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Condessa Elvira saß in ihrem Schlafgemache, das innige Zärtlichkeit zum süß duftenden Tempel reiner Unschuld mit einer seltenen Delikatesse ausgeschmückt hatte. Die Wände, nach Landessitte al fresco gemalt, zeigten gelungene Kopien der Raffaelischen Kartons, von einem der ersten Schüler der Akademie der schönen Künste ausgeführt. Zwei Marmorstatuen, Amor und Psyche vorstellend, lächelten aus ihren Nischen schalkhaft und heiter verschämt dem holden Kinde zu. Im Hintergrunde eines Alkovens stand das mit durchsichtigem Flor umhangene jungfräuliche Bett von duftendem Rosenholz, auf Säulen von getriebenem Silber ruhend. Das Gemach selbst war in einen Garten verwandelt, von den herrlichsten Wohlgerüchen der mexikanischen Flora duftend, der Herz- und Tigerblume und den Abarten der vielfarbigen Kamelien, während durch die purpurnen Vorhänge des offenen Fensters die blaßroten Strahlen der Morgensonne das Ganze in das lieblichste Helldunkel kleideten, alles bezeugend, wie die Bewohner des Hauses vereint beigetragen hatten, den gemeinsamen Liebling zu entzücken.
Zu den Füßen des holden Kindes kauerten zwei wunderschöne Oaxaca-Indianerinnen, deren glänzende Kupferfarbe nur da zu sein schien, um die ungemeine Lieblichkeit der Hauptperson recht strahlend hervorzuheben. In einem anstoßenden größeren Zimmer, das als Besuchsaal diente, saßen mehrere Damen in der schwarzen Morgenkleidung des hohen Adels Mexikos.
Sie schienen ungemein ernst, ja niedergeschlagen. Mehrere schwiegen ganz, andere waren in einer abgebrochenen Unterhaltung begriffen oder horchten den Stimmen, die aus dem anstoßenden Gemache, nun mehr oder minder vernehmbar herüberschallten. Es waren Männerstimmen, die, obwohl sie leise zu sprechen sich Mühe gaben, häufig wieder in die leidenschaftliche Hitze ausbrachen, in die niemand leichter als Kreolen aufwallen.
»Und wann hat unsere teuere Condessa zuerst das Lager verlassen?« fragte eine würdig aussehende, ganz schwarz gekleidete Dame, auf deren Gesicht die Spuren einstmaliger Schönheit noch nicht ganz verwischt waren.
»Küsse Eurer Herrlichkeit die Hände«, versetzte die Camareria. »Gestern erhob sie sich auf einmal, und zwar gerade als Se. Herrlichkeit der Graf recht betrübt und traurig in ihr Kabinett traten. Sie schaute ihn lange an, als wollte sie ihn mit ihren lieben holden Äuglein durchschauen. Sie sagte aber kein Wort. Aber als er gegangen, fragte sie mich, was dem Oheim fehle, ob Nachrichten von der Armee eingelaufen. Sie fühlte wohl, daß der Schmerz des Grafen nicht ihr gegolten, und stundenlang sprach sie zu sich selbst und machte sich Vorwürfe, daß sie die Traurigkeit des Grafen erhöhe und durch ihren Schmerz ihm das Herz noch mehr beenge. Sie klagte sich selbst an, der liebe Engel.«
»Das ist wirklich sonderbar«, sprach die Gräfin.
»Wir mußten«, fuhr die Kammerfrau fort, »ihr alles erzählen, was sich seit der Abreise des unglücklichen Neffen zugetragen, die zahlreichen Verhaftungen, das Verschwinden so vieler teurer und werter Häupter aus der Mitte ihrer Familien, die schreckliche Angst, die auf einmal über das Volk gekommen, die Gerüchte von der Annäherung der Rebellen, und wie bereits seit zwei Tagen alle und alle hinausziehen gegen die Anhöhen von Tacubaya.«
»Mutter der Gnaden! Wie konntet Ihr nur das sagen?«
»Küsse Euer Gnaden und Herrlichkeit die Hände«, versetzte die Kammerfrau. »Eben dies hat sie genesen gemacht. Es scheint wirklich, als ob die Größe unserer Trauer und unseres Schmerzes den ihrigen ertötet hätte.«
Die Damen sahen sich verwundert an.
