann, »nehmen wir unsere Protestation zurück. Seine Exzellenz mögen ihn hängen oder spießen, wie bestgefällig. Carramba! Welche Narrheit, uns wegen eines Kreolen herzusprengen. Eigentlich jedoch hätte er vor das Kriegsgericht gehört.«

Zwei Personen waren wieder nacheinander in das Gewölbe getreten, und zwar in außerordentlicher Hast und Eile.

»Ist es noch Zeit?« fragte der erste der Eintretenden, der Fiskal der Audiencia. »Haben Sie unterschrieben, Don Pinto? Ist es noch Zeit?« fragte er heftiger, an den Oidor herantretend.

Dieser wies auf das Blatt, das auf dem Tische lag.

»Also unter dem Namen Cosmo Blanco aufgeführt«, lachte der Fiskal. »Fürwahr, nicht übel. Das ist gut. Seine Exzellenz wissen sich zu helfen. Wissen Sie etwas Neues, Don Pinto? Soeben ist uns von sicherer Hand zugekommen, daß die Partei der Engländer in Cádiz durchgedrungen, daß der Fürst von –«

»Welches Gerücht wir hiermit zu bekräftigen die Ehre haben«, fiel ein vierter Ankömmling ein. »Seine Erzbischöfliche Gnaden lassen Sie ersuchen, Sie sogleich mit Ihrer Gegenwart zu beehren.«

»Seine Erzbischöfliche Gnaden sind für Don Calleja«, bemerkte Don Pinto.

»Und wir hoffen, Señor Pinto wird es auch sein«, fiel der Fiskal ein; »er ist allein der Mann, der Mexiko retten kann, weil er allein den Mut hat, das zu tun, was nötig ist. – Señorias!« sprach er mit stärkerer Stimme. »Mit Intrigen und Süßigkeiten und kleinen Handstreichen, wie der Afrancesado) So wurden die Französischgesinnten genannt: Anhänger Joseph Bonapartes. es nennen, ist uns nichts geholfen. Wir brauchen achtzigtausend Köpfe, und Calleja hat versprochen, sie in vier Wochen zu liefern. Und er wird sein Versprechen halten, so wie er es in Guanaxuato, Guadalaxara getan, und deshalb ist er mein Mann; Mexiko kann nur durch ihn ruhig werden.«

»Wahr, wahr«, bekräftigten alle mit so ruhiger gelassener Stimme, als ob von der Lieferung von achtzigtausend Schweinsköpfen die Rede gewesen wäre.

»Deshalb sind auch wir gekommen; es ist ganz prächtig mit diesem jungen Menschen. Don Pinto dürfen aber auf keine Weise das Urteil kontrasignieren«, hob der Fiskal wieder an.

»Auf keine Weise«, sprach ein fünfter, der eingetreten war; »der Alte hat Wind von dem, was geschieht oder geschehen ist; verlassen Sie sich darauf, Señores; ehe eine Stunde vergeht, weiß er alles, denn er bezahlt seine Familiares gut und kann es tun.«

»Wir sind aber Präsident der Kommission«, bemerkte Don Pinto kopfschüttelnd.

»Und fügen Sie hinzu: unabsetzbarer Oidor«, sprach der Präsident des Consulado. – »Wir haben soeben Briefe erhalten; Barraxi ist gefallen, mit ihm die übrigen Minister; der Busenfreund des Onkels des jungen Menschen ist an der Spitze. Eine kräftige Vorstellung, von den drei Interessen des Landes abgesandt, durch die Audiencia und den Erzbischof unterstützt, und wir haben in sechs Monaten unsern Calleja, in sieben unsere achtzigtausend Köpfe, und in acht Ruhe.«

»Die heilige Jungfrau stehe uns bei!« riefen alle.

»Um aber Calleja zu erlangen, brauchen wir den Grafen; und deshalb, Señoria, muß vor die Türe der Exzellenz gelegt werden – – –«

»Was dahin gehört«, fielen die Verschworenen ein.

Eine Weile standen die fünf Spanier sinnend. Auf einmal fragte der Fiskal, der nicht ohne Verwunderung die fünf in Schlafröcken und Pantoffeln erschienenen Señorias angeschaut hatte: »Wie kommt es nur, Señorias, daß wir, die Repräsentanten der drei Interessen Mexikos, die dazu bestimmt sind, dieses Land ein zweitesmal zu erhalten – wie kommt es, daß wir uns so glücklich hier zusammengefunden haben, in dieser späten Stunde, um zehn Uhr nachts, während eines ausbrechenden Aufruhrs zusammengefunden haben?

Was nun uns betrifft, so sind wir durch den Mayordomo des Grafen von Fagoa auf die Verhaftung des jungen Menschen aufmerksam gemacht, und geradezu in das Staatsgefängnis gesandt worden.«

Alle sahen sich bedeutsam an.

»Und wir, durch den Camarero des Marquis de Moncada,« sprach der Priester – »wir waren gerade bei des Erzbischofs Gnaden.«

»Bei meiner Seele!« rief der Fiskal. – »Wir sind bereits die Spielzeuge einer unsichtbaren, über uns schwebenden Macht.«

»Und diese Macht?« fragten zwei oder drei etwas beklommen.

»Ist der große Zauberer, der unsichtbar über Mexiko waltet, und die Nobilitad leitet und lenkt«, erwiderte der Fiskal nicht ohne Bewegung. »Wohlan, jetzt brauchen wir ihn. Señor Pinto, wenn Sie uns nicht verlassen, so vermögen wir Ihnen mit seinem Kopfe in acht Monaten aufzuwarten. Wir gehen zum Erzbischof.«

»Wohin wir Ihnen in kurzem zu folgen gedenken« sprach Don Pinto.

Die Verschwornen nickten, winkten sich zufrieden lächelnd zu und entfernten sich dann.

»Hier ist«, sprach der Präsident des Blutgerichtes zum eintretenden Oberalguazil, »das Protokoll. Ohne Seiner Exzellenz gnädigen Willensmeinung im mindesten vorgreifen zu wollen, glauben wir unsere Namens-Unterschrift um so weniger vonnöten, als dieser Cosmo Blanco nicht der Privilegien teilhaftig, der Audiencia daher nicht in letzter Instanz unterliegt, und daher ohne Anstand vom Alkalden gerichtet, und das Urteil vollzogen werden kann, sobald Ihre Exzellenz Ihre Unterschrift beizusetzen geruhen. Sagen Sie dies Don Ruy Gómez und dem Alkalden.«

»Würden Euere Herrlichkeit nicht so gnädig sein, Ihre hohe Entschließung dem Alkalden selbst mitzuteilen?« erwiderte der Alguazil in flehendem Tone. »Wohlan denn, machen Sie ihm bemerklich zu eilen.« Der Oberalguazil entfernte sich in großer Hast.


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