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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Der Volkssturm war schon seit einiger Zeit beschwichtigt, und der Haufe, der sich auf den freien Platz vor der Villa des Grafen geflüchtet, machte noch immer keine Anstalt, seinen Zufluchtsort, in den er sich wie in einen Hafen gerettet, zu verlassen. Einige starrten hinüber auf die Ebene von Capultepec, andere waren beschäftigt, ihre in Unordnung geratene Garderobe in einen geziemenden Zustand zu bringen, wieder andere nahmen die neuen Umgebungen in näheren Augenschein. Diese letzteren warfen verstohlene, mißtrauisch neugierige Blicke in die Fenster und auf den Mirador und dann wieder auf die Wagen, die vor dem Hause hielten und von denen der Phaeton mit der vizeköniglichen Livree das meiste Befremden erregte. Dieses Befremden schien schmerzlicher Art zu sein, nach dem Gemurmel zu schließen, das entstanden war, und den scheuen Blicken, mit denen sie sich allmählich aus der Nähe des Wagens zurückzogen, gleich als ob dieser verpestet gewesen wäre. Immerhin schien der Haufe jedoch durch etwas festgehalten zu werden, obwohl ihn der Anblick dieses Phaetons sichtlich recht schmerzlich verletzte. Auf den Gesichtern der meisten war etwas von Enttäuschung zu lesen; aber diese Enttäuschung schien bitter zu sein.

» Vigilancia!« brüllte es auf einmal und der Haufe stob auseinander, um ein Dutzend Wagen hindurchzulassen, die den ängstlichen Gesichtern aller auf einmal den Ausdruck der höchsten Neugierde einprägten. Ein langer Zug von Vehikeln und Fuhrwerken aller Art folgte dieser Avantgarde. Stattliche Nobilitas-Karossen, untermengt mit Kutschen und leichten zweirädrigen Kabrioletts. Alle kamen auf die Villa zugefahren, und zwar so eilig, als ob das Wohl Mexikos von dieser Eile abhinge. An den Insassen dieser verschiedenen Fuhrwerke war unterdessen keine Spur von jener Verstörtheit zu bemerken, die noch immer die Gesichter des Haufens verzogen hielt; im Gegenteile, alle schienen sich recht behaglich zu fühlen, obwohl ihre gerunzelten Stirnen auch von Sorgen zeugten; doch schienen diese Sorgen wieder ganz eigentümlicher Art zu sein: weder Revolutions-, noch Mord-, noch Brotsorgen. Es waren, man hätte schwören mögen, ruhige, friedliebende Bürger, denen Raub und Revolution gleich verhakt waren, die keine Ansprüche auf Eleganz machten, die aber dessen ungeachtet ihre Wichtigkeit trotz einem fühlten. Die Ankunft dieser Kalessinen vor der Villa des Grafen erregte eine solche Verwunderung, daß, wie gesagt, Beschäftigte sowohl als Beschauende ihre bisherigen Verrichtungen aufgaben, um die neuen Erscheinungen zu beaugenscheinigen und womöglich auch der Ursache dieses Erscheinens auf die Spur zu kommen.

Die Gesellschaft, die alsbald in den Saal der Villa eintrat, war sehr gemischter Art. Hoher Adel mit Kleinkreuzen des Karls- oder eines sonstigen Ordens, im alten Kostüm des Hofes Ludwigs XV., schlichter gekleidete Caballeros in der mexikanischen Manga, und wieder andere in blauen Mänteln, aus denen sie sich zum Teil im Vorsaale herausgeschält hatten, aber nicht zum sehr großen Vorteile ihres noch übrigen äußeren Menschen. Ihre Kleidung war weniger abgenutzt als nachlässig und unbeachtet, gerade als ob dieser Artikel ihrer besonderen Aufmerksamkeit nicht wert wäre, kurze und lange Beinkleider mit der spanischen Capote, die ihren kleinen Figuren, die auf schafbeinigen Schenkeln ruhten, nicht sonderlich wohl anstand, indem sie einen etwas mageren Begriff von spanischer Manneskraft gaben. Aber nichtsdestoweniger sahen sie mit einer gewissen Geringschätzung auf die reich gekleideten Caballeros herab. Einige waren eingetreten, mit den Händen nachlässig in den Taschen ihrer Beinkleider klimpernd, andere plaudernd oder dem Gefährten, mit dem sie eintraten, nachlässig zunickend; wieder andere waren gekommen, ohne eine Muskel zu bewegen, offenbar über Gegenstände brütend, die von zu großer Wichtigkeit waren, als daß sie sich mit Grüßen und Komplimenten der Anwesenden beschäftigen konnten; kaum, daß sie dem Herrn des Hauses mit einer familiären Behaglichkeit zunickten oder ihm vertraulich die Hand drückten und dann in derselben unzeremoniösen Manier auf einen ihrer Bekannten zustiegen, um noch weniger Komplimente mit ihm zu machen.

