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Das spitze Lächeln, das sich um den Mund unseres Obersten während der letzten Ergießungen des Vizekönigs gelegt, war verflogen, und ein ungemeiner Ernst hatte sich über die aristokratischen Züge des Jünglings hingelagert, als er kopfschüttelnd dem Manne nachsah, der die furchtbarsten Leidenschaften mit gefälliger Leichtigkeit aus ihren untersten Tiefen heraufbeschwören konnte, ohne auch nur im leisesten von denselben berührt zu werden.
»Hinkender Teufel« murmelte er zwischen den Zähnen, »dieser Schatten von einem König.«
Die letzten Worte verschluckte er halb, indem er sich rasch umsah.
Seltsam, die Doña war gleichfalls verschwunden. Die Türen, die durch die Reihe von Zimmern in ihr Boudoir führten, waren offen, und aus denselben her laute Stimmen, Ausrufungen und Verwünschungen zu hören.
Der Stabsoffizier schüttelte mehr und mehr das Haupt.
Auf einmal kam die Doña durch die Gemächer gerannt, bleich und verstört; sie stürzte in den Salon, ihr Busen hatte zum Teil die Fesseln gesprengt und wogte halb entblößt in stürmischen Schlägen. Sie schaute sich wild um, stampfte mit dem Fuße; wieder rannte sie durch den Saal, als wäre sie von Furien gepeitscht. Ihre Stimme stockte. Sie versuchte zu reden, sie konnte es nicht; aber sie stieß einen gellend unnatürlichen Wutschrei aus, der ihre Pagen und Kammerfrauen erschrocken hereinstürzen machte. Sie trieb sie fort. »Fort, fort!« schrie sie dem Obersten zu, der, außer sich über die unbegreifliche Verwandlung, auf das prächtige Weib zugesprungen und sie wie eine Rasende fest in seine Arme gefaßt hatte.
Sie riß sich mit Gewalt von ihm los. »Fort, fort!« schrie sie ihm zu. »Fort, ich bitte, ich beschwöre Sie!«
Sie lief wieder zur Türe; sie horchte; ihr Gesicht glühte; die roten Streifen waren zu flammenden Zungen, sie selbst zur unheilschwangern Herodias geworden.
Der junge Grande stand entsetzt. »Was ist dies? Um Gottes willen, Doña! Was ist es, das Sie in diesen außerordentlichen Zustand –«
Sie ließ ihn nicht ausreden. »Fort, fort!« schrie sie mit erstickter Stimme. »Unglücklicher!« murmelte sie, sich wie vergessend und schmerzlich die Hände ringend. »Scheusal!« stieß sie wieder mit Heftigkeit aus und stampfte mit dem Fuße.
»Warum soll ich fort, Doña?« rief der Oberst, sie wieder erfassend. »Fort von Ihnen? In diesem Zustande, fort aus dem Himmel, wo die Göttin thront, in die fade, kalte Nacht Mexikos?«
Sie stieß ihn mit Heftigkeit, beinahe mit Abscheu zurück. »Was wollen Sie, Oberst?«
Im anstoßenden Zimmer waren Fußtritte zu hören. Eine Kammerfrau huschte zur Türe herein, ein Page folgte ihr. Beide flüsterten der Herrin Worte in die Ohren, die ihr wechselsweise Totenbleiche und Fieberglut auf die Wangen brachten. Einen Augenblick warf sie sich gedankenschwer auf das Sofa, dann sprang sie auf, befahl den beiden, ihr zu folgen, und verschwand in der Türe. Nach einer halben Viertelstunde kam sie zurück gerannt, einen dreieckigen Generalshut auf dem Kopfe, einen blauen goldbordierten Mantel um die Schultern, ein junger Mann in derselben Verkleidung, den Hut ausgenommen, ihr zur Seite. Sie war rasch auf den Obersten zugetreten.
»Graf«, redete sie ihn an. »Haben Sie Mut zu einer edeln Tat?«
Der Oberst sah sie zweifelhaft an.