»So helfen unsere Leiden wenigstens einer, die wir lieben«, sprach die Gräfin. »Aber Señoria,« fuhr sie fort, und ihre Stimme zitterte, »mir ist wirklich zumute, als wenn mir das Herz jeden Augenblick springen sollte.«
»Und mir, als ob das meinige durch Marterwerkzeuge zusammengepreßt würde«, seufzte eine zweite.
»Sehen Sie nur hinab in den Paseo – Jesu Maria, die Angst dieser Leute!« bemerkte eine dritte.
»Und hinauf die Straße von Ajotla«, fiel eine vierte ein. »Es soll alles voll von Leperos sein.«
»Mein Gott!« jammerte eine fünfte, und ihre Stimme zitterte, als würde sie von einem Fieberschauer gerüttelt. »Was will denn das unvernünftige Volk? Nicht genug, daß wir bedroht und bedrängt sind, nicht wissen, wohin vor Angst, daß unsere Angehörigen verschwinden vor unsern Augen und die Nacht des Kerkers sie ewig unsern Blicken verbirgt, um des geringsten Verdachtes willen, so müssen auch noch diese – Und doch ist ihr Auszug ganz sonderbar, wunderbar!« Sie schüttelte das Haupt zweifelhaft.
»Jawohl, wunderbar, liebe Condessa«, fiel die Gräfin Istla ein. »Erinnern Sie sich noch ihres Auszuges vor siebzehn Monaten, der uns allen zu einer so gräßlichen Vorbedeutung wurde?«
»Wir hatten eine kleine Tertulia,« fiel ihr die Gräfin Regla ein, »als es auf einmal hieß, die Guachinangos rühren sich, und Sie werden sich unsern Schrecken leicht vorstellen können; denn so harmlos dieses Volk auch ist, so ist es doch nur ein unvernünftiges Volk, und unser alter Mayordomo erzählt, wie einst ein Virey mit seinem ganzen Hofstaate und seinen Garden so in Schrecken gesetzt wurde, daß er ins San-Franzisko-Kloster flüchten mußte, wo er ohne die Padres zerrissen worden wäre. Ja, wir saßen soeben bei Tische, wie Ihre Herrlichkeit, Condessa Istla, wissen –«
»Als es hieß,« fiel ihr die Condessa Istla ein, »daß die Guachinangos aufgestanden seien, liefen wir alle vor Schrecken und Entsetzen auseinander, und es war gräßlich anzusehen, diese Tausende und abermals Tausende – die Dame hielt ihren Fächer vor – »wie sie aus ihren Höhlen krochen. Und dann zogen sie der Alameda Buccarelli zu und von da weiter nach der Hacienda von Guaximalpa und die Anhöhen von Santa Fe hinauf, wo sie sich lagerten.«
»Und es wurde wieder Abend,« fuhr eine andere Dame fort, »und sie kamen zur Verwunderung Mexikos nicht zurück, und es kam der Morgen und wieder Abend und wieder Morgen. Sie blieben noch immer. Anfangs lachte man über sie, dann wünschte man sich Glück, sie los geworden zu sein, aber zuletzt fing es allen an, unheimlich zu werden. Nach drei Tagen kehrten sie zurück, und an demselben Tage kam die Nachricht, daß die Rebellion in Dolores ausgebrochen sei, und sechs Wochen darauf sahen wir den gräßlichen Hidalgo mit seiner wüsten Horde auf eben den Anhöhen gelagert, die die Leperos inne gehabt hatten.«
Es entstand nun eine lange Pause, wie bei Menschen, die gerne ihrem gepreßten, geängsteten Herzen Luft machen möchten, die aber fürchten, irgendeinen Gegenstand zu berühren, der einen wunden Fleck dieses ihres Herzens treffen konnte.
»Ich weiß nicht,« hob endlich die Condessa Istla seufzend wieder an, »was ich von diesem Hidalgo halten soll, und dem schlimmeren Morellos. Die Spanier schildern sie als die ärgsten Ketzer, und Padre Domingo behauptet fest und heilig, daß Hidalgo während seiner Gefangenschaft die Klauen und Hörner des Gottseibeiuns gewachsen seien.« Bei diesen letzteren Worten bekreuzte sich die Dame, rief den Namen Jesu dreimal und küßte dann ihre Daumen. Dasselbe taten die übrigen.