Auf unsere hohen Kavaliere hatte dieses sans gêne insofern einen besonderen Einfluß, als sie, das Benehmen dieser seltsamen Menschen sehr aufmerksam beobachtend, bei dem angekündigten Eintritt Sr. Herrlichkeit des Präsidenten der obersten Finanzstelle und Sr. Herrlichkeit des Oidor von der hochherrlichen Audiencia und des illustren Señor Ruy Gómez de Urna wahrhaft untertänig tiefe Bücklinge zu machen bemüht waren.

Die drei hohen Ankömmlinge hatten mittlerweile ihre Plätze am oberen Ende der langen Tafel genommen und sich in den hohen Armsesseln niedergelassen. Einen Augenblick legte sich das Gesumse, hob jedoch sogleich wieder an.

»Möchte doch wissen,« bemerkte ein wahrhaft konfisziertes Mohrengesicht, mit einer Stumpfnase, in deren zwei Öffnungen, die mehr Kanonenbooten als Nasenlöchern glichen, ihr Besitzer fortwährend Ladungen Españoles zu stopfen bemüht war, »möchte doch wissen, warum man uns diesen Einfaltspinsel Ruy Gómez hersendet?«

»Diesen nil habemus Ruy Gómez«, versetzte sein Nachbar so laut, daß das Prädikat die Ohren des Subjektes erreichte.

»Er sieht sich um,« lachte der Panegyrist, »und wir erhalten eine schwarze Note in dem Bureau der geheimen Polizei, deren Referendar er nun geworden, wie Sie wissen.«

»Meiner Seele!« beteuerte ein anderer, »der ganze Kontinent gesperrt! Wir hätten jetzt einen herrlichen Stapelplatz in Spanien für unsere Cochenille und Vanillas und Indigos. Man könnte sie durch die Biskayer See über ganz Europa bringen. Aber was hilft es?«

»Wahr!« seufzte sein Nachbar, »aber unsere Cochenille und Vanille und Indigos, wo sind sie? frage ich. Beim Teufel! antwortete ich, das heißt, in den Händen der Cavecillas.«

Diese auffallenden Demonstrationen von Sprechfreiheit schienen den drei hohen Amtspersonen nicht so sehr aufzufallen, als sie vielmehr zu belästigen und in Ungeduld zu versetzen, die sie durch ein mehrmaliges Hem! Hem! äußerten, begleitet von unzufrieden warnenden Blicken.

»Señores!« hob endlich der Oidor an, ein Männchen im schwarzseidenen Mantel, mit dem Kommandeurkreuze irgendeines der königlichen Orden, »Señores, maßen die königliche Regierung – – «

»Ich versichere Ihnen, Señor Zebediah,« ließ sich eine gellende Stimme am oberen Ende des Saales hören, »der Zucker ist seit zwei Tagen hundert Prozent hinauf. Wir haben sichere Nachrichten, daß von allen Zuckerpflanzungen im Tale von Cuautla noch zwei ganz sind.«

Ein ominöser Ausruf ertönte.

»Das kommt von den Stockfischen, den Generalen, Offizieren und Soldaten, die statt der Rebellen die Zuckerpflanzungen verbrennen. Die Unsrigen wüten ja ärger als die Cavecillas.«

»Und was die Zufuhr von Kuba betrifft,« bemerkte ein anderer, »so werden sie sich brennen, wenn sie von dorther etwas erwarten. Die große Republik hat rein aufgekauft.«

»Wer spricht hier von der großen Republik?« donnerte der Geheimsekretär.

»Ja, sie werden sie nicht klein machen, Señor Ruy Gómez!« versetzte der Berichterstatter. »Wollten Sie wohl gefällig sich erinnern, daß Ihr Endorsement von zweitausend Piastern fällig ist?«

Ein lautes Gelächter brach auf diese unhöfliche Mahnung aus.