»Mut,« sprach sie eindringlicher, »einen edlen Jüngling retten zu helfen, den – den – den«, murmelte sie vor sich hin, »ein schwarzer Bösewicht zu verderben auf dem Punkte steht.«
»Doña,« erwiderte der Oberst, »ich bin im Palast Seiner Exzellenz des Virey von Neuspanien.«
»Von Juan, Ihr Vorfahr würde einer Dame nicht diese Antwort erteilt haben. Gehen Sie mit Gott und der heiligen Jungfrau, und leben Sie tausend Jahre!« sprach sie mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Bitterkeit und Hohn.
»Um Gottes willen! Doña, eilen Sie; jede Minute, jede Sekunde mag die letzte sein«, flüsterte der Blaumantel der Doña zu.
In demselben Augenblicke huschte eine Kammerfrau durch die Türe herein, warf dem Obersten einen weißen Mantel um die Schultern, drückte ihm den Hut in die Stirne, flüsterte der Doña einige Worte in die Ohren und schob dann Doña, Blaumantel und Obersten zur Türe hinaus.
»Isabel! Isabel!« schrie der Oberst – doch sie hörte nicht. Sie flog mehr als sie rannte durch die Gemächer dem Boudoir zu, durch eine Tür an der Seite des Bettes in eine Garderobe, aus dieser in ein Badezimmer, wieder in ein kostbar möbliertes Schlafgemach, und durch eine verborgene Türe in einen schmalen Gang, an dessen Ende sich eine Wendeltreppe befand. Sie führte in eine bedeutende Tiefe. An jedem Absatze stand eine Schildwache, welcher der Begleiter der Doña das Losungswort zuflüsterte. Nach einem Hinabsteigen, das mehrere Minuten gedauert hatte, waren sie in einer Halle angelangt, deren schwarze Mauern, ungeheure Mittel- und Strebepfeiler von gehauenen Steinen, augenscheinlich die Fundamente des ungeheuren Palastes trugen. Die kühle Grabesluft, das Wasser, das an den Wänden herabträufelte, in Rinnen im steinernen Fußboden gesammelt, alles verriet, daß sie sich unter der Erde befanden. Zwei Schildwachen schritten zähneklappernd in der weiten Halle auf und ab. Diese war zum Teil erleuchtet, zum Teil finster, einer ungeheuern Gruft gleich, aus deren Tiefe Töne hervordrangen, die unsere Nachtwandler in ein leichtes Frösteln versetzten.
Sie standen eine Weile unschlüssig, als eine verhüllte Gestalt heranschlich, sie mit den Worten: »Gelobt sei der Name der allerheiligsten Jungfrau!« begrüßte und dann eine starke eiserne Tür öffnete, durch welche sie die drei zog, rasch den ungeheueren Riegel vorschob, eine Blendlaterne hervorzog und dann schnell ihren Weg durch die Labyrinthe dieses schaudervollen unterirdischen Gewölbes nahm.
Durch Gänge und Windungen, die wieder mit ebenso vielen Eisenpforten und Gittern verwahrt waren, kamen sie endlich in einen länglichen bogenartigen Korridor, dessen eine Wand aus den massiven Grundmauern des Palastes und die andere aus getäfeltem Holzwerke mit Fenstern bestand, durch welche Lichtstrahlen auf die feuchten tropfenden Mauern fielen. Die Fenster waren vergittert und mit Vorhängen versehen, durch deren Öffnungen man in die verschiedenen Gemächer sehen und die Stimme von Redenden hören konnte. Als sie tiefer einschritten, kam ein Chaos von Tönen aus der Tiefe heraufgestiegen, das den Jammertönen und dem Winseln und wieder dem Hohnlachen der Verdammten und ihrer Peiniger angehören mußte. Alle drei blieben einen Augenblick eingewurzelt ob dieser grausen Töne, die in dem dumpfen eingeschlossenen Raum gleichsam zusammengepreßt, so unnatürlich an das Ohr anschlugen. Dann zog sie ihre Führerin mit sich vor eine verhängte und vergitterte Glastüre, deutete in ein Gemach und zog sich eilig zurück.