»Heilige Jungfrau!« sprach die Marquisin Grijalba. »Wir sind so gänzlich in den Händen dieser Todfeinde alles dessen, was mexikanisch ist, außer seines Goldes und Silbers, die uns schmähen und höhnen, und dann die Rebellen vor den Toren, die von Ketzern angeführt werden!«
»Sie wissen, was gestern mit der Doña Matilde geschehen? Der Capitan Figueras vom Regimente Navarra hatte sie gesehen, hatte gehört, daß sie bedeutendes Vermögen besitze, und noch gestern ist dem Vater der hohe Wunsch durch den General Pincha eröffnet worden, der Vermählung seiner Tochter mit dem Spanier kein Hindernis in den Weg zu legen. Er mußte seine zwei Söhne zugunsten des spanischen Schwiegersohnes enterben. Beide machten sich noch gestern auf den Weg nach Cuautla Amilpas, wurden ergriffen –« »... und haben zu leben aufgehört«, flüsterten die andern Damen mit dumpfer Stimme.
»Don Alaman«, fuhr die Condessa Irún nach einer Pause fort, »starb, wie sie wissen, eines plötzlichen Todes auf seiner Hacienda. Er hatte, da das Jahr soeben begonnen, den vollkommenen Ablaß Indulgencia plenaria. Siehe Anhang: Note III. nicht gelöst von des Vireys Exzellenz; deswegen wurde sein Testament ungültig erklärt, sein Vermögen vom Fiskal der hohen Audiencia eingezogen, und die Kinder – –«
»... sind Bettler!« seufzten die Damen wieder in demselben dumpfen Tone.
»Señorias,« sprach die Condessa Regla, »ich rang meine Hände, ich erhob sie flehend zur heiligen Jungfrau und betete und beschwor sie, mir zu offenbaren im Traume oder durch ein sonstiges Zeichen, welches der rechte Weg in diesen Trübsalen sei.« Sie sah sich nach allen Seiten scheu um und fuhr dann fort: »Die Gachupins wüten ärger unter uns als die Heiden, Türken und Mauren, und gerade, als ob wir gente irracional wären, behandeln sie uns. Und doch wieder sind sie unsere Obrigkeit, und alle Obrigkeit ist von Gott eingesetzt; zudem sind die Cavecillas von Sr. Gnaden dem Erzbischof exkommuniziert. Allerseligste Jungfrau! Man weiß nicht mehr, was man denken, glauben oder tun soll!«
»Heilige Jungfrau!« jammerte eine zweite, eine dritte, eine vierte, bis endlich alle ihre Seelenleiden dahin geäußert hatten, daß ihre Herzen bereits ziemlich für die Rebellen schlugen, daß aber Furcht vor den gräßlichen Gachupins und mehr noch vor der schrecklichen Exkommunikation sie abhalte, diesen Gefühlen eine werktätigere Richtung zu geben.
Diese Furcht war übrigens nicht unbegründet, und selbst stärkere Seelen als die unserer Damen waren durch diesen schrecklichen Kirchenfluch eingeschüchtert worden, und nur der Umstand, daß das exkommunizierende Haupt der mexikanischen Kirche, der Erzbischof, ein Gachupin, und die Anführer des Insurgentenheeres großenteils kreolische Priester waren, hatte wieder ein heilsames Gegengewicht hervorgebracht.
Die Stimmen im anstoßenden Gemache waren inzwischen sehr laut und heftig geworden.
»Und Eure Herrlichkeit rechnen diese Tausende, die hinauf gegen Tacubaya strömen, als wenn das gelbe Fieber in Mexiko wütete, für keine Zeichen der Zeit?« schrie eine Stimme.