»Señores!« redete nun der Präsident des Finanzkollegiums die Versammelten an, und zwar mit einer Miene, voll des Gewichtes seiner Präsidentenwürde. »Wir ersuchen um freundwillig günstiges Gehör, um so mehr, als die hohe königliche Regierung uns beauftragt hat, in Allerhöchstem Namen mit dem sehr hochpreislichen Consulado zu unterhandeln, welches Consulado das schmeichelhafte Vertrauen, das von seiten der hohen königlichen Regierung demselben bewiesen wird, um so mehr zu schätzen wissen wird, als das besagte Consulado bereits – – «

»Machen Sie es kurz, Señor!« fiel dem Präsidenten ein alter grämlicher Mann ein, dessen Bart die Wohltat der Seife und des Schermessers seit geraumer Zeit entbehrt haben mochte: »Zur Sache, wenn es gefällig ist; Sie sehen hier Mitglieder des Consulado vor sich, denen eine runde Zahl mehr gilt als zwanzig Bogen Waschwasser und eitel Wortgepränge.«

Die Kavaliere hatten die kecken Menschen wie erstarrt angeschaut, die zum Teil in abgeschabten Röcken, langen Westen und kurzen Unaussprechlichen gegenüber so omnipotenten Personen einen Ton angenommen hatten, der alles an Kühnheit überstieg, was sie in der Art gehört hatten.

»Señores!« hob endlich der Präsident wieder an. »Maßen die königliche Regierung durch die ketzerische Malice der Cavecillas – – «

»Señorias und wieder Señorias!« fiel ihm einer der hochpreislichen Consulado abermals ein. »Wir kommen nun zum zweitenmal heraus, verlieren unsere Zeit für nichts und wieder nichts, so wie durch das miserable Benehmen gewisser Herren unsere Kapitalien und Güter verloren gehen. Schreiten Sie zur Sache, wenn's beliebt.«

Der Staatsdiener, der sich angeschickt hatte, den Vortrag zu beginnen, war bei diesem rohen Ausfalle wieder in seiner Anrede stecken geblieben, und seine blauen Lippen und grünen Wangen beurkundeten, wie sauer ihm das Geschäft wurde, mit den gnädigen Herren wie er sie nannte, zu verhandeln.

»Señores!« hob nun der Geheimsekretär seinerseits wieder an, »die außerordentlichen Nachrichten, welche die hohe Regierung erhalten – – «

»Sind recht gute Nachrichten für gewisse Leute,« versetzte einer trocken, »die Geld und immer nur Geld brauchen. Was nun uns betrifft, Señores, so sind wir gekommen, um Geschäfte zumachen; wohlverstanden, vorausgesetzt, daß sich ein Geschäft machen läßt, das heißt, gegen gehörige Sicherheit und Interessen, wo wir dann sehen wollen, was sich machen läßt, um der Regierung unter die Arme zu greifen.«

»Señores!« sprach der nun beinahe um seinen Verstand gebrachte Präsident, »wir, José Trueba, Präsident der obersten Hacienda-Real, und Señor Don Pablo Pinto, Oidor der hohen Audiencia, wie auch Señor Ruy Gómez – – «

»Und so weiter!« fielen ihm mehrere ein.

»Sind von Sr. Exzellenz, dem gnädigsten Virey des Königreiches Nueva-España, beauftragt und ermächtigt worden, mit dem sehr achtbaren Consulado der sehr adeligen Stadt Mexiko und der sehr hochherrlichen edlen Nobilitad eine Anleihe abzuschließen, die die Summe von drei Millionen Duros oder Piastern nicht übersteige.«

»Drei Millionen Duros? Wir glaubten, es würden bloß zwei gefordert! Drei Millionen Duros aus dem Handel gezogen zu dieser Zeit, wo er ohnedem bereits ganz daniederliegt! Drei Millionen Duros sind eine schöne Summe!« Solches waren die verschiedenen Ausrufungen.

»Eine Summe,« fiel der Oidor ein, »die unter den gegenwärtigen Umständen unerläßlich ist zur Dämpfung der Rebellion, und für welche die hohe Regierung alle diejenige Sicherheit zu geben gewillet –«

»Ei, Sicherheit! Sicherheit!« riefen an die fünfzig Stimmen in wunderbarem Einklänge.

»Und als Beweis der aufrichtigen Gesinnung Sr. Exzellenz haben uns Hochdieselben ermächtigt, das Kronmonopol des Quecksilbers für vier Jahre gnädig den Teilnehmern an dieser Anleihe zu überlassen; versteht sich, für Kapital und Interessen zu überlassen.«

Ein lautes Gelächter unterbrach diesen gnädigen Antrag.

