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Der Vorderste der eintreffenden Gäste war ein schwammiges Männchen mit behäbigem Unterleibe, gepuderten Haaren und zierlichem schwarzseidenen Haarbeutel. Er brachte zuerst keuchend seinen reichgestickten Frack à 1a Louis-Quinze in die gehörige Richtung, glättete die zerknitterten Spitzen der Hemdärmel, richtete den kurzen steifen Kragen und die langen Schöße in Ordnung, adjustierte den kurzen Staatsdegen mit stählernem Griffe und stöhnte dann, sich neugierig umsehend:
»Ah, Maestro Anselmo! Se. Herrlichkeit der Graf nicht hier? Ah, Maestro! Brennen vor Verlangen, ihm unsere Attention zu erzeigen. Ah, Maestro Anselmo!«
»Eure Herrlichkeit«, versetzte der Mayordomo, sich tief bückend.
»Ey, Maestro Anselmo! Ihr seid noch aus der alten Schule; aber diese ewigen Aufstände haben die guten alten Zeiten ganz verdorben«.
»Ah«, fiel ein zweiter Marquis ein, der im blutroten Taffetrocke zu Ehren der spanischen Nationalfarbe prangte, »ah, aber Se. Exzellenz der Allergnädigste haben doch mit Hochdero eigenem Munde huldreich versichert, daß diese Aufstände jetzt ihr Ende haben sollen, und Se. Exzellenz der Allertapferste haben gleichfalls bei allen Heiligen zu beteuern geruht, daß in sechs Monaten kein Rebelle mehr den Boden Neuspaniens besudeln solle«.
»Bitte um Vergebung, Euer Gnaden«, sprach ein alter Conde, »aber wir erlauben uns eine untertänige Bemerkung um so mehr, als diese von äußerster Importanz ist. Euer Gnaden Herrlichkeit sagten nämlich: Sr. Exzellenz der Allergnädigste, wo doch das Prädikat Allergnädigster bloß der Majestät zukommt«.
»So kommen wir von den Federn aufs Stroh«, fiel der Mayordomo ein, der nicht ohne Unwillen den Edelleuten zugehört hatte. »Ah, Señorias, unser Sprichwort sagt: sie haben dem Tiere, das heißt der Rebellion, noch nicht die Haut über den Kopf gezogen, und ich fürchte, sie wird eher uns abgezogen werden«.
»Ey, Anselmo ist ein geschickter alter Kauz«, bemerkte der Conde Irun.
Ja, ja, Señorias»«, fuhr der Mayordomo in demselben ehrfurchtsvollen Tone fort. Achtundachtzigmal, genau gezählt, sind nun bereits die Rebellen vernichtet, und achtundachtzigmal sind sie immer wieder von den Toten auferstanden«.
»Und«, fragte der Conde de Istla, »was glaubt nun Maestro Anselmo?«
»Alles, was die Kirche zu glauben gebietet«, sprach der alte Mann mit einem einfältigen und wieder schlauen Blinzeln. Wie sollte der arme Anselmo auch anders, da so viele erlauchte Herrschaften selbst glauben und geschehen lassen müssen, daß ihnen ihre hochgebornen Herren Söhne vor der Nase weggenommen und in die Armee gesteckt und vor den Feind geschickt werden«.
»Jesu Maria!« riefen sämtliche Kavaliere, »so ist es denn wahr, was man sich allenthalben zuflüstert?«
»Und Señorias wissen das nicht?« rief der Mayordomo erstaunt aus.
»Und glaubt Ihr wirklich«, fragte der Marquis Moncada, »daß die Rebellen es wagen werden, auf die Söhne der höchsten mexikanischen Nobilitad zu schießen?«
»Was sollten sie anders?« versetzte der Mayordomo
Der Marquis und seine Compairs stierten den Mayordomo mit einem geisterartigen Grinsen an. »Aber Anselmo!« rief er, »Aber Anselmo!« Und er trippelte im Saale herum. »Sogleich wollen wir zum Virey – ja, zum Virey – Jesu! Wenn wir noch an die Leiden gedenken, die uns Se. Exzellenz, der Virey Gálvez, verursachte, als es ihm beifiel, das Lager bei Tacubaya zu halten. Señorias wissen, wir waren Obersten in der Miliz. Jesus, Maria und Josef! Wenn wir noch daran denken, rüttelt es uns wie Fieberfrost. Wir waren drei Wochen krank vor Schrecken. Denken Sie sich, Señorias, fünf volle Stunden mußten wir zu Pferde sitzen, und keiner von unseren Dienern durfte sich uns nähern, um über unsere Person den Sonnenschirm zu halten. Und die vielen tausend Gewehre, die alle mit Pulver geladen und mit Bajonetten bespießt waren; jeden Augenblick waren wir in Gefahr, eines möchte zerplatzen.«
»Und stechen«, fragte der alte Marquis sehr naiv, »die Rebellen auch mit Bajonetten und schießen sie mit Pulver?«
»Und mit Blei«, versetzte der Mayordomo trocken.
»Jesu, Jesu!« stöhnte der Marquis wieder und mit ihm die übrigen. »Ja«, kreischte er, »das kommt alles von der Aufklärung. Seit der Zeit, wo Se. Exzellenz der Virey Revillagigedo naseweis genug waren, dem mexikanischen Volke klar und bündig vor Augen zu legen, wie es hundertmal stärker an Zahl sei als seine spanischen Gebieter. Diese Volkszählung wurde im Fahre 1790 unternommen und der Vizekönig, einer der wenigen rechtlichen Männer, die diese hohe Stellung bekleideten, sehr deswegen getadelt. Ei, diese unglückselige Volkszählung!«
»Und dann seit der Zeit«, fiel der Mayordomo ein, »wo man das ganze Mexiko zwang, durch spanische Brillen zu sehen. – Ei, Señores, die zweitausend Kisten Brillen, die das Cadixer Consulado von den Holländern erhandelt und weshalb wir Mexikaner und unsere unbehosten und unbeschuhten Indianer auf Anordnung Sr. Exzellenz des Virey Brillen bei hoher Strafe tragen mußten?«
Es entstand eine Pause. Die komisch absurde Tatsache, daß ein Volk von mehreren Millionen Menschen gezwungen worden war, fremde Brillen zu tragen, weil ein solcher Artikel, von der privilegierten Kaste der Cadixer Kaufleute erhandelt, sonst zu verliegen gedroht hätte, hatte die Kavaliere in ihren Klagen über die Folgen der Aufklärung ganz aus dem Konzept gebracht.