»Und die zehntausend Abschriften der Deklaration der Junta von Zultepec, die wie Schnee vom Himmel gefallen und in allen Straßen zu finden waren?«
»Prachtvolle Deklaration!« rief ein dritter. »Hören Sie nur!«
»Stille!« war die Antwort des Grafen. »In unserm Hause soll keine solche Deklaration verlesen werden.«
»Graf!« schrien mehrere. »Sie wollen sie nicht hören, die Sprache freier Männer, die kühne Sprache der unerschrockenen Wortführer und Verfechter der Freiheit Mexikos, Sie wollen nicht? Ein Wort von Ihnen, und die Garnison von ganz Mexiko schüttelt das Joch ab, das Freiheitsfeuer lodert, der göttliche Funke entzündet aller Herzen.«
»Um ebenso schnell wieder zu verlöschen«, war wieder des Grafen Antwort. »Ich ehre«, fuhr er fort, »Ihre Ansichten, rauben Sie mir aber die meinigen nicht, und diese sind, daß unser Volk für die Freiheit noch nicht reif, daß wir die Stützen des Staatsgebäudes nicht zertrümmern können, ohne uns einer sicher ärgern Tyrannei auszusetzen, und daß wir noch durch eine lange Wüste von Leiden und Entbehrungen zu wandern haben, ehe wir in das Land der Erkenntnis kommen, das einzige, wo Freiheit wohnen kann. Ich sage Ihnen, Señorias,« schloß er, »die Spanier sind nicht das schlechteste, das wir in Mexiko haben.«
Ein lautes Geschrei brach auf diese Erklärung aus, und die Heftigkeit der Schreienden schien alle Rücksichten des Anstandes und der Klugheit vergessen zu haben. Es waren zum Teil dieselben Edelleute, die wenige Tage zuvor so ängstlich-kindisch nach der Auszeichnung eines königlichen Ordens haschten.
»Heilige Mutter der Gnaden!« fuhr die Condessa auf, die wie die übrigen Damen nicht wenig über die Heftigkeit ihres Mannes erschrocken war: »Unsere Männer führen sonderbare Reden.«
»Jesu! Jesu!« seufzte eine andere. »Wir sind gekommen, um beim Grafen von San Jago Ruhe und Trost zu finden und nur wenigstens sein Gesicht zu schauen. Er ist sonst so gleichmütig, so ruhig.«
»Und doch wieder der Barometer unserer Zeit«, bemerkte die geistreiche Condessa Regla.
Eine Stimme schrie nun im Gemache, wo die Kavaliere sich befanden. »Bei meiner Ehre, Graf San Jago, da kommt die Belohnung für Eurer Herrlichkeit echt spanische Grundsätze.«
»Es ist die vizekönigliche Equipage«, riefen alle. Die Damen waren verwundert und erschrocken aufgesprungen.
»Es ist die Condessa Isabel mit Señora Zúñiga und ihrer Camareria«, riefen mehrere im Tone höchster Verwunderung. »Madre de Dios! Die Doña Flora Zúñiga, wie kommt diese in den vizeköniglichen Wagen?«
Die Doña Isabel mit ihrer Camareria stiegen aus, und die vizekönigliche Equipage mit der Doña Flora rollte der Stadt zu.
Der Graf selbst war der hohen Besuchenden entgegengekommen, und die Ehrfurcht, mit welcher er sie empfing, dürfte kaum größer gewesen sein, wenn die Königin beider Indien selbst ihren hohen Fuß in sein Haus gesetzt hätte.
Donna Isabel war eine volle Gestalt von mittlerer Größe, und obgleich noch jugendlich, mehr Weib als Mädchen, ein herrliches Bild spanischer Schönheit, ganz Leidenschaft und Flamme; kein Spielen, kein Tändeln – rasches Hingeben oder vielmehr Ergreifen, kräftiges Festhalten lag in ihren stolzen, begehrenden Zügen. Viele Versuchungen und manche genossene Freuden schimmerten durch den leichten Anflug tropischer Ermattung, der wie der rötlich erglühende Dunstkreis beim Anbruch eines heiß werdenden Tages die Sonne bei ihrem Aufgange umschleiert, und die blutroten Streifen, die auf diesem feurig-brünetten Gesichte gleichsam wie zur Warnung hingezogen waren, sie verrieten Flammen und Liebe, und doch schien es, als ob sie selbst stärker als Liebe sein könnte.
Sie war etwas phantastisch in die Basquina ihres Landes gekleidet, die bis zu den Knien herab ging und zur Unterlage eine dunkelblaue Robe hatte, die wieder bis zu den Knöcheln reichte und ein Paar sehr kleine Füße sehen ließ. Ein kostbarer Kaschmir war malerisch um ihren Kopf gewunden, eine Fülle schwarzer Locken hervordrängend, die auf den üppigen Nacken herabfielen. Der Busen war züchtig verhüllt. Arme, Taille, alles war verführerisch, schwellend, elastisch, und in den schwarzen, feurigen Augen glühte eine Flamme. Sie erschien wie ein prachtvolles Meteor am unheilschwangern Himmel.