»Das Monopol des Quecksilbers als Sicherheit und Bezahlung für Kapital und Interessen zu überlassen, für drei Millionen Duros, sage drei Millionen Duros, zu überlassen? Wissen denn Se. Exzellenz, wieviel dieses Monopol in den günstigsten Zeiten abgeworfen? Ei, Señores, netto siebenmal hunderttausend Duros!«

Die drei Kommissarien, die wohl Kreolen und Indianer zu regieren, aber nicht mit erbitterten spanischen Handelsleuten eine Anleihe abzuschließen verstanden, hatten sich bei diesen Stürmen, die von allen Seiten auf sie einbrachen, die Ohren zugehalten und sahen einander mit trostlosen Blicken an.

»Wir sagen Ihnen, Señorias,« fielen mehrere Glieder des Consulado ein, »Se. Exzellenz werden auf diese Sicherheit keine drei Millionen Maravedíes erhalten.«

»Vielleicht nicht vom Consulado« bemerkte der Geheimsekretär etwas spröde, »aber die hohe Nobilitad, deren loyale Gesinnungen bereits der Proben so viele geliefert, und namentlich der edle Graf von San Jago.«

Aller Blicke wandten sich nun an diese, die bisher schweigend gesessen waren, nun aber sich wie auf ein gegebenes Kommandowort erhoben, und zwar mit so heftigen Symptomen des Unwillens, daß der feinhöhnische Zug, der während der ausgesprochenen Schmeichelei um den Mund des Geheimsekretärs gespielt, plötzlich einem ernstern Ausdrucke wich. Aller Augen waren neugierig auf den Grafen geheftet.

»Perdon!« sprach dieser, »wenn wir die Zumutung Señor Ruy Gómez', der in uns ein Vorbild des hohen Adels sehen will, ablehnen. Weit entfernt, dieser erlauchten und erleuchteten Körperschaft durch unsere Handlungsweise Vorbild werden zu wollen, erklären wir uns vielmehr als in dessen Gefolge, und können nicht umhin, uns dahin zu äußern, daß wir, weit entfernt, uns von dem sehr hochpreislichen Handelsstande abzusondern, vielmehr nur im Vereine mit ihm, dessen Privilegien wir teilhaftig geworden und dessen loyale Gesinnungen so sehr bekannt sind, kontrahieren wollen. Was übrigens unfern Patriotismus betrifft, so haben wir erst vor drei Tagen nicht undeutliche Beweise dadurch gegeben, daß wir für unsere eigene Person hunderttausend Duros auf den Altar des Vaterlandes hinlegten; eine Summe, die der hohe Adel noch durch einen Betrag von einer halben Million sehr erhöhte.«

Ein einstimmiges Bravo, das alle ihm zuriefen, mit Ausnahme der drei Kommissarien, die wütende Blicke auf ihn schossen, lohnte dem Redner für diese unter den damaligen Verhältnissen sehr männliche Erklärung.

»Señores,« fuhr der Graf fort, der nicht geneigt schien, sich durch diese Blicke im mindesten irre machen zu lassen, »wir sind sehr geneigt, die Regierung zu unterstützen« er betonte dieses Wort; »aber, wie gesagt, nach Grundsätzen, die unsere Eigentumsrechte, die heiligsten der bürgerlichen Gesellschaft, nicht verletzen. Wir würden Ihnen unmaßgeblich vorschlagen, andere Sicherheiten und Bürgschaften von dem hohen Chef unserer Regierung einzuholen, und Ihnen,« mit diesen Worten wandte er sich nun an das Consulado, »zu verweilen, bis die Señores solche eingeholt haben.«

»Gehen Sie in Gottes Namen nach Hause,« sprach eines der Glieder des Consulado; »der Rat des sehr hochpreislichen Grafen San Jago ist ein guter Rat, ein sehr heilsamer Rat, und er ist ein Herr, der sehr viele Einsicht, und was die Hauptsache – Duros hat, und daher viele Weisheit; und Sie mögen von ihm etwas lernen, und vor allem mögen Sie lernen, das Consulado nicht vergebens um die kostbare Zeit zu bringen.«

»Tun Sie, wie der Graf gesagt,« riefen nun alle, »und wir wollen Ihre Rückkunft erwarten.«

Wohl nie, solange die spanische Monarchie Mexiko zu ihren Kronländern zählte, war die Regierung dieses mächtigen Königreiches auf eine so brutale und rücksichtslose Weise abgefertigt worden. Es kontrastierte diese Abfertigung so grell mit allem, was die Kreolen über freien Ton gegen ebendiese königliche Regierung geträumt hatten, daß sie sich kaum von ihrem Erstaunen erholen zu können schienen und wie Starblinde waren, an denen die Operation glücklich vollbracht und von deren Augen soeben die grüne Binde zum ersten Male genommen wird. Sie waren ganz und gar außer Fassung gebracht, und der einzige, der seinen Gleichmut nicht verlor, war der Graf. Mit gewohnter Gewandtheit hatte er die Pause, die durch die Entfernung der königlichen Kommissarien entstanden war, auf eine Art ausgefüllt, die die Mitglieder des Consulado, großenteils geborne Spanier, nicht mehr zum Bewußtsein kommen ließ. Er brachte die Notwendigkeit, die Regierung zu unterstützen, mit scheinbar so vieler Wärme in Vorschlag, unterstützte diesen zugleich mit so vielen patriotischen Gründen und sprach sich so unverhohlen zugunsten der Regierung aus, daß die Spanier ihn erstaunt anstarrten, die Kreolen in ein lautes Murren ausbrachen und die ersteren sich wie notgedrungen anschickten, seine Ansichten durch Gegengründe zu bekämpfen.

Die Debatten hatten den ganzen Saal mit Zuhörern angefüllt, die in Todesstille den Debattierenden zuhörten oder Notizen machten. Der aus dem vizeköniglichen Palaste zurückgekehrte Geheimschreiber war wieder eingetreten, ohne in der Hitze der Diskussionen bemerkt zu werden. Der Conde beschloß endlich diese verhängnisvoll wichtige Stunde mit einer kurzen Anrede, in welcher er nichtsdestoweniger wieder auf die Notwendigkeit zurückkam, die Regierung zu unterstützen: eine Notwendigkeit, die er so klar darzustellen wußte, daß der Geheimsekretär sowohl als die Glieder des Consulado in den lautesten Jubel eines unverwüstlichen Patriotismus um so feuriger ausbrachen, je mehr letztern ihr Gewissen zu sagen begann, wie sehr sie selbst dieser Tugend nahegetreten waren.

Aber auch die übrigen Caballeros hatten im Verlauf dieser wichtigen Stunde ihre Rollen mit nicht viel geringerer Gewandtheit einzulernen angefangen und, in den Ton ihres Führers eingehend, zu der glücklichen Ausbeute des Tages beigetragen. Nun offen und herzlich, dann wieder verblüfft, bald nach Belehrung wie Kinder dürstend, bald naiv und verwundert, hatten unsere hochadeligen Grafen und Marquise wechselweise durch ihre naive Unwissenheit dem Stolze der Handelsherren geschmeichelt und wieder durch ihre diplomatischen Wendungen jene Fakta herausgebracht, die der zähe Spanier bisher ganz und allein in seinem Gewahrsam behalten hatte und die begreiflicherweise nicht nur für unsere Kavaliere, sondern das ganze Reich überhaupt von der größten Wichtigkeit waren; denn obgleich es unter dem hohen Adel Mexikos allerdings Männer gab, die tiefere Blicke in die Staatsverhältnisse des Landes getan hatten, so war doch die Gefahr des Wissens so groß und Mitteilung so furchtbar verpönt gewesen, daß es auch der Kühnste nicht gewagt hatte, derlei Aufschlüsse auch nur in vertrauten Zirkeln von sich zu geben. Aus dem Munde der Unterdrücker und ihrer Teilnehmer selbst kam jetzt die Evidenz der schamlosen Erpressungen, die an Mexiko seit Jahrhunderten verübt worden waren, um den Kampf für Unabhängigkeit in den Augen des Volkes und der Welt zu rechtfertigen. Als daher der Geheimsekretär und mit ihm die Glieder des Consulado den Saal wieder verlassen hatten, brach auch der Jubel der Kavaliere in seiner vollen Stärke aus. Es war vergeblich, daß der Mayordomo hereinrannte und bat und flehte und auf den Phaeton und den vizeköniglichen Staatswagen deutete, die nun beide von ihren respektiven Besitzern bestiegen wurden; der Jubel unter den Anwesenden wurde immer größer.

»Schweig, alter Kumpan«, frohlockte der Graf Istla. »Was wir heute gehört haben, ist mehr wert als alle Vorstellungen der Vegas und Martinez. Jetzt wollen wir einmal unsere Duros für uns selbst behalten, statt sie dem gichtbrüchigen Fernando hinüber zu senden.«

»Eselstrab dauert nicht lange«, sprach der Mayordomo. »Warten Sie um der Jungfrau willen mit Ihrem Jubel wenigstens so lange, bis die Kalessinen abgefahren sind.«

»Ah, diese Kalessinen! Göttliche Kerls, diese doppelt destillierten Hebräer!« rief der Graf von Irun. »Um dreißig Duros verkauften sie das ganze Mexiko.«

»Und der alte Jesajah hat noch dazu sein großes Buch vergessen, aus dem er uns vorlas«, fiel ihm der Graf Regla ein. »Sehen Sie einmal, Herrschaften, es hat den Titel: Estado del reino de nueva España por Mons. de Humboldt. Das ist die wahre Deklaration mexikanischer Rechte. Sagen Sie unsern Indianern und Kasten und Kreolen tausendmal, daß Mexiko souverän ist, sie werden Sie anstarren wie einen neuen Heiligen.«

»Sagen Sie ihnen aber,« fiel der Conde Istla ein, »daß die verdammten Gachupins jedes Fahr sechs Millionen an barem Gelde aus dem Lande schleppen,–«

»Das ist nicht alles«, hob wieder der Besitzer des Buches an. »Drei und eine halbe Million gehen nebst den sechs für den König noch nach Kuba, Portorico, Florida und Südamerika.«

»Alle Teufel!«

»Elf Millionen«, las er weiter, »fressen unsere hohen Gebieter allein. Deshalb also kann keiner von uns zu einer Stelle gelangen.«

»Jesu Maria!« jammerten alle. »Und wir wundern uns, daß Mexiko von Tag zu Tag ärmer wird, daß kaum mehr ein Dublon zu sehen – und das Land voll Leperos ist? In Mexiko dreißigtausend, in Puebla zehntausend, in Guanaxuato fünftausend –«

Diese Ausbrüche des versteckten Ingrimmes wurden durch die Rückkehr des Grafen unterbrochen, der sich unterdessen seiner vielen und hohen Besuche am Haustore entledigt hatte. Seine Erscheinung brachte die Kavaliere wieder in jene feierlich-ernste Stimmung, die Schüler in Gegenwart ihres Meisters anzunehmen pflegen. Er sah gleichgültig nach dem Wetter und ging dann in den gewöhnlichen Konversationston über, in welchen alle so bereitwillig einfielen, daß der scharfsinnigste Beobachter sich vergeblich abgemüht haben würde, irgendeine Spur des soeben über die Bureaukratie des Landes davongetragenen Sieges aus den aristokratischen Gesichtern herauszufinden.

»Wo ist Señor Pinto?« fragte der Graf wie gelegentlich. Der lustige Bruder, der in dem Hause des Grafen eine Art Tischfreund war, hatte sich in der Hitze der Debatten nicht wenig geschäftig gezeigt. Er hatte Sorge getragen, die ermattenden Geister der Debattierenden durch den beliebten Sangaree und die edeln Alicantes und Xeres aufzufrischen, die seine Betriebsamkeit aus dem hochgräflichen Keller heraufbeschworen, zur großen Zufriedenheit des Consulado. Hierbei hatte es seine Gutherzigkeit noch nicht bewenden lassen: er war die zwei letzten Stunden hindurch der liberalste und liebenswürdigste Vermittler aller Parteien, der Nothelfer aller Leidenden geworden und hatte sich nun mit der Schar, die er sich so wesentlich verbunden, weggestohlen.

»Sein Pferd«, berichtete Federigo, der abgeschickt war, ihn aufzusuchen, »ist im Stalle; er aber über alle Berge.«

»Der Camareria Mayor«, kam ein anderer, »hat er zwei Basquinas und drei Robas und Mantillas entlockt.«

»Der Doncella Sanchica zwei«, meldete ein dritter.

»Er ist doch nicht Kleiderhändler geworden?« bemerkte lachend der Marquis Grijalba.

»Und aus dem Keller«, sprach nun zornig und kopfschüttelnd der Mayordomo, »ließ er fünfzig Flaschen des besten Alicante und Xeres holen, des Sangaree gar nicht zu erwähnen.«

»Närrischer Kauz!« bemerkte der Graf ruhig. »Und sein Pferd hat er zurückgelassen?«


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